nachlese TAGUNG »(Zu) wem gehört Armenien? Historische Konflikte, geopolitische Herausforderungen und die Rolle Russlands.« vom 20. bis 22. März 2015 in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Lutherstadt Wittenberg Die Tagung fand als Kooperationsveranstaltung der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt sowie der Evangelischen Akademie Meißen in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Armenische Gesellschaft (DAG), dem MESROP-Zentrum für Armenische Studien, der Deutsch-Russländischen Gesellschaft sowie der Ost-West-Gesellschaft, gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung, statt. Das Themenspektrum reichte von den historischen Entwicklungslinien armenischer Kultur, der Sprache und Identität, der Staatlichkeit bis hin zu den Spannungsfeldern geopolitischer Abhängigkeiten und Konflikte. Der vor 100 Jahren begangene Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, verbunden mit der anhaltenden Leugnungspolitik der offiziellen Türkei, dem armenischen Verhältnis zur Schutzmacht Russland sowie des schwelenden Konflikts mit Aserbaidschan um die Region Berg Karabach bildeten Schwerpunkte der dreitägigen Tagung in Wittenberg. Die Veranstaltung fand im Vorfeld gutes mediales Interesse - so wurde die Tagung auf MDR Figaro in der Sendung „Sinn- und Glaubensfragen“ ausführlich als Veranstaltungstipp vorgestellt. Auch die Armenisch-Deutsche Korrespondenz (ADK) verwies vorab auf die Tagung, was zu einer verstärkten Wahrnehmung durch das Fachpublikum führte. Die derzeit verstärkte Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den Armeniern in deutschen Medien und der Öffentlichkeit sorgte darüber hinaus für eine Sensibilisierung für das Themenspektrum rund um Armenien in historischer und aktueller Perspektive. Freitag, 20. März 2015 Nach der Begrüßung und Einführung durch den Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Friedrich Kramer, sowie den Direktor der Evangelischen Akademie Meißen, Johannes Bilz, begann die Veranstaltung mit einem Eröffnungsvortrag des Parlamentarischen Staatssekretärs a.D. und Berichterstatters des Auswärtigen Amtes für den Kaukasus, Dr. Christoph Bergner MdB, unter dem Titel „Armenien, ein Land im Südkaukasus“. Dr. Bergner führte in die Thematik ein, verdeutlichte die geografische Lage der Republik Armenien sowie die damit einhergehenden geopolitischen Herausforderungen anhand mehrerer Karten zur geografischen Lage und politischen Struktur des Südkaukasus. Hans-Jochen Schmidt, Botschafter a.D. in Armenien, ging anschließend vertiefend auf die wechselhafte Geschichte Armeniens sowie anhand einiger konkreter Beispiele auf die aktuellen Abhängigkeitsbeziehungen des in wirtschaftlicher Schieflage befindlichen armenischen Staates ein. Ein Schwerpunkt seines Vortrages „Zwischen Scylla und Charybdis. Die armenisch-russischen Beziehungen im Wechselbad der Geschichte“ bestand in der Erläuterung der Entwicklung der armenisch-russischen Beziehungen und den Umständen, die zu einer armenischen Abkehr von einer Annäherung an Europa durch ein europäisch-armenisches Assoziierungsabkommen nachlese zu Gunsten des Beitritts zur Eurasischen Zollunion unter der Führung Russlands geführt hätten. Den Exodus armenischer Eliten aus Armenien hält Schmidt für signifikant und für eines der größten Probleme für die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Konsolidierung Armeniens. Dr. Rolf Hosfeld, der wissenschaftliche Leiter des Lepsiushauses Potsdam, referierte über den Hergang des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich und ging dabei im Detail auf die deutsche Mitwisserschaft und Mitverantwortung durch weitgehende schweigende Duldung der genozidalen Verbrechen durch das jungtürkische Regime ein. Der Abend klang in der Wittenberger Stadtkirche mit einem Konzert des Moskauer Männerchores „Heiliger Wladimir“ aus. Die acht Sänger trugen russisch-orthodoxe liturgische Gesänge und Volksweisen vor. Samstag, 21. März 2015 Der zweite Tag in Wittenberg begann mit einer Andacht durch den Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Friedrich Kramer, und mündete in eine Übersichtsdarstellung zur Armenischen Geschichte bis zum Völkermord 1915. In ihrem Vortrag spannte Frau Professor Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan, Direktorin des MESROP-Zentrums für Armenische Studien in Halle und Professorin am OrientInstitut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, anschließend einen Bogen vom Jahre 301 n. Chr., in dem die Proklamation des Christentums als offizielle Religion Armeniens unter König Trdat III. stattfand und Armenien damit zum ersten christlichen Land der Welt wurde, bis zur Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich. Ischchan Tschiftdschjan, evangelischer Theologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg, vermittelte durch seinen Vortrag „Armenische Identität am Horizont der aktuellen Konflikte“ einen Einblick in die Problematik der heterogenen Zusammensetzung der weltweit verstreuten armenischen Gemeinschaft und die individuellen Probleme Armenischstämmiger bei der Konstruktion und Definition der eigenen Identität. Dabei ging Tschiftdschjan auch auf die eigene Biografie ein. Er selbst ist ein Nachkomme von Völkermord-Überlebenden. Anschließend leiteten Ischchan Tschiftdschjan und Friedrich Kramer in das armenische Völkermordgedenken in der Tradition der Armenisch-Apostolischen Kirche ein. Anschließend