Belle Haleine - Der Duft der Kunst 11. Februar

Belle Haleine - Der Duft der Kunst
11. Februar - 17. Mai 2015
Das Museum Tinguely realisiert in den nächsten Jahren eine Ausstellungsreihe, mit der es die komplexe Thematik der
fünf menschlichen Sinne und ihre Darstellung in der Kunst beleuchten wird. Zum Auftakt dieser Reihe setzt sich die
Gruppenausstellung "Belle Haleine – Der Duft der Kunst" vom 11. Februar bis 17. Mai 2015 mit dem faszinierenden
und flüchtigen Phänomen des Geruchs auseinander. Sie geht damit über die gängige museale Erlebnisform von Kunst
hinaus, bei der vor allem der visuelle Sinn des Betrachters angesprochen ist.
Auf über 1200 m2 werden multimediale Rauminstallationen, Videos, Plastiken und Objekte, konzeptuelle Werke,
Zeichnungen, Fotografien sowie Grafiken folgender internationaler Künstlerinnen und Künstler präsentiert: John
Baldessari, Bernard Bazile, Louise Bourgeois, Marcel Broodthaers, Carlo Carrà, Marcel Duchamp, Peter de Cupere,
Sylvie Fleury, Jaromír Funke, Yuan Gong, Raymond Hains, Carsten Höller, Bruno Jakob, Oswaldo Maciá, Piero
Manzoni, Jenny Marketou, Cildo Meireles, Kristoffer Myskja, Ernesto Neto, Markus Raetz, Man Ray, Martial Raysse,
François Roche, Dieter Roth, Ed Ruscha, Valeska Soares, Daniel Spoerri, Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Jana
Sterbak, Jean Tinguely, Sissel Tolaas, Clara Ursitti, Ben Vautier, Bill Viola, Claudia Vogel, Meg Webster und AnnaSabina Zürrer. Im ersten Raum der Schau wird zudem eine Auswahl allegorischer Arbeiten von Künstlern wie
Cornelis Dusart, Pieter Jansz. Quast, Jan Saenredam, Jacob Fransz. van der Merck aus dem 16. bis 17. Jahrhundert zu
sehen sein.
Die Ausstellung rückt das olfaktorische Potential unserer ästhetischen Wahrnehmung ins Zentrum und stellt dabei eine
Reihe von Fragen: Was geschieht, wenn unsere Nase plötzlich die Hauptrolle beim Erleben von Kunst spielt? Wie
riecht Kunst? Können Düfte und die verschiedenen Bereiche, die in unserem Leben davon beeinflusst werden,
überhaupt als Medium künstlerischen Ausdrucks und Kreativität dienen? Gelingt es Künstlern, in ihren Arbeiten den
Geruchsinn des Betrachters auf seiner emotionalen und kognitiven Ebene zu aktivieren, ohne dabei ein
Odorierungsmittel zu verwenden? Lassen sich Gerüche beschreiben und in bildlich abstrakter Form darstellen? Die
Exponate im Museum Tinguely zeigen, dass es diesen Platz für Experimente und damit eine Erweiterung des
Kunstbegriffs in die olfaktorische Dimension tatsächlich gibt. Diese hat in den letzten Jahren massgeblich an
Bedeutung gewonnen. Die Exponate im Museum Tinguely zeigen, dass es diesen Platz für Experimente und damit
eine Erweiterung des Kunstbegriffs in die olfaktorische Dimension tatsächlich gibt. Diese hat in den letzten Jahren
massgeblich an Bedeutung gewonnen.
Als biochemischer Sinn ist der Geruch a-perzeptorisch und gehört zu unseren ältesten sensorischen Fähigkeiten. Er ist
direkt erlebbar, da unsere Geruchswahrnehmung unmittelbar mit dem limbischen System verbunden ist. Als eine
wichtige sensorische Eigenschaft ist unser Riechsinn eng mit der Erinnerung sowie der Bewertung bestimmter
Erlebnisse verknüpft und ist dazu bestimmt, Informationen über vergangene Ereignisse in den gegenwärtigen Moment
zu integrieren. Düfte evozieren subjektiv und kulturell stark unterschiedlich geprägte Emotionen, Erinnerungen und
Assoziationen, die auch geschichtlichen Wandlungen unterliegen.
