„Arbeitsgefühle und Gefühlsarbeit“ Ein Auszug aus dem Buch „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel "Personalführung", so lautet eine gern zitierte Büroweisheit, "ist die Kunst, den Mitarbeiter so schnell über den Tisch zu ziehen, dass er die Reibungshitze als Nestwärme empfindet" – eine durchaus zutreffende Beschreibung des modernen Management-Stils. Denn die polternden Chefs von einst, die ihr Unternehmen mit harter Hand und lautstarker Autorität führten, gehören zunehmend der Vergangenheit an. Heute werden Mitarbeiter nicht mehr angebrüllt, sondern zielgerichtet so motiviert, dass sie die Belange des Unternehmens als ihre ureigensten anerkennen. Moderne Manager haben gelernt, "mit Empathie zu führen". Sie sagen öfter "wir" als "ich", verstehen sich nicht mehr als Antreiber, als allmächtige Chief Executive Officer, sondern buchstabieren ihren CEO-Titel bescheiden als Chief Enabling Officer, als "oberster Ermöglicher", der fürsorglich dafür zuständig ist, dass andere ihren Job erledigen können. Und statt auf den Tisch zu hauen und ihre Macht spielen zu lassen, bevorzugen moderne Chefs leise Töne und verwenden am liebsten Wörter, die mit Team beginnen: Teamgeist, Teamwork, Teamerfolg... Die moderne Nettigkeit darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die neuen Chefs in der Regel genau um ihre Macht innerhalb der Unternehmenshierarchie wissen. Sie stellen vielleicht ihre Machtinsignien nicht mehr zur Schau, tragen keine Siegelringe und rauchen keine dicken Zigarren mehr, sondern ernähren sich gesund, laufen Marathon und kommen mit dem Rucksack zur Arbeit; doch wenn es darauf ankommt, können sie Mitarbeiter ebenso kaltblütig entlassen wie ihre Vorgänger - nur diesmal eben mit einem netten Lächeln und warmen Worten. Diese Strategie, die George Clooney als abgebrühter Kündiger in dem Film Up in the air aufs Schönste vorführt, ist das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung. Schon vor dem Ersten Weltkrieg forderten Management-Experten den Einsatz emotionaler Führungstechniken anstelle der bis dahin üblichen Disziplinarmaßnahmen. So wurde den Chefs ein „leutseliges Wesen“ und die „achtungsvolle Behandlung“ des Personals empfohlen. Außerdem, so konnte man da Anfang des 20. Jahrhunderts lesen, sei es für den Unternehmenserfolg wichtig, das „Interesse der Angestellten am Geschäft“ und ihre „Liebe zum Beruf“ zu fördern. Im Idealfall sollten sich die Arbeitnehmer „durch Bande, wie sie langjährige Beziehungen herausbilden, mit dem Unternehmen eng verknüpft fühlen“. Die freundlichen Empfehlungen kamen damals nicht von ungefähr. Sie waren vielmehr eine Reaktion auf den zunehmenden Widerstand der Arbeiterschaft und deren Unmut über ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Nachdem Mitte des 19. Jahrhunderts Marx und Engels die Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ ausgegeben hatten, waren allerorten Parteien, Gewerkschaften und Arbeitervereine entstanden, die für die Belange der Industriearbeiter kämpften. Streiks wurden zum beliebten Druckmittel, mitunter legten die Arbeiter durch Sabotage ganze Betriebe lahm. Den Bossen wurde allmählich klar, dass es auf Dauer zu kostspielig und ineffizient war, darauf immer nur mit Druck und Polizeigewalt zu reagieren. Neue Methoden waren gefragt. Damals begann jene Art von Gefühlsmanagement, die im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr perfektioniert wurde. Dabei stand hinter dieser Entwicklung von Anfang an die Erkenntnis, dass ressentimentgeladene, streikende Arbeiter