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Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Hans-Böckler-Stiftung (HBS)
Steuerpolitische Tagung – 18. Mai 2015 – Berlin
Steuergerechtigkeit durch bessere Steuerpolitik
Frank Bsirske, ver.di-Vorsitzender
Steuern sollen steuern, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
Meiner Auffassung nach soll die Steuerpolitik dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit
des aktiven demokratischen Sozialstaates zu gewährleisten. Steuerliche Handlungsfähigkeit auf der Grundlage eines von der Gesellschaft als gerecht empfundenen
Steuersystems zu gewährleisten – das ist der Anspruch, an dem wir die Steuerpolitik
messen.
Beim Blick auf die gesamtstaatliche Handlungsfähigkeit sind Defizite unübersehbar.
Rekorden bei den Steuereinnahmen stehen unübersehbare Handlungsbedarfe
gegenüber:
Das Bildungssystem ist strukturell unterfinanziert, und zwar von der Krippe bis
zur Hochschule.
Im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Infrastruktur sowie in den
Kommunen stehen wir vor einem enormen Investitionsstau.
Dennoch haben CDU/CSU zur politischen Maxime erhoben, dass es in dieser
Legislaturperiode keine Steuererhöhungen geben solle. Es war die Geschäftsgrundlage für die Regierungsbildung, dass es keine Große Koalition geben würde
ohne gesetzlichen Mindestlohn (auf Seiten der SPD) und keine Steuererhöhungen
(auf Seiten der Union) – und zwar auch dann nicht, wenn mit ihnen zu mehr
Steuergerechtigkeit und handlungsfähigeren Gebietskörperschaften beigetragen
werden könnte.
Dabei ist es geblieben. Auf die Frage, was denn nun eigentlich, nachdem im ersten
Jahr der Großen Koalition lauter sozialdemokratische Agendapunkte umgesetzt
worden seien, das politische Projekt der CDU für diese Legislaturperiode sei, hat
Jens Spahn, der Hoffnungsträger des Wirtschaftsflügels der Union, geantwortet: die
schwarze Null!
Die schwarze Null sei das politische Projekt der CDU in dieser Legislaturperiode und,
dass es keine Steuererhöhungen geben solle – trotz unübersehbarer Investitions-
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defizite in wichtigen gesellschaftlichen Handlungsfeldern und trotz internationalen
Drucks auf die deutsche Bundesregierung, für Konjunkturimpulse in Europa mehr zu
tun.
Den Zielkonflikt versucht die Bundesregierung mit ihrem 15-Milliarden-Programm für
die Zeit von 2015 bis 2018 zu mildern – was ein Anfang ist, allerdings nicht mehr –
weshalb jetzt darauf gesetzt wird, privatem Kapital die Beteiligung an öffentlichen
Investitionen über Private Public Partnership (PPP-Projekte) schmackhaft zu
machen, obwohl klar ist,
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dass Haushaltslasten auf diese Weise nur in die Zukunft verschoben werden
und das zu Kosten, die bei den bisherigen PPP-Projekten des Bundes dem
Bundesrechnungshof zufolge um 30 Prozent höher waren, als wenn die öffentliche
Hand dies auf herkömmlichem Weg aus Steuereinnahmen oder über Kreditaufnahme
finanziert hätte.
Das ist eine Verschwendung öffentlicher Gelder zu Lasten der Allgemeinheit und auf
Kosten der Steuerzahler – jener Steuerzahler, denen man vorgegaukelt hat, sie vor
Steuererhöhungen schützen zu wollen (wo es doch im Kern um Steuererhöhungen
für Vermögensmillionäre und -milliardäre hätte gehen sollen) und die nun herangezogen werden, um über Jahre und Jahre die Renditen von Versicherungskonzernen und Banken mitzufinanzieren.
