ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 D o k u m e n tat i o n s s tät t e z u K r i e g s g e s c h e h e n u n d ü b e r F r i e d e n s a r b e i t S i e v e r s h a u s e n e .V. ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 Antikriegshaus Sievershausen Kirchweg 4A 31275 Lehrte Tel.: 05175-5738 mail: [email protected] Liebe Freundinnen und Freunde des Antikriegshauses einen oder der anderen Politikerin noch, sich einmal in die Situation dieser (Mit)Menschen hineinzuversetzen. Wenn man hört, wie sich eine Verschärfung der Asylgesetze an die andere reiht und welche teils zweifelhaften Vorschläge zum Zwecke der Abschreckung verkündet werden, zweifelt man schon an den humanitären Werten unserer Politik. Jenny Erpenbeck hat in ihrem neuen Buch die Frage gestellt: „Führt der Frieden, den sich die Menschheit zu allen Zeiten herbeigesehnt hat und der nur in so wenigen Gegenden der Welt bisher verwirklicht ist, denn nur dazu, dass er mit Zufluchtssuchenden nicht geteilt, sondern so aggressiv verteidigt wird, dass er beinahe schon selbst wie Krieg aussieht?“ Das Antikriegshaus hat die diesjährige „Sievershäuser Ermutigung“ der Hilfe für die durch Krieg und Flucht traumatisierten Menschen gewidmet. Wir hören zwar täglich vom Schicksal von Flüchtlingen, aber das Leid und die Lebensgefahr, die sie durchgemacht haben, können wir kaum nachvollziehen. Ängste, Depressionen, Traumata sind für viele ständige Wegbegleiter und bedürfen der Fürsorge, wenn diese Menschen je wieder ein normales Leben führen wollen. Unsere Politik aber verstärkt die Ängste und Traumata oftmals noch. Deshalb will das Antikriegshaus Initiativen und Organisationen mit dem Preisgeld von 5.000,-Euro unterstützen, die sich in besonderer Weise um diese seelisch verletzten Menschen kümmern. Wir veröffentlichen die Ausschreibung in diesem Newsletter, die Preisverleihung wird am Samstag, den 10. Dezember 2016 im Antikriegshaus stattfinden. Im unserem letzten Newsletter hieß es: „Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass die Staaten, die bisher so oft auf militärische Interventionen gesetzt haben, die Ausweglosigkeit ihres Tuns zaghaft zugegeben haben und dass bei vielen Konflikten inzwischen Verhandlungslösungen angestrebt werden.“ Wir erleben jetzt die Syrien-Verhandlungen – nach 5 langen Jahren Krieg und unsäglichem Leid für die Bevölkerung dort. Noch sind nicht alle Beteiligten bereit, vorbehaltlos Gespräche zu führen, um das Leid zu beenden; noch herrscht bei manchen Beteiligten das militärische Denken vor – aber immerhin: die internationale Diplomatie hat begriffen, dass sie diesen Konflikt endlich beenden muss. Von daher ist die Verschiebung der Gespräche zwar schlimm, bedeutet aber noch kein Scheitern. Wir sagen, es braucht einen langen Atem. Die Geberkonferenz Anfang Februar, um die Not der Flüchtlinge im Nahen Osten zu lindern, hat gezeigt, dass die Staatengemeinschaft aus den bisherigen Erfahrungen teilweise gelernt hat. Die Staaten der Region, die schon so viele Flüchtlinge aufgenommen haben – Jordanien, Libanon, Türkei, Irak – dürfen mit dieser Last nicht allein gelassen werden. Wenigstens das muss Europa leisten. Schlimm ist, dass es erst Millionen Flüchtlinge bedarf, damit sich diese Einsichten durchsetzen. Deutschlands Schaukelpolitik in der Flüchtlingsfrage ist zynisch und unmenschlich. Menschen, die aus tiefster Not fliehen, werden hier in den Mühlen der Bürokratie zerrieben und im Ungewissen darüber belassen, ob sie sich in Sicherheit fühlen können. Dabei ist dieses Gefühl der Sicherheit ganz wesentlich für ihre psychische Stabilität. Vielleicht gelingt es ja dem Ihr Berndt