42 KULTUR BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE SAMSTAG, 6. JUNI 2015 Eine kleine, sehr schöne Hommage Eva Aeppli Das Basler Museum Tinguely gedenkt mit einer Ausstellung der Anfang Mai verstorbenen Künstlerin Aeppli verband eine enge Freundschaft mit dem Künstler Daniel Spoerri. Er war es auch, der die beiden nach Paris lockte. Dort begegnete sie Yves Klein und anderen Avantgardisten. Im Gegensatz zu Tinguely habe sie sich bewusst weitgehend aus der Pariser Kunstszene herausgehalten, erzählt Pardey. Eine andere Fotografie zeigt Aeppli vor ihren frühen Zeichnungen «StripTease», die wegen ihrer Lichtempfindlichkeit im Original nicht ausgestellt werden können. Bereits hier erkennen wir die ausgemergelten, von Scherz gezeichneten, gebrochenen Gesichter. VON CHRISTIAN FLURI Fünf schwarze trauernde Frauen blicken mit ihren geschlossenen Augen in die Leere. Es sind Eva Aepplis «Fünf Witwen», die lebensgrossen Puppen von 1969. So sehr sie mit dem Tod im Dialog stehen, so ausdrucksstark sind ihre Gesichter. Sie sind gebrochen – gewiss –, aber es sind lebendige Gesichter. Und ihre skelettartigen Hände sind keine Totenhände. Deshalb wehrt sich Andres Pardey, Vizedirektor des Museums Tinguely und Kenner von Eva Aepplis Kunst, gegen die vorschnelle Qualifikation Aepplis als Künstlerin des Todes. Das wäre zu simpel. Selbst die Totenköpfe auf ihrem düsteren Bild «Champ de Tulipes» wirken im Schmerzensschrei lebendig. Gerade deshalb erschüttert das Bild, mit dem die 1925 geborene Basler Künstlerin die Schreckensbilder aus den Konzentrationslagern verarbeitet hat. Biographie in Bildern Eva Aepplis Kunst geht unter die Haut, das macht die kleine, sehr schöne Hommage des Museums Tinguely an die erste Frau Jean Tinguelys deutlich. Drei wichtige Werkgruppen Eva Aepplis «Fünf Witwen» mit ihren erschütternden Gesichtern. Pardey und Museumsdirektor Roland Wetzel haben zu Ehren der am 4. Mai verstorbenen Künstlerin die Ausstellung mit Werken aus eigenen Sammlungsbeständen in zwei Räumen des ersten Geschosses eingerichtet und sie in Beziehung zu Tinguelys reliefartigen beweglichen Arbeiten gesetzt. Im ersten Raum haben sie mit Fotografien – vor allem von Hansjörg Stöcklin, der Aeppli und Tinguely auch in ROLAND SCHMID Paris besucht hat – eine Art Künstlerbiographie gestaltet. Wir sehen die Bilder der lebensfreudigen Künstlerin mit den wachen, intelligenten Augen im Atelier in Paris, dem zum Abbruch bestimmten Raum, den sie mit Tinguely bewohnte. Sie lebten von 1953 bis zur Trennung im Jahr 1961 in der Künstlerkolonie Impasse Ronsin im Quartier Montparnasse, dem Ort, wo auch Brancusi sein Atelier hatte. Der zweite Raum ist drei wichtigen Werkgruppen gewidmet: den Puppen, den grossformatigen Bildern und den Kopfskulpturen. Erst zum zweiten Mal sitzen die fünf Witwen nicht gegenüber dem Lotus-Formel-1-Wagen, wie sie Tinguely 1972 im Gedenken an seinen Freund Joe Siffert, den ein Jahr zuvor tödlich verunglückten Rennfahrer, zur Installation gruppiert hat. 2006 in der grossen Retrospektive im Museum Tinguely war es das erste Mal. Laut Pardey habe sich Aeppli drüber gefreut. «End- lich ohne den Lotus» soll sie gesagt haben. Die fünf Witwen stehen beispielhaft für die Werkgruppe der Puppen. Vom früheren Werkblock, den grossformatigen Bilder, sind zwei eindrückliche Gemälde ausgestellt: Neben «dem «Tulpenfeld», dem grauenvollen schwarz-weissen Massengrab ist es «La Fête». Hier sind die totenkopfartigen Gesichter mit geschlossenen Augen in ein rotes Feld gesetzt. Den Gesichtern gibt Aeppli einen Dreh ins Groteske. Das Bild bewegt sich zwischen schaurigem Fest und dem Tanz von Untoten. In der Mitte des Raums stehen auf Sockeln neun von ihren in Bronze gegossene Stoffköpfen. Nach ihrer Beschäftigung mit der Astrologie gestaltete Aeppli mehrere Zyklen von Stoffköpfen mit entsprechenden charakteristischen Physiognomien. Die Stoffköpfe liess sie in Bronze giessen: Man sieht darin noch das Weiche des Originals – und jeder Kopf lebt und fasziniert in seinem ganz eigenen Ausdruck. Da begegnet man dem nach innen schauenden Kopf «Inside» oder dem rätselhaften Blick des «Samouraï des tenebres». Museum Tinguely bis 1. November «Singende Berge und glühende Schneefelder» Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (18) Hans-Georg Hofmann, Leiter künstlerische Planung beim Sinfonieorchester