Dass das weder ökonomisch vernünftig noch sozial gerecht ist, weiß auch der
Bundesfinanzminister – weshalb er diese Politik mit der Erklärung zu verbrämen
versucht, mittels PPP-Projekten solle „der bürokratischen Schwerfälligkeit der
öffentlichen Verwaltung entgegen gewirkt“ werden. So Schäuble bei einem
Gedankenaustausch des DGB-Bundesvorstands mit dem Präsidium des CDUBundesvorstands.
Ich habe entgegnet: Wenn die öffentliche Verwaltung heute Probleme mit der
Abwicklung von Projekten habe, dann weil dort über Jahre immer mehr Personal
abgebaut und dabei billigend in Kauf genommen worden sei, dass ihre Handlungsfähigkeit darunter leidet.
Die Resultate dieser Politik nun der Verwaltung zum Vorwurf zu machen, ist im
Grunde zynisch.
II
Nun ist die staatliche Bauverwaltung ja kein Einzelfall. Personelle Unterbesetzung
erleben wir auch und gerade in der staatlichen Finanzverwaltung, wo die Länder
deutlich hinter den eigenen Personalbedarfsermittlungen zurückbleiben, wo es für
einen ordnungsgemäßen Steuervollzug tausend Stellen zusätzlich bräuchte, deren
Einrichtung aber unterbleibt – und das, obwohl alle wissen, dass Betriebsprüfer und
Steuerfahnder jeweils im Durchschnitt 1 Millionen bis 1,4 Millionen Euro netto an
Steuern hereinholen, die dem Fiskus zustehen, schlicht indem sie prüfen, statt
einfach zu glauben, was da zur Steuerschuld deklariert wird – eine Art systematisch
betriebener verdeckter Wirtschaftsförderung und Privilegierung von Kapitalbesitzern,
die mit Steuergerechtigkeit und steuerlicher Gleichbehandlung nun wirklich nichts zu
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tun haben. Gerecht geht anders – und welche Ansatzpunkte es dazu im Steuervollzug und durch rechtliche Rahmenvorgaben gibt, das wird morgen im Mittelpunkt
unserer Tagung stehen.
III
Heute geht es um das Steuerrecht. Dazu sind zurzeit gleich mehrere Themen in der
politischen Diskussion und in Bearbeitung:
1.
die Zukunft des Solidaritätszuschlags,
2.
die Reform der Erbschaftsteuer,
3.
die Schließung von Steuerschlupflöchern und
4.
die Erhebung einer Finanztransaktionsteuer.
Hier bestehen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf aktuell anstehende Entscheidungen, wo wir uns nicht nur auf der Ebene von Forderungen ohne jede Aussicht auf
Umsetzung in dieser Legislaturperiode bewegen – Forderungen, für die einzutreten
im Kampf um die Köpfe zweifellos notwendig bleibt, schon um das Bewusstsein von
der Notwendigkeit des Anders-Möglichen zu verbreiten. Dennoch bleiben es
Forderungen, die vorerst keine Realisierungschance haben – anders als das für
Themen gilt, bei denen zeitnah Entscheidungen anstehen, Themen, um die aktuell
zwischen verschiedenen Interessengruppen mit unterschiedlichen Konzepten
gerungen wird. Auf diese möchte ich mich deshalb im Folgenden auch erst einmal
konzentrieren.
IV
Was den ersten Punkt, den Solidaritätszuschlag, betrifft, so reden wir da über
eine zeitlich unbefristet eingeführte relativ gerechte Abgabe von demnächst
ca. 20 Milliarden Euro.
Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und
des Länderfinanzausgleichs haben Bundesfinanzminister Schäuble und Hamburgs
Erster Bürgermeister Scholz in einem gemeinsamen Papier vorgeschlagen, den
Solidaritätszuschlag in die Einkommensteuer zu integrieren. Das
würde (einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine parlamentarische
Anfrage der Grünen zufolge) für über acht Millionen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu einer Schlechterstellung führen,
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käme einer massiven Steuersenkung für Besserverdienende gleich und
würde die Kluft zwischen finanzschwachen und finanzstarken Ländern
vertiefen – mithin das genaue Gegenteil dessen bewirken, weshalb der Soli einmal
eingeführt wurde.
