Salz und Licht (Matth. 5,13

Predigt 26.7.2015: Salz und Licht (Matth. 5:13-­‐16) MANFRED SIEBALD Liebe Gemeinde, in den 1960er Jahren gab es ein rührendes Lied, das Mut zum Engagement in der Welt zu machen versuchte: "Salz sollt ihr sein, doch mit euch ist nichts los. Feuer der Welt, doch die Angst ist zu groß." Das Lied gab dann kurze Einblicke in die Lebensgeschichten von Franz von Assisi, Martin Luther und Johannes XXXIII, und immer wieder hieß es im Refrain: "Salz sollt ihr sein, doch mit euch ist nichts los." Das klang wie der Fußballtrainer, der im Abstiegskampf seine Mannschaft anbrüllte: "Ihr seid Affen. Hört doch auf!" – und damit die Spieler provozieren will, das Gegenteil zu beweisen und gerade nicht aufzuhören. Jesus hat es nicht nötig, seine Nachfolger so anzufeuern. Denn "Salz sollt ihr sein" hat er in der Bergpredigt gar nicht gesagt. Seine Botschaft war nicht: 'Nun strengt euch mal ein bisschen mehr an – dann werdet ihr vielleicht endlich zum Salz der Erde.' Er sagte: "Ihr seid das Salz der Erde. . . . Ihr seid das Licht der Welt." Wenn unser Leben diesem Jesus gehört, dann ist das unsere Identität – auch wenn wir uns gar nicht so fühlen, als seien wir Salz und Licht. Wie sieht diese Identität im Einzelnen aus? 1 Unsere Identität In der Bibel hat das Salz verschiedene Funktionen: Es wirkt würzend, konservierend und reinigend. Es wird im Alten Testament manchmal auch mit Wüste und Tod in Verbindung gebracht, aber in der Bergpredigt spricht Jesus von den posi-­‐
tiven Wirkungen des Salzes. Vom Licht hat die Bibel über-­‐
haupt nur Positives zu sagen: Es ist Gottes erste Schöpfung, es ist ein Symbol für das Gute, für Segen und für Leben, es ver-­‐
hilft zu Wahrheit und Verstand. Und Jesus bezeichnete sich selbst als das Licht der Welt – wobei er fast im gleichen Atem-­‐
zug dasselbe von den Menschen sagte, die ihm nachfolgen. "Ihr seid das Salz der Erde. . . . Ihr seid das Licht der Welt." Wir müssen uns nicht besonders anstrengen oder unsere Salz-­‐ und Lichtleistung sogar als Eintrittskarte in den Himmel verstehen. Dass wir Salz sind, ist eine natürliche Fol-­‐
ge davon, dass wir "in Christus" sind – wie es der Apostel Paulus ausdrückte. Wer in einer lebendigen Verbindung mit Christus lebt, ist Salz, ist Licht. Und dem wird man abspüren, mit wem er verbunden ist. Wie haben wir eben gesungen: "Nun danket alle Gott 'mit Herzen, Mund und Händen.'" Wenn wir durch Christus eine Verbindung mit Gott haben, werden wir ihm mit Herzen, Mund und Händen dafür danken, und das wird Auswirkungen auf unser Familienleben, auf das Verhältnis zu unseren Nachbarn, auf unseren Arbeitsalltag und auf unser politisches Engagement in einer manchmal geschmacklosen und dunklen Welt haben. Unser Herz wird nicht nur für uns selbst sondern auch für andere Menschen schlagen, unser Mund wird die gute Nachricht von Jesus Christus in dieser Welt verbreiten und unsere Hände werden Dinge tun, die andere dazu bringen, Gott zu loben. Wenn also unsere Identität geklärt ist, warum ist dann oft so wenig von unserer Salz-­‐ und Lichtkraft zu spüren? Warum haben wir öfters das Gefühl, "dummes", nutzloses Salz zu sein, und eine Kerze, die unter einem Gefäß versteckt ist und irgendwann aus Sauerstoffmangel verlischt? Warum erfahren wir nicht mehr Reaktionen auf unser Christsein? Vermutlich, weil wir eine Reihe von Ausreden parat haben, mit denen wir unsere Identität verleugnen und uns aus der Verantwortung für diese Erde und ihre Menschen stehlen. Mit welchen Strategien versuchen wir uns zu ersparen, dass unser Glaube sichtbar, hörbar, fühlbar wird? 2 Unsere Ausreden Da gibt es zum Beispiel das Heiligkeitsargument. Sollten wir uns denn als Christen nicht zu allererst auf unsere eigene Seele, unseren eigenen Glauben konzentrieren? Ist die Heiligung unseres inneren Lebens nicht wichtiger als die Be-­‐