die Produktion behindern und den Gewinn schmälern, während zufriedene Beschäftigte nicht nur einen reibungslosen Ablauf garantieren, sondern durch Einsatz, Engagement und eigene Ideen auch noch aktiv zum Unternehmenserfolg beitragen. "Der Arbeiter wurde zunehmend als ein sensibles Gefühlswesen betrachtet", schreibt die Historikerin Sabine Donauer, "auf dessen emotionales Gleichgewicht geachtet werden musste, wenn man erfolgreich mit seinem Personal "wirtschaften" wollte." In ihrem soeben erschienenen Buch Faktor Freude zeichnet Donauer diese Konjunktur des psychologischen Personalmanagements minutiös nach. So bürgerte es sich etwa ab den 1920er Jahren ein, die Arbeiter als "Mitarbeiter" zu bezeichnen, um ihnen das Gefühl der Wertschätzung zu geben und ihren Beitrag zum Firmenerfolg zu würdigen. Zugleich bemühte man sich, Betriebe von einem "Zweckraum" in einen "Lebensraum" zu verwandeln, in dem sich die Arbeitnehmer wohl und als Teil der "Betriebsfamilie" gleichsam geborgen fühlen sollten. Es entstanden behagliche Kantinenräume, betriebseigene Kaufhäuser und Erholungsanlagen, mitunter wurden die Produktionsräume auch durch Blumen und Musik verschönert. Welch großes Potenzial dieser neue emotionale Stil barg, erkannten auch die Nationalsozialisten. Sie intensivierten das Wohlfühlmanagement und gaben Parolen aus wie „Gutes Licht, gute Arbeit“, um die Arbeitgeber für Hygienemaßnahmen oder für Freizeit- und Sportmöglichkeiten in ihren Firmen zu gewinnen. Dahinter stand nicht nur die Vorstellung, dass gesunde und zufriedene Arbeiter produktiver seien, sondern auch die Idee, mithilfe von Betriebssportgruppen das Gefühl der Loyalität zur eigenen Firma zu stärken und damit im Gegenzug den Zusammenhalt der gewerkschaftlich oder politisch organisierten Arbeiterschaft zu schwächen. Das Ganze wurde dabei unter Leitsprüche wie "Schönheit der Arbeit" oder "Kraft durch Freude" gestellt – Begriffe, die heute so niemand mehr in den Mund nehmen würde, deren Gehalt aber in modifizierter Form fortlebt. Dass Erwerbsarbeit mehr ist als reiner Broterwerb, dass sie begeistern, Sinn stiften und der Selbstverwirklichung dienen soll – all das scheint uns heute selbstverständlich. Vor hundert Jahren hätte die meisten Arbeiter darüber vermutlich gelacht, doch heute werden solche Ideale in jeder Stellenanzeige formuliert: Da ist dann nicht nur von anspruchsvollen Aufgaben die Rede, sondern auch von den "vielfältigen Chancen für berufliche und persönliche Weiterentwicklung". Die angebotenen Jobs werden als Möglichkeit präsentiert, das eigene "Potenzial auszuschöpfen", "jeden Tag an seinen Aufgaben zu wachsen", "Grenzen zu überwinden" und sich immer wieder "selbst neu zu definieren". Solche Anzeigen sind nicht einfach nur pathetisch formuliert. Dahinter steht das wohlkalkulierte Denken des Human Ressource Management. Diese Strategie der Personalführung versteht den einzelnen Mitarbeiter heute nicht mehr nur als Produktionsoder Kostenfaktor, sondern als wertvolle menschliche Ressource. Dementsprechend gilt die Qualifikation und Motivation des "Humankapitals" als entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Und das Ziel der modernen Personalführung besteht im Wesentlichen darin, die individuelle Leistungsfähigkeit der Angestellten so zu maximieren, dass sie genau den Zielen der Firma dient. Das aber, so haben die Personalexperten im Laufe der Zeit erkannt, gelingt nicht unbedingt durch eine höhere Entlohnung, sondern viel eher durch emotionale Anreize: Wer sich etwa mit den Zielen seiner Arbeit