Garten Eden war nie die ganze Wahrheit Als Kind einst fragt` ich

Garten Eden war nie die ganze Wahrheit
Als Kind einst fragt' ich meine Mutter:
"Was ist, wenn ich in Wahrheit träume
und eines Tag’s erwache, Mutter,
in kalter Welt voll leerer Räume?”
Und Mutter sprach: “Noch schläfst du ja.
Noch ist es warm, der Tisch gedeckt.
Du wirst bereit sein in dem Jahr,
in dem dich deine Stimme weckt.
Dann kannst du selbst dir Feuer machen
und schmücken kalten leeren Raum
mit lauter selbst gemachten Sachen
wie du’s gelernt hast einst im Traum."
Ich hatte an den Traum gedacht
wie jenen, den man träumt bei Nacht,
und dass man plötzlich kurz vor acht
in völlig fremder Welt erwacht.
Und dies geschah bis heute nicht.
Und doch war Kindheit wie ein Traum.
Das Böse kannte ich noch nicht,
nicht Leid, nicht Elend oder Grau'n.
Auch heute scheint die Welt noch gut.
Sie lacht mich an, ich lach zurück.
Familie, Freunde herzensgut.
Mein ganz privates Lebensglück.
Mein Garten Eden bunt und schön,
noch heute bin ich gerne dort.
Doch muss ich dann auch wieder gehen
von diesem traumhaft schönen Ort.
Erkenntnis, Wahrheit, Wirklichkeit:
Die bitt're Frucht, die keinem schmeckt.
Die Schlange sagte: "Lass den Scheiß!
Iss lieber Honig und Gebäck!"
Doch wollte ich die Wahrheit wissen,
entschied mich für die rote Pille,
ich blickte hinter die Kulissen
vorbei am Frieden und der Stille.
Und hier ein Beispiel, was ich sah,
ein Teil der Wahrheit uns'rer Welt,
was aber tausendmal geschah
- man sieht gern weg, weil's leichter fällt:
Flucht im Wald. Es ist kalt.
Und Gestalt an Gestalt
kommt geballt die Gewalt
und es knallt und es knallt.
Schrei, der schallt durch den Wald,
doch verhallt schon sehr bald.
Stopp und halt! - Abgeknallt.
Es wird kalt - schwarz und kalt.
Eltern tot. Große Not.
Flucht mit Boot. Bein voll Schrot.
Und ihm droht schon der Tod.
Nur mit Not, aus dem Boot.
Bein muss ab. Das war knapp!
Er hat alles versucht,
keinen Tag war er satt,
viele Jahre nur Flucht.
Eines Tages erreicht
er voll Hoffnung ein Land.
Das ist unglaublich reich,
eine rettende Hand.
Und die Hand hält ihn fest,
aber zieht ihn nicht hoch.
Als er achtzehn wird, lässt
sie ihn g'rad' wieder los.
Geschichten so wie diese
voll Herzenslosigkeit.
Geschichten so wie diese
sind keine Seltenheit.
In Deutschland wird gesagt,
zu hoch sei die Belastung.
In Deutschland wird gesagt:
"Ein Hoch auf die Verfassung!"
Man fühlt sich überlegen.
Es gibt Demokratie.
Wir können d'rüber reden
und schießen, nicht wie die.
Doch die – die, die da schießen,
sind in der Minderheit.
Und die, die hier beschließen,
die wählt man deutschlandweit.
Und die, die schießen, schießen
zum Teil mit deutschen Waffen.
Und was wir hier beschließen,
das kann ich schlicht nicht fassen!
Ein Volk von Egoisten,
das stolz auf Autos ist,
schimpft über Terroristen
und hilft den Opfern nicht.
Die Wirtschaft, die läuft top.
Und doch ist dieses Land
gesellschaftlich bankrott
und kalt und abgewandt.
Wir sind da nicht allein.
Wir liegen da im Trend.
Es gilt europaweit,
dass man kein' Anstand kennt.
Wir schließen uns're Türen;
Wir lassen sie nicht rein.
Es soll uns nicht berühren,
nicht uns're Sorge sein.
Das sind die gleichen Menschen!
Verdammt! Wie du und ich!
Die um ihr Leben kämpfen!
Wir lassen sie im Stich.
Nur wer die Augen schließt,
der schließt auch seine Türen.
Denn wer die Wahrheit sieht,
der muss doch Mitleid spüren!
An alle, die noch träumen:
Wacht bitte endlich auf!
An alle wachen Leute:
Weckt schnell die ander'n auf!
Text von Jonas Stolz, vorgetragen am 23.5.15 beim „One world Slam“ in
Freiburg.
Kontakt zum Autor: [email protected]