Milizen am Drücker Bonus für Brennpunkte G7 in Fernost Libyen ist fünf Jahre nach dem Umsturz ein Paradies für Schmuggler. Seite 3 Der Berliner Senat erweitert die Förderung für Berufsschulen. Seite 11 Auf der Suche nach Inspiration im japanischen Ise-Shima. Seite 8 Fotos: imago/Xinhua, dpa/Franck Robichon Donnerstag, 26. Mai 2016 71. Jahrgang/Nr. 121 Bundesausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de STANDPUNKT Kaum Kugeln am Baum Waffen für Ägyptens Generale Jörg Meyer über das erste Grundsatzurteil zum Mindestlohn EU-Staaten pfeifen auf Exportverbot – Kairo zu wichtig bei Flüchtlingsabwehr Das Bundesarbeitsgericht hat gesprochen, die klagende Beschäftigte hat verloren: Weihnachtsund Urlaubsgeld können angerechnet und monatlich anteilig gezahlt werden, um auf den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro zu kommen. So unschön dieses höchstrichterliche Urteil ist: Es bleibt abzuwarten, wie viele Menschen davon tatsächlich betroffen sind. Die Konstellation in dem Betrieb ist erstens kaum verallgemeinerbar. Zweitens ist ohnehin fraglich, wie viele Menschen, die bis zum 1. Januar 2015 in einem Niedriglohnbereich gearbeitet haben, überhaupt Weihnachtsund Urlaubsgeld bekommen. Denn die sind eher Hinweis auf Tarifverträge oder zumindest halbwegs vertraglich geregelte Arbeitsbedingungen. Klar ist aber auch, dass der kommunale Klinikbetreiber, um dessen Tochtergesellschaft es hier ging, mit der Betriebsvereinbarung, die die monatliche Auszahlung der Sonderzahlung regelt, eine pfiffige Idee hatte, um Lohnkosten zu sparen. Viele dieser Ideen hat man gesehen. Etwa Gebühren für Messer und Kleidung in Schlachthöfen oder die Anrechnung der Trinkgelder auf den Mindestlohn. Hier hat also einmal ein Trick funktioniert. Und das mit Hilfe eines Betriebsrates, der die Vereinbarung unterzeichnet hat. Unter Druck? Aus Unwissenheit? Das möchte man die gewählten Mitglieder des Gremiums gerne fragen. Denn einen Gefallen haben sie ihren Kolleginnen und Kollegen damit nicht getan. UNTEN LINKS Eine Viertelstunde hat Angela Merkel warten müssen, bevor der türkische Präsident sie zum Gespräch vorließ. Ein Affront! Es mag ja sein, dass Merkel über die 15 Minuten Verschnaufpause froh war – wir können es nicht sein. Denn für ihre Arbeitszeit wird Merkel ja nicht vom türkischen, sondern vom deutschen Steuerzahler bezahlt. Der Arbeitstag der Bundeskanzlerin beträgt angeblich 60 bis 70 Stunden. Damit schlägt sie zwar ihre Amtsvorgängerin, die es gerade auf 50 bis 60 Stunden pro Tag gebracht haben soll. Doch das Mitleid, das Bürger erfasst, wenn sie von der Arbeitsbelastung der Regierungschefin erfahren, wird regelmäßig von der Freude übertroffen, mit einem kleinen Kreuz am Wahltag diesen Job jemand zugeschoben zu haben, der es nicht anders verdient. Wenn Erdogan Gründe hat, Merkel für ihre Haltung im bilateralen Flüchtlingsstreit zu strafen, soll er es sagen und nicht eigenmächtig handeln. Man könnte etwa über ein Einreiseverbot nachdenken. Für beide. uka ISSN 0323-3375 LINKE dringt weiter auf Rot-Rot-Grün Geschäftsführer Höhn: Müssen unser soziales Profil deutlich machen Berlin. Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, plädiert dafür, die Diskussion über eine rot-rot-grüne Option im Bund weiterzuführen. »Wenn SPD, Grüne und wir uns vor der Debatte darüber drücken, was möglich ist, dann heißt das auf viele Jahre hinaus: Die Union stellt den Kanzler, egal mit wem als Mehrheitsbeschaffer. Vielleicht ist das dann irgendwann auch einmal die AfD. Das kann kein Linker wollen«, sagte Höhn gegenüber »neues deutschland« wenige Tage vor dem Magdeburger Parteitag der LINKEN. Dass die Sozialdemokraten so schwach sind, habe »auch etwas damit zu tun, dass die SPD de facto ohne Machtalternative zu Merkel dasteht«. Die Linkspartei selbst müsse ihr soziales Profil zu einer wahrnehmbaren Botschaft machen: »Es geht um Gerechtigkeit für alle und damit verbunden um Demokratie nicht nur als Formsache, sondern als Lebensinhalt.