Wie sich die Kommunikation in den Gemeinden verändert

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Wie sich die Kommunikation
in den Gemeinden verändert
Aufwendiger, komplexer und hektischer – die Behörden sind bei der Kommunikation mit ihren
Bürgern immer mehr gefordert. Eine Befragung von Gemeinde- und Stadtschreibern aus vier
Kantonen zeigt interne und externe Problemfaktoren sowie Lösungsansätze auf und beleuchtet
die Frage nach der Professionalisierung.
Die Kommunikationsagentur Leuzinger &
Benz in Rapperswil-Jona hat 63 Gemeinde- und Stadtschreiber in den Kantonen St. Gallen, Thurgau, Zürich und
Aargau über die Entwicklungstendenzen in der Kommunikation auf Stadtund Gemeindeebene befragt. Thema
waren auch die Ursachen der Ablehnung wichtiger Behördenvorlagen an
der Urne oder an der Gemeindeversammlung. Die Befragung ist nicht repräsentativ; die Resultate zeigen aber,
wohin die Entwicklung geht.
Grundlegende
Veränderungen
Die Meinungen sind nahezu einstimmig: Die Kommunikation in Gemeinden
und Städten hat sich extrem und grundlegend verändert. Die Behörden sind
immer mehr gefordert. Bei dieser Entwicklung spielen mehrere Faktoren eine
Rolle: Die Redaktionen der Tagespresse
sind zum Teil sehr selektiv in der Wahl
der Lokalinformationen, Ortsparteien
repräsentieren keine Mehrheiten mehr,
und an ihre Stelle treten zunehmend
Ad-hoc-Gruppierungen, die sich ausschliesslich aufgrund ihrer persönlichen
Betroffenheit engagieren. Erschwerend
kommen der Vertrauensverlust der Bürger in die Behörden und schwindende
Finanzen dazu.
Nebst externen Faktoren beeinträchtigen interne Entwicklungen den beruflichen Alltag der befragten Gemeindeund Stadtschreiber: Die meisten stehen
unter grossem Druck. Viele beklagen,
dass ihnen die Kapazität fehlt, die zusätzlichen Kommunikationsaufgaben zu
bewältigen, die sich aufgrund externer
Rahmenbedingungen aufdrängen. Vor
diesem komplexen Hintergrund kommen einige der Befragten zum Schluss,
dass sie mit dieser Entwicklung überfordert sind.
Die Kommunikation wird als aufwendiger, komplexer, intensiver, hektischer,
sensibler, schneller oder gar als Gratwanderung bezeichnet, bei der man
«stets mit Überraschungen rechnen
muss». Gleichzeitig betonen einige der
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Lokalzeitungen sind bei Gemeinden nach wie vor ein beliebtes Mittel, um mit ihren Anliegen
an die Bevölkerung zu gelangen.
Bild: Miryam Azer
Befragten, dass «gute Kommunikation
heute entscheidend ist» und «schnell
der Verlust des guten Images droht,
wenn man sich nicht an deren Grundsatz hält».
Kritik an den Medien
ist gross
Die Beobachtungen der Gemeinde- und
Stadtschreiber beziehen sich oft auf
konkrete Zielgruppen. Die Bürger werden als kritischer bezeichnet («Das Vertrauen in die Behörden schwindet»),
und viele der Befragten beklagen, zunehmend stünden «Eigeninteressen im
Vordergrund». Gleichzeitig seien die Ansprüche der Bürger «gewaltig gestiegen» – bei schwindender Bereitschaft
zur Mitarbeit.
In dieser Situation wären die Kommunikationsverantwortlichen der Gemeinden und Städte auf gute Rahmenbedingungen angewiesen. Doch in deren
Umfeld hat sich einiges verändert. Die
Zeitungen als wichtiger traditioneller
Kommunikationspartner haben nach
Meinung vieler Gemeinde- und Stadt-
schreiber stark an Bedeutung verloren,
publizieren nur noch «Einheitsbrei» und
haben an Qualität eingebüsst – «vieles
wird falsch wiedergegeben». Darüber
hinaus würden sie «nur noch ausgewählte Informationen abdrucken». Vor
allem die Vertreter kleiner Gemeinden
beklagen, dass es schwierig geworden
sei, weil sie von den Redaktionen kaum
mehr beachtet würden. Nur in einem
Fall wurde die «Lokalredaktion als verlässlicher Partner» genannt.