Der Einsatz von olfaktorischen stimuli in der Kunst geschieht oft subversiv und bricht mit vielen Tabus. Ein
bestimmter Duft zieht uns an oder stösst uns ab. Gerüche provozieren, stimulieren und beeinflussen uns ganz direkt.
Diesen Umstand machen sich Künstler und Künstlerinnen zu Nutze und setzen dabei verschiedene brisante Fragen
unserer Zeit und Gesellschaft ins Zentrum ihrer Werke.
Allegorische Darstellungen des odors aus der Barockzeit bilden in einem ersten Raum den Prolog zur Ausstellung.
Daneben werden Werke und Dokumente von so wichtigen Künstlern der 1920er-Jahre wie Marcel Duchamp, Man Ray
oder Carlo Carrà gestellt, bei denen das Atmen und das volatile Phänomen des Dufts auf unterschiedliche Weise
aufgegriffen wird. Mit dem Beginn der Avantgarden Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Beziehung zwischen
bildender Kunst und dem Geruchssinn aktuell. Die Künstler des 20. Jahrhunderts strebten nach einer Synästhesie,
einem Zusammenspiel mehrerer Sinnesreize. Raoul Hausmann, der Dada-Künstler und Dichter, war auch später noch
davon überzeugt, dass unser Denken stark von den fünf Sinnen beeinflusst sei. Er forderte in seinem Buch La
Sensorialité Excentrique von 1969 eine sensorische Kapazität, die über alles bisher Dagewesene hinausgehen und
damit ein Zeitalter einer neuen Zivilisation einläuten soll. Im Rahmen der Öffnung eines künstlerischen Werkbegriffes
ab den 1960er-Jahren, der die Hinwendung zum Alltag und damit auch den direkten Kontakt zum Kunstbetrachter
suchte, gewann diese Haltung an Wichtigkeit. Künstler der Generation Tinguelys, aus dem Umkreis des "Nouveau
Réalisme“, der Pop-Art, der Konzeptkunst oder Fluxus, versuchten ausser der optischen Wahrnehmung möglichst
viele weitere Sinne des Betrachters anzusprechen und in den Vordergrund zu stellen.
Der Hauptfokus der Ausstellung liegt auf einer Auswahl von Kunstwerken aus den letzten zwanzig Jahren, in denen
unsere olfaktorische Sinneswahrnehmung in unterschiedlicher Art und Weise eingefordert wird. Einige Arbeiten
rücken die enorme Diskrepanz zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit in den Vordergrund und zeigen, dass eine
sensiblere Wahrnehmung der Umwelt mittels unserer Nase im 21. Jahrhundert aktueller ist denn je.
Ein wichtiges Thema ist unser ambivalentes Verhältnis zum menschlichen Körper und seinen natürlichen Gerüchen,
Ausdünstungen und Botenstoffen, die wir durch Desodorierung versuchen zu beeinflussen. Sylvie Fleury beschäftigt
sich in Aura Soma (2002) – 102 Fläschchen, die mit Ölen und Wasser in unterschiedlichen Farben gefüllt sind – mit
dem Mode-Phänomen der Esoterik und der damit zusammenhängenden Duft-Aroma-Therapie. Piero Manzoni, ein
wichtiger Vertreter der italienischen Konzeptkunst, erklärte in Merda d’artista (1961) oder Fiato d’artista (1960) seinen
eigenen Körper zum künstlerischen Medium. Dieter Roth imprägnierte sein literarisches Editions-werk Poemetrie von
1968 äusserst provokativ mit einer Mischung aus Pudding und Urin.
