ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen u n d ü b e r F r i e d e n s a r b e i t S i e v e r s h a u s e n e .V. ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER OKTOBER 2016 Antikriegshaus Sievershausen Kirchweg 4A 31275 Lehrte Tel.: 05175-5738 mail: [email protected] Wenn man es ernst mit dem Frieden meint, dann muss man die Frauen ernst nehmen. und bringen andere Themen und Sichtweisen ein, wie Ernährungs-, Gesundheits-, Bildungsfragen und Besitzverhältnisse. Daher bringen Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen mit Frauenbeteiligung schneller dauerhaftere Ergebnisse. Aber Frauen – und Kinder – sind bis heute diejenigen, die am meisten in Krie gen und gewalttätigen Konflikten zu leiden haben, oftmals wird gezielt Gewalt gegen Frauen als Kriegsstrategie eingesetzt. Deshalb ist der Schutz und die Stärkung von Frauen weltweit für Friedensprozesse von großer Bedeutung. Die Ermutigung der Arbeit von AMICA – und indirekt aller ähnlich arbeitenden Organisationen – gehört deshalb auch zur Anstiftung zum Frieden, wie das Antikriegshaus dies versteht. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und damit dem alle zwei Jahre stattfindenden Höhepunkt im Antikriegshaus: der Verleihung des Friedenspreises Sievershäuser Ermutigung am Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Es wird dieses Jahr ein Tag sein, der einerseits das Leid, das mit Krieg einhergeht, in den Mittelpunkt stellt, aber andererseits auch die aufbauende Rolle von Frauen in den damit verbundenen zerrissenen Situationen. Das Antikriegshaus zeichnet dieses Jahr die Freiburger Organisation AMICA e.V. aus, die sich für Frauen und Mädchen in Krisen- und Nachkriegsgebieten einsetzt, die von Gewalt betroffen sind, und darauf hinwirkt, dass Frauen sich aktiv in Friedens- und Versöhnungsprozesse einbringen. Sie handelt nach den Grundsätzen der viel zu wenig bekannten UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“, die im Jahr 2000 einstimmig vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet wurde und die dazu aufruft, Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten besonders zu schützen, aber auch Frauen verstärkt an Friedensverhandlungen und friedensschaffenden Missionen zu beteiligen. Denn Frauen entwickeln andere Kompetenzen und Verhaltensstrategien als Männer. Sie treten oft vermittelnder auf, bestehen mehr auf zivilen Konfliktlösungen Wir laden Sie ein, mit uns zusammen am 10. Dezember die Frauen von AMICA in der Feierstunde im Antikriegshaus zu ehren und in ihrer Arbeit zu ermutigen. Herzlichst Ihr Berndt Waltje Inhalt Impressum: Newsletter November2016 Antikriegshaus Sievershausen Kirchweg 4A 31275 Lehrte-Sievershausen [email protected] Tel: 05175-5738 Öffnungszeiten: di, fr 10-17 Uhr, sa 15-17 Uhr www.antikriegshaus.de Konto bei der Evangelischen Bank eG IBAN DE13520604100000006076 BIC GENODEF1EK1 Inhaber: Kirchenkreisamt Burgdorfer Land 1 Programm der Ermutigungsfeier am Tag der Menschenrechte Thema: Sievershäuser Ermutigung 2016 Neulich im Antikriegshaus: Alexander Tetsch , Lutz Krügener Die positive Seite Zwischenbericht zur UgandaKrankenhaus-Aktion An der Elbe pilgern – 17.11.16 in Bleckede Das sagen Andere: Carolin Emcke bei der Preisverleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 Sievershäuser Ermutigung 2016 Hilfe für traumatisierte Menschen in Kriegsgebieten Preisverleihung der Sievershäuser Ermutigung 2016 an die Organisation AMICA e.V. aus Freiburg Feierstunde des Antikriegshauses in Sievershausen am 10.12.16 um 16:00 Programm Begrüßung Elvin Hülser Vorsitzender des Antikriegshauses Sievershausen Grußworte Begründung der Jury Angelika Hirschkorn, Mitglied der Jury Festrede Lutz-Ulrich Besser (zptn) Preisverleihung an AMICA e.V. Erwiderung der Preisträgerin AMICA Musikalische Begleitung Helen Dabringhaus / Lara Hüttemann (Querflöten-Ensemble) Im Anschluss laden wir Sie alle herzlich zu einem kleinen Imbiss ein 2 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 Sievershäuser Ermutigung 2016: Hilfe für durch Krieg und Flucht traumatisierte Menschen Die Sievershäuser Ermutigung ist in diesem Jahr für Initiativen ausgeschrieben worden, die sich in herausragender Weise für Menschen engagieren, die durch Kriegs- und Fluchterfahrungen traumatisiert wurden. mehr, sondern Alltag in einer immer unsicherer werdenden Welt. Für den inneren und äußeren Frieden ist es wichtig, die betroffenen Menschen umfassend zu stärken. Der diesjährige Friedenspreis des Antikriegshauses will die dringend notwendige Hilfe für solcherart traumatisierte Menschen in den Fokus stellen und Organisationen in dieser Arbeit ermutigen. In der Folge von Krieg und Flucht treten für viele Beteiligte Ängste, Depressionen, Traumata auf, die ein