Ortsparteien verlieren
an Bedeutung
Ein traditionell wichtiger Partner in der
Kommunikation waren lange die politischen Ortsparteien. Mehrere der Befragten betonen übereinstimmend,
«dass die Parteien an Bedeutung verlieren» oder «gar keine Rolle mehr spielen». In anderen Gemeinden hat sich
eine Ortspartei entwickelt, die sich zwar
engagiert, aber zu allem Nein sagt. Deshalb kommt ein Gemeindeschreiber
zum Schluss: «Wir müssen neue Wege
finden, um die Leute abzuholen.» Einige
Schweizer Gemeinde 5/12
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Gemeinden oder Städte haben auf
diese Entwicklung reagiert und sich für
die Anstellung eines Kommunikationsprofis entschieden, ein Kommunikationskonzept erarbeitet, sie organisieren
Bürgerforen, bereiten für Gemeindeversammlungen ein «Drehbuch» vor, in
dem die Antworten auf mögliche Fragen
vorbereitet sind oder arbeiten mit externen Kommunikationsprofis zusammen.
Mit Krisenkommunikation
überfordert
Für die Gemeinden stellt sich die Frage
nach einer weiteren Professionalisierung der Kommunikation. Aufgrund ihrer Kapazität oder weil sie vor allem Juristen und Verwalter sind, sprechen sich
einige Gemeinde- oder Stadtschreiber
für grundsätzlich mehr Professionalisierung aus. Für die Befragten gibt es mehrere Lösungsansätze: Weiterbildung,
mehr Stellenprozente oder eine engere
Zusammenarbeit mit Agenturen. Auf
grosses Interesse stossen die neuen
Medien als neue Möglichkeit, die Leute
zu informieren. Ein Befragter sagt es
deutlich: «Social Media werden eine neue
Dimension.» Wie man damit umgeht,
weiss jedoch kaum jemand konkret.
Viele der Befragten trauen sich aber zu,
erfolgreich zu kommunizieren. Sie sind
überzeugt, «dass wir alles im Griff haben» und «dass wir für die kommenden
Aufgaben gerüstet sind». Ausgenommen davon ist die Kommunikation im
Krisenfall: Damit fühlen sich nahezu alle
überfordert.
«Betroffenheitsdemokratie»
erschwert die Kommunikation
Die Antworten auf die Frage, was zur
Ablehnung von wichtigen Behördenvorlagen führt, sind sehr vielschichtig.
Obenauf schwingt die Kritik an der
Kommunikation. «Die Informationsarbeit hat zu spät begonnen», «Inhalte
wurden nicht klar kommuniziert» oder
«der Wissensstand bei der Bevölkerung
war zu gering, und es zirkulierten
falsche Zahlen». Übereinstimmung
herrscht beim Thema «Betroffenheitsdemokratie». Gemeinde- und Stadtschreiber stellen häufig fest, dass «Eigeninteressen» entscheidend waren
oder dass es nicht gelungen ist, «übergeordnete Interessen zu vermitteln». So
wurde mehrmals erwähnt, Einzelpersonen oder organisierte Quartierbewohner hätten es geschafft, einen Entscheid
zu kippen.
Die «Betroffenheitsdemokratie» ist eine
neue Herausforderung, die mit dem
Wandel der Gesellschaft verbunden ist.
Dabei ist es für Christian Daetwyler, der
die Befragung ausgewertet hat, falsch
Schweizer Gemeinde 5/12
und aus der Sicht der Kommunikation
nicht sinnvoll, Betroffenheit mit «Verteidigung von Partikularinteressen» gleichzusetzen. Eigeninteressen dürften nicht
als illegitim – als Fusstritt gegen die Solidarität – gebrandmarkt werden. «Nicht
selten sind diese Interessen legitim
oder zumindest begreiflich. Es ist deshalb kontraproduktiv, Tugenden wie Solidarität gegen Untugenden wie Eigennutzen aufzubauen: Die Fronten verhärten sich – der Dialog stockt oder bricht
ab.»
