Fingolimod - Verwirrung um Zusatznutzen und Preispolitik

Fingolimod - Verwirrung um Zusatznutzen und Preispolitik
Fingolimod (Handelsname Gilenya, Hersteller Novartis) wurde im März 2011 erstmalig zur
Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen. Das Präparat erweckte große Hoffnungen bei
Ärzten und Patienten, weil das hoch wirksame Medikament erstmalig als Tablette
einzunehmen ist. Das Ergebnis der frühen Nutzenbewertung fiel dann jedoch ernüchternd aus.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) urteilte in seinem Beschluss am 29.03.2012, dass
ein Zusatznutzen für Fingolimod gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt
sei1. Nur für eine kleine Patientengruppe sah der G-BA einen "Anhaltspunkt für einen geringen
Zusatznutzen" und schätze diese Gruppe auf ca. 1.500 Patienten für die gesetzliche
Krankenversicherung.
Zu der wenig enthusiastischen G-BA-Bewertung kamen Sicherheitswarnungen wegen
unerwünschter Wirkungen am Herzen2. Zudem ist zu erwähnen, dass Fingolimod im
Tierversuch zu embryonalen Fehlbildungen führte. In den Preisverhandlungen mit dem GKVSpitzenverband wurde der Preis reduziert. Fingolimod war im Innovationsreport 2014 mit
einer "gelben Gesamtampel" von den Bremer Autoren bewertet worden. Im aktuellen Report
wird die Marktentwicklung von Fingolimod anhand von TK-Verordnungsdaten bis in das Jahr
2014 hinein dargestellt und in Zusammenhang zu den Ergebnissen der frühen
Nutzenbewertung gebracht.
GKV hat 2013 für Fingolimod etwa 22 Millionen Euro zu viel bezahlt
Die Versorgungsdaten zeigen ein Bild, das in keiner Weise zu den veröffentlichten Beschlüssen
der frühen Nutzenbewertung passt. Diese gehen von 1.500 gesetzlich Versicherten Patienten
aus, für die Fingolimod einen Zusatznutzen hat. Diese Zahl erreichen wir aber bereits jetzt
nahezu vollständig in der TK. So muss rückblickend eine unnötig teure Fehlversorgung bei
Versicherten der TK angenommen werden. Hätte man nur die Patienten mit Fingolimod
behandelt, für die das Präparat einen Zusatznutzen hat und für die weiteren Patienten die
zweckmäßige Vergleichstherapie eingesetzt, hätte alleine die TK im Jahr 2013 rund 5 Millionen
Euro eingespart. Das theoretische Einsparpotential für die GKV beziffert sich gar auf ca. 22
Millionen Euro für das Jahr 2013.
Neue Nutzenbewertung aufgrund von Zulassungserweiterung
Im Juli 2014 erfolgte eine Zulassungserweiterung für Fingolimod3, die im Dezember 2014 vom
G-BA bewertet wurde: ein Zusatznutzen konnte nicht belegt werden. Mit Spannung werden
nun die Ergebnisse der sich anschließenden Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband
erwartet, eine weitere Absenkung des Erstattungsbetrags ist wahrscheinlich.
