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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Interview der Woche – Manuskript
Autor:
Gesprächspartner:
Redaktion:
Sendung:
Mathias Zahn
Reiner Hoffmann, DGB-Chef
Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin
Samstag,30.4.2016, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR
SWR Interview der Woche vom 30.4.2016
SWR: Herr Hoffmann, 1. Mai, Tag der Arbeit an diesem Sonntag. „Zeit für sichere Renten“, das ist eine
Überschrift unter die Sie diesen 1. Mai stellen. Die Sozialverbände warnen schon seit langem vor
millionenfacher Altersarmut in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Wie brüchig, wie baufällig, ist
das Rentensystem?
R.H.: Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, dann droht uns in wenigen Jahren für viel zu viele Menschen
Altersarmut. Und wenn man dieser Altersarmut wirksam entgegentreten will, dann müssen wir jetzt
einen Kurswechsel in der Rentenpolitik vornehmen, dafür ist es höchste Zeit.
SWR: Was genau muss passieren?
R.H.: Als erstes brauchen wir eine Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus, damit das
Rentenniveau nicht weiter im Sinkflug bei einem Niveau landet, wo die Menschen am Ende auf
Sozialhilfe angewiesen sind, obwohl sie 35/40 Jahre und mehr gearbeitet haben. Das ist auch eine
Frage der Gerechtigkeit. Die Renten sind ein ganz zentrales Thema für die Perspektiven der Menschen.
Das gilt für junge Menschen. Das gilt auch für die, die jetzt in den nächsten Jahren in den Ruhestand
treten werden. Da brauchen wir eine Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus.
SWR: Aber die Politik senkt das Niveau ja nicht aus „Jux und Dollerei“ ab, sondern wegen den
demografischen Wandels. Es wird in Zukunft viel mehr Rentner geben und viel weniger Beitragszahler.
Das ist eine Realität, an der Sie auch als Gewerkschaft nicht vorbei kommen?!
R.H.: Da gibt es mehrere Stellschrauben. Das erste, glaube ich, dass wir in den Blick nehmen müssen,
ist, dass wir die Erwerbsbiografien der Menschen stabilisieren. Wir haben viel zu viele Menschen, die in
atypischen Beschäftigungsverhältnissen stehen. Wir haben viel zu viele Menschen, die nach wie vor in
Langzeitarbeitslosigkeit verhaftet sind. Und wenn es denn gelingt, dass Menschen länger gesund
durchs Erwerbsleben gehen können, dann wäre schon ein wichtiger Schritt getan, um zukünftig die
Renten auf dem jetzigen Niveau zu stabilisieren.
SWR: Aber das würde auch sehr teuer werden. Wie soll man das denn bezahlen? Sollen die
Rentenbeiträge steigen – dann würde sich die Arbeit verteuern? Oder müssen zusätzliche Milliarden ins
Rentensystem rein geschossen werden?
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R.H.: Da rate ich doch, dass wir uns das genauer anschauen. Die erste, wie ich finde, zügige Lösung,
die in Angriff genommen werden kann ist, dass beispielsweise die Mütterrente nicht länger aus
Beiträgen finanziert wird, sondern aus Steuern. Das macht immerhin sieben Milliarden Euro aus. Das
wäre schon, glaube ich, ein ganz gewaltiger Brocken, den man in Angriff nehmen kann. Und das
möglichst sofort.
SWR: Die Deutschen werden, statistisch gesehen, immer älter. Finanzminister Schäuble bringt jetzt ins
Gespräch, dass man deshalb auch länger arbeiten soll. Und die Junge Union fordert ganz offen die
Rente mit 70. Sie schmunzeln schon. Warum trauen Sie sich denn nicht solche ganz klaren Wahrheiten
auszusprechen, denn die Deutschen werden künftig länger arbeiten müssen, weil das System ja sonst
ganz einfach nicht zu finanzieren ist.
R.H.: Dass die Menschen älter werden, ist ja erst mal rund um eine absolut erfreuliche Tendenz. Den
Trugschluss daraus zu ziehen, dass man dann auch zwangsläufig das Renteneintrittsalter erheben
muss, teilen die deutschen Gewerkschaften überhaupt gar nicht. Es wäre extrem viel gewonnen, wenn
wir einen Beitrag dazu leisten würden, und da sind insbesondere die Arbeitgeber gefordert, dass die
Arbeitsbedingungen heute so gestaltet werden, dass Menschen denn auch wirklich bis zum
Renteneintrittsalter erwerbstätig bleiben können. Das ist für 40 bis 50 Prozent der Beschäftigten über
60 Jahre nicht der Fall. Also, heute zu fordern, die Menschen sollen länger arbeiten, wo wir jetzt schon
diese Situation haben, dass es viele, viele Menschen gibt, die das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht
erreichen, ist schlicht und ergreifend Unfug.
SWR: Jetzt gibt’s ja in der Politik schon Streit, ob die Rente zum Wahlkampfthema taugt. Nächstes Jahr
im September sind Bundestagswahlen. Was meinen Sie, und was sind auch Ihre Erwartungen? Also,
wie schnell, wie dringend ist es, dass die Bundesregierung jetzt das Thema „Rente“ angeht und
reformiert?
R.H.: Das es ein Wahlkampfthema wird ist, glaube ich, überhaupt nicht auszuschließen. Die Große
Koalition wird die eine oder andere Korrektur noch vornehmen können. Aber einen wirklichen
Neuansatz, einen Kurswechsel, erwarte ich von dieser jetzigen Koalition überhaupt nicht. Deshalb wird
es zwangsläufig so sein, dass der DGB und seine acht Gewerkschaften Anforderungen formulieren
werden, an die Parteien für den Bundestagswahlkampf, um sich dann auch rentenpolitisch so
aufzustellen, dass das, was wir an Zielvorstellungen haben, sich auch in einer zukünftigen
Koalitionsregierung wieder findet.