Waltje Inhalt Veranstaltungshinweis für Sonntag, 6. März Impressum: Newsletter Februar 2016 Wie finanzieren sich die Vereinten Nationen Antikriegshaus Sievershausen Kirchweg 4A 31275 Lehrte-Sievershausen [email protected] Tel: 05175-5738 Öffnungszeiten: di, fr 10-17 Uhr, sa 15-17 Uhr www.antikriegshaus.de Konto bei der Evangelischen Bank eG IBAN DE13520604100000006076 BIC GENODEF1EK1 Inhaber: Kirchenkreisamt Burgdorfer Land Ausschreibung zur Sievershäuser Ermutigung 2016 Veranstaltungsbericht „Lerne mit dem Herzen zu denken“ Europäische Flüchtlings- und Asylpolitik auf dem Prüfstand 1 Die positive Seite Veranstaltungshinweise us 2016 gshaFEBRUAR ie r ik t n A im Demnächst ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER Sonntag 6.März 2016 , 16 Uhr Andreas Zumach: Die Rolle der UN im weltweiten Chaos 2015 feierten die Vereinten Nationen den 70. Jahrestag ihrer Gründung. Heute gehören 193 Staaten der Organisation an, die nach den Schrecken des Holocaust und des 2. Weltkrieges (und nach dem erfolglosen Versuch des Völkerbundes) gegründet wurde, um „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“ und „freundschaftliche ... Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln“. Von einer ‚Weltregierung‘, wie sie manchmal tituliert wird, sind die UN aber weit entfernt. Ihre ambitionierten Ziele hat sie meistens nicht erreicht, wie die Ächtung der Atomwaffen oder die gleichberechtigte Entwicklung der Länder. Noch immer dominieren die reichen Länder des Nordens und die 5 Veto-Mächte die Geschicke der UN. Seit den 1990er Jahren haben vor allem die USA daran gearbeitet, die UN für überflüssig zu erklären, was auch den katastrophal gescheiterten Blauhelm-Einsätzen in Srebenica und Ruanda geschuldet war. Aber die USA zeigten auch 2003 mit der dreisten Lüge von den irakischen Massenvernichtungswaffen vor der UN- Generalversammlung und dem anschließenden Angriffskrieg gegen den Irak ohne billigende UN-Resolution, dass sie sich selbst als alleinige Weltmacht verstanden. Durch die recht erfolgreiche Hintertreibung des UN- Gedankens kam es in der Folgezeit zum permanenten Finanzierungsproblem der UN. So mussten die UN-Organisationen UNHCR und World Food Program die Lebensmittellieferungen für die syrischen Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien radikal kürzen, was zu der derzeitigen Flüchtlingsbewegung nach Europa massiv beitrug. Streubomben und Antipersonenminen haben gezeigt, wie es gehen kann. Andreas Zumach, seit 1988 UN-Korrespondent der tageszeitung und von daher langjähriger Beobachter rund um das UN-Geschehen, hat zum Jahrestag der UN ein Buch (Globales Chaos – machtlose UNO) veröffentlicht, in dem er das Versagen und Scheitern der UN ausführlich dokumentiert und der Frage nachgeht: „Brauchen wir diese UN noch?“ Er dokumentiert damit aber auch das Scheitern der Weltgemeinschaft, die immer mehr zerfällt in Nationalstaaten, die ausschließlich ihren eigenen Interessen nachgehen. Wir haben Andreas Zumach im Antikriegshaus 2014 als fulminanten Redner kennen gelernt und haben ihn deshalb erneut eingeladen. Er wird uns nahebringen, welche Rolle die UN spielen kann und spielen muss in einer Welt, die scheinbar immer mehr in Konflikten und Chaos versinkt, und was notwendig ist, damit sie ihr erklärtes Ziel, „Streitigkeiten ... durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts ... beizulegen“, erreichen kann. Trotz allem treibt die UN z.B. mit den gerade verabschiedeten Nachhaltigkeitszielen die internationale Debatte um gerechte Strukturen in der Welt voran. Auch ist die Organisation die einzige, von der wir uns immer noch die Ächtung von allen Massenvernichtungswaffen