Predigt zu Psalm 23, Misericordias Domini 2015 Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Predigttext Psalm 23 (EG 711) :: Ein malerisches Bild Ein malerisches Bild möchte ich Ihnen zeichnen: Grün in blassen Farben, ein leichtes Rot und sanftes Blau. Links vorn steht ein Mann im grünen Umhang, mit einem grauen Filzhut, mit einer breiten Krempe, so steht er da. Aus seinem Umhang heraus dringt ein brauner Stab – ein Hirtenstab. Ich kann nicht erkennen, ob er ihn in der Hand hält, ob er sich auf ihn stützt, oder ob der Stab locker gehalten wird, gewissermaßen jederzeit einsatzbereit. Etwas abseits, links vom Hirten, ist eine kleine Herde weidender, weißer Schafe. Sie fressen in Ruhe, die Wiese ist fett und sattes Gras ist ihr Futter. Hirtenhunde liegen im Gras, es herrscht Ruhe und Eintracht. Im Hintergrund verschwimmen die Hügel. Berge sind zu erahnen und eine kleine Kirche ist in der Ferne an ihrem Turm zu erkennen. So oder so ähnlich sieht ein Gemälde aus, das in der guten Stube einer Waldenburger Dame hängt, die ich während meines Vikariats kennenlernen durfte. Es ist eine Momentaufnahme des 23. Psalms – ein idyllisches Bild: Das Bild des guten Hirten, der seine Schafe bewacht, sie schützt, sie sicher weidet. Das Bild mag heut´ fremd und fern wirken, romantisch und wie aus einer längst vergessenen Zeit. Aber vielleicht haben Sie ganz andere Assoziationen? Was denken Sie, wenn Sie den Text hören? Was für Erinnerungen haben Sie? :: Psalm 23 in christlicher Auslegung und Tradition Generationen von Christinnen und Christen mussten diese Worte auswendig lernen. Dieser Psalm kam und kommt zu zahlreichen Anlässen zum Einsatz: Bestattungen, Taufen, Trauungen, Konfirmationen. Ich musste zur Konfirmation diesen Psalm noch auswendig lernen. Sie auch? Und gerade sind die Vorkonfirmanden daran, diese Jahrtausende alten Worte sich einzuprägen. Psalm 23 ist einer der bekanntesten und beliebtesten Psalme überhaupt. Ein wunderbares Bild wird darin schließlich geschildert mit eindrücklichen Motiven und einer sehr plastischen Bildsprache: Ein guter Hirte, unbeschwert lebende Schafe, Futter, Schutz, Sicherheit, frisches Wasser, ein reich gedeckter Tisch, Öl zum Salben eines Menschen – eben genauso, wie auf dem Bild in der guten Stube der Waldenburger Dame. Der Psalm hat eine breite Wirkungsgeschichte im alttestamentlichen Volk Israel gefunden. Das Bild Gottes als Hirten, der sein Volk wie unschuldige Schafe schützt, war weithin bekannt und beliebt. Wir haben heute im Evangelium gehört, wie Jesus dieses Motiv des Hirten aufgreift. Jesus deutet dies auf sich – ICH BIN der gute Hirte! Mit dieser Aussage muss er unter seinen Zeitgenossen eine Empörung ausgelöst habe. Er sei der gute Hirte, so sagt er. Dabei ist doch die Aussage Ich bin (hebr. Jahwe) der Gottesname. Wenn er das sagt und dann noch behauptet, dass er jener ist, von dem Psalm 23 spricht, dann ist es unmissverständlich, dass Jesus sich selbst für den Mensch gewordenen Gott hält, der die Führung seiner Schafe beansprucht. :: Achtov – der Hirtenhund Und dieser göttliche Hirte hat zwei Hunde, zwei Hirtenhunde, wie auf dem Gemälde der Waldenburger Dame. Und es wird Sie vielleicht wundern, wenn ich Ihnen sage, dass diese zwei Hunde im Psalm sogar Namen haben: Achtov und Chäsät. Jene beiden Hunde sorgen für mich als Schaf Gottes. Sie eilen immer um mich her. Der erste, Achtov, hat einen hebräischen Namen. (Wenn man in der Universität Hebräisch lernen muss, dann ist es immer ratsam, dass man sich Eselsbrücken baut.) Achtov hört sich für mich an wie Achtung. Und in der Tat: Achtov hat etwas mit erkennen und aufmerken zu tun und mit gut. Achtov ist die Erkenntnis schenkende Güte, so will ich es uns übersetzen. Vielleicht hilft uns das Bild eines weisen, alten Menschen, der von seiner Erkenntnis abgegeben will. In jener Weise handelt Gott – es ist Achtov. Er weist mich in seiner Güte auf etwas hin, was ich nicht sehe oder übersehe. Das tut er aus freien Stücken, das verdiene ich mir nicht. Er spricht: „Sieh dich vor, dort vorn ist ein Abhang. Merke auf, neben Dir ist ein kühlender Schatten, leg dich doch erst einmal nieder und ruhe dich aus, bevor du weitergehst.