normales Leben oftmals unmöglich machen. Bei 65 Millionen Flüchtlingen weltweit sind dies keine Ausnahmeerscheinungen Die Jury Eine siebenköpfige Jury, in der neben drei VertreterInnen des Antikriegshauses auch der ehemalige Auslandsbischof der EKD Martin Schindehütte und Trauma-Fachleute aus der Zivilgesellschaft saßen, hatte über beeindruckende Bewerbungen zu entscheiden und sich nach langer Diskussion für die Freiburger Organisation AMICA e.V. ausgesprochen. Die Jury ist sich bewusst, dass auch die anderen Bewerber eine sehr engagierte Arbeit leisten und möchte dafür ihren Respekt und großen Dank aussprechen. medizinische Versorgung, Rechtsberatung, Maßnahmen zur Existenzsicherung sowie Projekte zu Chancengleichheit, Frieden und Versöhnung. AMICA befähigt dabei Frauenorganisationen in den Krisenregionen, nachhaltige Strukturen zur Unterstützung von Frauen aufzubauen, die Opfer von Gewalt wurden. Die Jury will mit der Preisvergabe an AMICA auch darauf hinweisen, dass Frauen und Kinder am schwersten unter (meist männlicher) Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten zu leiden haben und dass Frauen andererseits diejenigen sind, die in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft sehr viel für den Frieden und einen friedlichen Alltag leisten. Frauen in dieser Situation dadurch zu helfen, dass sie durch ein stabilisierendes Umfeld neue Stärke und Selbstbewusstsein gewinnen, ist eine enorm wichtige, friedensbildende Aufgabe, der sich AMICA mit viel Leidenschaft verschrieben hat. AMICA begann ihre Arbeit 1993 in Bosnien-Herzegowina mit der Unterstützung der therapeutischen und medizinischen Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt und der Organisation von „Ferien vom Krieg“ für Kinder. Heute ist AMICA in Bosnien, Kosovo, Libanon und Libyen aktiv. Zu den Kernaufgaben gehören die psychosoziale Arbeit mit Traumatisierten, 3 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER Thema NOVEMBER 2016 Der traumatisierte Friede (Berndt Waltje, Antikriegshaus) Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) registrierte für 2015 weltweit insgesamt 32 Kriege und bewaffnete Konflikte. Die meisten dieser Konflikte werden in der Öffentlichkeit kaum oder gar nicht wahrgenommen. Das UNHCR, das Flüchtlingskommissariat der UN, verzeichnet inzwischen weltweit mehr als 65 Millionen Flüchtlinge – wobei die sechs größten Volkswirtschaften der Welt weniger als 10% dieser registrierten Flüchtlinge aufgenommen haben, während sechs deutlich ärmere Länder (v.a. im Nahen Osten, dazu Südafrika) mehr als 50% Zuflucht gewähren. Zuflucht heißt hier nicht unbedingt ein Leben in Würde. Veteranen-Krankenhäusern behandeln lassen, die Zahl der Selbsttötungen ist sehr hoch. Eine Gesellschaft, die sich im Krieg befindet – egal wo dieser Krieg stattffindet – , wird insgesamt gewalttätiger. Der innere Frieden leidet. Migration hat es immer gegeben und wird es immer geben, so sehr sich Staaten auch ab schotten mögen. Erzwungene Migration wegen bewaffneter Konflikte oder existenzieller Not allerdings ist ein Phänomen, das mit Menschenrechten nicht zu vereinbaren ist. Sie trifft meistens die Schwächsten der betroffenen Gesellschaften und ist mit großem Leid verbunden. Leid, das in vielen Fällen zur Traumatisierung führt. Die Bewerbungen, die wir zu unserer Ausschreibung erhielten, zeigten uns noch einen weiteren Aspekt, der uns dann sehr wichtig wurde. Es sind immer mehr Frauen und Kinder unter den Geflüchteten. Frauen fliehen genau wie Männer aufgrund von Armut, Hunger, Krieg und Verfolgung, sind aber zusätzlich Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die fast ausschließlich Frauen betreffen. Dazu gehören Vergewaltigungen, sexuelle Ausbeutung, Missbrauch und Belästigung, psychologische handel Gewalt, häusliche Gewalt, Menschen sowie Kinder- und Zwangsheirat. Insbesondere Frauen und Kinder sind gravierenden Risiken durch sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt ausgesetzt – sowohl auf den Fluchtwegen als auch in den Ankunftsländern. Sie sind die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft und sollten besonders geschützt werden, aber in gewalttätigen Zeiten leiden sie besonders. Dass es deshalb auch besondere Hilfsangebote für sie gibt, ist uns bei der Beschäftigung mit dem Thema sehr wichtig geworden. Natürlich ist es die vordringliche Aufgabe, Kriege zu beenden und zu verhindern. Aber es ist in diesen gewaltsamen Zeiten auch wichtig, den Opfern zu helfen, ihre Verzweiflung zu lindern, sie zu stärken und ihnen neue Perspektiven aufzuzeigen. Diese Arbeit zu würdigen und zu ermutigen, ist der Zweck der diesjährigen Ausschreibung des Sievershäuser Friedenspreises. Denn Frieden ist ohne inneren Frieden nicht möglich. Traumatisierungen