erhoffen – die Erfolge bei der Ächtung von 2 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 Hintergrund: Die Vereinten Nationen – immer mehr Aufgaben, immer weniger Geld nen jedoch ausschließlich der Finanzierung von Friedensoperationen. Entwicklungsländer zahlen hier 10-20% ihres Pflichtbeitrags am ordentlichen UN-Haushalt. Die Industrieländer bezahlen einen Betrag in Höhe ihres vollen Pflichtbeitrags. Wie finanziert sich eigentlich die UN? Immer wieder hört man über Zahlungsschwierigkeiten und Finanzprobleme, obwohl doch die UN als globale Organisation genügend Geld haben sollte. Wir versuchen mal, die Finanzen der UN ein wenig zu beleuchten. Freiwillige Beitragsleistungen werden für die Finanzierung von Nebenorganen der UN wie dem UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen), UNICEF (Kinderhilfswerk), UNFPA (Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen), UNHCR (Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) und WFP (Welternährungsprogramm) verwendet. Dabei sind diese Programme und Fonds zu 90% abhängig von diesen freiwilligen Beitragsleistungen, was teilweise zu drastischer Unterfinanzierung führt. So mussten Ende 2014 UNHCR und WFP die Überlebenshilfen für die Opfer von Kriegen und Naturkatastrophen erheblich kürzen und später ganz streichen. Das betraf vor allem 800.000 Flüchtlinge in Zentralafrika und 1,7 Mio registrierte syrische Flüchtlinge. Die Flüchtlingsbewegung Richtung Europa wurde hauptsächlich durch diese Unterversorgung ausgelöst. Das Finanzierungssystem der Vereinten Nationen basiert auf drei wesentlichen Säulen: den Pflichtbeiträgen zum ordentlichen Haushalt, den Pflichtbeitragsumlagen zur Finanzierung der Friedensmissionen sowie den freiwilligen Beiträgen der Mitgliedsstaaten zur Finanzierung der Nebenorganisationen der UN. Die Pflichtbeiträge der Mitgliedsstaaten dienen der Finanzierung des ordentlichen Haushaltes der UNO sowie teilweise auch der Verwaltungsaufgaben ihrer Nebenorgane. Bezahlt werden hieraus Personal- und Programmkosten von Generalsekretariat, Generalversammlung, Sicherheitsrat, Internationalem Gerichtshof und Wirtschafts- und Sozialrat der UN. Die Höhe der prozentualen Pflichtanteile der Mitgliedsstaaten wird alle 3 Jahre mit Hilfe eines Verteilungssschlüssels berechnet. Der Schlüssel orientiert sich hauptsächlich am Bruttonationaleinkommen der Länder, der unterste Beitragssatz liegt bei 0,001%, am oberen Ende gibt es eine Deckelung bei 22%. Das Zweijahresbudget (nur Pflichtbeiträge) der UN für 2014/2015 betrug 5,8 Mrd. US-Dollar (im Vergleich: der Bundeshaushalt in Deutschland beträgt regelmäßig mehr als 300 Mrd Euro). Rund 40% davon wurden von den USA (22%), Japan (10,83%) und Deutschland (7,14%) getragen. Seit vielen Jahren leidet das System der Vereinten Nationen an einer kontinuierlichen Unterfinanzierung. Diese resultiert daraus, dass Mitgliedsstaaten ihre Beiträge nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig zahlen. Bei einigen Mitgliedsstaaten resultiert dies aus haushaltstechnischen Zwängen, wie zum Beispiel nationalen Sparprogrammen oder Finanzkrisen. Die Zurückhaltung von Beitragszahlungen kann aber auch einen politischen Hintergrund haben. Gerade die großen Beitragszahler können so Druck auf die Vereinten Nationen ausüben, strategische Interessen betonen oder ihre Ablehnung an UN-Programmen demonstrieren. Einige Experten sprechen daher auch eher von einer politischen als finanziellen Krise der Vereinten Nationen. Bei den Pflichtbeitragsumlagen handelt es sich ebenfalls um von den Mitgliedstaaten zu zahlende Pflichtbeiträge. Diese die- 3 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 