Ein Milliardenflop?

Meinung
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Foto: Rita Petri
Bezahlt von Krankenkassenbeiträgen
Wilfried Deiß, Hausarzt-Internist aus Siegen
Das Mega-Netzwerkprojekt Elektronische Gesundheitskarte / Telematik und das aktuell verabschiedete e-Health-Gesetz.
E
in kleiner, feiner Zufall in der Siegener Zeitung vom
4. Dezember: Titelseite Megaprojekte sprengen Zeit
und Kostenpläne, mit Bezug auf Flughafen Berlin, die
Hamburger Elbphilharmonie und viele andere Bauvorhaben.
Auf der Seite zwei eine kleiner, einspaltiger, zwanzigzeiliger Beitrag Grünes Licht für digitale Patientendaten,
aus Anlass des am Vortag im Bundestag verabschiedeten
„E-Health-Gesetz“ zum Megaprojekt „Telematik/ Elektronische Gesundheitskarte“.
Der kleine Artikel hat weit mehr Alltagsrelevanz als der
Titelseiten-Beitrag. Denn das Netzwerkprojekt „Elektronische Gesundheitskarte“ (eGK) betrifft nicht nur Hamburger Kulturbürger oder Flugreisende, sondern alle gesetzlich
Krankenversicherten in Deutschland.
Noch immer werden die Versicherten mit Worten getäuscht, wenn es um die „Gesundheitskarte“ geht. Denn es
wird auch nach 14 Jahren in den Veröffentlichungen der
Eindruck erweckt, es sei die „Karte“ in der Brieftasche der
Versicherten, die all die versprochenen Funktionen leisten
solle. Das ist Unsinn. Es geht nicht um die Karte. Die ist lediglich der Schlüssel für ein gigantisches Netzwerkprojekt,
wo letztlich nicht nur Verwaltungsdaten, sondern auch persönliche Dokumente wie Krankenhausberichte, Arztbriefe,
Psychologenberichte, Gutachten ausgetauscht und gespeichert werden sollen. Denn das Projekt verspricht, mit dem
entsprechenden Schlüssel könne man dann Tag und Nacht
auf die medizinischen Daten zugreifen. Ich vermute, dass
auch viele Journalisten, die die ihnen angebotenen Pressemeldungen verarbeiten, auf diese Täuschung hereinfallen.
1/2016 durchblick
Der zusätzliche Skandal der „Unendlichen Geschichte“ eGK (wie die SZ dann einen Tag später richtigerweise
schrieb) ist, dass es trotz bisher weit mehr als einer Milliarde Euro Kosten nicht einmal ein funktionierendes Modellprojekt zu den Funktionen der „Totalvernetzung des
Gesundheitswesens“ gibt. Nirgendwo wurde geprüft, ob
die Anbindung der Arztpraxen, Psychotherapeutenpraxen,
Krankenhäuser, Apotheken an ein bundesweites Netzwerk
mehr Nutzen als Schaden bedeutet. Niemand weiß, ob die
Verfahrensweisen funktionsfähig und alltagstauglich sind
und ob sich im medizinischen Alltag eine Arbeitserleichterung und ein medizinischer Nutzen gegeben sind. Trotzdem
werden im Endeffekt mindestens zehn Milliarden Euro in
das Projekt gesteckt werden. Einen sicheren Nutzen gibt es
nur für die IT-Industrie. Und von den gigantischen Risiken
des Datenschutzes bei einer solchen Mega-Datensammlung
will ich hier gar nicht reden.
Nun werden die Befürworter sagen: Kein Patient wird
gezwungen, seine persönlichen Patientendaten im Netz
speichern zu lassen. Aber diese „Freiwilligkeit“ wird in den
aktuellen Plänen auch schon wieder aufgeweicht, es gibt
inzwischen sogenannte „Pflichtanwendungen“.
Zum Schluss: Schon vor Jahren haben wir in unserer Praxis die Patienten schriftlich um ein Meinungsbild gebeten.
Wir haben versichert, dass wir als Hausärzte selbstverständlich die technischen Maßnahmen des „Telematikprojektes“
umsetzen, wenn eine Mehrheit der Patienten das will. Daher
haben wir gefragt, wer als Patient denn möchte, dass seine
persönlichen Patientenberichte in Zukunft nicht mehr in den
Praxen, sondern in einem bundesweiten Netzwerk gespeichert werden sollen. Über 95% der Patienten haben sich klar
dagegen ausgesprochen. Ich empfehle den Krankenkassen,
diese Frage ihren Versicherten zu stellen. Denn es droht eine
Investitionsruine auf Kosten der Beitragszahler, gegen die
die Elbphilharmonie ein Problemchen ist.
Wilfried Deiß
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