Malen nach Zahlen oder Es geschah am 31.03. 2015

Malen nach Zahlen
oder
Es geschah am 31.03. 2015
Heute ist der erste April und ich bin sicher, dass die gestrigen
Vorgänge im Rathaus der Stadt Rostock nur deshalb nicht als,
ziemlich mieser, Aprilscherz durchgehen, weil das Datum für die
Entscheidung über das Schicksal des Intendanten des Rostocker
Volkstheaters, Herrn Sewan Latchinian, den Verantwortlichen
leicht verrutscht ist.
Zum besseren Verständnis für nicht am Theater interessierte
Menschen, zu denen auch der noch amtierende Rostocker
Bürgermeister Roland Methling gehört, und alle, die die
Entwicklung in Rostock nicht so ganz mitbekommen haben:
Gestern wurde der relativ neue Intendant, der in kürzester Zeit am
Rostocker Volkstheater für beeindruckenden frischen Wind
gesorgt hat und sich vor allem für den Erhalt des Theaters als 4Spartenhaus eingesetzt hat, auf billige Art und Weise geschasst,
um in Ruhe die von Seiten einiger Politiker beschlossenen
Veränderungen (Diese Veränderungen beruhen ausschließlich auf
finanziellen Erwägungen, die sich , zum Teil auf veraltetes
Zahlenmaterial stützen) und Spartenschließungen vornehmen zu
können.
Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die Vorgänge der
letzten Zeit verfolgt hat. Nicht nur, dass der Intendant keine
Möglichkeit hatte, in Ruhe die Arbeit zu tun für die ihn die Stadt
und damit der Steuerbürger bezahlt, weil er mit ständigen
Querelen belastet wurde, die mit seiner Arbeit nichts zu tun
hatten, die diese aber jedoch erheblich erschwerten. Er hat sie
dennoch erfolgreich wie kaum ein Intendant vor ihm geleistet.
Ihm sind die Nerven durchgegangen (so etwas passiert bei
engagierten Menschen, die sich voll und ganz rückhaltlos und mit
Herzblut einsetzen gelegentlich), er hat seine Meinung gesagt,
einen vielleicht etwas unglücklichen, weil drastischen Vergleich
gezogen, den der Interessierte bitte nachlesen möge.
So ist das eben mit der „Political Correctness“. Man möchte
handeln wie….. aber niemand darf es laut sagen. Sofort folgt der
Maulkorb. In diesem Falle besonders gründlich.
Es hätte ja auch noch die Möglichkeit gegeben (Voraussetzung
wären allerdings eine gewisse persönliche Größe und daraus
resultierendes menschliches Verständnis und völlige Freiheit von
Empfindlichkeit und Eigeninteresse des Oberbürgermeisters
Herrn Methling gewesen) sich zusammen zu setzen und der
ganzen Sache den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wie gesagt:
Wenn wirklich der Erhalt und das Wohlergehen der
Bildungseinrichtung Volkstheater Rostock politisches Ziel
gewesen wäre.
Dass dem ganz offensichtlich nicht so war und das politische
Handeln der Verantwortlichen eher davon bestimmt war, in Ruhe
und ungestört ihre Interessen verfolgen zu können, wurde an der
affenartigen Geschwindigkeit deutlich, mit der die Äußerungen
von Herrn Latchinian für eine arbeitsrechtliche Maßregelung
herangezogen wurden. Diese Maßregelung hätte, bei Wohlwollen
durchaus auch in einer deutlich weniger folgenschweren
Abmahnung bestehen können. Für eine fristlose Kündigung, die
dann aber ausgesprochen dann, reichen die „Vergehen“ des Herrn
Latchinian nicht aus. Er wird den Prozess vor dem Arbeitsgericht
mit Pauken und Trompeten gewinnen.
Kosten für die Hansestadt und damit für den Steuerbürger ca.
mehr als 500 000 Euro. Gegenwert: Nichts. Außer zerstörter
Theaterarbeit und weiterer Verarmung des Sektors Kultur.
Zusätzlich erneuter Kosten für einen neuen Intendanten, von dem
man nicht wissen kann, wie erfolgreich er als künstlerischer Leiter
sein wird.
Merke: Geschwindigkeit in der Politik entsteht fast ausschließlich
dann, wenn vorzeitig Tatsachen geschaffen werden sollen. In der
Regel ohne Rücksicht auf Verluste. Und dies ganz besonders
dann, wenn diese sich wie im Sektor Bildung und Kultur zunächst
nicht genau beziffern lassen. Wo die Rechnung beginnt und
welche Fakten unter den Tisch fallen, bestimmt in der Regel der
„Entscheidungsträger“.
Eine „saubere“ Leistung des Oberbürgermeisters und seiner
Gehilfen in der Bürgerschaft.
Ein Hohn, wenn das Vertrauensverhältnis der Bürgerschaft nebst
Herrn Methling zu Herrn Latchinian als so „gestört“ bezeichnet
wird, dass eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich sei.
Wie steht es den mit dem gestörten Vertrauen des Intendanten in
die Verantwortlichen, die nichts unversucht gelassen haben, um
aus einem Vierspartenhaus, für das Herr Latchinian
unterschrieben hat, eine abgespeckte Theater-Version zu kreieren?
Die Medaille hat schließlich immer mindestens 2 Seiten.
„Vertrauen“ ist mit Sicherheit in diesem Zusammenhang das
richtige Sprichwort.
Meines in die Politiker dieser Stadt ist jedenfalls seit den gestrigen
Vorkommnissen nachhaltig gestört.