Ausschreibung des Friedenspreises Sievershäuser Ermutigung 2016 Hilfe für durch Krieg und Flucht traumatisierte Menschen Sievershausen, im Januar 2016 Seit 1988 schreibt die Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und über Friedensarbeit im zweijährigen Rhythmus den mit 5.000 € dotierten Friedenspreis Sievershäuser Ermutigung aus. In diesem Jahr wendet sich der Aufruf zur Bewerbung an Personen und Projekte, die Menschen helfen, die durch Krieg und Flucht traumatisiert sind. Kriege, Umweltzerstörung und die dadurch bedingte Zunahme von Flüchtlingszahlen weltweit beherrschen heute vielfach die Berichterstattung unserer Medien. Der Tenor liegt dabei auf den aktuellen (und möglichst sensationellen) Ereignissen, weniger auf dem menschlichen Leid, das damit verbunden ist. Fast gänzlich ausgeblendet bleiben die psychischen Schäden, die in der Folge von Krieg und Katastrophen für viele Beteiligte auftreten: Ängste, Depressionen, psychosomatische Beschwerden. Traumata sind inzwischen keine Ausnahmeerscheinungen mehr, sondern Alltag in einer immer unsicherer werdenden Welt. Flüchtlinge haben darunter zu leiden, gerade solche, die unter lebensgefährlichen Umständen fliehen müssen, Menschen, die mit Kriegen konfrontiert sind, darunter durchaus auch die aktiven Soldaten. Die Opfer von Vergewaltigungen können lebenslang darunter leiden und betroffene Kinder merken oft erst im Erwachsenenalter, dass sie an der Vergangenheit krank geworden sind. Oftmals werden die betroffenen Menschen damit alleingelassen oder auf private Hilfsorganisationen verwiesen. Staatliche Fürsorge findet kaum statt, stattdessen soll private Hilfe die Folgen lindern. Auch wenn diese Entwicklung politisch zu kritisieren ist, sind diese Hilfen doch wichtig und notwendig. Wir können nicht die notwendige Hilfe für Menschen vernachlässigen, weil wir Forderungen an die Politik richten. Und es ist gut, dass inzwischen die Trauma-Erkrankungen thematisiert und behandelt werden. Des- halb soll die diesjährige Sievershäuser Ermutigung an Personen oder Organisationen gehen, die Menschen aus Konflikt-Regionen helfen, die psychischen Folgen dieser Konflikte zu verarbeiten. Damit soll diese wichtige Arbeit bekannter gemacht werden und Forderungen nach einer gezielten Förderung von TraumaArbeit für Kriegsopfer Nachdruck verliehen werden. Wir suchen Projekte, die sich erfolgreich in der Trauma-Arbeit für Kriegsopfer und Flüchtlinge engagieren, deren beispielhaftes Gelingen eine Ermutigung für den gesamten Bereich der TraumaArbeit sein kann und die möglichst auch die politische Debatte um die Notwendigkeit von Trauma-Behandlung für Kriegsopfer und Flüchtlinge vorantreiben. Vorschläge, Empfehlungen und Bewerbungen können bis zum 30. April 2016 in schriftlicher Form oder per E-Mail an die Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und über Friedensarbeit (Antikriegshaus) Sievershausen gerichtet werden. Diese sind formlos einzureichen, nähere Angaben zum Verein, Projekt oder zur Person sind aber hilfreich und willkommen. Die Sievershäuser Ermutigung wird seit über 20 Jahren im zweijährigen Rhythmus für beispielhafte Friedens- und Menschenrechtsarbeit verliehen. Die Verleihung findet jeweils in zeitlicher Nähe zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember statt. Die Ausschreibung erfolgt zu wechselnden thematischen Schwerpunkten. Im Jahr 2014 wurde das forumZFD für seine Arbeit in der zivilen Konfliktbearbeitung ausgezeichnet. 2012 wurden mit Brot & Rosen und DiaMiPa zwei Initiativen ausgezeichnet, die sich der Arbeit mit illegalisierten Flüchtlingen in Deutschland verschrieben haben. 