MEDIZIN EDITORIAL Möglichkeiten und Grenzen der interventionellen Endoskopie Julia Mayerle, Andreas Greinacher Editorial zu den Beiträgen: „Endoskopische Behandlung iatrogener gastrointestinaler Perforationen“ von Arthur Schmidt und Koautoren sowie „Periinterventioneller Umgang mit Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern – Vorgehen bei viszeralmedizinischen endoskopischen Eingriffen“ von Christian M. Lange auf den folgenden Seiten Klinik für Innere Medizin A, Universitätsmedizin Greifswald, Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald: Prof. Dr. med. Mayerle Abteilung für Transfusionsmedizin, Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin, Universitätsmedizin Greifswald, Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald: Prof. Dr. med. Greinacher edes Jahr werden in Deutschland mehr als 4,5 Millionen endoskopische Untersuchungen durchgeführt. Bei jeder einzelnen dieser Untersuchungen besteht sowohl die Gefahr der Blutung als auch der Hohlorganperforation. J Vorgehen bei antikoagulierten Patienten Christian M. Lange und Kollegen geben eine Hilfestellung zur Abschätzung des Blutungsrisikos bei endoskopischen Interventionen (1). Im Ergebnis ist es bei Patienten, die sich einem Eingriff mit niedrigem Blutungsrisiko unterziehen, nicht notwendig, die Antikoagulationstherapie abzusetzen. Bei Patienten, bei denen ein Eingriff mit hohem Blutungsrisiko erfolgt, ist – bis auf wenige Ausnahmen – keine überbrückende Therapie (Bridging) mit Heparin erforderlich (2). Periinterventionelle Blutungen haben zur Folge, dass die Antikoagulationstherapie erst verzögert wieder aufgenommen wird. Gleichzeitig induziert die Komplikation eine typische Akute-Phase-Reaktion mit reaktivem Anstieg der Thrombozytenzahlen und Gerinnungsfaktoren. Aus diesem Grund ist das Risiko für thromboembolische Komplikationen bis zum Eingriff relativ gering, steigt jedoch etwa ab dem dritten Tag danach, insbesondere bei größeren Eingriffen oder nach periinterventionellen Blutungen (3). Wenn doch ein Bridging notwendig ist, sollte niedermolekulares Heparin in therapeutischer Dosierung 24 Stunden vor einem Eingriff abgesetzt werden (Einzelfallentscheidungen bei Hochrisikopatienten, zum Beispiel bei künstlicher Mitralklappe). Eine Therapie mit Fondaparinux vor einer endoskopischen Intervention ist aufgrund seiner langen Halbwertszeit (17 Stunden) kontraindiziert. Phenprocoumon wirkt in den ersten drei bis fünf Tagen nach (Wieder-)Beginn der Einnahme paradoxerweise prokoagulatorisch. Es hemmt auch die Carboxylierung der antikoagulatorischen Proteine C und S. Diese haben eine kürzere Halbwertszeit als die prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren. Dadurch entsteht passager ein iatrogener Protein-C-Mangel. Daher sollte zu (Wieder-)Beginn der PhenprocoumonBehandlung für fünf Tage grundsätzlich zusätzlich niedermolekulares Heparin in prophylaktischer Dosierung geben werden (4). Das periinterventionelle Management unter nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAKs) Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016 ist einfacher, wie von den Autoren ausgeführt. Es ist allerdings eine Herausforderung sicherzustellen, dass wirklich kein Antikoagulans eingenommen wurde. Im Zweifelsfall kann dies durch Bestimmung der Thrombinzeit (Dabigatran) oder Anti-Faktor-Xa-Aktivität (alle anderen NOAKs) vor einem Eingriff mit hohem Blutungsrisiko überprüft werden, während die Bestimmung von Quickwert und aktivierter partieller Thromboplastinzeit (aPTT) keine sinnvolle Aussage erlaubt. Auch bei Patienten unter