diskutierte er mit Direktor Kramer über die bevorstehende Heiligsprechung armenischer Märtyrer und die Tradition des Märtyrer-Gedenkens in der Armenisch-Apostolischen Kirche, die seit ca. 300 Jahren unterbrochen war und nun wieder aufgenommen wird. In der zweiten Tageshälfte informierte zunächst Dr. Uwe Halbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), über Transformations- und Konsolidierungshemmnisse, die sich aus dem armenisch-aserbaidschanischen Territorialkonflikt um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Berg Karabach ergeben. nachlese Markus Meckel, Außenminister a.D. und Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Berlin, schilderte in seinem Vortrag die Problematik der seit 100 Jahren anhaltenden Leugnung des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich durch die türkische Regierung. Die Zivilgesellschaft in der Türkei sei dagegen auf dem Weg zu einer offenen Auseinandersetzung mit dem Völkermord, was auch durch die aggressive Abwehrhaltung der Regierung nicht aufzuhalten sei. Darauf folgte ein Vortrag Jürgen Gisperts vom Institut für Ethnologie der Universität Leipzig zum russisch-armenischen Verhältnis, verdeutlicht durch das Beispiel eines Denkmals, das 2014 zur Aufstellung in der armenischen Hauptstadt Jerewan beschlossen wurde. Die Diskussion um die Statue zeigte die tiefen historischen Verwerfungen zwischen Armeniern und Türken sowie das ambivalente Verhältnis zu Russland. Den Vorträgen schlossen sich am Nachmittag Workshops an, die sich mit der Rolle Armeniens in der Kaukasus-Region (Hans-Joachim Schmidt), der bevorstehenden Heiligsprechung armenischer Märtyrer (Ischchan Tschiftdschjan), der politischen Gestaltungsmacht der armenischen Diaspora (Dr. André Fleck), dem Fortgang der internationalen Konfliktbearbeitung zum Konflikt in Berg Karabach (Dr. Uwe Halbach) sowie mit armenisch-türkischen Perspektiven (Markus Meckel) befassten. Der Tag wurde mit einem geführten Rundgang durch die von der Deutsch-Armenischen Gesellschaft kuratierte Ausstellung „1915: Aghet – Die Vernichtung“ beschlossen. Dr. Raffi Kantian, Vorsitzender der Deutsch-Armenischen Gesellschaft (DAG), führte durch die Ausstellung. Sonntag, 22. März 2015 Friedrich Kramer begann den dritten Tag mit einer Andacht, in der er in nachdenklichen Worten die Erkenntnisse vom Vortag sowie die bedrückenden Inhalte der Ausstellung in Bezug zu Ereignissen aus der biblischen Geschichte setzte. Dr. Raffi Kantian begann anschließend seinen Vortrag „Armenier in Deutschland: Jenseits des Anekdotischen“ mit einem Überblick zu den Migrationswellen, im Zuge derer Armenier zu unterschiedlichen Zeiten und aus diversen Herkunftsländern nach Deutschland kamen, woraus sich eine heterogene und auf viele Bundesländer verstreute armenische Gruppe ergeben habe. Während sich politisch engagierte Vereinigungen nur in geringer Zahl gebildet hätten, wurden kirchliche Gemeinden schnell und zahlreich gegründet. Über den Stand der wissenschaftlichen und kulturpolitischen Zusammenarbeit Deutschlands und Armeniens informierte anschließend Frau Professor Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan. Das Land Sachsen-Anhalt sei seit August 1998 für die armenisch/ deutschen Beziehungen zuständig. Damit sei das Bundesland per Memorandum von der Bundeskultusministerkonferenz beauftragt worden und hätte damit die Partnerschaft vom Land Hessen übernommen. Den Schlusspunkt der Tagung bildete eine Podiumsdiskussion „Armenien, ein europäisches Land?“, an der Botschaftsrat Ashot Smbatjan, als Gesandter der Republik Armenien, Botschafter a. D. Hans-Jochen Schmidt, Dr. Christoph Bergner, MdB sowie Dr. Uwe Halbach teilnahmen. Moderiert wurde die Diskussionsrunde durch Dr. Raffi Kantian. Diskutiert wurden der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Zollunion sowie die Eckpunkte der armenischen Komplementär- bzw. Multivektorpolitik, die aus der nachlese Sicht Armeniens durch den Gesandten und Botschaftsrat Ashot Smbatjan erläutert wurde. Smbatjan hob hervor, dass der Beitritt zur russisch dominierten Eurasischen Zollunion keine Abkehr von der EU bedeute sondern vor allem der sicherheitspolitischen Abhängigkeit von Russland geschuldet sei. Abschließend wurden die bevorstehenden Aktivitäten zum 100. Jahrestag des Völkermordes durch den Deutschen Bundestag diskutiert. Dr. Bergner berichtete über die in Vorbereitung befindlichen Resolutionsentwürfe zur Ergänzung und Erweiterung der so genannten Armenier-Resolution von 2005 durch mehrere Anträge, so der Großen Koalition, der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen sowie der Linken im Bundestag. Fazit Die Zahl von mehr als 80 Teilnehmenden und Mitwirkenden, die über die gesamte Tagung konstant blieb, sowie die aktive Beteiligung der Tagungsteilnehmer führten zu einem durchgängig sehr intensiv geführten Austausch mit den Experten und Veranstaltern. Die Referate sowie die daran anschließenden Diskussionen waren lebhaft und zeugten von großem Interesse des Auditoriums. Auch kontroverse Fragen zu gegenwärtigen Position und Leitmotiven armenischer Politik wurden in einem verständnisorientierten und konstruktiven Geist diskutiert. Die Tagung hat ein umfassendes und differenziertes Bild über die bestimmenden Kräftefelder und Machtkonstellationen vermittelt, welche die armenische Politikgestaltung determinieren. Dr. André Fleck, Dresden Tagungsimpressionen
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