Ein langer Kampf für die «ganze Kuh

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Brennpunkt
Bieler Tagblatt Mittwoch, 16.03.2016
Mutterkühe
versus
Wanderer
Ein langer Kampf
für die «ganze Kuh»
Mutterkuhherden Sie haben
bei vielen Wanderern einen
schlechten Ruf. Da stellt sich
die Frage: Wie gefährlich
sind Kühe mit Kälbern
tatsächlich? Dass
Mutterkühe Menschen
angreifen, ist selten – hat
aber meist fatale Folgen.
Volksinitiative Im Alleingang hat der bernjurassische Bergbauer Armin Capaul
100 0000 Unterschriften gesammelt. Nun wird darüber abgestimmt werden,
ob Landwirte, die ihren Kühen und Ziegen die Hörner lassen, einen
«Hornfranken» erhalten. Capaul ist überzeugt, dass er die Abstimmung
gewinnen wird – auch weil er dies seinem Milchvieh versprochen hat.
«Älplerin schwer verletzt», «Familie angegriffen», «Wandererin tödlich verletzt», «Bäuerin von Mutterkuh getötet.»
Zahlreiche Leute haben Angst vor Wolf
oder Bär, doch Bären und Wölfe haben
ebenfalls Angst vor Wanderern. Mutterkühe wirken hingegen harmlos – aber sie
haben keine Angst vor Menschen. Sie
greifen an, wenn sie den Eindruck haben,
dass Menschen ihre Kälber bedrohen –
egal ob sie Hörner haben oder nicht: Eine
Kuh hat das Gewicht eines kleinen Autos.
20 Angriffe auf Menschen
In den Bergen gibt es immer mehr Mutterkuhherden und immer mehr Wanderer, dies scheint keine gute Kombination
zu sein. Doch Daniel Flückiger vom Verein Mutterkuh Schweiz relativiert, und
verweist auf ein paar Zahlen.
Hierzulande werden insgesamt
700 000 Kühe gehalten, 100 000 sind
Mutterkühe. Wanderer unternehmen
pro Jahr etwa 50 Millionen Touren, viele
unter ihnen mit Hunden, was Mutterkühe reizen kann. Wie viele Hunde auf
den Wanderungen mitgeführt werden,
ist unbekannt, aber es müssen viele sein,
denn in der Schweiz werden eine halbe
Million gehalten.
Jetzt verweist Flückiger auf eine weitere Zahl: In den letzten fünf Jahren wurden 20 Angriffe von Mutterkühen auf
Wanderer bekannt. «Für Wanderer», so
Flückiger, «ist das Risiko sehr klein, von
einer Mutterkuh angegriffen zu werden.»
Allerdings sind die Folgen oft schwerwiegend.
Besonders gefährdet scheinen ältere
Menschen zu sein, denn sie sind überdurchschnittlich oft Opfer von Muttertieren. Offen ist, ob dies so ist, weil Ältere
nicht so schnell flüchten können; sie können sich nicht so schnell hinter einem
Baum verstecken oder unter einem Zaun
durchschlüpfen.
Nicht inbegriffen in den durchschnittlich vier Angriffen pro Jahr sind die Besitzer, die den Kühen und Kälbern näherkommen und deshalb einem grösseren
Risiko ausgesetzt sind.
Die gefährlichste Kuh
Die gefährlichste Kuh in einer Herde ist
immer jene, die gerade ein Kalb geboren
hat: Kurz nach der Geburt ist das Kalb
hilfsbedürftig und auf den Schutz der
Mutter angewiesen. Mutterkuh Schweiz
empfiehlt deshalb den Haltern, die Kühe
kurz vor dem Kalbern auf eine abgetrennte Weide zu bringen, wenn ein Wanderweg die Weide der Herde kreuzt. Etwas, was gemäss Flückiger von den meisten Bauern umgesetzt wird.
Wanderer sollen einen Bogen um Mutterkuhherden machen, Hunde an die
Leine nehmen und auf keinen Fall Kälber
streicheln. Doch was tun, wenn eine Kuh
angreift? Dann, so die Empfehlung, soll
der Hund von der Leine gelassen werden.
Denn die meisten Hunde sind schnell genug, um zu flüchten. Nun gibt es aber
Hunde, die versuchen, sich hinter dem
Besitzer zu verstecken, wenn sie Angst haben.