schäftigung mit äußerlichen Dingen? Dieses Argument klingt auf den ersten Blick sehr fromm, ist es aber überhaupt nicht. Der Anglikaner John Stott hat immer betont, dass Christen nicht nur vor Gott für ihr Leben verantwortlich sind, sondern dass sie auch eine "Verantwortung für die Welt" haben. Bei-­‐
des gehört unaufgebbar zum Christsein. Er sagte: "Es ist ver-­‐
gleichsweise einfach, diese Spannung aufzulösen, indem man sich in Christus zurückzieht und die Welt vernachlässigt oder indem man sich so mit der Welt beschäftigt, dass man Chris-­‐
tus vergisst. Weder die eine noch die andere Lösung ist wirk-­‐
lich christlich, denn beide verleiten uns dazu, jeweils eine unserer christlichen Verantwortungen zu leugnen. Christen im Gleichgewicht, die die Bibel als Richtschnur ernst nehmen, werden versuchen, 'in der Welt' und gleichzeitig 'in Christus' zu leben – in gleicher Intensität." Sie werden ein Leben des Gebetes führen, aber untrennbar damit verbunden auch eins, in dem sie sich um die Not anderer Menschen kümmern, in ihrer Gemeinde mitarbeiten und ihren Glauben mit anderen teilen. Dann gibt es da das Überflüssigkeitsargument. Sind die Sätze vom Salz und Licht heute für uns überhaupt aktuell? Wir leben doch in einem christlichen Land mit 45.000 baulich ordentlichen Kirchen, sagen wir. 44.000 katholische Trauun-­‐
gen gibt es pro Jahr, und 225.000 evangelische Konfirmatio-­‐
nen. Da müssen wir doch nicht extra noch salzen und leuch-­‐
ten. Aber sehen wir hier vielleicht unser Land und seine an-­‐
gebliche Christlichkeit durch eine rosarote Brille? Glauben wirklich immer noch fast alle Menschen hierzulande an den Gott, der in der Bibel zu uns redet? Und handeln sie so, wie er es will? Die Umfragen neutraler Institute sprechen eine völlig andere Sprache. In dem ziemlich schonungslosen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aus dem ich diese Zahlen habe, hieß es vor einigen Monaten ganz trocken: "An Ufos glauben zwischen Flensburg und Oberammergau mehr Menschen als ans Jüngste Gericht. Willkommen in der deut-­‐
schen Diaspora. . . . Die Spätzeit des Christentums in Deutsch-­‐
land hat begonnen." Auch das Mengenargument ist problematisch. Wie soll das denn funktionieren, dass ich ganz allein leuchte und die Dunkelheit in der Welt vertreibe? Das schaffe ich sowieso nicht. Aber nicht nur im Glauben greift dieses Argument nicht so richtig. Nur medizinische Laien sagen: "Diese winzige Tablette soll den Schmerz in meinem großen Bein lindern? Geht nicht. Dazu müsste sie viel größer und schwerer sein." Ich habe mich über dieses Mengenargument oft geärgert, wenn meine Frau von einem ihrer anstrengenden Einsätze mit humedica aus Afrika zurückkam. Da zuckten tatsächlich Gesprächspartner blasiert mit den Achseln: "Na und? So eine medizinische Hilfe ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein." Ich empfinde das immer als eine kurzsichtige, statistikverseuchte Verkennung der Tatsache, dass in jeder einzelnen Behandlung ein einzelner Mensch geholfen bekam und Linderung seiner Schmerzen erfuhr. Schließlich haben wir da auch noch das Anstands-­‐ oder auch Harmonieargument. Über Geld und Religion spricht man in zentraleuropäischen Gesellschaften nicht. Und ich soll die Gegnerschaft der Welt provozieren, indem ich salzige Be-­‐
merkungen mache – ihr zum Beispiel sage, dass sie ohne Gott verloren ist? Luther kannte die Folgen unliebsamer Wahr-­‐