2010 wurde die Radiojournalistin María 4 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 der Auseinandersetzung mit weltweiten Krisen und Konflikten auch Menschenrechtsthemen, ökologische Fragestellungen, Erinnerungsarbeit und Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktbearbeitung im Nahbereich umfasst. Im Jahr 2013 wurde das Antikriegshaus Sievershausen für die Verleihung des Stiftungspreises „Freiheit und Verantwortung“ der Hanns-Lilje-Stiftung nominiert. Die Stiftung Frieden ist ein Menschenrecht wurde 2014 ins Leben gerufen, um die ehrenamtliche Arbeit des Antikriegshauses abzusichern. Zurzeit besteht die primäre Aufgabe darin, das Preisgeld für die Sievershäuser Ermutigung zu gewährleisten. Sollten die finanziellen Möglichkeiten wachsen, werden auch friedenspädagogische Aufgaben unterstützt. Aus der Dokumentationsstätte und der Stiftung heraus wird unter Einschluss von interessierten und kompetenten Personen eine Jury gebildet, die sich zu jeder Ausschreibung neu zusammensetzen kann und die gemeinsam über den oder die Preisträger entscheidet. Damit soll der Entscheidungsprozess transparenter gestaltet und die Außenwirkung erhöht werden. Isabel Gámez vom Sender Radio Victoria in El Salvador für ihre Berichte über Umweltverbrechen im Bergbau, soziale Missstände, Menschenrechtsverletzungen und Korruption ausgezeichnet und 2008 die Organisation MADAM aus Sierra Leone für ihre Arbeit zur Rehabilitation von ehemaligen Kindersoldaten geehrt. Die Ermutigung soll die Preisträger in ihrer Arbeit bestärken und unterstützen, aber auch darüber hinaus Mut machen, sich für die Ziele von Frieden und Menschenrechten zu engagieren, wie Rupert Neudeck in seiner Laudatio 2006 hervorhob. Der Verein Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und über Friedensarbeit Sievershausen e.V. besteht seit 1978 und betreibt in Sievershausen bei Hannover das Antikriegshaus als Veranstaltungs- und Ausstellungszentrum sowie die Antikriegswerkstatt als Seminarhaus mit Übernachtungsmöglichkeiten. Das Antikriegshaus steht an historischem Ort am Rande des Schlachtfeldes der ‚Schlacht von Sievershausen‘, die als die opferreichste Schlacht der Reformationszeit (ca. 4000 Tote und 8000 Verletzte) gilt. Der Verein folgt einem umfassenden Verständnis von Friedensarbeit, das neben Die Verleihung der Sievershäuser Ermutigung 2014 an das Forum Ziviler Friedensdienst 5 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 Lerne mit dem Herzen zu denken ! Am Sonntag, den 31. Januar wurde im Antikriegshaus Sievershausen der alljährliche Shoa-Gedenktag zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Dr. Frauke Geyker und Johanna Kunze beschäftigten sich in einer szenischen Lesung „Lerne mit dem Herzen zu denken! Zwei kurze Leben im Widerstand“ mit dem Leben von Sophie Scholl und Cato Bontjes van Beek und mit dem unterschiedlichen Umgang mit der Erinnerung an sie im Nachkriegsdeutschland. In einem Wechsel von Lesung und gespielten Szenen stellten die Schauspielerinnen die Biographien der beiden Frauen nebeneinander und verdeutlichten zusätzlich die Bemühungen der Mutter Catos, Olga Bontjes van Beek, in der Nachkriegszeit den Ruf ihrer Tochter wiederherzustellen. Dabei wurde auch die Frage „was ist Widerstand?