«Detaillierte Empfehlungen abzugeben ist schwierig, denn vieles kommt auf
die Situation an», sagt Flück. «Wünschenswert wären kompetente Empfehlungen von Kynologen.» Die Empfehlungen für Wanderer mit oder ohne Hunde
werden laufend überprüft. Eines kann
die Vereinigung Mutterkuh Schweiz allerdings nicht bewirken, denn dies hängt
von den Beteiligten ab: «Es braucht von
allen Seiten guten Willen und und eine
Portion Respekt», betont Flückiger.
Lotti Teuscher
Vorsichtig lenkt Armin Capaul sein Auto
über die steile Strasse, folgt den vielen Kurven, geht vom Gas, wenn Schnee auf dem
Weg liegt, bis das Bauernhaus und der Stall in
Sicht kommen. Die Häuser kleben an einem
windgeschützten Südhang. Sein Hof ist weit
entfernt vom Dorf Perrefitte, auf dessen Boden er sich befindet; auf 930 Metern über
Meer ist das Klima rau. Es ist ein Ort, an dem
sich Bauer, Fuchs und Hase treffen und sonst
niemand.
Wirklich niemand? Bei Bauer Capaul geben sich die Journalisten die Klinke in die
Hand. Aus Hamburg angereist sind Vertreter
des Magazins «Der Spiegel», der «Beobachter» kam vorbei, zahlreiche Tageszeitungen
plus TV- und Radio-Teams. Über 2000 Medienbeiträge hat Capauls Initiative generiert.
Starallüren hat der Bauer keine, denn Capaul wollte nie ein Medienstar werden. Zudem hält er fest, dass er kein Landwirt sei,
sondern ein Bergbauer: «Denn ein Bergbauer ist dankbar für alles, was er bekommt.»
Eine Dankbarkeit, die er auch gegenüber
seinen Milchkühen und Ziegen zeigt: «Sie
schenken uns Milch. Deshalb sollte man ihnen die Hörner lassen.»
Armin Capaul sagt Sätze wie: «Von einem
verstümmelten Tier kannst du nichts Ganzes erwarten.» Oder: «Wir haben die Kuh
zum Haustier gemacht, aber jetzt geben wir
ihr wieder mehr Freiheiten. Dadurch werden
die Kühe wild und rennen auf die Leute los,
weil sie Menschen nicht mehr richtig kennen.»
Capauls Tierhaltung ist anders. Seine zehn
Kühe haben keinen Laufstall, dafür Hörner.
Wiederkäuend stehen und liegen sie im
sauberen Stroh. Von Fremden, die zu einer
ungewohnten Zeit den Stall betreten, lassen
sie sich nicht beeindrucken, im Gegenteil:
Sie scheinen es zu geniessen, sich den Kopf
kraueln zu lassen. «Berühren Sie mal ein
Horn», sagt der Bauer und tatsächlich, das
Horn ist warm. Anders als Hirschgeweihe
sind Kuh- und Ziegenhörner keine tote Materie, sie sind durchblutet.
Kraft dank Rohmilch
An Bewegung mangelt es Capauls Braunvieh nicht, obwohl er die Kühe im Stall anbindet. Im Winter haben sie morgens Auslauf, im Herbst und Frühling stehen sie den
ganzen Tag auf der Weide, im Sommer sind
sie auch nachts draussen. Die Kühe erhalten
kein Kraftfutter. «Ich trinke Rohmilch von
Kühen, die Heu und Gras fressen», sagt Armin Capaul. «Das gibt mir die Kraft, ohne die
ich die Unterschriftensammlung nicht
durchgestanden hätte.»
Bei den Kälbern setzt Capaul auf einen
Kompromiss zwischen Mutterkuh- und
Milchviehhaltung: Zwar stehen die Kälber,
getrennt durch ein paar Meter von den Kühen, in einem eigenen Stall. Milch erhalten
sie dennoch nicht im Kübel; morgens und
abends werden sie zu ihren Müttern geführt
und dürfen säugen.
Auch den Kälbern erspart der Bergbauer
selbstverständlich das Enthornen. Eine Lokalanästhesie ist während des Ausbrennens
vorgeschrieben. Den Kälbern danach ein
Schmerzmittel zu verabreichen, wird aber
nur empfohlen (siehe Interview rechts).
«Ohne Schmerzmittel laufen die Kälber
nach dem Ausbrennen vor Schmerzen
schreiend rückwärts», sagt Capaul.
Vor fünf Jahren haben Armin Capaul und
seine Frau Claudia die «Hornkuh-Geschichte» gestartet, nun sind 100 000
Unterschriften beisammen. Bis heute treffen nach wie vor stapelweise Unterschriften
ein, offiziell beendet ist die Sammlung erst
am 23. März. Die Familie Capaul, allen vo-
«Eine Frage
der Ethik»
ran Vater Armin, hat zwischenzeitlich Sisyphusarbeit geleistet – neben der vielen
Arbeit, die auf dem Hof anfällt. Claudia Capaul, seine Frau, hat unzählige Telefonanrufe beantwortet und jedes Jahr ein Hornfest für die vielen Unterstützer organisiert.
