SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Interview der Woche – Manuskript Autor: Gesprächspartner: Redaktion: Sendung: Mathias Zahn Sahra Wagenknecht, MdB, Fraktionsvorsitzende DIE LINKE. Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin Samstag,11.06.2016, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR SWR Interview der Woche vom 11.06.2016 SWR: Frau Wagenknecht, Bundespräsident Gauck steht nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung – das war eine der Top-Nachrichten dieser Woche. Will die LINKE jetzt Regierungsfähigkeit beweisen und einen rot-rot-grünen Bundespräsidenten, Bundespräsidentin durchsetzen, nächstes Jahr im Frühjahr? S.W.: Nein, darum geht es bei dieser Frage nun wirklich gar nicht. Weder um „Regierungsfähigkeit“, noch um parteitaktische Spielchen – ich finde, das wäre dem Amt auch nicht angemessen –, sondern die entscheidende Frage ist doch, was wollen wir für einen Bundespräsidenten? Und da hat die LINKE ihre Position deutlich gesagt: dass wir finden, dass es gut und wichtig wäre, wenn in diesem Amt für die nächsten fünf Jahre jemand wäre, der tatsächlich diesen zunehmenden sozialen Zerfall der Gesellschaft thematisiert und dagegen auch wirklich aufsteht und seine Stimme erhebt. Also wir haben seit Jahren eine Zerstörung des Sozialstaats, wir haben eine schrumpfende Mittelschicht, wir haben eine wachsende Ungleichheit und dieses zentrale Thema hat leider bei Herrn Gauck eigentlich nie eine wirklich prominente Rolle gespielt, und deswegen würde ich mir sehr wünschen – und denke, das würde auch diesem Land sehr gut tun –, wenn es eine profiliert auch sozial ausgerichtete Persönlichkeit wäre, die in dieses Amt gewählt wird und natürlich wäre praktisch das möglich, wenn SPD, GRÜNE und wir unsere Stimmen dort bündeln, auch eine solche Persönlichkeit durchzusetzen. SWR: Aber dann könnten Sie ja auch jemanden vorschlagen. Sie hätten ja mit Gregor Gysi einen respektablen Kandidaten. S.W.: Na, es geht ja nicht darum, dass wir einfach jemanden vorschlagen, sondern es soll ja eine aussichtsreiche Kandidatur sein, und ich sage mal: die Gepflogenheit ist natürlich schon so, dass die größere Partei dann – also in dem Falle die SPD – auch das Vorschlagsrecht hätte oder den Vorschlag auch machen müsste. Was wir natürlich uns wünschen ist, dass es vorher natürlich Konsultationen gibt und dass es Gespräche gibt und dass man sich eben einigt und verständigt auf eine Kandidatur. Aber das kann ganz sicher nicht dadurch funktionieren, dass einzelne Parteien jetzt Namen öffentlich setzen und damit auch Namen verbrennen. Ich finde, das sollte man auch niemandem antun. SWR: Aber was Sie da von der SPD verlangen, ist ja auch so eine Art vergiftetes Angebot. Dieser Bundespräsident/-präsidentin, der soll quasi sich von der AGENDA 2010 bis zu den Auslandseinsätzen von allem distanzieren, was die Sozialdemokraten seit ´98 an Politik verfolgt haben. Wollen Sie da die SPD nicht nur demütigen, mit so ´nem Angebot? S.W.: Na, ich finde, die SPD muss sich einfach entscheiden, welche Politik sie in Zukunft machen will. Also wenn sie weiter den Kurs AGENDA 2010 – schlechte Renten, schlechte Löhne – fahren will, wenn sie weiter auch Waffenexporte und Bundeswehrsoldaten im Ausland haben will, dann kann sie das tun, sie wird nur vom Wähler dafür eben von einer Wahl zur nächsten immer neue Quittungen bekommen, Interview der Woche : 2 das erlebt sie ja. So, und dann höre ich, dass Herr Gabriel jetzt, zumindest auf Parteikonventen, ja doch andere Akzente setzt und dann muss ich