Thrombozytenfunktionshemmern ergibt ein Bridging mit Heparinen wenig Sinn, da diese Wirkstoffe die Thrombozytenfunktion nicht ausreichend beeinflussen. Eine Ausnahme können Hochrisikopatienten bilden – wie etwa Patienten mit akutem Koronarsyndrom oder einer Stentimplantation vor weniger als 3 Monaten –, bei denen zumindest die zusätzliche Thrombinbildung eingeschränkt werden kann. Am Morgen des Eingriffs sollte weder ein Antikoagulans, noch ein Thrombozytenfunktionshemmer eingenommen werden. Alle Antikoagulanzien – mit Ausnahme von Phenprocoumon – zeigen ihr Wirkungsmaximum circa vier Stunden nach der Einnahme beziehungsweise Injektion, so dass ein Eingriff zwischen 10 und 14 Uhr zum Zeitpunkt des Wirkungsmaximums erfolgen würde. Bei Thrombozytenfunktionshemmern hält die Wirkung durch die irreversible Hemmung der Thrombozyten in der Regel mehrere Tage an, doch zirkuliert der aktive Wirkstoff nur wenige Stunden im Blut. Falls es zu Blutungskomplikationen kommt, kann durch die Transfusion von zwei Thrombozytenkonzentraten (schnell) eine ausreichende Hämostase erreicht werden (5). Leider ist dies bei Ticagrelor nicht der Fall (aktiver Wirkstoff > 60 Stunden vorhanden), weshalb Blutungen unter diesem P2Y12-Inhibitor schwieriger zu beherrschen sind. Therapie bei Hohlorganperforation Zu den Komplikationen endoskopischer Untersuchungen zählt neben der Blutung die Hohlorganperforation. Arthur Schmidt und Kollegen referieren über die Möglichkeiten der endoskopischen Therapie bei Hohlorganperforationen (6). Es liegen zu dieser Indikation und zu Behandlungsverfahren dafür keine randomisiert kontrollierte Studien vor. Die publizierten Fallserien stammen naturgemäß aus Zentren mit gro- 119 MEDIZIN ßer Expertise. Ob die geschilderten Komplikationsraten auf nicht spezialisierte Zentren übertragbar sind, bleibt abzuwarten. Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist der Zeitpunkt der Diagnose. Für alle operationsersetzenden Verfahren mit einem erhöhten Perforationsrisiko ist die Untersuchung unter CO2-Insufflation anzuraten. Die Autoren schlagen einen Management-Algorithmus zur Therapie iatrogener Perforationen vor (7). Die Rolle einer zusätzlichen perkutanen Drainage nach interventionellem Verschluss wird nicht thematisiert. Für Ösophagusperforationen ist nach endoskopischer Therapie die Anlage einer mediastinalen Zieldrainage in 55 % der Fälle zusätzlich zur antibiotischen Behandlung beschrieben worden, und sie sollte erwogen werden (8). Auch bei abdominaler Perforation kann eine perkutane Zieldrainage sinnvoll sein und sollte bei einem Flüssigkeitsverhalt ohne ausgeprägten Peritonismus zusätzlich in Betracht gezogen werden. Eine Stentmigration bei Ösophagusperforation tritt in über 20 % der Fälle auf (8). Wenn eine klinische Besserung ausbleibt, ist es ratsam die Lage des Stents zeitnah zu kontrollieren. Unklar bleibt in der Literatur, wann nach endoskopischer Therapie einer Hohlorganperforation eine Verlaufskontrolle mittels Computertomographie (CT) erfolgen sollte. Die endoskopische Therapie von Hohlorganperforationen stellt noch kein Standardverfahren dar. Wir empfehlen, vor Entlassung des Patienten eine CT zur Sicherung des Therapieerfolgs. Eine große technische Bereicherung der Therapie von iatrogenen Perforationen des Gastrointestinaltrakts ist der Verschluss mittels „over the scope“-Clips (OTSC). Da diese Clips je nach Lokalisation zu Motilitätsstörungen oder einer Lumenobstruktion führen können, soll auf die Möglichkeit der Clipentfernung hingewiesen werden (9). Ausblick Die beiden hier diskutierten Arbeiten sind von hoher Relevanz für die endoskopische Praxis. Eingriffe mit niedrigem Blutungsrisiko werden künftig auch bei Patienten unter fortlaufender Antikoagulation durchgeführt. Eine potenzielle Blutung ist nicht zuletzt durch neue Verfahren wie zum Beispiel drehbare Hämostase-Clips oder Hemospray (10) bei entsprechender Expertise gezielt beherrschbar. Bei Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko wird künftig bei den meisten Patienten (Ausnahme Hochrisikopatienten) kein Bridging mehr erfolgen, weil es das Blutungsrisiko erhöht. In einem interdisziplinären multimodalen Algorithmus ist der endoskopische Verschluss von Hohlorganperforationen ein realistisches Therapieziel. Eine Indikationsausweitung der interventionellen Endoskopie ist vorstellbar. 120 Interessenkonflikt Prof. Greinacher wurde honoriert für Beratertätigkeit von den Firmen Bayer, Boehringer, AstraZeneca und GSK. Er bekam Vortragshonorare von den Firmen Aspen, Boehringer, NovoNordisk, Bayer Healthcare, BMS und GSK. Studienunterstützung (Drittmittel) wurde ihm zuteil von den Firmen Bayer, Boehringer und Aspen. Prof. Mayerle erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht. LITERATUR 1. Lange CM, Fichtlscherer S, Miesbach W, Zeuzem S, Albert J: The periprocedural management of anticoagulation and platelet aggregation inhibitors in endoscopic interventions. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 129–35. 2. Douketis JD, Spyropoulos AC, Kaatz S, et al.: Perioperative bridging anticoagulation in patients with atrial fibrillation. NEJM 2015; 373: 823–33. 3. Douketis JD: Perioperative management of patients who are receiving warfarin therapy: an evidence-based and practical approach. Blood 2011; 117: 5044–9. 4. Greinacher A, Weber AA: Therapie mit Antikoagulantien, Thrombozytenfunktionshemmern und Thrombolytika. In: Lemmer B, th Brune K (eds.): Pharmakotherapie, Klinische Pharmakologie. 14 edition Springer Verlag 2010: 105–20. 5. Thiele T, Sumnig A, Hron G, et al.: Platelet transfusion for reversal of dual antiplatelet therapy in patients requiring urgent surgery: a pilot study. JTH 2012; 10: 968–71. 6. Schmidt A, Fuchs KH, Caca K, Küllmer A, Meining A: The endoscopic treatment of iatrogenic gastrointestinal perforation. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 121–8. 7. Paspatis GA, Dumonceau JM, Barthet M, et al.: Diagnosis and management of iatrogenic endoscopic perforations: European Society of Gastrointestinal Endoscopy (ESGE) Position Statement. Endoscopy 2014; 46: 693–711. 8. Dasari BV, Neely D, Kennedy A, et al.: The role of esophageal stents in the management of esophageal anastomotic leaks and benign esophageal perforations. Ann Surg 2014; 259: 852–60. 9. Schostek S, Ho CN, Melbert M, et al.: DC current pulses for OTSC clip fragmentation: technology and experimental study. Surg Endosc 2015; 29: 2418–22. 10. Yau AH, Ou G, Galorport C, et al.: Safety and efficacy of hemospray in upper gastrointestinal bleeding. Can J Gastroenterol Hepatol 2014; 28: 72–6. Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Andreas Greinacher Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin Universitätsmedizin Greifswald Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Ferdinand-Sauerbruchstraße 1 17475 Greifswald [email protected] Zitierweise Mayerle J, Greinacher A: Interventional endoscopy— opportunities and limitations. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 119–20. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0119 @ The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
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