heiten. Er sagte: "Soll man salzen, so muss es beißen. . . . Das ist dann eine unfreundliche Predigt, macht uns die Welt unangenehm und bringt das ein, dass man uns feind wird und über das Maul schlägt.” Wir sollten allerdings ergänzen: Nicht immer muss die Wahrheit beißen – sie kann auch einfach gut tun, und man kann auch ohne harte Worte leuchten. Fulbert Steffensky hat Mission definiert als die "gewaltlose, ressenti-­‐
mentlose und absichtslose Werbung für die Schönheit eines Lebenskonzepts". Da kann es schon einmal vorkommen, dass das Salz einfach nur als wohltätiges Gewürz und als Konser-­‐
vierungsstoff für das Gute in der Welt wahrgenommen wird. 3 Unsere Gelegenheiten Aber jetzt müssen wir natürlich noch fragen, wie es sich be-­‐
merkbar machen kann, dass Christen Salz und Licht sind. Ich vermute mal, der Tag fängt für Christen damit an, dass sie schon am Morgen mit dem reden, der das Rezept für einen wohlschmeckenden Tag hat und dessen Wort eine Lampe für ihren Fuß ist. Schauen wir doch mal ein paar ganz unspek-­‐
takulären Christinnen und Christen auf ihrem Weg durch den Tag über die Schulter. Julia ist 6 und geht in die erste Klasse. Auf dem Weg in die Schule denkt sie noch einmal an die letzte Kinderbibel-­‐
woche in der Gemeinde, und an die Geschichte von den Brü-­‐
dern Josefs, die so fies zu ihm waren. Als sie ins Klassen-­‐
zimmer kommt, sieht sie, wie zwei Jungen gerade ihre Freundin Anna in den Klassenschrank sperren. Obwohl sie Angst hat, ruft sie: "Macht die Tür auf!" Als das nicht hilft, rennt sie hin, schubst mit ihren 18 Kilo Lebendgewicht die Jungen zur Seite und befreit ihre Freundin. Sie hat Licht verbreitet – nicht nur im Klassenschrank. Ulrike (40) hat heute morgen längere Zeit mit Gott geredet. Als die Fernsehmeldung kommt, dass die Verbrecher von ISIS wieder eine Gruppe von Christen ermordet haben, erinnert sie sich daran. Sie lässt sich nicht in die Endlos-­‐
schleife von ohnmächtiger Wut und dumpfem Pessimismus treiben, weil sie einen Adressaten für ihre Klage und ihr Ent-­‐
setzen und auch einen Zuhörer für ihre Bitten kennt. Sie fängt an, für die verfolgten, gehetzten, gequälten Christen in Syrien, im Irak, in Nigeria und Somalia zu beten: um Bewahrung und Kraft, um Mut und Ausdauer. Solche Gebete sind nicht um-­‐
sonst. Wer für andere Menschen betet, ist Salz der Erde. Der Rentner Johannes (70) hat morgens in seiner Bibel die Worte Jesu gelesen: "Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen." Als er in der Früh-­‐
stückszeitung die Bilder von Flüchtlingen in einem hoffnungs-­‐
los überladenen Boot kurz vor Lampedusa sieht, erinnert er sich daran. Er nimmt auf einmal die Flüchtlinge als einzelne Menschen wahr, mit einzelnen Lebensgeschichten und einzel-­‐
nen Ängsten und einzelnen Hoffnungen. Er nimmt sich vor, mit den anderen Christen aus seiner Gemeinde regelmäßig in die benachbarte Asylunterkunft zu gehen. Sie unterstützen dort den Sprachunterricht, helfen bei Ämtergängen und sind einfach ansprechbar. Das ist Licht im Nebel brauner Parolen. Nathalie (32) ist Verkäuferin. Heute hat sie ihre Morgenandacht mit dem Vaterunser abgeschlossen. Jetzt begegnet sie in der Kantine dem Kollegen, der sie schon vor Wochen um Verzeihung gebeten hat, weil er sie eine Zeitlang gemobbt hatte – um den sie aber trotzdem bisher immer einen Bogen gemacht hat. Auf einmal denkt sie an das, was sie morgens gebetet hat: "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Und sie schaut ihn an und ringt sich zu einem ersten Lächeln durch. Ein fader Tag hat plötzlich Geschmack bekommen. Clemens (22), Student im vierten Semester, will heute seinem Mitstudenten Kai, der in völliger Ahnungslosigkeit über den christlichen Glauben aufgewachsen ist, auf irgend-­‐