Ich halte das für kontraproduktiv. Völlig abwegig sind Stimmen, wie die von Hans
Michelbach von der Mittelstandsvereinigung der CDU, der gleich ganz für die
Abschaffung des Soli plädiert und Befürwortern des Soli vorwirft, ihnen gehe es „in
Wirklichkeit doch nur um den Unwillen oder auch die Unfähigkeit zur Haushaltskonsolidierung“. Das ist nun wirklich hoch ideologisch und geht restlos daneben.
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Fakt ist, dass wir uns gar nicht erlauben können, auf die Einnahmen aus dem
Solidaritätszuschlag zu verzichten. Viel eher sollte man ihn umfunktionieren, zu einer
Nachfolge für den Solidarpakt II, einen Solidarpakt III, freilich nicht nur für den Osten,
sondern für strukturschwache Regionen in Ost, West, Nord und Süd. Da teile ich
Carsten Schneiders Auffassung, wenn er in der Bundestagsdebatte erklärt: „Der Soli
ist eigentlich die gerechteste Form der Abgabe, weil es sich um einen Aufschlag auf
die Steuer handelt. Es betrifft vor allem Gutverdienende und höhere Einkommen. Ich
finde, höhere Einkommen und Gutverdienende können in diesem Land einen Beitrag
dazu leisten, dass wir ein solides und stabiles Gemeinwesen bekommen.“
Ja, das können und das sollten sie. Und zwar nicht nur im Zusammenhang mit dem
Soli.
V
Womit wir bei dem nächsten Schwerpunkt aktueller steuerpolitischer Auseinandersetzungen wären: Der Reform der Erbschaftsteuer, nachdem das Bundesverfassungsgericht mittlerweile zum zweiten Mal das Erbschaftsteuerrecht für
verfassungswidrig erklärt hat, „weil die für Betriebsvermögen und Anteile an
Kapitalgesellschaften vorgesehenen Steuervergünstigungen nicht durch
ausreichende Sach- und Gemeinwohlgründe gerechtfertigt sind und einen
verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang darstellen.“
Im Moment zahlen Erben von millionenschweren Unternehmen oder Aktienpaketen
keinen Cent Erbschaftsteuer, sofern sie ein paar Jahre lang die Arbeitsplätze
erhalten. Dem Staat entgehen durch die Verschonung jährlich 7 Milliarden bis
8 Milliarden Euro, schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Das Verfassungsgericht fordert nun schärfere Regeln, vor allem eine „Bedürftigkeitsprüfung“ bei größeren Unternehmen, um festzustellen, ob eine solche Verschonung
auch wirklich nötig ist oder nicht doch genügend Vermögen vorhanden ist, um die
Steuerschuld zu begleichen.
In ersten Eckpunkten für eine Neuregelung schlägt das Finanzministerium nun unter
anderem vor, dass es für Erben von Betriebsvermögen im Wert von mehr als
20 Millionen Euro eine individuelle Bedürftigkeitsprüfung geben muss. Bei niedrigeren Beträgen wäre Steuerverschonung wie bisher möglich, wenn Arbeitsplätze
erhalten werden. Laut Bundesministerium der Finanzen (BMF) lagen 2013 etwa
98 Prozent der Erbfälle bei deutschen Firmen unterhalb dieser Grenze.
Das heißt, es geht Schäuble ausschließlich um – in der Regel sehr profitable –
Großunternehmen und Superreiche. Schäuble hält für unzumutbar, dass solche
Erben bis zur Hälfte ihres Privatvermögens aufwenden müssen, um die Steuerschuld
zu begleichen – des Privatvermögens wohlgemerkt, das ist entscheidend. Betriebsvermögen, das betont das Finanzministerium immer wieder, bleibe in jedem Fall
unbesteuert.