entstehen, wenn Menschen in Umstände geraten, die so bedrohlich sind, dass es keinen Schutz und keine Sicherheit mehr gibt. Der Schrecken setzt sich so nachhaltig im Bewusstsein fest, dass Gefühle von Angst, Ausgeliefertsein und Hilflosigkeit dauerhaft überwiegen. Die Symptome zeigen sich in Albträumen, Schlaflosigkeit, Depres sionen, Panikattacken und Übererregtheit, die Zahl der Selbsttötungen ist deutlich erhöht. Ohne professionelle Hilfe werden die Betroffenen kaum mit ihren Erlebnissen fertig, sondern geben die Gewalterfahrungen an die nächste Generation weiter. Das gilt auch für diejenigen, die aktiv an bewaffneten Auseinandersetzungen teilnehmen. Hunderttausende ehemalige US-Soldaten haben sich seit Beginn der Kriege im Irak und in Afghanistan in den USA wegen posttraumatischer Belastungsstörungen in Die Stärkung von betroffenen Frauen ist auch deshalb friedensfördernd, weil es vielen Stu dien zufolge hauptsächlich Frauen sind, die sich im Alltag für Frieden und friedliche Gesell schaften einsetzen, da sich ihre Erfahrungen und Interessen meist von denen der Männer 4 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER unterscheiden. Durch ihre wirtschaftliche Lage und ihre Verpflichtungen der Familie ge genüber haben viele Frauen einen anderen Blickwinkel als Männer, der sie eher auf zivile Formen der Konfliktlösung hinarbeiten lässt. Deshalb ist es wichtig, dass auch sie sich ver stärkt in Friedensprozesse einbringen (können), wie es die UN-Resolution 1325 einfordert. Frieden und Sicherheit können dadurch nur gewinnen. NOVEMBER 2016 den verschiedenen betroffenen Gruppen ge geneinander werten will – die Arbeit mit Traumatisierten ist allgemein und überall wichtig, da eine Vernachlässigung der Trauma-Schäden viel Unfrieden in einer Gesellschaft hinterlässt. Die eingegangenen Bewerbungen zeigen, dass auf diesem Feld sehr vielversprechende Arbeit geleistet wird, und die Jury spricht hier eine deutliche Wertschätzung dieser Arbeit aus. Es ist notwendig, Trauma-Arbeit in Krisenregionen sehr viel stärker zu unterstützen als dies bisher der Fall ist. Mit der Verleihung der Sievershäuser Ermutigung an AMICA e.V. soll dafür ein Zeichen gesetzt werden. Es war auch dieser Blick auf die betroffenen Frauen und Mädchen, die die Jury-Entschei dung zur Sievershäuser Ermutigung mit beeinflusst hat. Die Jury betont dabei, dass sie auf keinen Fall die Arbeit der Organisationen mit Die Preisträgerin AMICA e.V., Freiburg AMICA e.V. unterstützt Frauen und Mädchen in Krisenregionen und Nachkriegsgebieten. Zu den Kernaufgaben gehören die psychosoziale Arbeit mit Traumatisierten, medizinische Versorgung, Rechtsberatung, Maßnahmen zur Existenzsicherung sowie Projekte zu Chancengleichheit, Frieden und Versöhnung. Heute begleiten ihre Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen jährlich Hunderte von Frauen und bieten professionelle Hilfe und Solidarität. Durch aufsuchende Sozialarbeit versuchen sie jene Frauen und Mädchen zu erreichen, die sich aus eigener Kraft keine Hilfe holen können. Das Therapieangebot hilft vielen der Betroffenen, über ihre Erlebnisse zu sprechen, das Vergangene zu verarbeiten und Mut für die Zukunft zu schöpfen. 2010 wurde AMICA e.V. für ihre langjährige Friedensarbeit auf dem Balkan mit dem Deut schen UNIFEM-Preis ausgezeichnet. AMICA e.V. begann schon 1993 mit der Betreuung traumatisierter Frauen im Kriegsgebiet Bosnien-Herzegowina und entwickelte ein Modellprojekt zur psychosozialen Arbeit, um den komplexen und oft schwerwiegenden Problemen der Betroffenen zu begegnen. Die Organisation hat früh erkannt, dass psychotherapeutische Arbeit allein nicht ausreicht, um Traumata zu verarbeiten, sondern dass eine umfassende Stärkung der betroffenen Frauen notwendig ist. Deshalb gehören zur Arbeit von AMICA e.V. medizinische Hilfe, Sozialberatung, Weiterbildung und die Hilfe zur Existenzsicherung. Auch der juristische Beistand, um sexualisierte Verbrechen vor Gericht zu belegen, dient betroffenen Frauen, ihre Traumata aufzuarbeiten und allgemein auch der Prävention. AMICA will erreichen, dass Frauen und Mädchen in Krisenregionen das Selbstbewusstsein und die Möglichkeit haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, Traumata zu bewältigen und aktiv zur Versöhnung in der Gesellschaft beizutragen. Ihre Arbeit wird getragen vom Leitgedanken der UN-Resolution 1325, die sich stark macht für die Beteiligung von Frauen in Friedensprozessen, für den Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegen und Gewaltkonflikten und die Strafverfolgung von Tätern. Dafür befähigt sie Frauenorganisationen in Nachkriegs- und Krisenregionen, nachhaltige Strukturen zur Unterstützung von Frauen, 5 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER die Opfer von