Gewalt in der häuslichen Pflege Prof. Dr. E. Grond

Gewalt in der häuslichen Pflege
Prof. Dr. E. Grond
Aggressions-Gefühle: Abneigungs- bis Feindseligkeitsgefühle wie Neid, Eifersucht, Zorn, Hass
“
-Handeln: konstruktives: Aggression ist Energie, um sich zu schützen
destruktives: Auto- (Depression) o. Fremd-Aggression
* verdeckte Aggr.: Vernachlässigung,
* offene: Misshandlung
Aggressionstheorien
- biolog. * Instinkt zur Arterhaltung, Lebenstrieb * Serotonin↓Testosteron↑ * Stirnhirn klein bei Pick
- psych. * erlernt durch Erfolg, am Model * Frustrations-Aggr.?
- kuturell: friedliebende + brutale Gesellschaften (IS-Gotteskrieger)
Biografie: traumatisiert in Familie, einsam, für niemand mehr wichtig
Gewalt: - Indirekte:
* kulturell: Patriarchat
* Medien: Gewaltfilme/Killerspiele im Internet
- direkte/personale Gewalt übt aus, wer jemand gegen seinen Willen zwingt
Gewalt in häusl. Pflege aus Familien-Biografie zu verstehen
In Familien erleiden 4 Mill. F/Jahr + 1 Mill. Kinder Gewalt, ½ der Täter Angehörige, ¼ Nachbarn, ¼ Fremde
Warum können Männer gewalttätig werden?
- als Jäger zu Aggression vorprogrammiert, Testosteron
- M ahmt Vater nach, der ihn + seine Mutter schlug
- M rächen Kritik der F
Femizide: 9/10 der Tötungsdelikte durch alkoholisierte M aus Eifersucht
M könnten in SHG lernen, Gefühle auszusprechen, Aggr. umzulenken, Hilfe zu suchen
Warum erdulden manche Frauen Gewalt?
- zum Nachgeben erzogen, jede 4.-5. 80-90-j. F wurde vergewaltigt
- werten hilflos den M ab, fühlen sich oft moralisch überlegen
F könnten lernen, fair zu streiten, ohne abzuwerten, sich aus Abhängigkeit zu lösen
Familiäre Gewalt
„Ich will dich lehren, Schwächere nicht zu schlagen!“?
1) Pflegebedürftige als Täter, Angehörige als Opfer in 16%
Wie?
sie greifen verbal an: fluchen, schreien, beleidigen
körperl.: sie lehnen Waschen ab, koten absichtlich ein, bespucken, kneifen, beißen, schlagen
Warum werden Kranke Täter? Sie teilen ihre Not mit
- körp.: Schmerzen, Luftnot, Austrocknung, Übelkeit, Schlafstörung, zuviel Medikamente
- psych.: * Angst, beschämt zu werden; verzweifelter Versuch, selbst zu bestimmen
* Hilferuf bei Gefühlskrise, projizieren Versagen im Bestehlungswahn
* rächen Kränkung, Scham
* Demenzkranke verwechseln Partner + Kinder
- sozial: * in Kommunikation gestört?
* hilflos abhängig von Angehörigen
- spirit. Not: Sinnverlust, zu teure Last
- Umwelt: Lärm, Licht-Mangel, Kälte, Gerüche
Sie drohen
Pfleg. Angehörige fühlen sich gestört durch
Aggressivität
Stimmungswechsel
Tagesmüdigkeit
Rückzug
Unruhe
Misstrauen
Depression
Pfleg. Angehörige als
Opfer hilflos? Sie können sich schützen
Bei verbaler Aggr.: Zuwendung geben: berühren, massieren nur, wenn er nicht schreit,
beruhigen mit Lieblingsspeise, Tier, Musik; Lärm verhindern, beschäftigen, ablenken
Bei körp. Gewalt: - Notwehr ist nicht strafbar, wenn rechtswidriger Angriff
vorausgeht + Wiederholung droht; evtl. zwangseinweisen lassen?