SWR: Das SWR Interview der Woche mit DGB-Chef Reiner Hoffmann. Die zentrale DGB-Kundgebung
zum 1. Mai ist dieses Jahr in Stuttgart. Und genau dort, in Stuttgart, trifft sich auch die AfD zu ihrem
Bundesparteitag, an diesem Wochenende. Die anderen Parteien kritisieren die AfD ja zum Teil heftig.
Diese Partei sei in Teilen rechtsextrem, heißt es - zum Beispiel von SPD-Politikern. Ist die AfD eine
gefährliche Partei?
R.H.: Sie ist eine Partei, die mit den gewerkschaftlichen Wertvorstellungen, mit den gewerkschaftlichen
Politikansätzen überhaupt nichts zu tun hat. Und sie generiert sich geradezu als Partei der kleinen
Leute. Das muss entkleidet werden. Es ist nach unserer Auffassung, in der Tat, eine rechtspopulistische
Partei, die auf dem Rücken verunsicherter Menschen dumpfe Parolen als Politikansätze versucht zu
vermitteln. Sie ist extrem europafeindlich. Was die AfD vor hat ist, eine Rolle rückwärts in die nationale
Kleinstaaterei, oder wenn ich mir die sozialpolitischen Vorstellungen der AfD anschaue, da wird das
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Grundsatzprogramm was in Stuttgart zur Diskussion gestellt wird, ja nahezu täglich geändert, weil man
mitbekommt, dass dort völlig unausgegorene Politikkonzepte propagiert werden. Mal will man den
Mindestlohn abschaffen, dann will man ihn wieder behalten, dann will man die Arbeitslosenversicherung
privatisieren. Das ist schlicht und ergreifend Unfug. Wir sind gefordert, uns offensiv mit den Ansätzen
der AfD auseinanderzusetzen. Das werden wir auch tun. Da sind wir auch ganz selbstbewusst, weil die
politischen Antworten, die die AfD zur Zeit im Angebot hat, sind alles andere als Angebote für die
kleinen Leute, sondern sie wollen, beispielsweise in der Steuerpolitik, Wege gehen, die würden den
Kommunen die Handlungsmöglichkeit völlig rauben. Beispielsweise durch die Abschaffung der
Gewerbesteuer. Wir brauchen aber einen handlungsfähigen Staat, wo gerade die Kommunen mit dem
riesigen Investitionsstau, mit dem sie konfrontiert sind, geradezu zwingend auf Gewerbesteuer
angewiesen sind. Wer dieses abschaffen will hat, glaube ich, von der Realität keine Ahnung.
SWR: Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, bei den Landtagswahlen jetzt im März, hat die AfD viele
Arbeiter für sich gewinnen können. Also eigentlich das Stammklientel der Gewerkschaften. Irgendwas
muss diese Partei doch richtig machen. Oder machen Sie etwas falsch?
R.H.: Das würde ich zum Einen nicht dramatisieren. Es ist absolut richtig, dass auch Arbeitnehmer und
auch Gewerkschaftsmitglieder die AfD gewählt haben. Da müssen wir uns auch mit der eigenen
Mitgliedschaft kritisch auseinandersetzen. Da ist schon eine offensive Aufklärung und ein klarer
politischer Diskurs notwendig. Dass man daraus den Schluss ziehen würde, dass eine Mehrheit der
Arbeitnehmer, oder eine Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder, der AfD hinterherlaufen wird, ist völlig
falsch. Sondern wir erleben gerade dass ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen hunderte, tausende
von Betriebsräten und Personalräten sich da wirklich ganz engagiert auseinandersetzen. Und von daher
nehmen wir die Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt durchaus
ernst. Aber es ist, glaube ich, kein Anlass nun verunsichert, oder gerade solchen dumpfen
populistischen Antworten hinterherzulaufen. Das Gegenteil ist der Fall. Und damit werden wir uns
auseinandersetzen in aller Härte, wenn es notwendig ist.
SWR: Thema „Leiharbeit und Werkverträge“. Das wurde lange blockiert von der CSU, die vergangenen
Wochen. Was sind da jetzt ihre Erwartungen an Andrea Nahles?
R.H.: Also, Andrea Nahles hat ja zunächst erst mal einen guten Job gemacht. Es war überhaupt nicht
einfach den jetzigen Entwurf, der seit Wochen im Bundeskanzleramt auf Eis liegt, aufgrund, Sie haben
es angedeutet, des Widerstandes der CSU, aber auch von Teilen des Wirtschaftsflügels der CDU, dass
dieser Gesetzesentwurf jetzt ohne Änderungen auf den Weg gebracht wird. Dass die
Ressortabstimmungen zwischen den Ministerien erfolgt und das die parlamentarischen Beratungen
dann umgehend erfolgen. Und nach unserer Auffassung es überhaupt gar keinen Spielraum gibt, an
diesem Gesetzentwurf noch weitere Eingriffe vorzunehmen, die am Ende die Zielsetzung, um die es bei
dem Gesetz geht, nämlich den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu verhindern, dass
dieses Gesetz zu mindestens das Papier wert sein muss, auf dem es geschrieben ist. Das war
schwierig. Da haben wir auch mit den Arbeitgebern hart gerungen. Das ist schon auch ein Kompromiss.
Mehr war auch am Ende im Koalitionsvertrag nicht durchzusetzen. Aber das, glaube ich, muss jetzt
zügig verabschiedet werden, ansonsten haben wir ein weiteres Wahlkampfthema.