sagen, wenn das glaubwürdig sein soll, also wenn man ihm das abnehmen soll, dann muss er das untersetzen – also es reicht doch nicht, dass jetzt plötzlich gesagt wird, die Mitte ist irgendwie doch „links“ und es soll stärker um soziale Fragen gehen – das hat ja Herr Gabriel alles jetzt gesagt, aber ich finde, es wäre genau – auch für die SPD – eigentlich eine Chance, zu zeigen, sie wollen sich nicht länger in einer Großen Koalition verkriechen, sie sehen ihre Perspektive woanders. Und natürlich schließt das auch ein – ich meine, das ist ja ein offenes Geheimnis –, dass sehr viele SPD-Mitglieder die AGENDA 2010 noch nie gut fanden, und die Konsequenzen – jetzt für abhängig Beschäftigte oder Rentnerinnen und Rentner – eben auch verheerend sind, dass sie auch damit signalisiert, sie möchte das korrigieren, sie will nicht, dass weiter eben die soziale Ungleichheit immer mehr wächst. SWR: Das SWR-“Interview der Woche” mit Linksfraktions-Chefin Sahra Wagenknecht. – Nach der Armenien-Resolution in der vergangenen Woche gibt es ja heftige Drohungen gegen die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten, bis hin zu Morddrohungen – wie sieht das in der Linksfraktion aus, bei ihren Kolleginnen? S.W.: Ja, das betrifft sie natürlich ganz genau so, und das ist wirklich – ich finde das grauenvoll, was dort auch an richtiger Hetze und an quasi Aufforderung zu Straftaten vonseiten der türkischen Regierung und des türkischen Präsidenten stattgefunden hat. Also ich finde, das kann eigentlich überhaupt nicht wahr sein, dass wir ein solches Regime immer noch als unseren Partner ansehen. Also bei unseren Abgeordneten ist es ganz konkret so, also die waren ja auch mit Bild in türkischen Zeitungen, da wurde sogar auf die Familienverhältnisse verwiesen, auf die Zahl der Kinder wurde verwiesen, und diese Masche, die ist ja auch eine, die in der Türkei selber von der Regierung immer wieder angewandt wird, dass man also Regimegegner, Oppositionelle, öffentlich an den Pranger stellt und damit einkalkuliert, dass sich bestimmte Leute – man kann auch sagen: der Mob – aufgerufen fühlt, dann das Problem mit Gewalt zu lösen. Und natürlich sind auch unsere Abgeordneten – oder es sind ja zwei Frauen ganz konkret – sehr beunruhigt und haben da auch wirklich wenig Verständnis, dass Frau Merkel bisher, also, ja, ausgesprochen dürftige Worte dafür gefunden hat. Also sie hat gesagt: „nicht nachvollziehbar“ – na gut, also ich finde, das ist wirklich faschistoide Hetze, die dort stattfindet, wenn über Blut geredet wird, das ins Labor soll … – Also Herr Lammert hat ja am Donnerstagfrüh sehr klare Worte dazu gefunden, aber das hätte ich mir eigentlich von der Bundeskanzlerin gewünscht. SWR: Der türkische Präsident Erdogan hat ja bezweifelt, diese türkische Abstammung der deutschtürkischen Abgeordneten, spricht von verdorbenem Blut, was halten Sie von solchen Ausfällen? S.W.: Also ich finde, das ist faschistoid! Also über Blut, also die Nationalität über Blut zu definieren und die Abstammung ins Zentrum zu stellen, das ist wirklich der Kern der Rassenideologie! Und ich finde, jemand, der eine solche Ideologie pflegt, der kann nicht unser Partner sein. Das heißt, dieser unsägliche Deal mit der Türkei, der ja ohnehin insoweit auf Eis liegt, als die Türkei ja gar nicht mehr, sozusagen, die Vereinbarungen einhalten will, die sind ja erst mal gestoppt bis zum Herbst – ich finde, dass es jetzt wirklich an der Zeit ist, dass die EU und auch Deutschland diesen Deal ganz offen aufkündigen. Und das heißt auch, es darf kein einziger müder Euro mehr