diskussion - Deutsches Ärzteblatt

MEDIZIN
DISKUSSION
zu dem Beitrag
Diagnostik und Therapie der Optikusneuritis
von Prof. Dr. med. Wilhelm, Prof. Dr. med. Schabet in Heft 37/2015
Wichtig: Fragen nach dem Leitsymptom
Die Optikusneuritis ist ein Paradefall für die Abstimmung von
aufmerksamem Primärarzt und kritischem Ophthalmologen. Mit
großem Abstand der Praktizierenden zur Ausbildung ist von den
Symptomen der Optikusneuritis in den fachfremden Disziplinen
oft nur der Merkspruch „Der Patient sieht nichts und der Augenarzt sieht nichts“ verblieben. Diese Eselsbrücke überzeichnet
und verzerrt den markanten Symptomenkomplex aus Schmerzen
bei Blickbewegungen, Bedarf nach ungewohnter Beleuchtung
bei Feinarbeiten/beim Lesen, abgeblasster Farbwahrnehmung. In
der Ausbildung der Studierenden ist der Pupillenwechselbelichtungstest mit dem Verweis auf die Optikusneuritis verankert.
Bei mehr als 20 000 aufeinanderfolgenden Fällen meiner Praxis habe ich in der Primärversorgung keine akute Optikusneuritis
beobachtet. Dagegen habe ich in der fortsetzenden Versorgung einer eingeleiteten Therapie pro 30 000 Fälle (20 000 Patienten mit
Auftrag zur Diagnostik mit im Zeitverlauf zugemischten 10 000
Patienten mit Behandlungsauftrag) die Optikuseneuritis mit der
Fortsetzung der parenteralen Steroidtherapie behandelt. Dies gab
Gelegenheit, Fragen nach den Leitsymptomen zu stellen.
Ich finde im Fortbildungsbeitrag (1) diese klinischen Fragen
wieder. Die Fragen zur Lernerfolgskontrolle lassen sich schnell
beantworten. Die vollständige Lektüre erfordert mehr Zeit als der
Durchschnitt der cme-Fortbildung: Das Auge und seine Anhangsgebilde (2) gewähren einen Zugang zum Menschen und
zum naheliegenden Krankheitsbild. Die Reihenuntersuchung
von Kohorten ist für den Arzt ein willkommenes Training in vielen Disziplinen (3) und legt Fundamente für die Praxis.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0136a
LITERATUR
1. Wilhelm H, Schabet M: The diagnosis and treatment of optic neuritis.
Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 616–26.
2. Wedig M P: Malignes Melanom. Dtsch Derm 1990; 38: 442–52.
3. Wedig M: Weichteiltumoren der oberen Extremität. Wehrmed Mschr 1989; 33: 508–9.
Dr. med. Martin P. Wedig
[email protected]
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Zwei Tage vor Erscheinen dieses Artikels wurde am 9. September
2015 der Wirkstoff Idebenon von der EMA im Rahmen einer Orphan
Drug Designation für die Behandlung der Sehbehinderung bei Jugendlichen und Erwachsenen mit LHON in der EU zugelassen. Die Zulassung erfolgte auf der Basis der Daten aus der RHODOS-Phase-III-Studie (2). Die Therapie wurde oral über jeweils 24 Wochen durchgeführt.
Auch wenn in dieser Studie der primäre Endpunkt nicht erreicht wurde, so zeigten doch die sekundären Endpunkte beim Vergleich zu unbehandelten LHON-Patienen eine Verbesserung der Sehbehinderung.
Daher erscheint es umso sinnvoller, auf die LHON als seltene Differenzialdiagnose der Optikusneuritis zu achten. Eine zuverlässige Diagnose kann über den Nachweis der typischen mitochandrialen
DNA-Mutationen gestellt und dann gegebenenfalls eine Therapie mit
Idebenon in Erwägung gezogen werden.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0136b
LITERATUR
1. Wilhelm H, Schabet M: The diagnosis and treatment of optic neuritis.
Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 616–26.
2. Klopstock T, Yu-Wai-Man P, Dimitriadis K, et al.: A randomized placebo-controlled
trial of idebone in Leber´s hereditary optic neuropathy. Brain 2011; 134: 2677–86.
Dr. med. André Müller-York
Neuried
[email protected]
Interessenkonflikt
Dr. Müller-York ist angestellt bei der Firma Santnera, die Hersteller des Präperates Idebenon ist.
Schlusswort
Wir danken dem Kollegen Wedig für seine positiven Anmerkungen zu unserem Beitrag (1). Der Pupillenwechselbelichtungstest,
„Swinging-flashlight-Test“, ist wichtig und vermeidet krasse Fehldiagnosen. Die zum Glück seltene Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON) ist in der Tat eine bedeutende Differenzialdiagnose.
Nahezu immer wird die LHON mit einer Optikusneuritis verwechselt, solange nur ein Auge betroffen ist und es keine weiteren Fälle in
der Familie gibt. Die typischen peripapillären Veränderungen zu erkennen, erfordert eine gewisse Erfahrung. Erschwerend kommt hinzu, dass es in einigen Fällen der LHON ähnliche Entmarkungsherde
wie bei der Multiplen Sklerose gibt. Auch wir empfehlen die Behandlung mit Idebenon. Ein Problem der von Kollegen Müller-York zitierten Studie ist, dass die Rekrutierung noch 5 Jahre nach Krankheitsbeginn möglich war. Unter diesen Voraussetzungen erstaunt es, dass
überhaupt ein positives Ergebnis zustande kam. Ein praktisches Problem dürfte darin liegen, dass bis zur Gendiagnose einige Zeit verstreicht, denn es erscheint sinnvoll, möglichst früh zu behandeln. Zu
berücksichtigen sind die hohen Kosten der Behandlung.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0136c
Weitere neue Therapieoptionen
In dieser Übersichtsarbeit wird auch eine der möglichen seltenen Differenzialdiagnosen der Optikusneuritis, die „Lebersche hereditäre Optikusneuropathie“ (LHON) angesprochen (1). Diese führt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zu einer ausgeprägten und in den meisten Fällen irreversiblen Sehminderung. Bei der LHON handelt es sich
um eine seltene Erkrankung mit einer Prävalenz von 1–9/100 000. Eine wesentliche therapeutische Intervention für diese seltene mitochondriale Erkrankung stand bisher nicht zur Verfügung.
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LITERATUR
1. Wilhelm H, Schabet M: The diagnosis and treatment of optic neuritis. Dtsch Arztebl
Int 2015; 112: 616–26.
Prof. Dr. med. Helmut Wilhelm, Prof. Dr. med. Martin Schabet
Universitäts-Augenklinik, Tübingen
[email protected]
Interessenkonflikt Formblatt fehlt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016