Auch ich habe zu den Demonstranten gehört, die von der Straße
ins Rathaus gezogen sind und vor dem Sitzungssaal laut und
deutlich ihre Meinung kundgetan haben.
Auch ich habe zu denen gehört, die auf Bitten von Herrn
Latchinian anderthalb Stunden in absoluter Stille ausgeharrt
haben, um dann von dem unglaublichen Entschluss zu hören.
Auch ich habe zu denen gehört, die dann lautstark ihre Meinung
gesagt haben und per Sprechchor die Verantwortlichen
gezwungen haben, vor uns zu ihrer Entscheidung zu stehen.
Auch ich gehöre zu denen, die sich als Störer diffamieren lassen
mussten und die doch ein guter Schnitt der Rostocker
Bevölkerung waren. Jung und alt. Gemeinsam an Bildung und
Vielfalt interessiert. Gemeinsam interessierte Bürger, die sich
beteiligen.
Eines allerdings hat gefehlt:
Gewaltbereite Hooligans.
So hatten die Polizeibeamten vor Ort eine ruhige und entspannte
Schicht, in der sie nicht um Leib und Leben fürchten mussten.
Anders, als im Anschluss an, von der Stadt geförderte, Spiele von
Profisportvereinen. Regelmäßig lässt man dort die Beamten im
Regen stehen und mit gewaltbereiten Gegnern Gefechte
austragen. Dies war hier nicht zu befürchten und hat auch nicht
stattgefunden.
Verheerend wirken sich diese Entschlüsse auf die
Bildungsangebote dieser Stadt aus, wenn vom Theater nur noch
ein Torso übrig bleibt. Zur Erinnerung: Ein Torso hat weder Hand
noch Fuß. Und die Entscheidung der Rostocker Kommunalpolitik
hat leider keinen Kopf.
So wie häufig, wenn Politiker über Bildung und Kultur
entscheiden. Die Liste der jahrzehntelangen Fehlentscheidungen
deutschlandweit ist endlos.
Bildung (sie kann uns nur durch Demenz genommen oder
Menschen durch Chancenungleichheit und politische
Fehlentscheidungen vorenthalten werden), Ausbildung und Kultur
sind zu wichtige Güter um sie unkommentiert Politikern zu
überlassen, die oft eher einer Parteiraison verpflichtet sind, statt
ihrem Verstand und ihrem Gewissen.
Wie schon eine Demonstrantin vor dem Rathaus gesagt hat:
„Theater ist auch ein Ort des freien Denkens“.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen und macht die
Ungeheuerlichkeit dieser Entscheidung deutlich.
Als zynisch habe ich die Bemerkung empfunden, man habe die
Entscheidung als gewählter Vertreter des Volkes getroffen.
Nun, wenn dem so ist, wird sich dies sicherlich bei der nächsten
Wahl auswirken.
Dieser rabiate Umgang mit Kultur und Bildung ist jedenfalls nicht
hinnehmbar, auch für kommende Generationen. Sie sollten die
Wahl haben, ob sie Theater und Kunst wollen und nicht dieser
Entscheidung beraubt sein, weil vorher alles unnötig, in Schutt
und Asche gelegt wurde und sie es gar nicht kennenlernen durften.
Geistige Verarmung hat noch nie zu etwas Gutem geführt. Die
Geschichte ist angefüllt mit Beispielen. Das sei allen
verantwortlichen Bildungspolitikern ins Stammbuch geschrieben.
Und die Tatsache, dass durch „Malen nach Zahlen“ allenfalls
Bildchen entstehen aber weder Kunst noch Kultur.
Ich nehme nicht an, dass Herr Methling heute mit einem
Liedchen auf den Lippen auf gestanden ist.
Ich kann mir nicht, auch bei ihm nicht, vorstellen, dass er
geträllert hat „Theater, Theater, der Vorhang bleibt zu“ (frei nach
Katja Ebstein) oder „La Provence, la Provence Du blühendes
Land“ (Nana Mouskouri). Auch ihm traue ich diese
Kaltschnäuzigkeit nicht zu. Auch er ist ein Mensch mit allen
Fehlern und guten Seiten.
Die menschliche Qualität bemisst sich auch daran, keine
Unfehlbarkeit vorzutäuschen und Irrwege auch verlassen zu
können und so offensichtlich falsche Entscheidungen auch
rückgängig zu machen, wenn es in der eigenen Macht steht. Und
dies tut es.
Wir werden sehen, ob er ein glaubwürdiger menschlicher Politiker
ist, (nein, das muss sich nicht unbedingt ausschließen) von dem
man sich gerade wegen seiner Parteilosigkeit und seiner von der
Bevölkerung erhofften Unabhängigkeit viel versprochen hat.
Vielleicht nimmt er ja wahr, dass Macht, Einfluss und
Verflechtungen einen Menschen auch deformieren können und
gewinnt seine Glaubwürdigkeit zurück?
Vielleichterinnert ihn der Protest gegen seine Entscheidung ihn an
sich selbst als Menschen.
Wenn nicht, vertritt er die Menschen seiner Stadt nicht und gehört
abgewählt.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Und genau deswegen war es richtig, sich bei Wind und Wetter
hinzustellen, da zu sein, und seine Meinung kundzutun.
Das ist unser demokratisches Recht als Bürger, aber auch unsere
Pflicht. Wenn wir beides nicht wahr nehmen, dürfen wir als
bequemes Stimmvieh getrost zu allem die Klappe halten und uns
weiter in der Bequemlichkeit einrichten mit der Bemerkung „Die
da oben machen ja sowieso, was sie wollen“.
In diesem Sinne
Stefan Grothe