in er senei - Revista Verlag

MEDIZIN
DISKUSSION
zu dem Beitrag
Ergebnisse einer betrieblichen
Gesundheitskampagne:
Wie viel kann man erreichen?
von Dr. med. Dr. Sportwiss. Dieter Leyk, Dr. med. Ulrich Rohde,
Nadine D. Hartmann, BSc Philipp A. Preuß, Dipl.-Sportl. Alexander Sievert,
Dr. phil. Alexander Witzki in Heft 18/2014
Zur Lebensstiländerung motivieren
Die Übertragung der doch sehr ernüchternden Ergebnisse einer singulären Gesundheitskampagne (1) an
einer Bundeswehrdienststelle auf andere Betriebe
können wir seitens der Abteilung Arbeitsmedizin
und Gesundheitsschutz der BASF nicht nachvollziehen. Nach unserer nun fast 150-jährigen Erfahrung
kommt es bei Gesundheitsförderung in erster Linie
darauf an, Mitarbeiter zu begeistern und zu motivieren, einen Einstieg ins Thema zu finden, und dann
nachhaltig deren Lebensstil zu ändern. Teilnahmeraten von weniger als 50 % und am Ende der Bundeswehr-Studie von etwas über 15 % sprechen aus
unserer Sicht dafür, dass mit dem von den Autoren
gewählten Ansatz die Zielgruppe nicht erreicht wurde. Jeder einigermaßen gebildete Mensch weiß, wie
eine gesunde Ernährung aussehen sollte, dass regelmäßiger Sport gesundheitsförderlich ist und dass
Rauchen zu schweren Erkrankungen führt. Die
Kunst erfolgreicher Gesundheitsförderung ist es
aber gerade, Ratio in Emotion zu übersetzen und den
Mitarbeiter durch Spaß, Wettbewerb oder Anreize
zu motivieren, sein Verhalten dann auch wirklich zu
ändern. Zahlreiche, allesamt von uns publizierte
(www.basf.com/arbeitsmedizin) aber in der vorliegenden Arbeit leider unerwähnte Ansätze im Setting
Arbeitsplatz zeigen, dass es auch anders, nämlich erfolgreich geht.
Selbst an sich als belastend eingeschätzte Arbeitsformen, wie Schichtarbeit, haben vermutlich durch
ein konsequentes und integriertes Gesundheitsmanagement bei der BASF Ludwigshafen keine negativen Gesundheitseffekte, so dass umgekehrt auf die
Wirksamkeit der bei uns angebotenen präventiven
Maßnahmen geschlossen werden könnte (2).
Entscheidend sind aber vielmehr auch die Langzeiteffekte erfolgreicher Gesundheitsförderung. So
konnten wir anhand einer Langzeitbeobachtung über
mehr als 10 Jahre mit einer Kohorte von mehr als
31 000 Probanden zeigen, dass sich eine signifikante
Reduktion der Mortalität bei Teilnehmern von Gesundheitsförderungsprogrammen erreichen lässt (3).
Unstreitig ist Mortalität in der Medizin das härteste
Kriterium. Beim Kriterium tot oder nicht tot gibt es
schließlich keinen Interpretationsspielraum.
DOI: 10.3238/arztebl.2014.0755a
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 44 | 31. Oktober 2014
LITERATUR
1. Leyk D, Rohde U, Hartmann ND, Preuß PA, Sievert A, Witzki A:
Results of a workplace health campaign—what can be achieved?
Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 320–7.
2. Oberlinner C, Lang S, Nasterlack M, Yong M: Schichtarbeit und
Gesundheit in einem Großunternehmen der chemischen Industrie.
Deutsche Medizinische Wochenschrift 2013; 10: 466–72.
3. Ott MG, Yong M, Zober A, et al.: Impact of an occupational
health promotion program on subsequent illness and mortality
experience. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83: 887–94.