“ Oder auch: „Achtung, halte an und überlege erst einmal, ob es nicht besser wäre zurück zu gehen.“ Das ist Achtov, der Hirtenhund. Martin Luther kannte diesen Hund, diesen Achtov auch. Er berief sich auf ihn, als er vor Kaiser und Reichstag seine Schriften widerrufen sollte. Dieser Achtov äußert sich in unserem Gewissen. Wo habe ich dieses Gewissen verspürt? Wo bellt bei mir Achtov, wo schlägt er an? Hat Achtov Sie schon mal gebissen? Worum ging es da, etwa um ihre Familie, ihre Finanzen, Arbeit, Gesundheit oder hatten sie schon mal Gewissensbisse bekommen, als es um ihre Lebenseinstellung ging? Wo schlägt Achtov bei mir im Leben an? :: verirrt im Tal der Angst Dieser Hirtenhund ist fleißig und unermüdlich, er läuft und läuft und sorgt dafür, dass ich nicht aus der Herde fortgerissen werde. Und dennoch kommt es vor, dass ich irre, dass ich mich verirre und in so manches finstre Tal gelange. Der Psalmdichter beschreibt, dass er im finstren Tal keine Angst verspürt. Liebe Gemeinde, ich muss Ihnen jedoch sagen, dass ich in so manchem finstren Tal Angst habe. Mir läuft es oftmals eiskalt den Rücken hinunter. Ganz besonders erschauert es mich, wenn ich in den Nachrichten sehe, was dieser Tage die Welt so schwer erschüttert: Seien es die Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer, die zahllosen Asylsuchenden, die grausam im Wasser versinken. Sei es derzeit die Lage im Irak oder Syrien. Wenn ich sehe, in welchem finstren Tal sich dort Christinnen und Christen aber auch andere religiöse Minderheiten befinden, dann habe ich Angst, bittere Angst. So viel kann mich in jenes Tal der Angst und der Finsternis führen: Sorgen, die ich schon so lang mit mir herum trage, Lasten aus längst vergessenen Beziehungen. :: Chäsät – der Hirtenhund Aber da gibt es einen zweiten Hirtenhund: Chäsät. Die Bedeutung kann man sich auch gut über eine Eselsbrücke merken. Vielleicht kennen Sie noch Kassettenrekorder der 90er Jahre. Da gab es eine Reset-Taste. Ich kann nochmals zurückspulen, alles auf Anfang, einen Neustart machen und dann die Musik nochmals von vorn hören, vielleicht auch anders hören als zuvor. Reset – und dann läuft der Film nochmals ab und ich sehe vielleicht Dinge und Details, die ich zuvor nicht wahrgenommen habe. Reset – nochmal neu starten. So ist es auch mit diesem Chäsät. Chäsät ist die Gnade, die Barmherzigkeit. Ich muss nicht verharren in Angst, in Sorge, in Hoffnungslosigkeit oder Schuld. Die Gnade Gottes, dieser Hund Chäsät, holt mich aus diesen finstren Tälern raus. Und dann ist ein Neuanfang möglich. Es kann nochmals neu begonnen werden, ich kann alles, was mich bedrückt, alles Alte, alles Schwere vor Gott hinlegen. Chäsät wird mich vor diesen Gefahren schützen. So werde ich begleitet von zwei treuen Hirtenhunden: Achtov und Chäsät. Und diese zwei Hunde werden mir folgen mein Leben lang, sie werden meine treuen Begleiter sein, ob ich will oder nicht. Diese beiden Hirtenhunde Gottes werde ich als Schaf Gottes nicht los. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Amen.
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