Daetwyler geht davon aus, dass die
«Betroffenheitsdemokratie» mit hoher
Wahrscheinlichkeit noch zunehmen wird
und eine grosse Herausforderung für
unsere politischen Strukturen darstellt.
Weil strukturelle Anpassungen nur
bedingt möglich seien, laufe der Weg
zur Lösung der Konflikte hauptsächlich
über die Kommunikationsschiene. «Die
‹Betroffenheitsdemokratie› offenbart ein
Manko an Wirgefühl. Ohne Wirgefühl
gibt es keine stolzen Bürger, die bereit sind, sich proaktiv und nicht nur
reaktiv für ihren Ort einzusetzen. Die
Stärkung des Wirgefühls wird deshalb zu einer zunehmend wichtigeren
Aufgabe der Gemeindebehörden», so
Daetwyler.
Kosten von Niederlagen
werden unterschätzt
Viele der Befragten sind sich einig, dass
die Kosten von Niederlagen an der Urne
unterschätzt werden. Projekte im Millionenbereich dürften nicht daran scheitern, dass man bei der Kommunikation
spare. Grundsätzlich werden der Mehrwert der Kommunikation erkannt und
die Investition in eine Professionalisierung als sinnvoll betrachtet. Rund
50 Prozent der Befragten geben jedoch
an, die Kosten für die Kommunikation
würden von Parteien und Bürgern kritisch hinterfragt, wenn diese im Budget
auftauchen.
«Der Welt sehr nah,
dem eigenen Dorf aber sehr fremd»
Die Frage nach der «optimalen Kommunikation» beantwortet Daetwyler klassisch: «Die richtige Information den
richtigen Zielgruppen geben – zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Form
und mit den richtigen Mitteln.» Dieses
Verständnis von Kommunikation gehe
davon aus, dass eine positive Information automatisch eine positive Reaktion
auslöse. «Was nicht immer der Fall ist»,
wie Daetwyler mit Nachdruck feststellt.
In einer immer globaler werdenden Gesellschaft, in der man jederzeit und sekundenschnell über Kontinente Kontakte mit Gleichgesinnten schliessen
könne, sinke der Bezug zur lokalen Gemeinschaft rapide. Gleichzeitig steige
die Bedeutung der Partikularinteressen.
«Überspitzt formuliert heisst das: Man
fühlt sich der Welt sehr nah, dem eigenen Dorf aber sehr fremd.» Die lokale
Solidarität leide darunter, und Partikularinteressen würden immer rücksichtsloser verteidigt.
Auch wenn die Ergebnisse der Befragung nur als Tendenzen interpretiert
werden dürfen und nicht als repräsentative Facts im Sinne einer wissenschaftlich durchgeführten Studie – sie bestätigen eine Entwicklung, die seit längerer
Zeit spürbar ist: Auf Gemeindeebene
stellt die Anpassung der Kommunikation an die sich rasch ändernden gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen eine grosse Herausforderung für Behörden und Ämter dar.
Für Daetwyler geht es bei der Kommunikation aber nicht primär darum, der
Bevölkerung ein Projekt zu «verkaufen»,
sondern um die Herstellung eines positiven Klimas zwischen Behörden und
Bürgern. Erst wenn das Klima stimme,
könne man Projekte so kommunizieren,
dass sie positiv aufgenommen würden
und an der Urne mehrheitlich Zustimmung fänden, betont er. «Deshalb ist
nur eine kontinuierliche Kommunikation eine erfolgreiche Kommunikation.»
Steff Schneider
Kontaktsuche: Behörden setzen in der Kommunikation immer stärker auf elektronische
Medien.
Bild: Pixelio
Die Broschüre mit den Resultaten der Umfrage kann kostenlos bezogen werden unter
www.projektkommunikation.ch.
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