In Jana Sterbaks Chemise de Nuit (1993-2013) und Container for Olfactive Portrait (2004) geht es um die
vielschichtige erotisch-sexuelle Anziehungskraft unseres Körpers. Die partizipativ-performative Installation The
FEAR of Smell – the Smell of FEAR (2006–2015) der norwegischen Künstlerin und Geruchsforscherin Sissel Tolaas
dagegen rückt den spannenden Zusammenhang zwischen Angst, Geruch und Ekel sowie unsere zu hinterfragende
Haltung dazu ins Zentrum.
Dem gegenüber stehen Ernesto Netos raumgreifende Arbeit Mentre niente accade/ While nothing happens (2008) und
Lipzoid Spice Garden (2000), die konstruktiv-minimalistisch anmutende Fainting Couch (2002) von Valeska Soares
und Meg Websters monochrome Papierarbeiten und Moss Bed (1986/2005-2015), die unter Verwendung
unverfälschter Materialien wie Gewürzen, Lilien und Moos unsere Sehnsucht nach der Natur und letztlich
paradiesischen Zuständen aufkommen lassen.
In der begehbaren Installation Volátil (1980–1994) von Cildo Meireles wird der Besucher durch seine körperliche und
nicht zuletzt olfaktorisch eingeforderte direkte Partizipation auf frappierende Art und Weise mit starken Emotionen
konfrontiert. Mittels des wolkenweichen Talkpuders, einer Kerze und dem schwefelhaltigen, synthetischen
Odorierungsmittel, das handelsüblichem Haushaltsgas als Warngeruch beigemischt wird, um uns frühzeitig vor
ausströmendem Gas zu warnen, werden Assoziationen an die Schrecken des Holocaust von positiven Gefühlen des
Gehens wie über Wolken konterkariert.
Starke Emotionen werden beim Erleben der frühen Video- und Klanginstallation Il Vapore (1975) des amerikanischen
Künstlers Bill Viola heraufbeschworen. Der Besucher wird vom intensiven Geruch von Eukalyptusdampf umhüllt, der
den ganzen Raum erfüllt. Auf der Basis der Überlagerung verschiedener Zeit- und ReaIitätsebenen stellt der Künstler
die Transformation der verschiedenen physikalischen Aggregatszustände von Wasser dar, von der flüssigen Materie
zum gasförmigen, ephemeren Dampf. Damit verweist Viola auf die meditativ-transzendentale Qualität der universellen
Materie Wasser.
Viele der Fragen, die uns im Zusammenhang mit dem Geruchsinn in der heutigen Zeit beschäftigen, sind auch Inhalt
der aus zehn Interviews bestehenden Videoarbeit Smell You, Smell Me (1998) der griechischen Künstlerin Jenny
Marketou, die im Zentrum der Ausstellung präsentiert wird.
"Belle Haleine – Der Duft der Kunst" ist weder eine Parfum-Ausstellung noch verfolgt sie das Ziel einer
kunsthistorisch umfassenden chronologischen Gruppenausstellung. Sie ist bewusst experimentell angelegt und möchte
zur Reflexion über unsere oft vernachlässigte und dabei so bedeutende und spannende sensorische Fähigkeit anregen.
Ein vielfältiges Rahmenprogramm, wie beispielsweise Basels erste Pheromonparty (Valentinstag, 14. Februar 2015),
ein interdisziplinäres Symposium (17. und 18. April 2015) mit namhaften internationa-len Referenten aus Geistes- und
Naturwissenschaft, Vorträgen, Führungen, speziellen Familien-sonntagen und Workshops (u.a. mit Sissel Tolaas am
19. April 2015) begleiten die Ausstellung im Museum Tinguely. Die Ausstellung wurde von Annja Müller-Alsbach
konzipiert.
Museum Tinguely | Paul Sacher-Anlage 2 | Postfach 3255 CH-4002 Basel | Telefon + 41 61 681 93 20 | Telefax + 41 61 681 93 21
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 – 18 Uhr | Montag geschlossen