fließen, weil da sind immerhin sechs Milliarden Euro vereinbart, die an dieses Regime gehen sollen und wenn das sich so aufführt, finde ich, muss das sofort gecancelt werden und auch sofort öffentlich gemacht werden, dass dieser Deal nicht mehr existiert. SWR: Ein weiteres Thema diese Woche im Bundestag war der Einfluss von Lobbyisten. Ihre Fraktion hat einen eigenen Antrag eingebracht, in dem ein verpflichtendes Lobbyisten-Register gefordert wird. Was genau soll das eigentlich bringen? Interview der Woche : 3 S.W.: Ja, es soll zunächst mal auch bringen, dass die Menschen einfach wissen, wer wann bei welchen Abgeordneten, bei welchen Ministern, ein und aus geht. Weil, es ist ja ein großes Problem, dass Lobbyisten, und zwar vor allem große, finanzkräftige Lobbys, also das sind ja dann eher, sozusagen, nicht der Kleingartenverein X, dass solche Lobbyisten die Politik sehr stark beeinflussen. SWR: Haben Sie ein Beispiel, wo eine Bundestagsentscheidung von Lobbyisten konkret beeinflusst wurde? S.W.: Ja, wir haben zum Beispiel, als die Finanzmarktkrise war – da häuften sich die Besuche von Investmentbankern, überhaupt von Vertretern des Finanzgewerbes, in massiver Weise bei Abgeordneten, bei Ministerien; und es ist auch bekannt, dass das, was dann beschlossen wurde, durchaus vorher durch die Hände bestimmter Lobbys gegangen ist, die das also mitgeschrieben haben, die ja dann auch riesig profitiert haben. Oder auch bei aktuelleren Fällen, erleben wir das immer wieder im Zusammenhang auch mit den sogenannten Freihandelsabkommen TTIP und CETA, da sind natürlich Lobbys massiv am Werk, dass auf keinen Fall diese Abkommen gecancelt werden, dass man dort weiterverhandelt – und das ist im Grunde auch ein großes Ungleichgewicht. Natürlich ist das Lobbyisten-Register als solches erst mal eigentlich nur ein Transparenzmittel. Das größere Problem ist ja, dass mächtige Lobbys auch Parteien ganz legal eigentlich kaufen und schmieren können, weil es in Deutschland legal ist, dass Unternehmen Parteien spenden. Das ist in Frankreich zum Beispiel strikt verboten, in Deutschland gibt es ganz legale Spendenmöglichkeiten von Unternehmen für Parteien, und in dem Kontext muss man natürlich auch dann die Lobbyistenbesuche sehen, also da ist viel Geld dahinter, da kauft man sich die Politik, die man gerne haben will. Neben anderen Mitteln, indem man zum Beispiel auch – also das ist für mich Korruption nach dem Motto „Bezahlt wird später …“ – Politikern, die sich wohlfeil verhalten gegenüber den Interessen besonders finanzkräftiger Lobbys natürlich darauf rechnen können, wenn sie nicht mehr Politiker sind, kriegen sie ein schönes Aufsichtsrats-Mandat oder ähnliches – also das ist ein ganzes Geflecht und dieses eine Gesetz würde das Geflecht nicht außer Kraft setzen, aber zumindest etwas mehr Transparenz bringen. SWR: Zum Schluss eine sportliche Frage. Ab diesem Wochenende sind viele in Deutschland im Fußballfieber, die Europameisterschaft in Frankreich geht los. Wie stark zieht Sie diese EM in ihren Bann, wie fußballbegeistert sind Sie? S.W.: Also wenn ich ehrlich sein will, bin ich jetzt natürlich nicht der ganz große Fußballfan. Was ich mir vor allem wünsche, ist natürlich, dass sich diese EM ohne irgendwelche schlimmen Zwischenfälle und Attacken erfolgen kann und dass es wirklich die sportliche Begeisterung und tolle Spiele, dass das wirklich die Nachrichten in den nächsten Wochen bestimmen wird. SWR: Und ihr Favorit auf den EM-Gewinn? S.W.: Ach, den verrate ich nicht.
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