Marktrücknahme wahrscheinlich
Sollte der Erstattungsbetrag für Fingolimod aus Sicht von dem Hersteller Novartis zu gering
ausfallen, ist zu befürchten, dass es vom Markt genommen wird, - ähnlich wie kürzlich im Fall
des Insulin degludec geschehen (Tresiba, Hersteller Novo Nordisk). Ungeachtet der Debatte
über den Zusatznutzen würde dieses verantwortungslose Handeln des Herstellers eine
aufwändige Therapieumstellung für ca. 10.000 Patienten in Deutschland bedeuten. Warum
erscheint dieses Vorgehen des Herstellers dennoch wahrscheinlich? Der G-BA-Beschluss aus
dem März 2012 war bis zum 29.03.2015 befristet. Novartis musste also im April 2015 erneut
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ein Dossier zu den Fragestellungen der Nutzenbewertung vom März 2012 einreichen. Der GBA wird voraussichtlich am 01.10.2015 über den Zusatznutzen für Fingolimod für die
Patientengruppen der Erstzulassung entscheiden. Die Bewertung des IQWiG ist bereits
veröffentlicht und fällt deutlich positiver aus: Die Patientengruppe mit Zusatznutzen wird sich
voraussichtlich deutlich vergrößern4. Überraschenderweise legte der Hersteller jedoch keine
neuen Studien vor, sondern lediglich ergänzende Auswertungen der Studien aus dem ersten
Verfahren. So muss sich der Hersteller die Frage gefallen lassen, ob er für die Diskussion um
den nutzenbasierten, therapeutischen Einsatz von Fingolimod zumindest in Teilen mit
verantwortlich ist. Hätte Novartis die Studienergebnisse bereits im ersten
Bewertungsverfahren in der Form aufbereitet, wie es nun geschehen ist, hätte Fingolimod
vermutlich von Beginn an das Siegel eines größeren Zusatznutzens getragen. Viele
Diskussionen und daraus resultierende Verunsicherungen wären vermieden worden.
Nutzenbewertung hat keinen Einfluss auf Verordnungsverhalten
Dennoch wird der neue Beschluss vermutlich die hohen Verordnungszahlen nicht vollständig
erklären können. Selbst wenn der G-BA in seinem Beschluss dem IQWiG folgt und die Anzahl
der Patienten mit Zusatznutzen zukünftig deutlich höher ausfällt , wird Fingolimod, nach TKZahlen, in der GKV für ca. 2.000 - 3.000 Patienten ohne Zusatznutzen verordnet. Dies entspricht
immer noch zusätzlichen Kosten in Höhe von ca. 10 Millionen Euro für die GKV. Dies zeigt
deutlich, dass die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung keinen Einfluss auf das ärztliche
Verordnungsverhalten haben. Dies bestätigte auch eine kürzlich im Auftrag der TK von
DocCheck bei 500 Ärzten durchgeführte Umfrage.
Neuer Beschluss könnte wieder höheren Preis rechtfertigen
Der neue G-BA-Beschluss wird wahrscheinlich einen höheren Preis rechtfertigen. Es ist fraglich,
ob der Hersteller für die Zeit bis dahin den Preis absenken wird. An dieser Stelle ist daher mehr
Flexibilität bei den Preisverhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband und pharmazeutischen
Unternehmern sinnvoll, um in Einzelfällen potenzielle Marktrücknahmen zu vermeiden. Eine
denkbare Lösung sind zwingende, geheime Zusatzvereinbarungen der einzelnen Kassen mit
den jeweiligen Herstellern im Rahmen von Verträgen nach § 130c SGB V. In jedem Fall zeigt
das Beispiel Fingolimod erhebliche Lücken im AMNOG-Prozess und dass die Ergebnisse der
frühen Nutzenbewertung das ärztliche Verordnungsverhalten nicht beeinflussen.
Unabhängige evidenzbasierte Informationen sind daher zwingend notwendig.
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Der G-BA sah keinen Zusatznutzen von Fingolimod als krankheitsmodifizierende Monotherapie von hochaktiver
schubförmig-remittierend verlaufender Multipler Sklerose (RRMS) für Erwachsene mit hoher Krankheitsaktivität
trotz einer Vorbehandlung mit einem Beta-Interferon (INF-ß). Dies unabhängig davon, ob die Patienten
vollständig mit Beta-Interferon vorbehandelt sind oder ob sie noch keine ausreichende Vortherapie mit BetaInterferon erhalten haben. Lediglich für Patienten mit rasch fortschreitender schwerer RRMS urteilte der G-BA
"Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen".
2
siehe Rote-Hand-Brief zu Fingolimod vom 26. Januar 2012, abrufbar über www.akdae.de
3
Die Beschränkung der Vorbehandlung auf Beta-Interferon wurde aufgehoben und durch "mindestens eine
krankheitsmodifizierende Therapie" ersetzt.
4
Es werden nun auch für Patienten positive Effekte beschrieben, die nicht vollständig mit Beta-Interferon
vorbehandelt sind.
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