Abstract

Wenn der Netzwerksegen schief hängt.
Die Rolle der Kontroverse für den historischen Erkenntnisgewinn am Beispiel der
Korrespondenz Johann Friedrich Schannats (1683 – 1739).
Joëlle Weis – Universität Luxemburg/Universität Wien
Im frühen 18. Jahrhundert war die Suche nach historischer Wahrheit endgültig zu einer der
wichtigsten Funktionen von Geschichtsschreibung geworden. Zumindest die Ansprüche waren groß
und die Suche nach Material das die Annahmen früherer Historiographen belegen sollte, war eine der
Haupttätigkeiten „moderner“ Gelehrter. Auch der aus Luxemburg stammende Historiker Johann
Friedrich Schannat, der gemeinsam mit Freunden und Kollegen aus der Gelehrtenrepublik das
saeculum diplomaticum ausrief, verschrieb sich vollends dieser Aufgabe.
Dass Anspruch und Realität nicht immer deckungsgleich sind, ist keine neue Beobachtung. Ganz in
diesem Sinn soll dieser Beitrag den Prozess des historischen Erkenntnisgewinns anhand der
Korrespondenzen Schannats analysieren, wobei ein besonderer Fokus auf die Bedeutung des
Gelehrtenstreits gerichtet wird. Die Suche nach Wahrheit war alles andere als eine einfache,
eindimensionale Praxis, wenngleich sich die Akteure dessen nicht immer bewusst waren. Dem sozialen
Netzwerk kam dabei eine große Rolle zu und speziell im Falle einer Polemik konnte Einmischen und
Urteilen von Seiten großen Einfluss auf den Erkenntnisgewinn ausüben. So geschehen auch in den
späten 1720er Jahren, als Johann Georg von Eckhart (1664 – 1730), Historiograph des Würzburger
Fürstbischofs, Schannats Version der Geschichte Fuldas scharf angriff. Das besondere an der Situation
war, dass beide sehr gute Freunde waren und auch einen großen gemeinsamen Freundeskreis teilten.
So ist es kaum verwunderlich, dass diverse Außenstehende sich einmischten und vor allem das
Verhalten Eckharts scharf kritisierten. Die Konsequenz davon war der Versuch beider Gelehrter ihre
Leser von ihrer Sichtweise zu überzeugen. Die Gelehrtenrepublik wurde so zum Richter im Prozess und
ihr Urteil bestimmte maßgeblich, wessen „Wahrheit“ sich letzten Endes durchsetzen konnte. Aus
diesem Grund eignet sich die Korrespondenz Schannats auf hervorragende Weise um zu untersuchen,
welchen Einfluss ein Netzwerk auf die Konstruktion von historischen „Tatsachen“ haben kann.