Predigt vom 10. April - Hoffnungskirche zu Pankow

1.Petr. 2, 21b – 25
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des
Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Predigt-Text:
Dazu hat Gott euch berufen. Ihr wisst doch: Christus hat für euch gelitten und euch ein
Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt.
Ihr wisst: Er hat kein Unrecht getan; nie ist ein unwahres Wort aus seinem Mund gekommen.
Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück. Wenn er leiden musste, drohte er nicht mit
Vergeltung, sondern überließ es Gott, ihm zum Recht zu verhelfen.
Unsere Sünden hat er ans Kreuz hinaufgetragen, mit seinem eigenen Leib. Damit sind wir für
die Sünden tot und können nun für das Gute leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt
worden! Ihr wart wie Schafe, die sich verlaufen haben; jetzt aber seid ihr auf den rechten Weg
zurückgekehrt und folgt dem Hirten, der euch leitet und schützt.
(Gute Nachricht)
Der Herr segne sein Wort an uns.
Liebe Gemeinde,
vielleicht geht es Ihnen wie mir. Als ich diesen Text das erste Mal gelesen habe, dachte ich:
Dieser Abschnitt hätte doch viel besser in die Passionszeit gepasst, wenn hier von Sünde,
umherirrenden Schafen, von Beleidigungen oder Schmähungen, Leiden und Kreuzestod die
Rede ist. Und dann habe ich mal das ganze Kapitel angesehen und festgestellt: Unser
Predigttext ist ja eigentlich eine Ermahnung an die Sklaven, Vers 18: „ Ordnet euch euren
Herren unter, und erweist ihnen den schuldigen Respekt, nicht nur den guten und
freundlichen, sondern auch den launischen.“
Da muss man erst einmal tief durchatmen und ganz fromm fragen: „Lieber Gott, was können
diese alten Anweisungen uns heute, im 21. Jahrhundert, noch sagen? In uns sträubt und wehrt
sich doch alles, wenn hier - bei geschehenem Unrecht - vom Stillhalten die Rede ist, von
Sklaven, die sich demütig unterordnen sollen. Wir denken heute doch ganz anders darüber!
Aber manchmal muss man einen Predigttext gewissermaßen von hinten lesen, manchmal
auch mehrfach lesen und sich dabei Zeit lassen, Vers 25: „Ihr wart wie Schafe, die sich
verlaufen haben; jetzt aber seid ihr auf den rechten Weg zurückgekehrt und folgt dem
Hirten, der euch leitet und schützt.“ Dazu ein paar Gedanken:
Für uns Großstädter hat das Bild vom Hirten ja etwas Romantisches. Man denkt zuerst an
das, was gerade im Trend liegt: Schafwolle, Schafskäse, gesunde Lebensweise, naturgerechte
Nahrung. So ein leichter Hauch von Bio-Produkten und Öko-Welle schwingt da mit. Doch
damit hat das Bild vom Hirten sich natürlich noch nicht erschöpft. Ich komme noch mal
darauf zurück.
Der Vergleich mit den Schafen ist auch nicht so einfach. Es sind nicht gerade Tiere, mit denen
wir uns gern identifizieren. Der „schlaue Fuchs“ oder der „Tiger im Tank“ - damit lässt sich
schon eher Werbung machen. Fürsten und Könige führen schon von alters her lieber den
stolzen Löwen, den kräftigen Bären im Wappen oder den königlichen Adler - aber doch kein
Schaf!
Wenn aktive, ich betone aktive Gemeindeglieder sich überhaupt mit dem Bild von einer
Schafherde vergleichen würden, dann finden sie sich am ehesten in der Rolle der
Schäferhunde wieder: Sie hören auf das Wort des Herrn, sind treu und wachsam, zeigen
vollen Einsatz bei Wind und Wetter, sie bemühen sich, die Herde zusammenzuhalten, und
sind öfter mal ein bisschen aufgebracht, aufgeregt und abgehetzt, und hin und wieder auch
schon mal recht bissig…
Doch Petrus schreibt nichts von Schäferhunden, sondern nur vom Hirten und von Schafen.
Lassen wir also mal das schöne Bild vom guten Hirten, so wie wir es im Psalm 23 vorfinden,
auf uns wirken. Für viele Menschen ist gerade dieser Psalm ein Wort des Trostes, ein Wort
der Zuversicht und der Geborgenheit. Mein weiß von Demenzkranken und von Sterbenden,
dass sie bei diesen Worten noch einmal reagieren, hingegen alles andere sie nicht mehr
erreicht.
Aber – die Frage sei gestattet, wie viele kennen und können den Psalm 23 eigentlich noch?
Als ich noch Konfirmand war, haben wir diesen Psalm natürlich auswendig gelernt, gar keine
Frage, nebenbei bemerkt auch noch das reformatorische Lied von Martin Luther „Eine feste
Burg ist unser Gott“. Und ich musste sogar nachsitzen, weil ich die 3. Strophe nicht konnte,
„Und wenn die Welt voll Teufel wär“. Das waren noch Zeiten… Aber wer lernt heute noch
auswendig? Und doch, es hat seinen Wert, Bibelverse oder Liedstrophen zu lernen und zu
verinnerlichen. Denn in Zeiten der eigenen Sprachlosigkeit, wenn einem die Kraft fehlt, seine
eigenen Gedanken zu sortieren, dann ist es unglaublich hilfreich, wenn man auf diesen
Erinnerungsschatz zurückgreifen kann.