Allein dass Schäuble nur die Hälfte des Privatvermögens heranziehen will, ist eine
Besserstellung gegenüber privaten Erben. Jene haften nämlich mit dem gesamten
Vermögen.
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Aber Schäubles Regelung ist auch in anderen Punkten moderat. Das Finanzamt soll
zum Beispiel eine Steuerschuld großzügig stunden, falls der Erbe etwa erst in
Immobilien angelegtes Geld flüssig machen muss.
Mehr noch, wenn ein Erbe nachweist, dass er nur einen Teil der Steuerschuld
bezahlen kann, erlässt ihm das Finanzamt den Rest. Auch ein Verkauf von
Firmenanteilen stünde also überhaupt nicht zur Disposition.
Angesichts dessen wirkt es einigermaßen absurd, wenn wohlhabende Unternehmer
in Interviews jammern, ihre Erben müssten die Firma notfalls an ‚böse‘ Investoren
verkaufen.
Unternehmerverbänden ist die Grenze von 20 Millionen Euro, ab der Schäuble
zufolge eine Bedürftigkeitsprüfung erfolgen soll, viel zu niedrig. Sie wollen sie erst bei
100 Millionen Euro zulassen. Außerdem sind sie dagegen, dass bereits vorhandenes
Vermögen einbezogen werden soll. Das sagt alles. Wer bereits Millionen an Privateigentum hat und Millionen dazu erbt, will sich trotzdem vor der Erbschaftsteuer
drücken. Geht es nach den Unternehmerverbänden, soll Deutschland bei der
Besteuerung großer Erbschaften und Vermögen eine Steueroase bleiben.
Die Debatte nimmt bisweilen schon skurrile Züge an. So, wenn der Verband der
Familienunternehmer durch Schäubles Pläne gleich das Familienunternehmertum in
Gänze gefährdet sieht und sich durch einen Rechtsprofessor gutachterlich bestätigen
lässt, dass „Familienunternehmen in der Regel gemeinwohlgebunden“ seien,
weshalb bei Unternehmenserben eine – so wörtlich – „verminderte steuerliche
Leistungsfähigkeit“ vorliege. Eine Bedürftigkeitsprüfung dürfe daher nicht „nach
Kassenlage“ erfolgen.
Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen hat das nichts zu tun. Da wollen Leute nur ganz
einfach keine Steuern zahlen.
Von 2009 bis 2013 reichten Unternehmer die immense Summe von 105 Milliarden
Euro steuerfrei an ihre Nachkommen weiter. Das darf so nicht weitergehen. Zu Recht
haben drei Verfassungsrichter ergänzend zum Erbschaftsteuerurteil formuliert: Die
Erbschaftsteuer „ist zugleich ein Instrument des Sozialstaates, um zu verhindern,
dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen Weniger kumuliert.“
Gemessen daran, aber auch gemessen an den Ansprüchen des Verfassungsgerichtsurteils ist das Schäuble-Konzept weniger radikal, als es erscheint.
Nach der Erbschaftsteuerstatistik waren 2013 überhaupt nur 59 Erbschaften (ohne
Schenkungen) höher als 20 Millionen Euro. Nur bei ihnen wäre unter Zugrundelegung des BMF-Entwurfs eine Bedürftigkeitsprüfung unter Einbeziehung des
Privatvermögens angezeigt gewesen. Im Durchschnitt hatten diese 59 Erbschaften
eine Höhe von 130 Millionen Euro.
Ob eine steuerliche Selbstbeschränkung, wie jetzt von Schäuble vorgesehen, den
Kritikern des Verfassungsgerichts und dem Erfordernis der verhältnismäßigen
Gerechterstellung von vererbtem Betriebsvermögen gegenüber privaten Erben
genügt, darf bezweifelt werden.