Der eine Sohn hat im Stall mitgeholfen, der
andere die Homepage gestaltet, die Tochter
hat sich auf Facebook für den «Hornfranken» eingesetzt.
Nun sind die Unterschriften zusammen –
und das Konto des Ehepaars Capaul leer.
55 000 Franken hat es in die Unterschriftensammlung investiert, weitere 50 000 Franken haben Gönner gespendet.
Wissenschaft Wie reagieren
Kühe, wenn sie enthornt
werden? Dies wird vom
wissenschaftlichen Institut
Agroscope erforscht.
Unterschriftensammlung: In wenigen Tagen ist sie abgeschlossen. Dennoch treffen täglich
Dutzende Couverts mit Unterschriften bei Armin und Claudia Capaul ein.
Ein Rebell seit vielen Jahren
Da stellt sich die Frage: Woher kommt dieses
riesige Engagement? Natürlich setzt sich Armin Capaul für das Wohl der Kühe und Ziegen ein. Aber dies ist nicht ganze Antwort:
Capauls Mailadresse lautet «Biorebell», und
ein Rebell hat im Bergbauer offenbar schon
immer gesteckt. Als 1968 das «Globus-Züg»
in Zürich ausgebrochen sei, so Capaul, und er
bemerkt habe, dass die Polizei junge Leute
prügle, habe er gedacht: «Denen muss ich
helfen.» Kurzerhand verschwand er vom
Hof, wo er eine Landwirtschaftslehre absolvierte. Als der junge Capaul zurückkehren
wollte, sagte ihm der Lehrmeister, er brauche nicht wiederzukommen, aber die Lehrabschlussprüfung müsse er machen. Capaul
bestand die Prüfung sechs Wochen später.
In Capauls Stall stehen auch Schafe und
Ziegen, die jederzeit Auslauf haben. Im Sommer, wenn sie auf der Weide sind, stellt der
Bergbauer seine beiden Esel als Wächter
dazu, damit die Herde nicht durch Luchse
dezimiert wird.
Alle Ziegen tragen Hörner, der Bock verfügt über zwei imposante, pechschwarze, geschwungene Exemplare. Da Ziegen kämpferische Wesen sind, brauchen sie genügend
Raum, um einander aus dem Weg zu gehen.
In Capauls Stall gibt es eine zweite Ebene
und zwei Ausgänge, das beugt Kämpfen vor.
Gehöft in Perrefitte: Hier geben sich seit Jahren Journalisten die Klinke in die Hand.
Rinder können hornlos
gezüchtet werden
Genetik Kühe ohne Hörner zu
züchten, ist relativ einfach.
Denn das Gen, das
Hornlosigkeit vererbt, ist
dominant. Dennoch steht die
genetisch hornlose Zucht erst
am Anfang.
Warum Enthornen tödlich sein kann
Für Ziegen sei das Enthornen qualvoll, sagt
Tierärztin Annina Rohner: «Verglichen mit
den Hörnern der Kuh ist die Hornanlage der
Ziegen viel grösser im Verhältnis zum kleinen Kopf. Zudem ist die Schädeldecke sehr
dünn.» Zicklein brauchen deshalb zwingend
eine Vollnarkose, was aber tödlich sein kann:
Bis zu 30 Prozent sterben an der Narkose.
Kein Wunder, dass Capaul darauf drängt,
dass der Hornbatzen nicht nur für Kühe ist,
sondern auch für Ziegen.
Wie alle Tiere auf dem Hof, reagieren die
Ziegen freundlich auf Besuch und lassen sich
kraulen. Streicheleinheiten holen sich auch
die Hofkatzen und – vehement – die beiden
Hofhunde. Ein Beweis, dass die Haltung des
Bergbauern tierfreundlich ist, obwohl sie
sich an Traditionen orientiert und nicht an
den allerneusten Methoden.
Ein Versprechen an die Milchtiere
«Ich bin kein Wissenschaftler», sagt Capaul,
«aber ich habe meinen Tieren versprochen,
wegen der Hörner etwas zu unternehmen.»
Dank dem Bergbauer sind zahlreiche Diskussionen rund um die Milchviehhaltung in
Gang gekommen. In wenigen Tagen ist die
Unterschriftensammlung zu Ende, nach
dem Kraftakt braucht Capaul Erholung:
«Wenn alles abgeschlossen ist, mache ich
Ferien – so zwei oder drei Tage lang.»