identifiziert und seine Schufterei als "persönliche Weiterentwicklung" versteht, wer die Firma als eine Art große Familie betrachtet, für den wird der Firmenerfolg zum ureigenen Anliegen. Damit aber strebt er von selbst Höchstleistung an, sieht Überstunden gern als das "Überwinden von Grenzen" und wird sich mit so viel Freude selbst ausbeuten, dass das niemand anderer mehr für ihn erledigen muss.... Das heißt auch: Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen wird heute nicht mehr als gemeinsames Anliegen einer bestimmen "Klasse" oder Gruppe verstanden, sondern weitgehend als individuelle Aufgabe. Plakativ formuliert: Wer mit seiner Arbeit unzufrieden ist, sich frustriert oder überlastet fühlt, macht dafür nicht den Vorgesetzten, die Umstände oder gar das kapitalistische System verantwortlich, sondern in der Regel nur eine Person – sich selbst. Denn ganz offensichtlich hat man es dann nicht geschafft, die Arbeit mit Sinn zu füllen, hat nicht positiv genug gedacht, nicht tagtäglich seine eigenen Grenzen überwunden und sich in der beruflichen Tätigkeit nicht ständig selbst verwirklicht. Selbst schuld! Denn auch das ist eine Folge des neuen emotionalen Stils: Es gibt zwar kaum noch lautstarke Kritik, dafür aber sind die Sanktionen subtiler geworden und werden mehr auf der psychologisch-emotionalen Ebene ausgetragen. Mitunter reicht schon eine ironische Bemerkung hier, ein abfälliges Wort da, um dem oder der Betreffenden das Gefühl zu geben, dass er oder sie nicht mehr geschätzt werde oder gar den Ausschluss aus der verschworenen Firmengemeinschaft riskiere. "Sehr viel in der Mitarbeiterführung läuft über Scham oder Angst, also über Sanktionen, die auf den Kern der Persönlichkeit zielen", hat die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch beobachtet. In der modernden Arbeitswelt würden Gefühl und emotionale Bindung als "strategische und ökonomische Ressourcen" eingesetzt, der Einzelne werde dadurch viel stärker emotional vereinnahmt: Er gerate mit seiner ganzen Persönlichkeit "in den Sog einer Anerkennungsdynamik", schreibt Koppetsch. Deshalb verändert die Arbeit heute nicht nur das Verhalten, sondern auch das Gefühlsleben der Menschen stärker, als sich die meisten je bewusst sind. Eine "neue Konformität" diagnostiziert die Soziologin Koppetsch, eine Konformität, die nicht mehr wie früher duckmäuserisch und pedantisch daherkomme, sondern "von Teamgeist und der Bereitschaft zur permanenten Optimierung getragen wird". Dabei ist eine allzu große Gleichförmigkeit weder für den Einzelnen noch für das Unternehmen wirklich wünschenswert. Denn in einer Gemeinschaft von Ja-Sagern wagt oft niemand mehr, dem Chef zu widersprechen oder vor Fehlentwicklungen zu warnen – auch dann nicht, wenn das eigentlich dringend nötig wäre. Wirklich souveräne Chefs fördern daher nicht die Konformität unter ihren Mitarbeitern, sondern ihre Eigenständigkeit und ihr kritisches Denken, so wie es der frühere Präsident von General Motors, Alfred P. Sloan, einst vormachte. Sloan, der von 1923 - 1937 den legendären Autokonzern führte, konstatierte einmal in einer Sitzung eine allgemeine Zustimmung zu einer wichtigen Entscheidung. Daraufhin vergewisserte er sich nochmals, dass bezüglich dieser Frage offenbar alle einer Meinung waren. Wiederum allgemeines Kopfnicken. Daraufhin sagte Sloan sinngemäß: "Wenn das so ist, dann schlage ich vor, dass wir die Sitzung hier unterbrechen – und uns Zeit nehmen, zu unterschiedlichen Meinungen zu gelangen...!"
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