Predigt zur Tauferinnerung „aufmerksam und achtsam leben“ gehalten im Tauferinnerungsgottesdienst mit Taufen und mit den Konfi 3-Kindern am 25. Oktober 2015 in der Nikolauskirche Deckenpfronn von Pfarrer Hans-Ulrich Lebherz Liebe Konfi 3-Kinder, habt Ihr vorhin gesehen, wie aufmerksam und achtsam die Taufkerzen der Täuflinge angezündet wurden? Deshalb lasse ich erst jetzt Euch Eure Konfi 3-Gruppenkerzen an der Osterkerze anzünden … Und habt Ihr vorhin gesehen, wie aufmerksam und achtsam unsere Täuflinge bei der Taufe waren? Nachher werdet Ihr, wenn Ihr zur Tauferinnerung an den Taufstein kommt, merken, wie intensiv man einen einzigen Wassertropfen auf der Hand spüren kann. Das, worum es uns geht – Leben aus der Taufe, Leben aus dem Glauben, geistliches Leben – drückt sich in Achtsamkeit und Aufmerksamkeit aus. Ich bin achtsam in jedem Augenblick. Ich nehme die Zeit wahr. Ich achte auf das, was ich gerade berühre und in die Hand nehme. Ich bin ganz in dem, was ich gerade tue. Ich kann nicht tausend Dinge nebeneinander machen. Ich konzentriere mich auf das eine, das ich gerade tue. Aber das tue ich ganz intensiv. Achtsamkeit intensiviert das Leben. Das einfache Leben wird zu einem bewussten Erleben all dessen, was ich gerade tue, berühre, rieche, schmecke, esse, trinke, wahrnehme. Wer achtsam lebt, der lebt in Beziehung mit sich selbst, mit der Schöpfung, mit Gott und mit den Menschen. Die eigentliche Krankheit unserer Zeit ist die Beziehungslosigkeit. Viele Menschen haben den Bezug zu sich und zur Schöpfung verloren. Deshalb schlittern sie von einer Beziehung zur andern, nur um sich überhaupt spüren zu können. Und weil viele nicht mehr in Beziehung zu den Dingen sind, gehen sie brutal mit ihnen um. Sie benutzen sie nur für die eigenen Zwecke, sie zerstören sie. Diese Beziehungslosigkeit beobachten wir heute bei vielen jungen Menschen. Die Lehrer in den Schulen können ein Lied davon singen, wie achtlos die Schüler mit der Einrichtung der Klassenzimmer umgehen. Das ist nicht Bosheit, sondern Ausdruck ihrer Beziehungslosigkeit. —2— Die Beziehungslosigkeit führt noch zu einem anderen heute weit verbreiteten Phänomen: zur Ruhelosigkeit. Weil man nicht in Beziehung ist mit sich selbst, weil man nicht im Augenblick lebt, braucht man immer größere Anreize, um sich überhaupt noch zu spüren. Man muss dann möglichst weit weg in Urlaub fahren, möglichst riskante Sportarten treiben, um überhaupt Leben zu erfahren. Wer mit sich in Beziehung ist, der spürt bei einem einfachen Waldspaziergang intensiv das Leben. Er ist in Beziehung zur Natur, er riecht den spezifischen Duft des Holzes, des Waldbodens, der Blumen. Er hört die Vögel zwitschern und die vielen Insekten herumschwirren. Er atmet das Leben ein und hat darin alles, wonach er sich sehnt. Er lebt in Beziehung zu den Bäumen, spürt ihre Ausstrahlung. Er fühlt sich als Teil der Schöpfung, geborgen, getragen, wertvoll, lebendig. Die Kunst des geistlichen Lebens besteht darin, den Weg der Achtsamkeit zu gehen, um ein Gespür zu entwickeln für Gott. Achtsam sein heißt: aufmerken auf das, was ist. Ich mache mir bewusst, was ist. Ich lebe nicht in den Tag hinein, sondern denke über das nach, was ich tue, was mir begegnet. Achtsam sein heißt auch: aufwachen, die Wirklichkeit so sehen, wie sie ist. Viele Menschen sind wie Schlafende, sie machen sich Illusionen über sich und ihr Leben und glauben, es bestünde nur aus Arbeit, aus Beziehungen, aus Erfolg und Misserfolg, aus Wohlbefinden, aus gesichertem Dasein. Wir sollen aufwachen zur Wirklichkeit. Die eigentliche Wirklichkeit ist Gott. Der Mensch lebt daher nur dann seinem Wesen entsprechend, wenn er aufwacht zu Gott hin. Wir sollen achtgeben auf unsere Gedanken. Wie ein Türhüter sollen wir jeden Gedanken untersuchen, der in das Haus unseres Geistes eintreten möchte, und ihn befragen, ob er zum Hausherrn gehört oder ob es ein Eindringling ist, der sich unberechtigterweise einschleichen möchte. Der Türhüter weist alle unpassenden Gedanken ab, damit wir wirklich Herr in unserem Hause bleiben, damit wir es selbst bewohnen und damit Gott in unserem Hause wohnen mag. Es gibt Menschen, die den Glauben vor allem als Leistung missverstehen. Sie meinen, sie müssten vor Gott etwas leisten und möglichst viele fromme Übungen machen, viel beten und dadurch alle ihre Fehler mehr und mehr besiegen. Ein so verstandenes geistliches Leben ist sehr anstrengend. Dagegen geht es vielmehr um die Kunst, intensiv zu leben. Achtsamkeit will uns zur Lust am Leben einladen. Wer ganz im Augenblick lebt, der kann ihn verkosten, genießen, für den wird die Erfahrung Gottes zugleich zur Erfahrung des vollen Lebens, des Lebens in Fülle. —3— Wer dagegen glauben als Leistung versteht, die er vor Gott und vor sich und seinem schlechten Gewissen vollbringen muss, für den wird seine Frömmigkeit oft genug zur Verhinderung von Leben. Es täte uns heute gut, achtsam zu leben und nicht achtlos an der Wirklichkeit vorbeizusehen, nicht achtlos den Müll wegzuwerfen, nicht achtlos an den Menschen vorbeizusehen, denen wir begegnen. Wir sollen wach und achtsam leben. Dann dürfen wir heimkehren aus der Zerstreuung und Entfremdung zu Gott. Bei Gott können wir wahrhaft daheim sein, bei Gott kann ich erst ganz zu dem werden, der ich von Gott her bin. Diesen Weg der Achtsamkeit wollen wir Euch Konfi 3-Kinder lehren, weniger durch Worte, so wie ich es gerade mehr für die Erwachsenen versucht habe, sondern durchs miteinander Tun. Tauferinnerung heißt, mich immer wieder neu auf den Weg der Achtsamkeit zu bringen. Ganz im Augenblick sein, ganz in der Gebärde sein, ganz im Atem, ganz in den Sinnen. Wenn ich ganz in meinem Leib bin und so durch die Natur gehe, dann fühle ich mich mit allem eins, mit der Schöpfung und darin mit Gott und mit allen Menschen, die Teil dieser wunderbaren und geheimnisvollen Schöpfung sind. AMEN.
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