“ behandelt. Cato Bontjes van Beek und Sophie Scholl wurden 1920 bzw 1921 geboren und wuchsen in Fischerhude bei Bremen und in München in liberalen Elternhäusern auf. Sophie Scholl war zunächst wie ihre älteren Geschwister begeistert der Hitlerjugend beigetreten und leitete eine Jugendgruppe des BDM. Die anfängliche Euphorie schwand im Laufe der Zeit zunehmend durch die Erkenntnis über die nationalsozialistische Indoktrination und Einschränkung der Meinungsfreiheit. Mit der Aufnahme ihres Studiums der Biologie und Philosophie an der Universität München schloss sie sich der Gruppe „Weiße Rose“ um ihren Bruder Hans an, verteilte illegal Flugblätter und wurde schließlich 1943 verhaftet und nach einem Prozess vom Volksgerichtshof unter dem berüchtigten Richter Roland Freisler wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und zusammen mit ihrem Bruder und seinen Freunden am 22.2.1943 hingerichtet. Die Erinnerung an sie und die Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“ wurde auf Grund der Initiative ihrer Schwester Inge Aicher-Scholl lebendig gehalten. Zahlreiche Schulen und Straßen wurden nach den Geschwistern Scholl benannt, Sophie Scholl wurde 2003 sogar mit einer Büste in der Gedenkstätte „Walhalla“ geehrt. Sophie Scholl ist heute neben Stauffenberg „das“ Gesicht des deutschen Widerstands in der Nazizeit. Dagegen blieb Cato Bontjes van Beek vergleichsweise unbekannt. In einer Künstlerfamilie aufgewachsen und früh gegen das Johanna Kunze und Frauke Geyken im Antikriegshaus Nazi-Regime eingestellt, lebte sie seit 1940 in Berlin und schloss sich im Winter 1941/42 einer Widerstandsgruppe um Libertas und Harro Schulze-Boysen an, die die Nationalsozialisten später „Die rote Kapelle“ nannten, da diese angeblich eine aus Moskau geleitete Spionagegruppe sei. Sie druckte und verteilte illegale Schriften und Flugblätter, die zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufriefen, und half Zwangsarbeitern mit Lebensmitteln und Kurierdiensten. 1942 wurde sie verhaftet, vom Reichskriegsgericht unter Manfred Roeder zum Tode verurteilt und am 5.8.1943 nach einem abgelehnten Gnadengesuch hingerichtet. Die beiden Schauspielerinnen sprangen in ihren biografischen Notizen zwischen den beiden jungen Frauen hin und her und machten dadurch deutlich, wie ähnlich diese sich im Grunde waren. Zusätzlich schilderten sie in eingeflochtenen Szenen den Kampf der Mutter mit den Behörden der Nachkriegszeit um Catos Rehabilitation, zeigten auf, wie ablehnend und kleingeistig diese sich gegenüber einem angeblichen kommunistischen Widerstand verhielten. Es wurden Zweifel an Catos Täterschaft aus Überzeugung geäußert, ihr wurde abgesprochen, ein eigenständiges politisch denkendes Wesen gewesen zu sein, ihr damaliger Richter Roeder konnte ungehindert gegen sie aussagen. Erst 1998 wurde das Todesurteil gegen sie aufgehoben und Cato Bontjes van Beek damit rehabilitiert. Eine sehr eindrucksvolle Lesung, die das Publikum mit viel Applaus bedachte. Berndt Waltje 6 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 nderen Das sagen die a Das Dublin-III-Verfahren trat 2013 in Kraft. Wie seine Vorgänger verpflichtet es Flüchtlinge dazu, ihr Asylverfahren in dem Land durchzuführen, in dem sie die EU zuerst betreten. Das heißt angesichts der seit den 1990er Jahren populären Einwanderungsrouten, dass die Staaten an der Süd- und Ostgrenze der EU den Großteil der ankommenden Flüchtlinge aufnehmen müssen. Mitteleuropäische Staaten wie Deutschland, die Niederlande und Dänemark sind praktisch von der Einwanderung abgeschirmt, da sie von sogenannten sicheren Drittstaaten umgeben sind, in die jederzeit abgeschoben werden kann. Von dieser Möglichkeit hat insbesondere Deutschland bis zum Sommer 2015 oft Gebrauch gemacht. Die Mittelmeerländer kritisieren die DublinVerordnung seit Jahren – sie fühlen sich mit der immer dramatischer werdenden Situation allein gelassen. Sie müssen die Bootsflüchtlinge, die sich über das Mittelmeer in Richtung Europa aufmachen, registrieren und ihre Asylverfahren durchführen; die