Gewalt wurden, aufzubauen. Langfristig sind es die Partnerorganisationen von AMICA, die den Überlebenden von Ge walt eine Stimme verleihen und sich für mehr Sicherheit, Frieden und Gleichberechtigung einsetzen. NOVEMBER 2016 In Deutschland führt AMICA e.V. regelmäßig Veranstaltungen zur politischen Bildung durch. Sie arbeitet eng mit Partnerorganisationen in einem bundesweiten Netzwerk zusammen und ist regelmäßig zu Gast bei wichtigen Veranstaltungen oder richtet diese selbst aus, wie im Herbst 2015 eine Internationale Konferenz „UN-Frauenpolitik aktuell“ zu den Brennpunkten Ägypten, Libyen, Syrien sowie Nordirak. Die Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ zwischen dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und dem Internationalen Tag der Menschenrechte hält jedes Jahr das Thema im Bewusstsein der Öfffentlichkeit. AMICA e.V. arbeitet in Regionen, die von Kriegen und schweren Krisen erschüttert werden und seit langem nicht zur Ruhe kommen. Dazu zählen der Nahe Osten, Nordafrika sowie der Balkan. In einigen Projekten arbeiten Partnerorganisationen aus mehreren Ländern zusammen. Der Festredner: Lutz-Ulrich Besser (zptn) Seitdem ist Lutz-Ulrich Besser neben seiner therapeutischen Arbeit auf internationalen Traumakongressen unterwegs und betätigt sich als Dozent und Trainer zahlreicher Fort bildungsseminare in „Traumafachberatung und Traumapädagogik“ in Deutschland, Luxemburg, der Schweiz und Österreich, aber auch - als Kooperationspartner der Stiftung Wings of Hope - in der TraumaFortbildung für einheimische Helfer in Bosnien- Herzegowina, Kosovo, Palästina, Irak/Kurdistan, Brasilien und El Salvador. Lutz-Ulrich Besser ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Kinderund Jugendpsychiatrie. Nach traumatherapeutischer Zusatzausbildung und langjähriger therapeutischer Arbeit mit sexuell und durch Gewalt traumatisierten Menschen gründete er 1998 das Zentrum für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen (zptn), ein Fortbildungs-Institut, das dazu beitragen soll, dem verstärkten Bedarf an qualifizierter psychotherapeutischer Versorgung und Behandlung für die wachsende Zahl von Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) gerecht zu werden und Wege der Trauma-Heilung gestalten zu können. Die Musik: Helen Dabringhaus und Lara Hüttemann (Querflötenensemble) Die beiden jungen Frauen sind sich während des Studiums an der HMTM Hannover begegnet. Die beiden begeisterten Flötistinnen ent- deckten breite Übereinstimmungen bezüglich ihrer klanglichen und musikalisch-gestalterischen Vorstellungen und begannen daher im März 2012 mit der Erarbeitung interessanter Duette der Querflötenliteratur. Aus der Freude an der gemeinsamen Arbeit entstand der Entschluss, ein festes Ensemble zu bilden, das schon etliche Auftritte innerhalb und außerhalb der Hochschule hatte. 6 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 Die Ausstellung: Christina Brun – My Picture, My Story Ein Foto-Projekt für Syrerinnen und Libanesinnen „Erzähl deine Geschichte – in deinen eigenen Bilder und GeBildern!“ Dazu forderte die Schweizer Foto- schichten aus journalistin Christina Brun eine Gruppe von diesem Projekt syrischen und libanesischen Frauen im Bekaa- für eine AusTal im krisengeschüttelten Libanon auf. Das stellung zur Hauptziel bestand darin, Frauen eine Stimme Verfügung zu zu geben und zu stärken. Die Beteiligten lern- stellen. Wir finten im Austausch miteinander, mit der Kame- den, dass dies ra umzugehen und einen eigenen Ausdruck in einen würdigen Bild und Geschichte zu finden. Am Ende waren Rahmen zum sie fähig, als Journalistinnen in ihrer Gemein- Thema der diesjährigen Ermutigung darstellt. schaft zu arbeiten. Wir haben Christina Brun gebeten, uns einige der gesammelten aus gsh e i r k i t n A Neulich im Bedrückende Bilanz, beeindruckend vorgetragen Die eigentliche Katastrophe ist das Vergessen: In seinem Vortrag am 23. Oktober im Antikriegshaus zog der Umweltjournalist Alexander Tetsch eine zum Teil erschütternde Bilanz seiner Fotoexpeditionen nach Fukushima, Tschernobyl, Lubmin, Namen, die für das Desaster der sogenannten „friedlichen Nutzung“ der Atomenergie stehen, und zu den Orten im Osten der Republik, an denen die Folgen der Suche nach Trägern fossiler Energie zu besichtigen sind: Die Altmark, in der umfangreich Fracking betrieben wurde, den schlecht gesicherten Abraumhalden der Wismut, aus deren Minen Uranerz auch den havarierten Tschernobyl-Reaktor befeuerte, schließlich die verwüstete Braunkohleregion der Lausitz. Dort, auf einer Abbaggerungserwartungsfläche in Welzow, der Heimat seiner Frau, hat Alexander Tetsch mittlerweile sein Zuhause gefunden und beteiligt sich am Kampf gegen die Profitinteressen der Energiekonzerne. In einem