- sich vor tätlichem Angriff schützen
* fliehen o. festhalten in Sicherheitsdistanz, um Hilfe schreien, Pupillen beachten, entwaffnen
* klare Grenzen setzen, mit anderen Angehörigen reflektieren
* de-eskalieren: Wut als Energie umlenken, laufen, helfen lassen, beschäftigen
* in ruhigen Raum führen, um Dampf abzulassen
* Beziehung klären, sich in seinen Zorn einfühlen, Kränkung verstehen, beruhigen
berühren, Bedürfnisse befriedigen, positives Verhalten loben
* vermeiden, den Täter anzuschreien, zu beleidigen
* Konfliktpartner trennen, für Sozialstation, Tagespflege sorgen
* Schmerzmittel, Axura o. Quetiapin verordnen lassen
Pfleg. (P) können sich schützen
Schnell nach vorn beugen
Arme verschränken
Finger nach außen reißen
am Handgelenk packen
um Hilfe schreien
Wer pflegt zu Hause? F in 73%,
M in 27%
Nachbar/Bekannter
Verwandter
Sohn
Mutter/Vater
für Behinderte
Partnerin
Tochter
Schneekloth, 2006
70% der Pflegebedürftigen von
Angehörigen gepflegt
Belastung
80% der Demenz-Pflegenden sind überfordert:
55% leiden unter Schlafstörung + Erschöpfung
20% unter Depression + Muskelschmerzen
Nur ¼ nimmt Hilfe von Sozialstationen an
Warum pflegen Angehörige?
Verwandtschaft der Kranken
Wie belastend schätzen Angehörige häusliche Pflege ein?
- als sehr stark belastend 15%  Rückenschmerzen
- als stark
“
46%, bei Schlaganfall-, Demenz-, aggressiven Pat.
- als mäßig
“
37%, wenn Angehörige kompetent + sozial unterstützt sind
- als wenig
“
2%,
“
“
sich gebraucht fühlen Sinn finden
Angehörige sollten Pflege nicht übernehmen, wenn Kranker mit Erbe erpresst
Grenzen häuslicher Pflege
1) der Partnerpflege - wenn Kranke/r schikaniert + Partner/in sich rächt
- wenn Kranke/r depressiv, dement, hilflos abhängig wird
- wenn sie bei Schuldgefühlen in formaler Ehe wegen Kindern zus.-bleiben
- wenn pfleg. Partner/in zusammenbricht + depressiv-aggr. wird
2) der Tochterpflege aus Familientradition
- bei misslungener Rollenumkehr o. Rache der bevormundeten Tochter
- bei fehlender filialer Reife
Pfleg. M + Schwiegertöchter sorgen eher als Töchter für Sozialstation o. Heim
Altenmisshandlung ist
eine n i c h t zufällige
bewusste
oder
unbewusste
gewaltsame
psych.
oder
körperl.
Schädigung, die in
Familien
oder
Heimen
eines alten Menschen
Wohl
oder
Rechte
beeinträchtigt, verletzt o. bedroht
2. Pfleg. Angehörige als Täter, 1/3
Täter: M 2/3, F 1/3, Sohn o. Tochter 22%
Opfer mehr F >80 in 36%, oft dement, depressiv, behindert, allein, arm
Wie? - Angeh. vernachlässigen (40%):
* verweigern Waschen * vergessen Trinken, Vorlagen
- infantilisieren zum Pflegeobjekt, beschimpfen (2/3), drohen mit Heim
- schränken Freiheit ein (40%), sperren ein, beuten finanziell aus (25%)
- misshandeln: ziehen an Ohren (20%); Verdacht bei Bluterguss
Warum üben Angeh. Gewalt aus? Überfordert
- körp. erschöpft, ständig zur Aufsicht verpflichtet, ½ nachts gestört pflegekrank
- psych.
