Am 28. April 2015 führte der deutsche Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ein Interview mit der kosovarischen Tageszeitung Koha Ditore. Lesen Sie hier das vollständige Interview. Koha Ditore: Sie werden Kosovo und Serbien in einer Zeit besuchen, da der Dialog in Brüssel still zu stehen scheint und die erzielten Vereinbarungen nicht wie erwartet umgesetzt werden. Was erwarten Sie von Kosovo und was von Serbien in Bezug auf den Dialog und welche Botschaften werden Sie während Ihres Aufenthalts in Pristina und Belgrad überbringen? Außenminister Steinmeier: In den letzten Jahren sind Serbien und Kosovo historische Fortschritte in ihrem Dialog und Miteinander gelungen, vor allem bei der Klärung der Situation im Norden Kosovos. Immer mehr kosovarische Institutionen können auch dort ihre Aufgaben wahrnehmen. Die serbische und die kosovarische Regierung haben vor Kurzem die Weichen dafür gestellt, dass dies bald auch für Gerichte und Staatsanwaltschaften der Fall sein wird. Die Bürger im Norden haben nun durch kosovarische Wahlen legitimierte Bürgermeister und Gemeinderäte, die ihre Interessen vertreten. In diesem Prozess gibt es noch offene Fragen, die jetzt rasch geklärt werden müssen – einen Stillstand sehe ich nicht. Ich werde bei meinem Besuch in beiden Ländern die serbische und die kosovarische Regierung ermutigen, die dafür nötige Kompromissbereitschaft und Entschlossenheit an den Tag zu legen. Koha Ditore: Unterstützer des Dialogs in Pristina, die kosovarische Regierung eingeschlossen, beharren darauf, dass der Prozess zur Anerkennung Kosovos durch die fünf EU-Nichtanerkennerstaaten führen wird, als auch, am Ende zu einer Anerkennung Kosovos durch Serbien. Ist dies das Endziel des Dialogprozesses zwischen Pristina und Belgrad? Ist dies die Erwartung Berlins vom Dialogprozess zwischen Pristina und Belgrad und vom EU-Integrationsprozess Kosovos und Serbiens, als zwei unabhängige Staaten, die sich gegenseitig anerkennen? Außenminister Steinmeier: Kosovo und Serbien verbindet die Aussicht auf einen Beitritt zur Europäischen Union. Wer gemeinsam in Brüssel europäische Politik gestalten will, muss ein gutnachbarschaftliches Miteinander und sein Verhältnis zueinander klar geregelt haben. Deshalb erwarten Deutschland und die europäischen Partner eine umfassende Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo in Form einer verbindlichen Vereinbarung. Deutschland unterstützt die kosovarische Regierung seit Jahren beim Werben für die völkerrechtliche Anerkennung. Auch mit den Staaten innerhalb der EU, die Kosovo bisher nicht anerkannt haben, stehen wir dazu in intensivem Dialog. Bei einigen von ihnen erleben wir inzwischen eine konstruktive, pragmatische Begleitung der EUAnnäherung Kosovos. Darauf aufbauend werden wir auch weiter auf eine völkerrechtliche Anerkennung als Staat hinwirken. Koha Ditore: Bei der Westbalkankonferenz, die im August letzten Jahres in Berlin stattfand, setzten Bundeskanzlerin Merkel und die deutsche Regierung einen Prozess in Gang, durch welchen die wirtschaftliche Entwicklung der Regionsländer sowie ihre EU-Annäherung unterstützt werden soll. Jetzt, neun Monate später spürt Kosovo keine positiven Wirkungen aus diesem Prozess; die kosovarische Wirtschaft steht nach wie vor still, seine EU-Integration bleibt unklar und die Kosovaren sind die einzigen Bürger der Region, die keine Möglichkeit der visumsfreien Einreise in die Schengen-Staaten haben. In der Zwischenzeit erlitt Kosovo eine politische Krise, die sechs Monate dauerte. Ferner wuchs auch die soziale Unzufriedenheit, aber auch das Misstrauen gegenüber der neuen Regierung. Sieht Deutschland einen Weg aus dieser Sackgasse, in die Kosovo zu geraten scheint und wie sehe dieser aus? In welchen Bereichen des Staatsaufbaus würde Berlin, als ein großer Unterstützer Kosovos, größere Fortschritte sehen wollen? Außenminister Steinmeier: Die Menschen in Kosovo sehen sich gegenwärtig in einer besonders schwierigen Lage, weil die wirtschaftliche Entwicklung nicht so ist, wie sie sich das erhofft haben. Das hat auch die für einige Zeit stark gestiegene Zahl der Ausreisen aus Kosovo deutlich gemacht. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es Kosovo gelingen kann, diese schwierige Phase hinter sich zu lassen. Die neue kosovarische Regierung bekennt sich dazu, die notwendigen Reformen anzugehen, um ihren Bürgern bessere Perspektiven für Wohlstand und Beschäftigung zu eröffnen. Für die kosovarische Demokratie bedürfen zentrale Institutionen wie Justiz und Medien weiterer Stärkung; die Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität muss entschlossen vorangetrieben werden. Lassen Sie mich klar sagen: Ich sehe Kosovo nicht in einer Sackgasse, das Land hat wichtige Fortschritte gemacht. Aber Kosovo braucht auch weiter entschlossene Reformen. Kosovo geht diesen Weg nicht allein. Deutschland und die Europäische Union stehen an der Seite des Landes und werden es weiter unterstützen. Koha Ditore: Eine Debatte, die in letzter Zeit in Kosovo geführt wird, handelt über die Gründung eines Spezialgerichts für Kosovo. Wie sieht Deutschland diesem Prozess entgegen und was denken Sie könnte geschehen, sollte das kosovarische Parlament der Gründung dieses Gerichtes nicht zustimmen? Außenminister Steinmeier: Die „Special Investigative Task Force“ ist Teil der EURechtsstaatsmission EULEX Kosovo ist und hat Vorwürfe aus dem sogenannten „Marty-Bericht“ aus dem Jahr 2010 untersucht. Die Aufklärung von Vorwürfen zu Verbrechen aus der Zeit direkt nach dem Kosovo-Konflikt 1998/1999 ist für eine nachhaltige Versöhnung in Kosovo von großer Bedeutung. Dafür sind klare Vereinbarungen zwischen der EU und Kosovo getroffen worden. Ein Sondergericht wird die Fälle zur Anklage bringen, die sich aus den Untersuchungen ergeben. Es wird international besetzt sein und Verfahren nach kosovarischem Recht durchführen. Wir rechnen fest damit, dass das kosovarische Parlament zu seiner Vereinbarung mit der EU steht und die weiteren Schritte beschließt. Koha Ditore: Wir haben in letzter Zeit auch Probleme mit der EULEX-Mission, die nach Anschuldigungen wegen Korruption und Politisierung an Glaubwürdigkeit verloren hat, gesehen. Der Bericht des von der Hohen Vertreterin der EU Mogherini beauftragten Ermittlers kommt sogar zu dem Schluss, dass die EULEX nicht mehr in Kosovo bleiben soll, sollte die Mission sich nicht reformieren. Was denken Sie sollte mit der EULEX-Mission geschehen? Außenminister Steinmeier: Die EU und die Bundesregierung setzen sich für eine rückhaltlose Aufklärung der Vorwürfe gegen ehemalige Angehörige der Mission EULEX Kosovo ein. Es ist wichtig, dass es bei dem von Ihnen angesprochenen Bericht nicht um eine Untersuchung der Korruptionsvorwürfe selbst geht. Diese werden im Rahmen bereits eingeleiteter Ermittlungsverfahren behandelt. Vielmehr geht es hier um die Untersuchung der von der Mission EULEX Kosovo und vom EAD getroffenen Maßnahmen zur Aufklärung. Nun hat ein unabhängiger Experte einen sehr detaillierten Bericht mit konkreten Empfehlungen vorgelegt. Die EU wertet den Bericht aktuell aus. Anschließend werden wir gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedstaaten die konkrete Umsetzung der Empfehlungen beraten. Wir unterstützen die Arbeit der EU-Rechtsstaatsmission EULEX Kosovo weiter. EULEX hat in den Bereichen Polizei, Zoll, Justizaufbau und eben gerade auch bei der Korruptionsbekämpfung wichtige Fortschritte erreicht.
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