Er ist überzeugt, dass das Stimmvolk seine
Initiative annehmen wird. Denn vor allem
die Frauen hätten, so der Bergbauer, auf die
Idee der «ganzen Kuh» sehr empathisch reagiert: «Wer erreichen will, dass wir die Abstimmung verlieren, muss deshalb das Frauenstimmrecht abschaffen!»
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Bieler Tagblatt Mittwoch, 16.03.2016
Oben: Ziegen zu enthornen,
ist für die Tiere besonders
qualvoll. Damit sie nicht aneinandergeraten, brauchen
sie mehr Raum.
Unten: Bauer Armin Capauls
Kühe haben keinen Laufstall,
aber sie dürfen Hörner
tragen. Und sie verbringen
viel Zeit an der frischen Luft.
Bilder: Matthias Käser
In zahlreichen Fleischrinderrassen wie
Aberdeen Angus, Deutsch Angus, Hereford
oder Galloway ist die natürliche Hornlosigkeit dauerhaft genetisch verankert. Aufgrund einer Mutation traten gelegentlich
Rinder mit fehlenden oder nur unzureichend ausgebildeten Hörnern auf. Je nach
der Region, dem Nutzungszweck und nicht
zuletzt aufgrund der individuellen Neigung
des Rinderhalters wurden solche Tiere von
der Zucht ausgeschlossen oder bevorzugt.
Das Gen, das Hornlosigkeit vererbt, ist dominant: Hornlose Stiere, deren Mütter Hörner tragen, vererben das Gen zu 50 Prozent
an ihre Kälber. Ist auch die Mutter des Bullen hornlos, trägt der Nachwuchs fast nie
Hörner. Dennoch kann sich das Gen, das
Hornlosigkeit vererbt, meist nur durch
Zucht durchsetzen: Kämpfen ein gehörnter
und ein hornloser Stier um eine Herde, ist
der Stier mit Hörnern klar im Vorteil.
Während Halter von Fleischrindrassen
seit Längerem hornlose Rinder züchten,
setzt sich in der Schweiz die genetische
Hornlosigkeit bei der Milchviehzucht nur
langsam durch. Doch warum haben die
Schweizer seit jeher gezielt gehörnte Rinder
gezüchtet? Vermutlich hat dies auch damit
zu tun, dass die Kühe und Ochsen während
Jahrhunderten nicht nur als Milch- und
Fleischlieferanten dienten, sondern auch als
Zugtiere. Die Hörner wurden genutzt, um
das Joch zu befestigen.
Dennoch sind heute 90 Prozent der Milchkühe hornlos. Nicht genetisch bedingt, den
Kälbern wird der Hornansatz ausgebrannt.
Doch es gäbe es eine schonendere Möglichkeit: Bei vielen gehörnten Rassen wie Charolais, Limousin, Shorthorn, Pinzgauer, Braunvieh, Holsteins, Gelbvieh oder Fleckvieh
existieren hornlose Zuchtlinien, es wird eine
Ausbreitung der genetischen Hornlosigkeit
angestrebt.
Swissgenetics, der grösste Produzent von
Sperma zur künstlichen Besamung, hält
denn auch hornlose Stiere mehrerer Rassen.
So unter anderen 18 hornlose Red-HolsteinBullen. Doch obwohl sich hornlose Linien
relativ einfach züchten liessen, ist Sperma
von hornlosen Zuchtstieren in der Schweiz
ein Nischenprodukt. Denn um hornlose Linien zu züchten, wurden anfangs Kühe eingesetzt, die von mittlerer Qualität waren.
Hinzu kommt, so Andreas Bigler, Teamleiter
Genetik bei Swissgenetics: «Wenn ein Bauer
die Wahl hat zwischen einer hornlosen Kuh
und einer mit einem schönen Euter, entscheidet er sich für Letztere.» Denn Enthornen muss der Bauer die Kälber nur einmal.
Die Kuh hingegen melkt er während Jahren
jeden Tag. Bis in der Schweiz genügend
Stiere zur Verfügung stehen, deren Nachwuchs nicht nur hornlos ist, sondern auch
schöne Euter hat, werden noch fünf bis zehn
Jahre vergehen.
Vielleicht verläuft die Züchtung hornloser
Herden in der Schweiz dann so rasant wie in
Bayern: Zwischen 2011 bis 2015 ist der Einsatz hornloser Besamungsbullen in Bayern
von 3 Prozent auf über 17 Prozent angestiegen. LT
Die Hornkuhinitiative
• Bauern, deren Kühe Hörner tragen, sollen
einen Franken pro Kuh und Tag erhalten.