Nun gibt es hier eine Aussage, die an Aktualität nichts eingebüßt hat, noch einmal Vers 25:
„Ihr wart wie Schafe, die sich verlaufen haben…“ Diese Abwege oder Irrwege können ja ganz
verschieden aussehen. Ich möchte nur auf ein aktuelles Beispiel eingehen: In einem
Zeitungsartikel vom März diesen Jahres stand folgende Schlagzeile: „Eine Generation auf
dem Ego-Trip.“ Und dann hieß es weiter: „Sie sind jung, schön und – unzufrieden. Es wächst
eine Generation heran, die sich nur noch um sich selbst dreht.“ Und das hat zur Folge: „Man
schreibt sich ganz viel (über’s Internet natürlich), fühlt sich ganz nah, aber wenn man sich
trifft, ist man sich fremd.“ Schon vor X-Jahren wurden die Beziehungsschwierigkeiten der
heutigen jungen Generation in dem Buch „Die Egoismusfalle“ beschrieben: Erstens, jeder
möchte seinen individuellen Freiraum behalten; zweitens, es werden zu hohe Ansprüche an
die Partnerschaft gestellt; und drittens, die Beziehungen bleiben unverbindlich, weil man
immer noch auf eine bessere Partie wartet. Doch am Ende bleibt man allein. Aber man hat es
selbst so gewollt und so entschieden.
Beim Propheten Jesaja steht: "Ein jeder sah auf seinen Weg". (Kap 53, 6) Vereinzelung und
Egoismus gab es also damals schon und gibt es heute. Besonders ausgeprägt in Berlin, der
Hauptstadt der Singles. "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei", heißt es dagegen in der
Schöpfungsgeschichte. Wie gesagt, auf Menschen bezogen, die sich so bewusst entschieden
haben. Bei Menschen, die ungewollt allein geblieben sind oder allein leben müssen, ist es
etwas ganz anderes. Aber das ist ein anderes Thema.
Nun finden wir in unserm Predigttext noch eine Aussage, die uns auch nicht sonderlich
behagen wird: „Dazu hat er euch berufen…Christus hat für euch gelitten und euch ein
Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt.“ Mit anderen Worten: So wie Christus
leiden musste, so wird es bei der Nachfolge auch euch ergehen.
Hier muss man wissen, dieser Brief wurde etwa im Jahre 95 nach Christus geschrieben. Es
herrschte der römische Kaiser Domitian, unter dem es die erste große Christenverfolgung gab.
Domitian verstand keinen Spaß mit den Leuten, die es wagten, nicht den Göttern zu opfern
und ihm, dem Kaiser, zu huldigen. Die Verfolgung sah so aus, dass die Christen in die Arena
kamen, zu den Gladiatorenspielen. Und das bedeutete den sicheren Tod. Uns ergeht es heute
Gott sei Dank gut, unvergleichlich gut. Wir wissen, dass das keine Selbstverständlichkeit ist,
denn wenn Menschen im 21. Jahrhundert aus religiösen Gründen verfolgt werden, dann sind
es die Christen. Aber wir werden um Christi willen nicht verfolgt. Und doch sind auch uns
Leiden und Probleme nicht fremd: Jede zweite Ehe wird geschieden, dann die Härten eines
allein erziehenden Elternteils, Hartz-IV-Empfänger, Altersarmut, Vereinsamung, Streit und
Entzweiung im Haus, unter den Kollegen und in der eigenen Familie und nicht zuletzt die
gesundheitlichen Probleme. Auch wenn das alles keine Leiden um Christi Willen sind, so
machen sie uns doch zu schaffen.
Aber es ist gut, wenn man mit seiner Not nicht allein ist. Und so möchte ich noch einmal an
den Wochenspruch erinnern: „Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören
meine Stimme, ich kenne sie, sie folgen mir und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Das ist die
frohe Osterbotschaft, das ist Auferstehungshoffnung für den Alltag. Johann Sebastian Bach
hat es in einer Kantate so zum Ausdruck gebracht:
„Wohl mir, dass ich Jesum habe, o wie feste halt ich ihn. Dass er mir mein Herze labe, wenn
ich krank und traurig bin. Jesum hab ich, der mich liebet und sich mir zu eigen gibet; ach
drum lass ich Jesum nicht, wenn mir gleich mein Herze bricht.“
Natürlich ist das nicht mehr unsere heutige Sprache. Aber das Vertrauen, das tiefe Gefühl
der Geborgenheit, das sind Werte, nach denen man sich heutzutage mehr denn je sehnt. Der
gute Hirte, und die Betonung liegt auf gut, er hat doch nicht nur das Wirtschaftliche im Blick:
Was bringt mir die Wolle und wie hoch ist gerade der Preis für ein Kilo Hammelfleisch? Der
gute Hirte ist Weggefährte, er ist Wächter bei Tag und Nacht, er ist Begleiter, Pfleger,
Tröster, Arzt und Freund. Er weiß, dass seine Schafe mehr brauchen als die notwendige
Versorgung, sondern sie brauchen auch eine ganz individuelle, eine ganz persönliche
Zuwendung. Es ist ein nicht zu beschreibendes Geschenk, dieses tiefe Gefühl von Vertrauen
und Geborgenheit, das mir nichts und niemand nehmen kann. Ich bin nicht allein! – und das
in einer Zeit, die so von Kälte und Vereinsamung geprägt ist.
Noch einmal das Bild von der Schafherde: Wie wertvoll ist die Gemeinde! Das Miteinander,
die Gemeinschaft, man muss sich nicht allein durchkämpfen. Zum anderen haben wir einen
Hirten, der uns kennt, der um unser Schicksal weiß, der auf uns Acht gibt, der für uns sorgt,
dem wir nur zu folgen brauchen. „Dazu hat Gott euch berufen“ – so beginnt der Predigttext,
und damit möchte ich auch schließen mit der Bitte, dass Gott sein Wort an uns segne. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus unsern Herrn. Amen.