eine angemessene Weise davon erzählen, was Jesus Christus für ihn getan hat. Er hat am Sonntag eine Predigt über das Menschenrecht auf Glaubensinformation gehört. Jetzt will er Kai, dem gegenüber er sich bis jetzt mit seinem Glauben sehr zurückgehalten hat, endlich die Wahrheit sagen. Ob dieser Funke bei Kai zündet, kann Clemens nicht vorhersagen. Helga ist 41 und macht sich gerade auf, um ihre ehrenamtlichen 6 Stunden Dienst in einem Haus für unge-­‐
wollt schwangere junge Frauen abzuleisten, die sich gegen eine Abtreibung entschieden haben. Helga kann sich nicht damit abfinden, dass in unserem Land in der ersten Jahres-­‐
hälfte 2015 schon über 50.000 Kinder abgetrieben worden sind und dass unsere Gesellschaft das hinnimmt und zum Teil sogar fördert. Sie will aber nicht nur Worte machen, sondern sie will im Namen des Schöpfers allen Lebens etwas dagegen tun. Was sie an Beratung und praktischer Hilfe leistet, ist ein heller Lichtstrahl im Dunkel der Gleichgültigkeit. Manfred (50) hat auf einer Wochenendreise mittags ein Restaurant gefunden. Er sitzt ganz allein in einer Ecke und bestellt sich was. Als das Essen dann vor ihm steht, tut er, was er immer tut: Er sagt seinem Schöpfer und Erhalter ein stilles, herzliches Dankeschön für das Schnitzel. Dabei senkt er ein bisschen den Kopf und schließt die Augen. Als er sie wieder öffnet, steht der Kellner neben ihm und fragt: "Entschuldi-­‐
gung, ist mit dem Essen was nicht Ordnung?" In einer Welt, in der Gebet nicht mehr bekannt ist, kann das Beten auch ohne große Gesten ein konservierendes Signal sein. Edith (86) wohnt im Altersheim und hat gerade im ERF eine Sendung zum Thema "Einer trage des anderen Last" gehört. Sie weiß, wie sehr ihre Zimmernachbarin an dem Zerwürfnis mit ihrer Tochter zu schleppen hat. Plötzlich wird das zu ihrer eigenen Last, sie schnappt sich eine Packung Ferrero-­‐Küsschen und klopft an die Nachbartür, um einfach einmal eine Weile zuzuhören und eine Last mitzutragen. In ein dunkles Zimmer hat sie eine Menge Licht gebracht. Haben wir es gemerkt? Alle diese Beispiele fingen nicht mit markigen Entschlüssen an, jetzt endlich mal richtig salzig zu sein und endlich anständig zu leuchten – sie entstan-­‐
den einfach aus der Begegnung mit dem, der uns Salz und Licht nennt. Von wem lassen wir unser Denken, Tun und Handeln in dieser Welt bestimmen? Von Journalisten, die uns eine Krise nach der anderen melden und uns das Gefühl ge-­‐
ben, wir müssten hier und da ganz dringend etwas tun? Von Politikern, die uns heute diese und morgen jene Problemlö-­‐
sung empfehlen und uns vor ihren Parteikarren spannen wol-­‐
len? Dann kann es sein, dass wir in Hektik und Selbstüberfor-­‐
derung geraten und unsere Kräfte in kurzer Zeit verbrennen. Oder lassen wir uns die Tagesordnung von dem ewigen Gott selbst schreiben, der uns durch sein Wort und durch unser Gespräch mit ihm so umgestalten will, dass wir die Not in der Welt durch seine Augen sehen – mit allen Chancen und allen Grenzen ihrer Beseitigung? Dass wir, ohne groß nachzuden-­‐
ken, Salz für diese Erde und Licht in dieser Welt sind? Wer sich immer noch nicht vorstellen kann, dass er mit dem Wort vom Licht in der Welt gemeint ist, sollte sich merken, was die amerikanische Schriftstellerin Edith Wharton einmal sagte: "Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man Licht verbreiten kann: Entweder man ist die Kerze oder der Spiegel, der ihr Licht reflektiert." Wir sind Licht – wenn wir Jüngerinnen und Jünger dieses Jesus sind. Und sollten wir uns gerade nicht wie Kerzen fühlen, sollten wir uns einfach so nahe wie möglich an ihn halten. Dann leuchten wir. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.