* erhalten kaum Infos, unvorbereitet, Angst vor Zukunft
*„nie ist es genug“, enttäuscht über Undankbarkeit, kaum anerkannt
* ambivalent zw. Verpflichtung + Ekel wegen Inkontinenz + Demenz-Schande
- sozial fühlen sich schikaniert bei Beziehungskrisen, verlieren Kontakte
- finanziell belastet durch Pflegemittel, Umbau, Lohnausfall bei Berufsaufgabe
Verhalten pfleg. Angehöriger
in den letzten zwei Wochen
- wurde ich lauter
88%
- machte ich abfällige Bemerkungen
48%
- war ich voll Groll, was mein Kranker mir zumutet 48%
- könnte ich ihn vor Wut schütteln
46%
- fasste ich ihn beim Pflegen schon mal härter an
39%
- drohte ich ihm oder schüchterte ihn ein
28%
- schränkte ich ihn in der Bewegungsfreiheit ein
25%
nach Thoma, Schacke, Z. Gerontol, Geriat 37 (5)349, 2004
Tochter schreit Mutter an
Gewalt Angehöriger gegen Demenzkranke
in %
Ich werde lauter
nie selten manchm. oft
12
30
37
16
Mir rutschen abfällige
Bemerkungen heraus
51
30
15
2
Ich könnte ihn vor
Wut schütteln
53
20
19
6
Ich bin voll Groll, was
er mir zumutet
52
21
17
7
Ich drohe ihm oder
schüchtere ihn ein
71
19
7
2
BAGSO, 2005
Demenzkr. fühlen sich durch Abwerten tief gekränkt
nicht alte
Pflegebedürftige
† zu Hause
durch Sepsis bei Dekubitus
Angehörige zwingen zum Essen bei selbst bestimmtem Verzicht
„Noch in Löffelchen“ statt „möchtest Du..?“
Wozu noch essen?
„Du musst trinken“
Hilfen: Sozialstation, Tages-, Kurzzeitpflege + Hausärzte können
- abklären: * den Täter zu verstehen versuchen
* Opfer krank, verwirrt, vom Täter abhängig, Pflege-TÜV, Amtsarzt weist in Klinik ein
“
sucht Hilfe bei Polizei, Verwandten, Anwälten, Arzt; 1/3 will keine Hilfe aus Scham
“
akzeptiert Hilfe: urteilsfähig? Notfall-Telefon-Nr, Betreuer, Heim vermitteln
- für Krisenintervention,
Sicherheitsplan sorgen
- pfleg. Angehörige wohnortnah niederschwellig entlasten
* fachlich: Hausarzt, Pflegekurse
* körperl. mit Haushaltshilfen, Mahlzeiten-, Wäsche-, Fahrtendiensten, KG
* emotional: famil. Pflegeteam umarmt, massiert
* sozial: Bufdis, Nachbarn, Betreuer, Telefonketten. Besuchsdienste, SHG
* technisch: Hilfsmittel, Hausnotruf, Wohnungsanpassung
* rechtl. klären Testier-/Geschäfts-/Schuldfähigkeit, Betreuung, Pflege-V., Anspruch auf SAPV
Warum lehnen Angehörige Fremdhilfe ab? - schämen sich, um Hilfe zu bitten
- brauchen Selbstbestätigung, fürchten Rivalität Professioneller, Kosten + Tadel
Unterstüzungsnetze
- Internet-Beratungskonzept www.pflegen-und-leben.de.
- Beratungsstelle „Handeln-statt-Misshandeln“ in Bonn
- PURFAM Potentiale u. Risiken in der familiären Pflege, Projekt des BMFSFJ
3. Wer schweigt, macht sich mitschuldig
Unbeteiligte Mitwisser schweigen über Gewalt: “das geht mich nichts an“
aus Angst vor anderen Angehörigen
Häuslicher Gewalt vorbeugen
- Angehörige auf Pflege vorbereiten, Gewalt-Assessment lernen
-
“
brauchen mehr Anerkennung + Selbstsorge
-
“
motivieren, Hilfe anzunehmen von Sozialstation, Tagespflege, SHG, Bufdis
- Familiäre Ressourcen + Beziehungen nutzen, Alternativen suchen
- Selbstpflege des Kranken möglichst lange fördern
- Orientierungshilfen für Verwirrte: Tagesplan, Hinweisschilder, Licht
- Verhaltensstörungen einfühlend verstehen, vorbehaltlos akzeptieren
- SIS Sicherheits-Berater für Senioren, Aktion gegen Gewalt in famil. Pflege: AGP
Handeln statt misshandeln (Bonner Initiative gegen Gewalt)
Kommunikation
im famil. Stress
- übervernünftig rationalis.
- vom Thema ablenken
- beschwichtigen
- anklagen
nach V. Satir
Statt wertschätzend zu sprechen
Zärtlichkeit versöhnt + verhindert Aggression
Fehlerkultur statt Kritiksucht
Den loben, der Lösungen nicht einen Schuldigen sucht
Frieden beginnt
in dem, der sich mit seinen
Fehlern versöhnt, ohne sie anderen zuzuschreiben
Seid barmherzig wie Euer Vater (Lukas 6, 36)