Prof. Dr. med. Stefan Lang
Abteilung Arbeitsmedizin und
Gesundheitsschutz
BASF SE, Ludwigshafen
[email protected]
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Grundsätzliches Umdenken notwendig
Die Ergebnisse der sauber referierten Modellstudie
über eine breit angelegte betriebliche Fitness- und
Gesundheitskampagne im Jahr 2011 (1) untermauern
explizit die Erfahrungen auch aus anderen Bereichen
der Gesundheitsversorgung: Um möglichst viele Versicherte als adhärente Produzenten ihrer Gesundheit
tatsächlich zu erreichen, ist in erster Linie ein grundsätzliches Umdenken in unseren professionellen
Versorgungssystemen/bei uns Gesundheitsexperten
selbst notwendig. Wir sollten uns die Erfahrungen
und die erprobte Effizienzregel der Marketingspezialisten zunutze machen, die Menschen erfolgreich erreichen und langfristig binden.
Nicht ein buntes Füllhorn von – statistisch gesehen durchaus sinnvollen – gesundheitsförderlichen
Angeboten ist für Betriebe geeignet. Angebotsorientierte Prävention und Gesundheitsförderung sind
nicht nur teuer und aufwendig. Es lässt sich sogar ein
kontraproduktiver Effekt vermuten.
In der evidenzbasierten Praxis erweist sich die
professionelle Spiegelung des konkreten individuellen Bedarfs als ein messbar hoch effektiver und zudem nachhaltiger Ansatz zum Mitmachen, und zwar
des Bedarfs an nur ganz bestimmten Angeboten. Sie
sollen speziell zu den höchst persönlichen Gesundheitsressourcen des Mitarbeiters passen beziehungsweise darauf zugeschnittenen sein – so wünscht es
sich der an seiner Vitalität, Arbeits- und Leistungsfähigkeit oder seinem biofunktionalen Alterszustand
Interessierte. Es ist heute mit vertretbarem Aufwand
möglich, diese (be)handlungsrelevanten biopsychosozialen Stärken und Ressourcen für Gesundheit
und Altern auf personaler Ebene zu identifizieren
(www.bmg.bund.de/praevention/betriebliche-gesund
heitsfoerderung/best-practice-nordrhein-westfalen/
projekte-kombination-von-handlungsfeldern/karl-mayerbleibt-fit-vital-check.html).
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MEDIZIN
Die gespiegelten Ressourcen können dann unter
Alltagsbedingungen mit Hilfe der einschlägigen bewegungswissenschaftlichen beziehungsweise psychologischen Kompetenzen gezielt und überprüfbar mobilisiert werden (2). Damit erreichen wir gemeinsam
belastbare Interventionserfolge und/oder bewirken
Lebensstiländerung (Fraunhofer Innovationsforen „Demografie + Gesundheitsressourcen“: www.age-plushealth.eu/2010/index.html).
DOI: 10.3238/arztebl.2014.0755b
LITERATUR
1. Leyk D, Rohde U, Hartmann ND, Preuß PA, Sievert A, Witzki A:
Results of a workplace health campaign—what can be achieved?
Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 320–7.
2. Pöthig D, et al.: Präventionsdiagnostik. Gesundheitsförderung –
ein neues Betätigungsfeld für Ärzte? Dtsch Arztebl 2009; 106:
A1611–4.
PD Dr. med. habil. Dagmar Pöthig
Europäische Vereinigung für Vitalität und Aktives Altern eVAA e.V.
Im GerontoLabEurope, Leipzig
[email protected]
Interessenkonflikt
Die Autorin unterhält persönliche Beziehungen zu dem Unternehmen
age + fitness GmbH & Co. KG. Sie erhielt Honorare für Beratertätigkeit von
der Firma vital.services GmbH.
Schlusswort
Wir danken beiden Autoren für ihre Diskussionsbeiträge zu dem gesundheitspolitisch wichtigen Thema
der betrieblichen Gesundheitsförderung. Entgegen
der einleitenden Worte von Prof. Lang sehen wir keinen nennenswerten Unterschied in unseren Positionen. Für die Bundeswehr war und ist die Erhaltung
und Förderung der Gesundheit des zivilen und des
militärischen Personals von zentraler Bedeutung.
Dabei geht es keineswegs um die Durchführung singulärer Maßnahmen, sondern darum, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus nahezu allen Berufs-,
Bildungs- und Altersgruppen, unter fordernden physischen wie auch psychischen Einsatzbelastungen im
In-/Ausland gesund bleiben und eine ausreichende
Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit besitzen (1).
