In Rostock arbeitet die Zeit für die Theaterfeinde

In Rostock arbeitet die Zeit für
die Theaterfeinde
Der Streit um die Weiterbeschäftigung des erfolgreichen Intendanten
Sewan Latchinian ist ein der größten Absurditäten deutscher
Kulturpolitik. Irgendwer müsste in Rostock jetzt zur Vernunft
kommen.
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0Von Matthias HeineFeuilletonredakteur
Bunter Luftballon: Nach dem Beschluss der Rostocker Bürgerschaft, dass Sewan Latchinian Chef
des Volkstheaters bleiben und Oberbürgermeister Methling (parteilos) die Kündigung rückgängig
machen soll, bedankt sich der IntendantFoto: dpa
Das Volkstheater Rostock war eines der bedeutendsten der DDR. Seine Ausstrahlung
reichte weit über das kleine Land hinaus. Der Ewigintendant Hanns Anselm Perten war
so linientreu, dass er es sich leisten konnte, Stücke von nicht ganz so parteifrommen
Schriftstellern aus dem Westen auf den Spielplan zu setzen – so lange sie nur links,
Nato- und kapitalismuskritisch waren. Rolf Hochhuth und Peter Weiss standen
regelmäßig auf dem Spielplan.
Nach der Wende ging es mit Rostock bergab. Künstlerische Fehlentscheidungen,
lieblose Behandlung durch die Politik und ein Provisorium als Spielstätte vertrieben die
Zuschauer. Das hatte sich nun gerade geändert. Unter dem Intendanten Sewan
Latchinian begann sich neues Leben zu regen.
Natürlich war Latchinians Isis-Spruch dämlich
Diese Entwicklung wird nun möglicherweise durch eine der absurdesten Affären
abgebrochen, die die deutsche Kulturpolitik je erlebt hat. Bürgermeister und Bürgerschaft
stehen sich im Kampf um das Schicksal des Intendanten gegenüber. Anfang der Woche
hoben die Abgeordneten die Entlassung Latchinians auf, die der Hauptausschuss zuvor
beschlossen hatte – wobei die Stimme des parteilosen Stadtoberhaupts Roland Methling
ausschlaggebend war.
Grund für die Kündigung war eine dämliche Äußerung Latchinians, in der er die geplante
Schließung von zwei Sparten (Oper und Tanz) seines Vierspartenhauses mit den
Kulturzerstörungen des IS verglich. Auf der nach oben offenen Peymann-Skala, mit der
Intendantenblödsinn gemessen wird, hatte der Spruch einen höchstens mittleren
Ausschlag, sodass man ihn anderswo allenfalls genervt schulterzuckend abgetan hätte.
Ein willkommener Anlass für Bürgermeister Methling
Aber für den Bürgermeister war der Vergleich ein willkommener Anlass, den Intendanten
loszuwerden, der die Halbierung seines Theaters nicht einfach hinnehmen wollte. Die
Entscheidung in der Bürgerschaft für die Rücknahme der Kündigung war nun ebenfalls
recht knapp. Offenbar stehen sich in Rostock zwei etwa gleich starke Lager gegenüber.
Doch eine Verlängerung der Fehde schadet Stadt und Theater. Dessen kaufmännischer
Direktor plant zurzeit die kommende Spielzeit, weiß aber gar nicht, ob Latchinian seine
Entscheidungen gutheißen wird, wenn er denn zurückkommt.
Irgendeiner müsste jetzt nachgeben. Es sieht nicht so aus, als ob das der Bürgermeister
wäre. Der hat nun zwei Wochen Zeit, Widerspruch gegen den Bürgerschaftsentscheid
einzulegen, und kündigt an, die volle Frist zu nutzen, obwohl jeder verrinnende Tag ein
Desaster ist. Aber Methlings Logik ist nachvollziehbar: Natürlich ist es ihm egal, ob an
einem Theater, dass er sowieso schrumpfen möchte, ab Herbst noch jemand inszeniert.
Im Grunde kann ihm alles, was das Publikum vertreibt und die Genervtheit der an der
ganzen Affäre eher desinteressierten Steuerzahler steigert, nur recht sein.
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