zweistündigen Parforceritt, der niemals Langeweile aufkommen ließ, beleuchtete Alexander Tetsch die wirtschaftlichen und politischen Abgründe, die das Umfeld dieser Katastrophen bilden, machte aber auch sehr deutlich, dass unser Verhalten beim Energieverbrauch entscheidend ist für die künftige Vermeidung solcher Katastrophen. Der leider spärliche Besuch der Veranstaltung ließ darauf schließen, dass sich nur allzu wenig Menschen in der Region dieser unangenehmen Wahrheit aussetzen mochten. Wer dennoch etwas Nachholbedarf verspürt, schaue auf die Webseite von Alexander Tetsch: www. tetsch.eu 7 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 Wie wird Frieden? Am 6. November wurde die Ökumenische Friedensdekade 2016 in Sievershausen eröffnet, die in diesem Jahr unter dem Motto „Kriegsspuren“ steht. Nach dem traditionellen Gottesdienst in der St. Martinskirche, der in diesem Jahr von Mitgliedern der Sievershäuser Nagelkreuzgemeinschaft unter Leitung von Gisela Fähndrich gestaltet wurde, fanden sich um die 25 Zuhörende im Antikriegshaus ein, um den Ausführungen von Pastor Lutz Krügener, Referent für Friedensfragen der Ev.luth. Landeskirche Hannovers, zur evangelischen Friedensethik zu folgen. Dieser Vortrag war gleichzeitig der letzte Beitrag in der Reihe „Frieden geht. Anders“ in diesem Jahr. Im nächsten Jahr wird diese Reihe noch bis einschließlich Oktober fortgesetzt. Bereits im Gottesdienst war deutlich geworden, dass hier dem Motto „Kriegsspuren“ deutlich die Vermittlung von „Friedensspuren“ in Form von Beispielen gelingender Friedensarbeit an die Seite gestellt werden sollte „Frieden im Verständnis der evangelischen Kirche ist mehr als die Abwesenheit von Krieg“, stellte Lutz Krügener zu Beginn seines Vortrages klar. Dieser Frieden beinhaltet in gleicher Weise auch die gerechte Ordnung der Gesellschaft und die Bewahrung der Schöpfung. Für den Weg dorthin empfiehlt Lutz Krügener die Haltung, wie sie in der Bergpredigt vermittelt wird. In ihren korrekten historischen Zusammenhang gestellt finden sich dort Leitsätze zum gewaltfreien Widerstehen gegen die Okkupation, die den Gegner gleichwohl achtet und in eine Veränderung mit einbezieht. Auf der politischen Ebene ergeht die Forderung nach einem grundlegenden Stra- tegiewechsel. „Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten!“ Es gelte, das Primat der Sicherheitslogik durch eine Friedenslogik zu ersetzen, sagte Lutz Krügener und erläuterte seine These anhand der allgegenwärtigen Fluchtproblematik. Wo beispielsweise die Sicherheitslogik mit Fluchtbewegungen zuvorderst eine Bedrohung der eigenen Ordnung wahrnimmt, sucht die Friedenslogik nach den Ursachen für die Gewalt in den Herkunftsländern, die diese Fluchtbewegungen ausgelöst hat, und richtet ihre Strategie dementsprechend aus. Die Legitimität des politischen Handelns muss sich von einer Maxime der allgemeinen Menschenrechte leiten lassen. „Gewaltprävention anstelle von Bedrohungsabwehr ist ein Gebot der Friedenslogik“, so Krügener. Die Mittel, die beispielsweise der Zivile Friedensdienst für Konfliktprävention sowie Friedensbildungs- und Versöhnungsprozesse bietet, bedürfen dringend einer besseren finanziellen Unterstützung. Die Kriegsbereitschaft werde im Bundeshaushalt tausendfach besser gefördert als die Dialogbereitschaft. 8 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 ite e S e v i t i Die pos Kolumbien: Friedensnobelpreis für Friedensverhandlungen Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos hat den diesjährigen Friedensnobel preis erhalten. Die Ehrung gilt auch der Friedensbewegung seines Landes. In Kolumbien haben die Regierung und die linke Rebellenbewegung FARC nach jahrelangen Verhandlungen ein Friedensabkommen unterzeichnet, das dem längsten bewaffneten Konflikt in der Neuzeit Lateinamerikas ein Ende setzen soll. Das Abkommen sieht vor, dass die FARC die Waffen niederlegt und sich in Zukunft politisch betätigt. Die Vereinten Nationen sollen den Frieden überwachen. Vorgesehen sind auch eine Landreform und neue Ansätze im Kampf gegen die Drogenmafia. Allerdings hat die Bevölkerung Kolumbiens in einem Referendum das Abkommen mit knapper Mehrheit abgelehnt, v.a. weil sie die verhandelten Strafnachlässe für Guerilleros für falsch hält. Zur Zeit sind deshalb Nachbesserungen des Abkommens in Arbeit. Auch hat Santos Verhandlungen mit der zweiten Rebellenbewegung ELN aufgenommen, die in die Ausarbeitung des jetzigen Abkommens nicht eingebunden war. Der Friedensnobelpreis soll diese Friedensarbeit ermutigen. Der Weg zu einem wirklichen Frieden aber beginnt jetzt erst! Weltklimaabkommen in Kraft getreten Am 4.11.16 ist das vor einem Jahr in Paris ausgehandelte Weltklimaabkommen in Kraft getreten. Dafür mussten es mind. 55 Staaten ratifizieren, die zusammen mind. 55% der weltweiten Emissionen verursachen. Dass dies in Rekordzeit gelungen ist, ist einem Sinneswandel in den USA und China zu verdanken, die gemeinsam das Abkommen im September unterzeichnet haben. Es gibt nun ein klares Ziel: alle beteiligten Staaten verpflichten sich, die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf möglichst 1,5° zu begrenzen und dies in nationalen Klimazielen zu doku mentieren. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts soll ein Gleichgewicht erreicht werden zwischen dem menschgemachten Ausstoß von Treibhausgasen und der CO²-Bindung durch die Natur. Bisher reichen die geplanten freiwilligen Maßnahmen zwar nicht aus, aber ab 2023 soll es alle 5 Jahre eine Bestandsaufnahme geben, die je nach wissenschaftlicher Einschätzung zu strengeren Vorgaben führen kann. Kigali-Abkommen zur Reduzierung von Fluorkohlenwasserstoffen In der ruandischen Hauptstadt Kigali hatten sich Vertreter von rund 170 Ländern im Oktober darauf verständigt, die zur Erderwärmung betragenden Fluorkohlenwasserstoffe zu reduzieren. FKW, der Ersatz für FCKW, deren Verzicht 1987 im Montrealer Abkom- men beschlossen wurde, werden vor allem in Kühlschränken und Klimaanlagen eingesetzt. Bis 2036 soll der Gebrauch von FKW um 85% reduziert werden. 9 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 Zwischenbericht zur Uganda-Krankenhaus-Aktion von Dr. med. Eberhard Rumpf Für den ersten Transport ist inzwischen ge- den Landtransport vom hiesigen Beladungsort nügend Material zusammengekommen. Dank zum Seehafen und den Schiffstransport nach großzügiger Spenden, vor allem aus den Klini- Mombasa / Kenia. Diese Kosten werden zu 75 ken der Region Hannover und den Diakovere- % übernommen. 25 % müssen wir selbst aufKliniken, können z. B. Betten, ein fahrbarer bringen, ebenso die Kosten für die Beladung OP-Tisch, eine Transportliege, Rollstühle und des Containers und für den Landtransport in Afrika bis zum Ziel. Diesen Teil des Transports ähnliche Hilfsmittel verschickt werden, eine organisiert als Projektpartner die Menschengrößere Zahl elektrischer Überwachungs- und rechtsorganisation HUDO (Human Rights Behandlungsgeräte, chirurgische, orthopädiDevelopment Organisation), deren Gründer sche, gynäkologische und HNO-Instrumente und Direktor Bushra Gamar Rahama 2014 in und von einem niedergelassenen Zahnarzt ein Burgdorf über die katastrophale Lage in den kompletter Behandlungsstuhl. Viele Instru- Kriegsgebieten der südlichen Provinzen von mente kamen nach einem öffentlichen Samm- Sudan und dem Südsudan berichtete. Dort lungsaufruf aus niedergelassenen Praxen und wurden und werden von den Kriegsparteien eine große Menge Verbandsmaterial aus „ab- gezielt Krankenhäuser und Krankenstationen in Flüchtlingslagern angegriffen. Der Flüchtgelaufenen“ KFZ-Verbandkästen. Nach dem öffentlichen Sammel-Aufruf hatte lingsstrom nach Uganda hält unvermindert an. Im ursprünglich für ca. 4000 Personen konzisich gleich Ortsbrandmeister Florian Bethpierten Lager Kiryandongo befanden sich Ende mann von der Feuerwehr Burgdorf gemeldet 2015 ca. 42.000 Flüchtlinge, jetzt sind es über und logistische Unterstützung für Lagerung 50.000. und Transporte vor Ort angeboten. Dafür sind Trotz des dringenden Bedarfs für unsere wir höchst dankbar, das hat uns bisher schon Spenden haben wir lernen müssen, dass „gut sehr geholfen. Das bisher gesammelte Mate- Ding Weile hat“, denn jeder organisatorische rial lagert jetzt in der Scheune seines Hofes. Schritt, jedes Verwaltungselement kostet Zeit. Da es vermutlich noch einige Wochen dauern Der bürokratische Aufwand einer solchen Akwird, bis der Container zum Beladen angelie- tion ist aus der Perspektive von Laien, die wir fert wird, werden wir aber in einen anderen alle in solcher Angelegenheit sind, unglaublich Lagerraum umlagern müssen. hoch. Im Moment stockt der Fortgang, weil Die Ortsgruppe Burgdorf des THW bot uns zwei wichtige Bescheinigungen aus Uganda ebenfalls ihre praktische Hilfe an, die wir vor und ggfs. aus Deutschland noch fehlen. allem beim Beladen des Containers werden Erst wenn die Ausschreibung und Beauftrabrauchen können. Wir hatten anfangs keine gung einer Spedition durch Engagement GloAhnung davon, dass das sachgerechte Verpa- bal erfolgt ist, werden wir genau wissen, wie cken und das sichernde Beladen eine Hand- viel der Containertransport kostet und wie werks-Wissenschaft ist und außerdem für das groß unser Eigenanteil ist. Insgesamt müssen dafür notwendige Material auch Geld kostet. wir z.Zt. mit rund 7000 € rechnen, die wir als Für den Transport nach Afrika haben wir eine Spenden einwerben müssen. Ca. 1000 haben Förderung durch „Engagement Global“ be- wir schon, so dass noch 6000 fehlen; eine erantragt. Dies