Einen Franken pro Tag soll es auch für jeweils fünf Ziegen geben.
• Im Initiativtext steht: Der Bund fördert mit
wirtschaftlich lohnenden Anreizen Produktionsformen, die besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich sind. Dabei sorgt er
insbesondere dafür, dass Halterinnen und
Halter von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und
Zuchtziegenböcken finanziell unterstützt
werden, solange die ausgewachsenen Tiere
Hörner tragen. LT
Katharina Friedli, unterscheidet sich
das Sozialverhalten von Kühen mit
Hörnern und Kühen ohne Hörner?
Katharina Friedli, Tierärztin und Mitarbeiterin des Forschungsinstituts
Agroscope: Hörner sind eine Art Kommunikationsinstrument. Deshalb gibt es
sicher Unterschiede im Sozialverhalten
von Kühen mit und ohne Hörner. Welche
das genau sind, ist Gegenstand von laufenden Untersuchungen. Aber auch
Kühe ohne Hörner entwickeln ein Sozialverhalten und funktionieren in der
Gruppe.
Ist das Enthornen ein ethisches oder
ein tierschützerisches Problem?
Beides ist eine Frage der Ethik. Die einen
betonen, dass den Kühen durch das Enthornen die Würde genommen werde.
Aus tierschützerischer Sicht werden
Schmerzen und Schäden in den Vordergrund gestellt. Kälber werden in relativ
jungem Alter unter Lokalanästhesie enthornt. Zudem wird empfohlen, ihnen
nach dem Eingriff ein Schmerzmittel zugeben. Dadurch wird die Abheilung beschleunigt und die Kälber haben weniger
«Enthornen von
Kühen ist ein
schwerer Eingriff.»
Schmerzen. Derzeit wird abgeklärt, ob es
durch das Enthornen zu Nervenwucherungen kommt wie bei Ferkeln, denen
der Schwanz coupiert wird: Manchmal
entwickelt sich dadurch ein Neurom, das
für die Schweine sehr schmerzhaft ist.
Bei Kühen ist diese Frage noch nicht abschliessend geklärt. Mir persönlich erscheint es relativ unwahrscheinlich, dass
enthornte Kühe im Kopfbereich vermehrt schmerzempfindlich sind. Der
Kopf wird im Gegenteil ausgiebig mit
Hilfe einer Kratzbürste bearbeitet.
Werden auch Kühe enthornt?
Dies wird im Zusammenhang mit der
Umstellung von der Anbindehaltung auf
einen Laufstall gelegentlich gemacht.
Enthornen von Kühen ist ein wesentlich
schwerwiegenderer Eingriff als das Entfernen der Hornknospe beim Kalb. Unter
anderem deshalb, weil die Nebenhöhlen
geöffnet werden. Deshalb versucht man
in solchen Fällen, möglichst frühzeitig
mit dem Enthornen der Kälber zu beginnen, um dann mit enthornten Tieren in
das neue Haltungssystem zu wechseln.
Neuerdings wird in der Schweiz
Sperma von Stieren angeboten, deren
Nachkommen hornlos sind. Macht es
für die Kühe einen Unterschied, ob sie
hornlos geboren werden, oder ob ihnen die Hörner entfernt wurden?
Ob sich Kühe ihrer Hörner bewusst sind?
Das ist schwer zu sagen. Hornlose Kühe
gehen aus einer Spontanmutation hervor, die dominant vererbt wird. Daraus
werden hornlose Rassen gezüchtet. Genetisch hornlose Kühe gibt es heute vor
allem bei den Mastrassen, die in Mutterkuhherden gehalten werden. Hätten sie
kein ausgeprägtes Sozialverhalten,
würde diese Haltung nicht funktionieren.
Ist es für Milchbauern tatsächlich
schwieriger und teurer, Kühe mit
Hörnern zu halten?
In Ställen, die sich für gehörnte Kühe eignen, braucht es breitere Fressachsen,
auch die Laufgänge sollten breiter sein.
Aber auch für enthornte Kühe sind grössere Laufställe besser, denn dies fördert
ein positives Sozialverhalten. Bei der
Laufstallhaltung von behornten Kühen
ist eine gute Tier-Mensch-Beziehung besonders wichtig. Der Bauer muss Zeit mit
seinen Kühen verbringen, sie beobachten
und notfalls eingreifen. Dies alles ist natürlich etwas teurer.
Interview: Lotti Teuscher