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Dem Erfordernis der zunehmenden Ungleichheit der Vermögensverteilung
entgegenzuwirken jedenfalls, wird sie allemal nicht gerecht.
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Ein zwingendes Gebot der Steuergerechtigkeit ist – mein nächstes Thema – auch
das Schließen von Steuerschlupflöchern.
Tatsächlich hat die Steuerpolitik der vergangenen Jahrzehnte es möglich gemacht,
dass erhebliche Teile der in Deutschland erwirtschafteten Kapitalerträge in
Deutschland weitgehend unbesteuert bleiben. Gerade Töchter ausländischer
Konzerne können Lücken im Steuerrecht nutzen und Erträge außer Landes schaffen
– Erträge, die dank trickreicher Konstellationen häufig auch nirgendwo sonst
besteuert werden.
Davon profitieren Konzerne wie Apple, Amazon und Google. So können zum Beispiel
die Gewinne des Apple-Konzerns in einer Gesellschaft landen, die quasi unbesteuert
ist, während die Apple-Tochter, die den wesentlichen Wertschöpfungsakt vollbringt,
einer beschränkten juristischen Steuerpflicht unterliegt und in den Jahren 2009
bis 2012 rund 21 Millionen Dollar an Steuern gezahlt hat – bei 74 Milliarden Dollar
Gewinn. Weltweit beträgt übrigens der Steuersatz für Apple 0,36 Prozent.
Unsere Position dazu ist ganz klar: Die zwischenstaatlichen Bemühungen zur
Unterbindung von Steuerflucht sind zu intensivieren. Die Besteuerung hat da zu
erfolgen, wo die wirtschaftliche Leistung in Anspruch genommen wird. Die Kunden
und Leistungsempfänger dieser Unternehmen sind in Deutschland und nicht auf den
Cayman Islands oder auf den Bahamas – wo etwa Google im Jahr 2012 bereits gut
33 Milliarden US-Dollar angesammelt hatte, die bis dato keiner nennenswerten
Besteuerung unterlagen. Keine Frage: Das verlangt internationale Initiativen.
Genau so interessant ist allerdings danach zu fragen, welche Möglichkeiten sich im
nationalen Rahmen bieten, um Steuerschlupflöcher zu schließen. Dazu wird Herr
Professor Jarass gleich noch ausführen. Dem will ich nicht vorgreifen.
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Ganz generell gilt aus Sicht von ver.di, dass Bezugspunkt einer Politik für mehr
Steuergerechtigkeit die extrem ungleiche Vermögensverteilung bei ausgeprägten
gesellschaftlichen Handlungsbedarfen bei Bildung, Gesundheit, Pflege und
öffentlicher Infrastruktur und unzureichenden öffentlichen Mitteln sein muss.
In Deutschland nimmt die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung immer weiter zu.
Nach einer Untersuchung des DIW beträgt das Vermögen der obersten 10 Prozent
der Bevölkerung mehr als 60 Prozent des gesellschaftlichen Gesamtvermögens. Ein
Prozent besitzen über 30 Prozent des gesamten Vermögens, die untersten
50 Prozent dagegen nur ein Prozent des Vermögens. Diese extreme Vermögensungleichheit wird seit 1998 durch die verminderte Besteuerung von Spitzeneinkommen – von 53 Prozent im Jahr 1999 auf 42 Prozent bzw. 45 Prozent heute – noch
verstärkt.
Die Anhebung des Spitzensteuersatzes bei gleichzeitiger Anhebung des Schwellenwertes (von dem aus er einsetzt), die Wiedereinführung der Vermögensteuer (mit
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hohen Freibeträgen insbesondere bei der Besteuerung von selbst genutztem
Grundvermögen) sowie die Erhöhung der Erbschaftsteuer sind daher Eckpfeiler einer
Politik, die zu mehr Steuergerechtigkeit beiträgt.