ist eine Organisation unter dem hoffte 4-stellige Zuwendung eines gemeinnütDach des Entwicklungshilfe-Ministeriums, die zigen Vereins ist leider nicht bewilligt worden. humanitäre und Entwicklungshilfe-Projekte organisatorisch und finanziell fördert. In unserem Fall übernimmt sie den Kauf eines ConSpendenkonto: tainers, die Beauftragung einer Spedition für Ev. luth. Kirchenkreisamt Burgdorfer Land, IBAN: DE1352 0604 1000 0000 6076, Kennwort: DOKU-HUDO-Projekt 10 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 An der Elbe pilgern km). Gegen 15.45 Uhr ist die Ankunft in Stiepelse geplant, um 16 Uhr gibt es Gespräche in der „Räucherkate“ über die gefährdete Schönheit der Elbe mit Landessuperintendent Dieter Rathing. Um 17 Uhr startet die Rückfahrt mit Fahrzeugen. (Bitte festes Schuhwerk und ggf. regensichere Kleidung mitbringen) Pilgern bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen. Durch unser gemeinsames Gebet bringen wir unsere Bedrohungen und unsere Hoffnungen, unsere Dankbarkeit und unsere Klagen zum Ausdruck. Auf dem Weg des Pilgerns lassen wir uns herausfordern zu Veränderungen in unserem eigenen Leben, in unseren Kirchen und in unserer Gesellschaft. Die Teilnahme ist kostenlos. Information und Anmeldung bis 13. November bei: Erika Tipke, Tel.: 05858 95 11 898 oder erika. [email protected] „Elbe - Wasser - Schöpfung“ ist das Thema, unter dem der Pilgerweg von Bleckede nach Stiepelse am Donnerstag, den 17. November von 14 bis 17 Uhr begangen wird. Der Arbeitskreis Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen lädt dazu ein. Gestartet wird um 14 Uhr mit einer Andacht in der St. Jacobikirche in Bleckede. Weiter geht es um 14.30 Uhr zur Elbfähre und Überfahrt mit Pilgern auf dem Deich (ca. 5 ndere A n e g a Das s und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zu lassen. Sie beweist, dass er möglich ist, und ihr Werk mahnt, dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen.“ Carolin Emcke bei der Preisverleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (Auszüge – die gesamte Rede finden Sie auf der Webseite der Sttiftung Frieden ist ein Menschenrecht unter www.frieden-ist-ein-menschenrecht.wir-e.de/blog) Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden. Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder bensentwürfen, Abscheu zu individuellen Le sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist doch der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft. Carolin Emcke hat in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Zur Begründung heißt es: „Der Börsenverein ehrt damit die Journalistin und Publizistin, die mit ihren Büchern, Artikeln und Reden einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden leistet. Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei besonders jenen Momenten, Situationen und Themen, in denen das Gespräch abzubrechen droht, ja nicht mehr möglich erscheint. Carolin Emcke setzt sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibt – vor allem in ihren Essays und ihren Berichten aus Kriegsgebieten – auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können. Mit analytischer Empathie appelliert sie an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden. Das Werk von Carolin Emcke wird somit Vorbild für gesellschaftliches Han deln in einer Zeit, in der politische, religiöse 11 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER Verschiedenheit ist kein hinreichender Grund für Ausgrenzung, Ähnlichkeit keine notwendige Voraussetzung für Grundrechte. Das ist großartig, denn es bedeutet, dass wir uns nicht mögen müssen. Wir müssen einander nicht einmal verstehen in unseren Vorstellungen vom guten Leben. Wir können einander merkwürdig, sonderbar, altmodisch, neumodisch, spießig oder schrill finden. »Die Verschiedenheit verkommt zur Ungleichheit«, hat Tzvetan Todorow einmal geschrieben, »die Gleichheit zur Identität.« Das ist die soziale Pathologie unserer Zeit: dass sie uns einteilt und aufteilt, in Identität und Differenz sortiert, nach Begriffen und Hautfarben, nach Herkunft und Glauben, nach Sexualität und Körperlichkeiten spaltet, um damit Ausgrenzung und Gewalt zu rechtfertigen. Zur Zeit grassiert ein Klima des Fanatismus und der Gewalt in Europa. Pseudo-religiöse und nationalistische Dogmatiker propagieren die Lehre vom »homogenen Volk«, von einer »wahren« Religion, einer »ursprünglichen« Tradition, einer »natürlichen« Familie und einer »authentischen« Nation. Sie ziehen Begriffe ein, mit denen die einen aus- und die anderen eingeschlossen werden sollen. Sie teilen willkürlich auf und ein, wer dazugehören darf und wer nicht. Alles Dynamische, alles Vielfältige an den eigenen kulturellen Bezügen und Kontexten wird negiert. Alles individuell