Basel, wählt Ernst Ludwig Kirchners Bild «Die Amselfluh» aus dem Jahr 1922 « Berglandschaften haben mich schon immer fasziniert. Als Junge, der östlich des Eisernen Vorhangs in Halle (Saale) als Flachlandindianer aufwuchs, besass ich zwei Alpen-Alben. Das eine mit alten Postkarten hatte mir mein Grossvater anvertraut. Das andere entstand aus den Verpackungen von Swiss Premium Mini-Schokoladentäfelchen mit Panorama-Ansichten. Meine Eltern bekamen sie regelmässig von Freunden aus Bern geschenkt. Ich schnitt die alpinen Berglandschaften aus, klebte sie geografisch geordnet ins Album und begab mich auf Traumwanderungen zu schneebedeckten Gipfeln. Empfindlich gestört wurden diese Ausflüge einige Jahre später, als ich eine Ausgabe von Ernst Ludwig Kirchners DavoHans-Georg ser Tagebuch mit Hofmann. Zeichnungen des Malers in die Hände bekam. Eine abstrakt surreale Bildsprache strömte mir entgegen – expressive Farbexplosionen aus Pink-, Giftgrün, Blau- und Lavendeltönen. Massive Felswände begannen sich bei näherer Betrachtung zu bewegen. Diese Bilder hatten mit meinen fotografischen Vorlagen nichts gemeinsam. Sie strahlten eine viel stärkere magische Anziehungskraft aus, die ich mir nicht erklären konnte. Die Verbindung Halle–Davos Erst später erfuhr ich, dass es eine direkte Verbindung zwischen den Davoser Bergen und meiner Heimatstadt gab. Kirchner hatte sich als Soldat für den Ersten Weltkrieg gemeldet und kam 1915 zur Militärausbildung nach Halle. Schon nach wenigen Wochen erlitt er einen psychischen Zusammenbruch und wurde entlassen. Er trank bis zur Besinnungslosigkeit, betäubte sich mit Tabletten und Morphium. Die in dieser Zeit entstandenen Selbstporträts gehören sicherlich zu den ergreifendsten Darstellungen existenzieller Angst und Verzweiflung. Entziehungskuren in deutschen Sanatorien blieben erfolglos. Lähmungserscheinungen der Gliedmassen und Bewusstseinsstörungen führten ihn an den Rand des To- MARTIN P. BÜHLER / KUNSTMUSEUM BASEL Ernst Ludwig Kirchner: Amselfluh; 1922. 120 x 170.5 cm; Öl auf Leinwand, erworben 1944. des. 1918 dann die Rettung: Kirchner verliess Deutschland und begann ein neues Leben in Davos. Die Darstellung der Natur, der Bergwelt und ihrer einfachen Bewohner rückte nun ins Zentrum seines künstlerischen Schaffens. Sie steht symbolisch für eine Vision von der inneren Erneuerung von Körper und Seele. Doch Kirchners Utopie von Vollkommenheit und innerer Ruhe schliesst die ‹erlebte› Realität nicht aus. Sie baut eher auf durchlebte Erfahrungen auf und möchte durch Steigerung des Ausdrucks Neues entstehen lassen. Das ist das Faszinierende. Sein Bild ‹Amselfluh› ist für mich das eindrücklichste Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Die Formen der Berge werden stark vereinfacht zu abstrakten Gebilden, die miteinander ins Gespräch kommen. Mit wellenförmigen Bewegungen scheinen sie zum Leben erweckt. Noch stärker zeigt sich das im wogenden Schneemassiv, in dessen Mitte ein kleines dunkles Männlein in ein Kuhhorn bläst. Doch der Klang kommt von der illuminierten Natur, den singenden Bergen und glühenden Schneefeldern. In Stefan Schwieterts wunderbarem Film ‹Heimatklänge› gibt es eine vergleichbare Szene, in der man Christian Zehnder und Balthasar Streiff – damals noch als Duo Stimmhorn – in die Berge ziehen sieht, um der Natur ihre Klänge abzulauschen, die sie dann neu komponieren. Schon bei Kirchner ist das Naturerlebnis Ausgangspunkt, aber auch nicht mehr als Anregung, um die Natur komplett umzugestalten und aus der inneren Vorstellung und Erlebniswelt etwas Neues entstehen zu lassen. Das unterscheidet die Kunst von der technischen Reproduzierbarkeit, die Malerei von einer Ansichtskarte oder einer Schokoladenverpackung. Die Alpen-Alben besitze ich trotzdem noch.» SERIE ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Mein Lieblingswerk Mit der bz-Serie «Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum» wollen wir während der Schliessung des Basler Kunstmuseums dessen Schätze in unser Bewusstsein rufen. Dies, obwohl einige Meisterwerke im Museum der Gegenwartskunst und im Museum der Kulturen ausgestellt sind. Jede Woche stellt eine Persönlichkeit ein Werk vor. Am 30. Mai wählte der Autor Wolfgang Bortlik Walter Kurt Wiemkens Bild «Das Denkmal des Generals» von 1937. (FLU)
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