« Gleichheit und Gerechtigkeit seien erst dann erreicht, »wenn sie für alle gelten. Für Menschenrechte kann und darf es keine Obergrenzen geben.« nd Seite 2 Gericht erlaubt Mindestlohn-Trick Unternehmer dürfen Urlaubs- und Weihnachtsgeld verrechnen Gruß an die Militärausrüster: Ägyptens Putschgeneral und Präsident Abdel Fattah al-Sisi Berlin. Eigentlich sollte nicht einmal mehr eine Flinte aus der EU nach Ägypten gelangen. Doch die Selbstverpflichtung schert zumindest zwölf der 28 EU-Länder überhaupt nicht. Man liefert weiter Waffen, Munition, Ausrüstung und Ersatzteile. Deutschland gehört zu den Lieferanten. Die Bundesregierung, insbesondere der geheim agierende Bundessicherheitsrat, genehmigt den permanenten Rüstungsexport. Dessen Stopp war nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ägyptischen Sicherheitskräften und Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi im Sommer 2013 beschlossen worden. Dabei und bei Folterorgien von Polizei und Geheimdiensten waren Hunderte Zivilisten umgebracht worden. Die EU erinnerte sich an ihre Lobpreisung des »Arabischen Frühlings« und wollte angeblich bis auf Weiteres keine Waffen und andere Kriegsgüter nach Ägypten liefern, mit denen Proteste niedergeschlagen werden können. Doch 2014 sind nach Angaben von Amnesty International (AI) EU-weit Genehmigungen für Rüstungsexporte im Wert von insgesamt mehr als sechs Milliarden Euro bewilligt worden. Dazu gehörten Kleinwaffen, Munition, gepanzerte Fahrzeuge, Militärhubschrauber und Überwachungstechnik. Bulgarien, Tschechien, Foto: AFP/Mohamed Abdelmoaty Frankreich und Italien waren Hauptlieferanten. 2015 bewilligte Deutschland Exporte im Wert von rund 19 Millionen Euro nach Ägypten. Auch im Bereich der sogenannten inneren Sicherheit gibt es vielfältige Kooperationen. Gemeinsam wollen Deutschland und Ägypten gegen Flüchtlinge vorgehen. AI-Rüstungsexperte Mathias John, der bereits 2011 deutsche Waffenlieferungen nach Ägypten angeprangert hatte, rief die Regierung abermals auf, angesichts der Menschenrechtsverstöße in Ägypten ein klares Zeichen zu setzen und jede Unterstützung im militärischen Bereich einzustellen. hei Seiten 4 und 5 Agenda-Schatten über Frankreich Internationaler Währungsfonds drängt Paris zur Deregulierung des Arbeitsmarkts à la Schröder Für den Internationalen Währungsfonds ist es der Königsweg: Deregulierung des Arbeitsmarktes. Die Demonstranten in Frankreich und Belgien sehen das anders. Von Martin Ling Da geht noch was: Dem Internationale Währungsfonds (IWF) reichen die Arbeitsmarktreformen in Frankreich nicht. Zwar habe es in den vergangenen Jahren bereits »Fortschritte« gegeben, erklärte der IWF am Dienstag in einem Jahresbericht zu Frankreich. Es müsse aber »noch mehr getan werden für eine dauerhafte Senkung der Arbeitslosigkeit«. Die Zahl der Erwerbslosen fortdauernd zu senken, müsse das vorrangige Ziel sein. Das Tempo der französischen Wirtschaftserholung sei zu gering, um die hohe Arbeitslosigkeit effektiv zu bekämpfen, heißt es in dem Bericht weiter. Der in Washington ansässige IWF, dessen Chefin derzeit die Französin Christine Lagarde ist, verwies unter anderem auf ein liberales Wirtschaftsreformgesetz aus dem vergangenen Jahr und die noch nicht verabschiedete Lockerung des Arbeitsrechts, gegen die es sei Wochen heftige Proteste in Frankreich gibt. Solche Reformen müssten noch »ergänzt werden durch Maßnahmen, die Barrieren bei der Schaffung von Arbeitsplätzen abschaffen«, erklärte der IWF. Barrieren à la IWF sind zum Beispiel Kündigungsschutzrechte für Beschäftigte, die Unternehmen das Entlassen erschweren und verteuern. Indes kam der IWF nicht umhin, seine Wachstumsprognose für Frankreich nach oben zu korrigieren – von bislang 1,1 Prozent auf »fast 1,5 Prozent«. »Die französische Wirtschaft ist dabei, sich wieder aufzurichten, aber es sind immer noch große Anstrengungen nötig, um die Schaffung von Arbeitsplätzen zu stärken und die öffentlichen Finanzen auf einen nachhaltigeren Weg zu bringen.« In Frankreich laufen Gewerkschaften, Studenten- und Schülerorganisationen seit Wochen Sturm gegen die Pläne von Staatschef François Hollande, der Unternehmen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit mehr Flexibilität etwa bei Arbeitszeiten und betriebsbedingten Kündigungen einräumen will. Der IWF hätte seine Blaupause, die sich an Gerhard Schröders Agenda 2010 orientiert, gerne auf die ganze Euro-Zone angewandt. Abbau von Arbeitsrechten, die aus Sicht des IWF die Realwirtschaft in ihrem Wachstumsstreben fesseln. Die abhängig Beschäftigten sehen das anders. In Brüssel haben am Dienstag rund 60 000 Menschen gegen die in Belgien geplante Arbeitsrechtsreform protestiert. Bei gewaltsamen Zusammenstößen gegen Ende der Großkundgebung wurden laut Polizei acht Demonstranten und zwei Polizisten verletzt. Der Protestmarsch richtete sich unter anderem gegen das Vorhaben, Arbeitgeber 45-Stunden-Wochen anordnen zu lassen, wenn die Mehrarbeit anschließend durch kürzere Arbeitswochen ausgeglichen wird. Es war der dritte Massenprotest gegen die MitteRechts-Regierung, die seit Herbst 2014 im Amt ist. Und es wird nicht der letzte sein. Seiten 4 und 7 } Heute auf Seite 10 Gesund Leben Permanent müde? Dagegen könnte eine kräftige Dusche mit Blaulicht helfen. Sie bringt die Produktion der Hormone ins Lot. Erfurt. Unternehmen dürfen einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zufolge bei der Berechnung des gesetzlichen Mindestlohns das Urlaubsgeld anteilig anrechnen. Vereinbarungen, wonach das Urlaubsgeld in Raten monatlich ausbezahlt und somit die Mindestschwelle von 8,50 Euro pro Stunde erreicht wird, seien unter Umständen zulässig, erklärte die Richter am Mittwoch. Die Voraussetzung ist, dass solch eine Vereinbarung vorab mit dem Betriebsrat geschlossen wurde. In dem Fall arbeitete die Klägerin für eine Tochterfirma des Städtischen Klinikums in Brandenburg bis Anfang vergangenen Jahres für 8,03 die Stunde. Um dann zumindest rechnerisch auf den seitdem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 8,50 Euro zu kommen, legte der Arbeitgeber Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusammen und zahlte jeden Monat ein Zwölftel davon aus. Damit stieg der Stundenlohn der Frau rechnerisch auf 8,69 Euro die Stunde. Das Bundesgericht billigte dies nun ebenso wie die Vorinstanzen. AFP/nd Seite 6 Neues »Hilfspaket« für Griechenland Athen bekommt Kredite und Zusage für Schuldenerleichterungen Brüssel. Die Eurofinanzminister haben sich auf ein Paket für weitere Griechenland-Kredite verständigt. Demnach soll Athen aus dem Rettungsschirm ESM eine neue Auszahlung von 10,3 Milliarden Euro erhalten. Außerdem sagten die Minister – wie vom Internationalen Währungsfonds gefordert – Schuldenerleichterungen zu, die allerdings weitgehend erst 2018 beschlossen werden sollen. Eine erste Tranche von 7,5 Milliarden Euro soll Hellas im Juni erhalten, den Rest nach dem Sommer. Vor der ersten Auszahlung muss das hoch verschuldete Land noch einige Verschärfungen an seinen Reformen vornehmen. Die Regierung in Athen hatte in den vergangenen Wochen Rentenkürzungen und eine Einkommensteuererhöhung durch das Parlament gebracht. Die LINKE kritisierte die Einigung. Es sei »ein kläglicher Versuch der Wählertäuschung«, dass die Beschlüsse zu den Schulden erst nach der Bundestagswahl 2017 gefällt werden sollen, so Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Agenturen/nd Seite 9
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