Pred Johannes 8, 31-36 - Weigle-Haus

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Pred Johannes 8, 31-36
Einige Jugendliche im WH singen immer noch gerne das
Lied: „Man sagt er war ein Gammler.“ An der Stelle, wo es
heißt: „Ich mach euch frei“, schreien sie es ganz laut. Freiheit,
das scheint etwas zu sein, dass man kollektiv erleben
möchte und am liebsten gemeinsam heraus schreit.
In einem Lied des deutschen Rocksängers Marius MüllerWesternhagen heißt es: "die Verträge sind gemacht, und es
wurde viel gelacht, und was Süßes zum Dessert – Freiheit,
Freiheit; Die Kapelle – rumtata – und der Papst war auch
schon da, und mein Nachbar vorneweg – Freiheit, Freiheit,
ist die einzige die fehlt."
Man kann den Song in zwei
Versionen kaufen, allein im Studio aufgenommen, und einen
Konzertmitschnitt, wo Tausende mit ihm und irgendwann
ohne ihn mitsingen "Freiheit, Freiheit". Kein Mensch
interessiert sich für die Studioaufnahme. Im Radio läuft nur
die Konzertversion. Und verkauft wird im Wesentlichen die
Karaoke Version, damit alle mitsingen können. Dieser Ruf
nach Freiheit, der wirkt irgendwie besser, wenn Massen in
ihn einstimmen.
So wie das 1989 im Osten Deutschlands und Europas
geschehen ist. So in den arabischen Ländern in den
vergangenen beiden Jahren. Und jetzt auch aktuell in
Myanmar, das früher Birma hieß. Es sind jeweils Massen von
Menschen, die sich den Weg in die Freiheit kämpfen.
Aber was hat das mit uns heute zu tun. Warum wollen wir
immer noch Freiheit? Wir leben doch in einem freien Land,
können machen, was wir wollen. Heute abend werden so
manche Menschen in unserem Land feiern und das als Teil
ihrer Freiheit sehen. Weil wir so frei sind, können wir heute
natürlich auch Milliarden von Euros in die Luft schießen.
Gleichzeitig werden aber die Probleme des letzten Jahres
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verdrängt und wir denken lieber nicht darüber nach, was das
nächste Jahr bringen kann - oder muss.
Wir können kaufen, wir können reisen und wir können reden,
was wir wollen. Warum fühlen wir uns trotzdem unfrei? Was
engt uns ein? Warum fühlen wir uns von anderen Menschen
abhängig, von ihrer Meinung und von ihrer Anerkennung?
Warum fühlen wir uns unfrei in der Familie oder am
Arbeitsplatz und selbst im Urlaub?
Jesus sagt, dass uns die Wahrheit wirklich frei macht. Und
seine Leute fragen ihn: Wovon sollen wir eigentlich frei
werden? Und Jesus antwortet, dass jede Sünde, also das,
was wir falsch gemacht haben, uns zu Gefangenen macht.
Und Fehler sind nicht nur unsere Sache. Andere leiden auch
unter unseren Fehlern und wir unter ihren.
Die Wahrheit macht uns frei. Die Wahrheit über uns und
andere. Wenn wir nicht wahrhaben wollen, dass etwas falsch
läuft, bleiben wir unfrei. Wenn wir die Wahrheit vertuschen,
bleiben wir unfrei und wenn wir uns selbst belügen ebenso.
Nur die Wahrheit wird uns frei machen. Wenn wir ehrlich sind,
gegenüber anderen und gegenüber uns selbst.
Ich kann auch formal die Wahrheit sagen und mich
gleichzeitig vor ihr verstecken. Mich an ihr vorbei drücken.
An der Wahrheit, dass sich in meinem Leben etwas ändern
muss und dass mein Leben im letzten Jahr nicht optimal
gelaufen ist. Alles nicht schön und kann auch sehr weh tun.
Kann man auch gleich beim Feiern mit Sekt und Bier
versuchen zu vergessen. Muss man aber nicht.
In der Politik haben wir inzwischen gelernt, solche Lügen zu
entdecken und zu analysieren. Deshalb musste ein Herr
Wulff gehen und Herr Sarkozy ist nicht wiedergewählt
worden. Das Vertrauen in die Politik ist nicht mehr groß, weil
wir ahnen, dass es noch viel mehr Lügen gibt, mit denen wir
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leben. Und in Psalm 2, aus der Lesung von gerade, wird klar,
dass es schon immer so war: Die Mächtigen glauben,
machen zu können, was sie wollen. Aber Gott lacht über sie.
Was ist mit uns heute Silvester 2012?
Die Wahrheit kann schmerzen. Vielleicht haben manche von
Euch den Film "Matrix" gesehen. Kurz gesagt, leben die
Menschen darin in einer Welt, die aussieht wie unsere, aber
es ist alles nur ein Traum. In Wirklichkeit schlafen sie und
sind an Maschinen angeschlossen. Einige Menschen
erfahren dann die Wahrheit und wachen auf. Die wirkliche
Welt ist bei weitem nicht so schön wie die Illusion, in der sie
vorher gelebt haben.
Es tut weh, die Wahrheit zu entdecken. Obwohl sie befreit.
Die schmerzhafte Wahrheit, die Jesus seinen Hörern sagt,
ist: Ihr seid gar nicht frei. Es gibt so viel, das euch belastet.
Und die Wahrheit ist, es gibt so viel, womit ihr euch selber
gefangen genommen habt. Ihr habt Gottes Gebote ignoriert,
ihr habt euch freiwillig von eurer Sünde versklaven lassen.
Und nun kommt ihr da nicht mehr raus. Wer sich selbst zum
Maß aller Dinge macht, wer nur seinen eigenen Vorteil und
seine eigene Meinung gelten lässt, dem nützt es auch nichts,
von Abraham abzustammen oder Mitglied der evangelischen
Kirche zu sein oder Bürger eines der reichsten und
demokratischsten Länder der Erde. Gefangene bleibt ihr
trotzdem, sagt Jesus.
Jesus bietet sich selbst an, damit wir heil werden: Ich, der
Sohn, ich mache euch frei, und dann seid ihr wirklich
frei. Darum ist Jesus gestorben und auferstanden, um uns
von dieser Gefangenschaft zu befreien. Ein für allemal hat er
es am Kreuz getan. Er hat es uns zugesprochen. Dieses
Kreuz ist Wahrheit. Eigentlich kein schönes Symbol. Aber es
macht frei. Und gibt uns die Freiheit für das neue Jahr.
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Jesus lädt uns heute an Silvester, bevor das neue Jahr
beginnt, ein, die Freiheit zu spüren, die von ihm kommt. Als
Zeichen feiern wir das heilige Abendmahl, wo Jesus uns
persönlich zuspricht: Du bist frei, du gehörst zu mir. Ich
vergebe dir alle deine Schuld. Das reicht. Das reicht auch
dicke für das Jahr 2013. Und das Abendmahl ist dann unser
gemeinsames, kollektives Befreiungserlebnis. Amen.