Einzigartige, alles, was uns als Menschen, aber auch als Angehörige ausmacht: unser Hadern, unsere Verletzbarkeiten, aber auch unsere Phantasien vom Glück, wird geleugnet. Wir werden sortiert nach Identität und Differenz, werden in Kollektive verpackt, alle lebendigen, zarten, widersprüchlichen Zugehörigkeiten verschlichtet und verdumpft. Dieser ausgrenzende Fanatismus beschädigt nicht nur diejenigen, die er sich zu Opfern sucht, sondern alle, die in einer offenen, demokratischen Gesellschaft leben wollen. Das Dogma des Homogenen, Reinen, Völkischen verengt die Welt. Es schmälert den Raum, in dem wir einander denken und sehen können. Es macht manche sichtbar und andere unsichtbar. Es versieht die einen mit wertvollen Etiketten und Assoziationen und die anderen mit abwertenden. Es begrenzt die Phantasie, NOVEMBER 2016 in der wir einander Möglichkeiten und Chancen zuschreiben. Mangelnde Vorstellungskraft und Empathie aber sind mächtige Widersacher von Freiheit und Gerechtigkeit. Deswegen müssen sich auch alle angesprochen fühlen. Deswegen lässt sich die Antwort auf Hass und Verachtung nicht einfach nur an »die Politik« delegieren. Für Terror und Gewalt sind Staatsanwaltschaften und die Ermittlungsbehörden zuständig, aber für all die alltäglichen Formen der Missachtung und der Demütigung, für all die Zurichtungen und Zuschreibungen in vermeintlich homogene Kollektive, dafür sind wir alle zuständig. Wir dürfen uns nicht wehrlos und sprachlos machen lassen. Wir können sprechen und handeln. Wir können die Verantwortung auf uns nehmen. Und das heißt: Wir können sprechend und handelnd eingreifen in diese sich zunehmend verrohende Welt. Wir können immer wieder anfangen, als Individuen, aber auch als Gesellschaft. Wir können die Verkrustungen wieder aufbrechen, die Strukturen, die uns beengen oder unterdrücken, auflösen, wir können austreten und miteinander suchen nach neuen, anderen Formen. Wir dürfen uns nicht nur als freie, säkulare, demokratische Gesellschaft behaupten, sondern wir müssen es dann auch sein. Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut. Demokratie ist keine statische Gewissheit, sondern eine dynamische Übung im Umgang mit Ungewissheiten und Kritik. Eine freie, säkulare, demokratische Gesellschaft ist etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken übereinander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen. Was es dazu braucht? Nicht viel: etwas Haltung, etwas lachenden Mut und nicht zuletzt die Bereitschaft, die Blickrichtung zu ändern. 12 ANTIKRIEGSHAUS NEWSLETTER NOVEMBER 2016 online-Projekt der Stiftung nds. Gedenkstätten 1941: Erste Deportationen von Juden aus Nordwestdeutschland Zum Beginn der Deportationen deutscher Juden in Ghettos und Lager vor 75 Jahren präsentiert die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten ein neues OnlineProjekt mit Biografien der Verschleppten aus Nordwestdeutschland. Spätestens mit den Novemberpogromen von 1938 ging in Deutschland die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung in brutale Verfolgung über. Drei Jahre später, im Herbst 1941, begannen die Deportationen jüdischer Männer, Frauen und Kinder in Ghettos und Lager im besetzten Polen und im Baltikum. Auch aus Nordwestdeutschland wurden Tausende Personen verschleppt. Die im Herbst 1941 beginnenden Deportationen waren Transporte in den Tod – noch vor der berüchtigten Wannseekonferenz. Oftmals wurde an den Zielorten im Osten zunächst die einheimische jüdische Bevölkerung ermordet, um Platz für die Transporte aus Deutschland zu schaffen. Bald wurden jedoch auch die Männer, Frauen und Kinder aus dem Deutschen Reich Opfer gezielter Mordaktionen oder starben an Hunger und Krankheiten. Nur Einzelne überlebten den Krieg. Auf der Website „Geschichte.Bewusst.Sein.“ schaltet die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten exemplarische Biografien der im Herbst 1941 aus Nordwestdeutschland Deportierten frei: http://geschichte-bewusst-sein.de/materialien-im-ueberblick/ deportationen-aus-nordwestdeutschland/biografien/. Den Link gibt es auch auf unserer homepage. Hinweise auf weitere Veranstaltungen Nagelkreuzandachten in der St. Martinskirche Sievershausen: Freitag, 11. November, 18 Uhr; Freitag, 25. Nobember, 18 Uhr Braunschweig Sonntag, 16. November, 18.30 Uhr, Braunschweigisches Landesmuseum Hinter Aegidien (Jüdisches Museum) Von Wolfenbüttel nach New York Eine amerikanische Ausstellung über die Wissenschaft des Judentums Donnerstag, 24. November, 19 Uhr, VHS Alte Waage Wege zu einer Kultur des Friedens Reicht unsere parlamentarische Demokratie noch aus? Diskussionsveranstaltung mit Tim Weber sowie Vertretern von Ratsfraktionen und lokalen Initiativen 13
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