Dasselbe gilt für die Anhebung des Körperschaftsteuersatzes auf 30 Prozent (aus
der Körperschaftsteuer kommen 4 Prozent des Steueraufkommens) sowie für die
Abschaffung der Abgeltungsteuer. Lohneinkünfte werden bis zum Spitzensteuersatz
von derzeit 42 Prozent (plus 3 Prozent sogenannte Reichensteuer) besteuert,
während Kapitaleinkünfte mit der Abgeltungsteuer von höchstens 25 Prozent belastet
werden. Hinzu kommt die Anonymität des Steuerabzugs bei der Abgeltungsteuer,
durch die Einnahmequellen gegenüber den Finanzämtern leichter verschleiert
werden können.
Gerecht ist all das nicht. Gerecht geht anders.
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Für erforderlich halten wir auch, die unbeschränkte Einkommen- und Vermögensteuerpflicht für deutsche Staatsbürger an die deutsche Staatsbürgerschaft zu
binden.
Das Wohnsitzprinzip als Grundlage der Einkommen- und Vermögensteuerpflicht wird
gerade von Superreichen benutzt, um sich ihrer steuerlichen Pflichten durch
Wohnsitzverlagerung zu entziehen. Boris Becker, Michael Schumacher, Franz
Beckenbauer, Theo Müller (Müller-Milch) stehen dafür beispielhaft.
Das ist nicht akzeptabel.
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Und Änderungsbedarf sehen wir in mehrfacher Hinsicht auch in puncto Mitteilungspflichten:
1.) Der Bruttoarbeitslohn der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist für das
Finanzamt ersichtlich. Das scheint ganz normal. Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen besteht erheblich mehr Zurückhaltung. Die Kreditinstitute sollten
verpflichtet werden, dem Finanzamt die Einnahmen aus Kapitalvermögen mitzuteilen.
2.) Zur Bekämpfung der Steuerflucht und zum Austrocknen von Steueroasen ist die
Mitteilungspflicht über Einkünfte aus Kapitalvermögen und die obligatorische
Offenlegung der Nutznießer und Eigentümer von Firmen, Stiftungen und Trusts
unabdingbar.
3.) Schließlich befürworten wir die Abschaffung der strafbefreienden
Selbstanzeige. Bei den gesetzlichen Instrumenten macht insbesondere die
Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige die Steuerhinterziehung zu
einem ‚berechenbaren Delikt‘.
So können sich viele Straftäter noch rechtzeitig vor jeglicher Bestrafung absichern.
Meist geschieht das erst dann, wenn ein Verfolgungsdruck entstanden ist und die
Steuerhinterziehung entdeckt zu werden droht. Damit ist Steuerhinterziehung eine
Straftat ‚niederer Bedeutung‘. Deshalb ist es wohl verwunderlich, dass Steuer-
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hinterziehung – als Betrug an der Gemeinschaft – vielerorts noch immer als
Kavaliersdelikt betrachtet wird.
Die Situation der griechischen Staatsfinanzen zeigt, wohin es führt, wenn sich die
Bezieher von Einkünften aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ihrem Land
gegenüber verantwortungslos verhalten. In der Öffentlichkeit muss stärker deutlich
gemacht werden, dass Steuerhinterziehung ein Verbrechen und ein strafwürdiges
soziales Fehlverhalten ist.
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Steuern sollen steuern. Die Auseinandersetzung um die Frage, wie und wohin mittels
Steuerpolitik gesteuert wird, ist von elementarer Bedeutung.
Wir wollen sie eingesetzt wissen zugunsten eines aktiven demokratischen Sozialstaats, der in der Lage ist, gesellschaftlichen Handlungsbedarfen Rechnung zu
tragen.
Dazu brauchen wir entschieden mehr Steuergerechtigkeit in unserem Land als heute.
Der Auseinandersetzung damit dient diese Tagung.
Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit.