diskussion - Deutsches Ärzteblatt

MEDIZIN
DISKUSSION
zu dem Beitrag
Hysterektomie bei benignen Erkrankungen
der Gebärmutter
von Prof. Dr. med. Klaus J. Neis, PD Dr. med. Wolfgang Zubke,
PD Dr. med. Mathias Fehr, Prof. Dr. med. Thomas Römer,
Prof. Dr. med. Karl Tamussino, Dr. med. Monika Nothacker in Heft 14/2016
Leider ohne Patientenbeteiligung
Die vorgestellte S3-Leitlinie wurde bedauerlicherweise
ohne Beteiligung von Patientinnen verfasst (1). Dies erklärt möglicherweise, warum die Indikation zur Gebärmutterentfernung selbst – unabhängig von der Methode
– in der Leitlinie weder explizit problematisiert noch
als Qualitätsziel formuliert wird. Das ist unverständlich
angesichts der Tatsache, dass
● Gebärmutterentfernungen in Deutschland häufiger durchgeführt werden als in anderen Ländern –
nahezu jeder 6. Frau im Alter von 18 bis 79 Jahren
wird der Uterus entfernt, die höchsten Fallzahlen
finden sich bei den 45- bis 50-Jährigen (2).
● konstant erhebliche soziale (3) sowie regionale
Versorgungsvarianzen auf Bundesland- und Kreisebene (4) bekannt sind.
Regionale und soziale Versorgungsvarianzen lassen
grundsätzlich Qualitätsmängel in der Indikationsstellung vermuten. Rund die Hälfte der Hysterektomien in
Deutschland wird wegen Uterusmyomen durchgeführt,
obwohl bekannt ist, dass die hierdurch verursachten
Beschwerden im Verlauf der Menopause zumeist auch
ohne Operation nachlassen.
Ein Organverlust ist für die betroffene Frau oft von
einschneidender Bedeutung, deshalb sollte eine Gebärmutterentfernung stets gut begründet und nur nach
sorgsamer gemeinsamer Abwägung mit der Patientin
erfolgen. „Shared decision Making“ (SDM; partizipative Entscheidungsfindung) war das Motto der diesjährigen EbM-Jahrestagung in Köln und ist insbesondere
bei elektiven, präferenzsensiblen Eingriffen wie der
Entfernung der Gebärmutter bei gutartigen Erkrankungen von zentraler Bedeutung. Dennoch wird SDM in
der aktuellen Leitlinie nicht als zwingende Empfehlung
für den Versorgungsalltag formuliert, stattdessen soll
nur „im Idealfall“ die Frau selbst entscheiden, welche
Therapiemöglichkeit am besten zu ihr und ihrer Lebenssituation passt.Angesichts dieser Leerstellen in der
Leitlinie bleibt zu hoffen, dass gesundheitspolitisch die
Chance genutzt wird, Frauen im Vorfeld von elektiven
Gebärmutterentfernungen als Regelleistung das geplante Zweitmeinungsverfahren anzubieten.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0688a
LITERATUR
1. Neis KJ, Zubke W, Fehr M, Römer T, Tamussino K, Nothacker M:
Clinical practice guideline: Hysterectomy for benign uterine disease.
Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 242–9.
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2. Statistisches Bundesamt: DRG-Statistik – 2013, GBE des Bundes
01/2014, OECD 2014. www.destatis.de/DE/Publikationen/Thema
tisch/Gesundheit/Krankenhaeuser/FallpauschalenKranken
haus2120640137004.pdf?__blob=publicationFile (last accessed on
17 August 2016).
3. Prütz F, von der Lippe E: Hysterektomie. In: Robert Koch-Institut Berlin (ed.): GBE kompakt 5(1). http://edoc.rki.de/series/gbe-kompakt/5–1/PDF/1.pdf (last accessed on 23 August 2016).
4. Bertelsmann Stiftung 2015 (ed.): Faktencheck Gesundheit – Regionale Unterschiede in der Gesundheitsversorgung im Zeitvergleich.
www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/
GrauePublikationen/Studie_VV__FCG_Regionale_Unterschiede__
2015.pdf (last accessed on 23 August 2016).
Cordula Mühr, Ärztin M. Sc. PH
Berlin
[email protected]
Interessenkonflikt
Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht..
Verwirrende Angaben
Neis et al. zitieren Ergebnisse einer randomisierten
Studie zum Einfluss der laparoskopischen und laparotomischen Myomentfernung auf den Schmerzmittelkonsum nach 72 Stunden (1): „benötigten nach 72
Stunden 85 % der Patientinnen (17/20) kein Schmerzmittel nach laparoskopischer versus 15 % (3/20) nach
abdominaler Myomentfernung (relative Risikoreduktion [RR]: 5,7; 95-%-Konfidenzintervall [KI]: [2,0;
16,4])“ (1). Diese Angaben sind aus drei Gründen
verwirrend.
Erstens werden Lethaby und Vollenhoven (2) inkorrekt
zitiert, da diese ein relatives Risiko (RR) (nicht eine relative Risikoreduktion) berichteten. Das relative Risiko
(RR) von 5,7 ergibt sich, in dem man 85 % (keine
Schmerzmitteleinnahme, Laparotomiegruppe) durch
15 % (keine Schmerzmitteleinnahme, Laparoskopiegruppe) dividiert. Ein RR von 5,7 spiegelt keine Risikoreduktion, sondern eine Risikoerhöhung wider, hier
das „Risiko“ (besser: Wahrscheinlichkeit), keine
Schmerzmittel einzunehmen. In einfachen Worten: Die
Wahrscheinlichkeit, keine Schmerzmittel mehr zu
benötigen, beträgt in der Laparoskopiegruppe das
5,7-fache im Vergleich zur Laparotomiegruppe.
Zweitens erschwert die Wahl eines verneinenden Ergebnisses „keine Einnahme“ anstatt des Ergebnisses
„Einnahme“ die Risikokommunikation.
Drittens hängt der postoperative Schmerzmittelbedarf entscheidend von der Zeit seit Operation ab. Mais
et al. berichteten Schmerzmitteleinnahmen am Tag 2
nach der Operation (erfasst zwischen 7:00 und 11:00
Uhr), wobei sie den Tag der Operation mit Tag 0 bezeichneten. Somit beziehen sich die Prozentangaben
von Mais et al. nicht auf „72 Stunden“ nach Operation,
sondern auf 37–52 Stunden nach Operation (also eher
im Durchschnitt 48 Stunden), wenn man unterstellt,
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016
MEDIZIN
dass am Tag 0 zwischen 7:00 und 18:00 operiert wurde
(die Operations-Zeitangabe am Tag 0 wurde von Mais
et al. nicht berichtet).
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0688b
LITERATUR
1. Neis KJ, Zubke W, Fehr M, Römer T, Tamussino K, Nothacker M:
Clinical practice guideline: Hysterectomy for benign uterine disease.
Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 242–9.
2. Lethaby A, Vollenhoven B: Fibroids (uterine myomatosis, leiomyomas). BMJ Clin Evid 2011; pii: 0814.
3. Mais V, Ajossa S, Guerriero S, Mascia M, Solla E, Melis GB: Laparoscopic versus abdominal myomectomy: a prospective randomized trial
to evaluate benefits in early outcome. Am J Obstet Gynecol 1996;
174: 654–8
Prof. Dr. med. Andreas Stang, MPH
Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Universitätsklinikum Essen
[email protected]
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
LITERATUR
1. Neis KJ, Zubke W, Fehr M, Römer T, Tamussino K, Nothacker M:
Clinical practice guideline: Hysterectomy for benign uterine disease.
Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 242–9.
2. Brucker SY, Hahn M, Kraemer D, Taran FA, Isaacson KB, Krämer B:
Laparoscopic radiofrequency volumetric thermal ablation of fibroids
versus laparoscopic myomectomy. Int J Gynecol Obstet 2014; 125:
261–5.
3. Kanaoka Y, Yoshida C, Tsukioka M, Noriyuki M, Ishiko O: Ratio of directly necrotized volume to total volume of a submucosal myoma
predicts shrinkage after microwave endometrial ablation. J Obstet
Gynecol Res 2009; 35: 717–24.
4. Iliodromiti S, Murage A: Multiple bowel perforations requiring extensive bowel resection and hysterectomy after microwave endometrial
ablation. J Minim Invasive Gynecol 2011; 18: 118–20.
PD Dr. med. Robert M. Eisele
Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie
Universitätsklinik des Saarlandes
Homburg
[email protected]
Interessenkonflikt
PD Eisele erhielt Gelder für ein von ihm initiiertes Forschungsvorhaben von
den Firmen Medwaves und BIOMED Technologies. Für die Durchführung von
klinischen Studien bekam er Gelder von der Firma AngioDynamics.