Kosten für die Versorgung dieser Menschen tragen sie alleine. EU-Gelder fließen stattdessen in die Grenzagentur Frontex, die der Zuwanderung über das Mittelmeer und die Ostgrenzen der EU Einhalt gebieten soll. Mit ihrer Abschottung nach außen ist sie Steigbügelhalter der Schlepperindustrie. Christiane Fröhlich: Europäische Flüchtlings- und Asylpolitik auf dem Prüfstand 11.12.2015 in eutopia magazine (© Eutopia Magazine – creative commons) Das Dubliner Abkommen illustriert also ein Machtungleichgewicht innerhalb der EU, das den Grundgedanken der Union – solidarische Lastenverteilung und gleichberechtigtes Miteinander – ad absurdum führt. Es manifestiert eine Pathologie der Europäischen Union und muss durch Regelungen ersetzt werden, die den ursprünglichen Werten der Union gerecht werden. Christiane Fröhlich ist Vertretungsprofessorin für Internationale Politik und Friedensforschung an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg sowie Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Ihre Forschung beschäftigt sich mit Umweltmigration im Nahen Osten sowie mit dem Zusammenhang zwischen menschlicher Mobilität und Konflikt insgesamt. 7 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER Es ist zwar das gute Recht von Staaten, Mobilität zu regulieren und zu bestimmen, wer bleiben darf und wer nicht, inklusive des Asylrechts. Dazu existieren EU-weit umfassende und mit dem Völkerrecht konforme Regeln. Doch diese dürfen nicht rein nationalstaatlich interpretiert werden, sondern müssen im Sinne einer gerechten innereuropäischen Lastenteilung umgesetzt werden, wenn nicht der Kerngedanke der Union selbst infrage gestellt werden soll. Denn historisch gesehen ist die EU ein Vorreiter des Menschenrechtsschutzes, und sieht sich selbst auch als Exporteur dieser Werte, aktuell zum Beispiel im Krieg gegen den barbarischen IS. Die europäische Menschenrechtscharta verspricht unter anderem jedem Menschen, der vor Krieg und Gewalt flieht, Asyl und Schutz. Doch gegenwärtig ist dieses Versprechen hohl: Um in Europa Asyl beantragen zu können, ist es notwendig, auf europäischem Boden zu stehen. Die diversen Sicherheitsinstallationen an der europäischen Außengrenze sowie die „Abwehr“ fliehender Menschen durch die Grenzschutzagentur Frontex verhindern das weitestgehend. Auch die Beantragung eines Einreisevisums in europäischen Botschaften oder Konsulaten ist praktisch aussichtslos für Menschen aus den Ländern, aus denen momentan die meisten Flüchtlinge kommen: Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea. ... Gleichzeitig tut die EU gemeinsam mit dem Rest der Welt wenig bis gar nichts, um die Situation in den Herkunfts- und den Hauptaufnahmeländern positiv zu beeinflussen. Fast 90 Prozent der Flüchtlinge weltweit leben in Entwicklungsländern; die fünf größten Aufnahmeländer sind Pakistan, Iran, Libanon, Jordanien und die Türkei. Die drei letztgenannten haben inzwischen über 4 Millionen Syrerinnen aufgenommen, im Gegensatz zu den etwa 700.000 Syrerinnen, die es bis in die EU geschafft haben. FEBRUAR 2016 EU bewegt sich in der Größenordnung von 2,5 Millionen Menschen im Jahr. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) forderte 3 Milliarden US-Dollar für die regionale Versorgung der aus Syrien geflohenen Menschen; diese Forderung ist noch nicht einmal zu einem Drittel erfüllt worden. Die Situation dieser Menschen war schon zu Beginn des syrischen Krieges schlecht, heute ist sie katastrophal. Im Libanon leben 70 Prozent der Flüchtlinge unterhalb der Armutsgrenze, in Jordanien sogar 86 Prozent. Ihre Kinder erhalten wenig bis gar keine Schulbildung, während gleichzeitig die Hoffnung auf ein Ende des Krieges und eine Rückkehr nach Syrien immer weiter schrumpft. Diese Menschen erfüllen jede Bedingung für Asyl in der EU, werden aber durch die skizzierte systematische Abschottungspolitik davon abgehalten, von diesem Recht auf Schutz Gebrauch zu machen. Stattdessen weitet die EU ihre Grenzen immer weiter aus, in dem sie den Schutz ihrer Grenzen an undemokratische und in Bezug auf die Menschenrechte mindestens zweifelhafte Staaten wie die Türkei und Libyen delegiert. Solange der syrische Konflikt anhält, solange der Irak und Afghanistan sich nicht stabilisieren, solange der afrikanische Kontinent weiter in erster Linie als billiger Absatzmarkt für europäisch-westliche Produkte missbraucht wird, wird der Zuzug von Menschen nach Europa nicht aufhören. Europa kann diese Menschen aufnehmen. Es muss allerdings gemeinsam agieren und die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylverfahren teilen. Gleichzeitig ist echte Unterstützung – bloße Lippenbekenntnisse reichen nicht – für die syrischen Nachbarländer notwendig. Das ist moralisch und praktisch der einzige Weg. Zur Erinnerung: Die EU hat eine halbe Milliarde Einwohner und ist der reichste Wirtschaftsblock der Welt. Legale Einwanderung in die 8 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER FEBRUAR 2016 e Die positive Seit Die Bereitschaft der Deutschen, Flüchtlingen zu helfen, ist ungebrochen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die das Sozialwissenschaftliche Institut (SI) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Dezember in Hannover veröffentlicht hat. So können sich mehr als die Hälfte (51 Prozent) der über 2000 Befragten vorstellen, ein Flüchtlingsheim in ihrer Nähe zu unterstützen. Elf Prozent der Befragten haben das bereits in der Vergangenheit getan. 37 Prozent geben an, Sachspenden für Flüchtlinge geleistet zu haben. Weitere 48 Prozent können sich vorstellen, künftig zu spenden. Mit 13 Prozent ist auch die Bereitschaft, selbst Flüchtlinge aufzunehmen, immer noch hoch. Das aktuelle Engagement für Flüchtlinge (10,9 Prozent der Deutschen) liegt damit sogar noch etwas höher als im Sport, dem ansonsten größten Engagementbereich in Deutschland (10,1 Prozent der Deutschen). Weniger Interesse am Bundeswehr-Dienst 2014 ließen sich nur noch ca 9000 Jugendliche für den freiwilligen Wehrdienst rekrutieren, fast 1200 weniger als 2013. Mehr als 1900 dieser Freiwilligen brach den Dienst auf eigenen Wunsch vorzeitig ab, fast 200 wurden von der Bundeswehr ausgemustert. Ein Wermutstropfen: Der Anteil der Frauen am FreiwilligenDienst der Bundesdienst lag jetzt bei 19%. Wesentlicher beliebter als das freiwillige Engagement bei der Bundeswehre ist der Bundesfreiwilligendienst (BFD), der frühere Zivildienst in sozialen und kulturellen Organisationen. Zur Zeit arbeiten fast 40.000 „Bufdis“ in Deutschland, für die Flüchtlingsarbeit werden jetzt weitere 10.000 Plätze geschaffen. Veranstaltungshinweis Mitgliederversammlung in diesem Jahr ein Woche später Am 13. März, also am 2. Sonntag im März um 15 Uhr lädt der Verein Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und über Friedensarbeit Sievershausen e.V. zu seiner diesjährigen Mitgliederversammlung ein. Hinweise auf weitere Veranstaltungen Am 5. März beginnen in Hannover die Wochen gegen Rassismus unter dem Motto »Willkommen!?« Migration ist älter als Deutschland! Getragen von einem breiten Bündnis von Veranstaltern werden mehr als 15 Veranstaltungen, verteilt über drei Wochen, angeboten. Den Veranstaltungsflyer haben wir auf unsere Internetseite www.antikriegshaus.de gestellt. 9
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