Mit der klassischen Gesundheitsvorsorge ist es
längst nicht getan: Während Vorsorgeuntersuchungen, Impfschutz et cetera recht einfach zu realisieren
sind, ist eine deutliche und nachhaltige Verbesserung
des Bewegungs- und Ernährungsverhaltens wesentlich schwieriger zu erreichen (1). Ohne eine moderne
ressourcenorientierte und interdisziplinäre Präventionsforschung und die praktische Umsetzung in den
Alltag lassen sich allenfalls einzelne, kurzfristige
Erfolge erzielen. Aus diesem Grund wird künftig
die wissenschaftliche Expertise im Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr in Koblenz gebündelt.
Im Vergleich zu anderen Gesundheitsinitiativen
beteiligten sich zu Beginn mit 48 % aller Mitarbeiter viele Personen an der Modellstudie (2). Gemessen an dem Kriterium „kurzfristiger Erfolg“ ist nicht
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nur diese Beteiligung, sondern auch die Bewertung
durch die Mitarbeiter als sehr positiv einzustufen
(2, 3). Das eigentliche Problem praktisch aller Kampagnen besteht vor allem darin,
● die Zielgruppen, die besonders von Gesundheitsförderung profitieren, zu erreichen
● möglichst viele Personen zu einem Umdenken
für eine gesunde und leistungsfördernde Lebensweise zu motivieren
● die Personen zu befähigen, diese Verhaltensänderungen langfristig zu etablieren (1).
Mit Blick auf diese Problematik freuen wir uns
über die in den Diskussionsbeiträgen enthaltenen
Hinweise zu möglichen Strategien, die zu nachhaltigen Verbesserungen des Bewegungs- und Ernährungsverhaltens führen (4).
Spaß am Sport ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen sportlich Aktiven und Inaktiven
(2, 5). Die Ausführungen von Prof. Lang zur Bedeutung der Motivation des Einzelnen unterstreichen
unsere eigenen Aussagen (2).
Frau PD Dr. Pöthig fordert zu Recht das Umdenken von Akteuren, die an der Umsetzung von
Präventionsmaßnahmen beteiligt sind, wie auch substanzielle Änderungen in den Versorgungssystemen.
Ein wichtiger Zugang, um den Einzelnen für nachhaltige Gesundheitsförderung zu gewinnen, ist sicherlich
die individualisierte bedarfsorientierte Angebotsgestaltung und das Vermitteln von Erfolgserlebnissen.
Wer tägliche Anforderungen im Beruf und im privaten Bereich besser bewältigen kann, wird eher bei
einem gesundheits- und leistungsfördernden Lebensstil
bleiben.
DOI: 10.3238/arztebl.2014.0756
LITERATUR
1. Leyk D, Franke E, Hofmann M, et al.: Gesundheits- und Fitnessförderung in der Bundeswehr: Von ressourcenorientierter Präventionsforschung zur Umsetzung in die Fläche: Wehrmed Mschr
2013; 57: 162–6.
2. Leyk D, Rohde U, Hartmann ND, Preuß PA, Sievert A, Witzki A:
Results of a workplace health campaign—what can be achieved?
Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 320–7.
3. Witzki A, Rohde U, Rüther T, et al.: Erkenntnisse aus der Gesundheits- und Fitness-Initiative an einer großen Dienststelle für die
künftige Präventionsarbeit in der Bundeswehr. Wehrmed Mschr
2013; 57: 171–6.
4. Leyk D: The preventive and therapeutic roles of regular physical
activity. Dtsch Arztebl Int 2009; 106: 713–4.
5. Leyk D, Witzki A, Sievert A, et al.: Importance of sports during
youth and exercise barriers in 20- to 29-year-old male
nonathletes differently motivated for regular physical activities.
J Strength Cond Res 2012; 26: 15–22.
Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Dieter Leyk
Zentrales Institut des Sanitätsdienstes
der Bundeswehr Koblenz
Laborabteilung IV
Wehrmedizinische Ergonomie und Leistungsphysiologie, Koblenz
Deutsche Sporthochschule Köln
Institut für Physiologie und Anatomie
[email protected]
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 44 | 31. Oktober 2014