Myomablation – eine Alternative
Mit Interesse habe ich den Artikel von Neis et al. (1)
gelesen. Der aufmerksame Leser wird ein Therapieverfahren vermissen, welches national und international
vermehrt als uteruserhaltendes operatives Verfahren
zur Anwendung gelangt. Sicherlich liegen mit der Myomablation noch keine hinreichenden Erfahrungen vor,
um einen seriösen Vergleich zu den standardisierten
Eingriffen der Hysterektomie und Myomembolisation
ziehen zu können, aber erste Einzelzentrumsberichte
und randomisierte Studien auch aus Deutschland liegen
bereits vor (2). Dieses Therapieverfahren gehört mit
derselben Berechtigung, mit der der Studienlage zur
Akupunktur ein eigener Absatz gewidmet wird, erwähnt.
Bei der Myomablation wird ultraschallgesteuert eine
Nadel in das Myom eingebracht und entweder mit Radiofrequenz (2) oder Mikrowellen (3) eine thermische
Nekrose herbeigeführt, die hinterher abgebaut wird.
Aufgrund der im Vergleich zur Radiofrequenz- ausgeprägteren Gewebeschrumpfung nach Mikrowellenablation eignet sich letztgenannte womöglich besser zur
Myomablation, da der Größenreduktion zur Symptomkontrolle eine vergleichsweise größere Bedeutung beigemessen (3) und im Unterschied zur Ablation maligner Prozesse die restlose Beseitigung der gesamten
Gewebsveränderung nicht als essenziell für den Therapieerfolg angesehen wird.
Transzervikale und laparoskopische Zugangswege
kommen in Betracht; nach transzervikaler Punktion
sind thermische Alterationen anderer intraabdomineller
Organe nicht ausgeschlossen (4). Zur Punktionsführung und -kontrolle stehen gleichfalls transvaginaler
und laparoskopischer Ultraschall zur Verfügung. Dieses Verfahren wird aller Voraussicht nach in naher Zukunft weitere Verbreitung erlangen und darf daher in einer Aufstellung wie der vorliegenden (1) aus meiner
Sicht nicht fehlen.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0689a
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 41 | 14. Oktober 2016
Antihormonelle Therapie
Bei etwa 10 % aller Hysterektomien ist die Indikation
eine Krebserkrankung. Bei den übrigen circa 90 % handelt es sich um benigne Erkrankungen, davon liegen in
80 % aller Fälle Myome vor, die Beschwerden verursachen. Relativ häufig werden die Frauen in der Zeitspanne vor der Menopause operiert.
Mit Erlöschen der Ovarialfunktion wird das Volumen der Myome deutlich kleiner und somit reduzieren
sich auch die Beschwerden. Diese Hormonabhängigkeit führte zu antihormoneller Therapie: ProgesteronRezeptoren werden mit Ulipristolazetat (UPA) blockiert. Diese orale Medikation stoppt innerhalb einer
Woche vaginale Blutungen infolge von Myomen und
bewirkt deren Volumenverkleinerung bis um die Hälfte
innerhalb weniger Monate. Das hält bis zu einem halben Jahr an. Wiederholungsbehandlungen sind in der
Europäischen Union zugelassen (1).
So können einige Jahre bis zur erwarteten Menopause überbrückt werden, also die „Spontanheilung“ via
physiologischem Hormonentzug.
Dieser neue Therapieaspekt kommt in den klinischen Leitlinien zu kurz (2). Stattdessen werden vaginale Hysterektomien samt organerhaltender Methoden
favorisiert, mit dem Risiko gestörter Ovarialfunktion
mehrere Jahre vor der Menopause. Das ist gleichbedeutend mit verkürzter fertiler Phase und schadet dem Gefäßsystem (Herzinfarkt bei nichtrauchenden gesunden
Frauen erst postmenopausal).
Iatrogen die Dauer der Ovarialfunktion verkürzen
schadet den Gehirngefäßen. In einer großen Mayoklinik-Studie zeigten sich bei Frauen mit HysterektomieAnamnese (mit Adnexentfernung einseitig/beidseitig)
deutlich häufiger kognitive Beeinträchtigungen und
Demenz: 190 von 1 489 versus 113 von 1 472 (Hazard
Ratio [HR]1,46; p < 0,0001) (3).
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