BEISPIELE KINDLICHER WELTBILDER Corinna Bredow „Was

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BEISPIELE KINDLICHER WELTBILDER
Corinna Bredow
„Was wissen Kinder über ihre Bedürfnisse, was tun sie gern“
Kinder haben, mit Kindern leben, auch Kinder erziehen, stellt für viele Erwachsene einen hohen
Wert und eine wichtige Lebensaufgabe dar. Wir kennen in der Nachbarschaft oder im
Freundeskreis Eltern und Großeltern, und es liegt nahe, ihnen die aufgeworfene Frage zu
stellen. Eigene Versuche, mittels einer solchen Befragung eine Antwort zu erhalten, erbrachten
in vielen Fällen jedoch zunächst nur Sprachlosigkeit. Dies liegt sicher nicht nur an der
Schwierigkeit, diese Frage generell für alle Kinder zu beantworten. Dies kann nicht gelingen, ist
doch zu vermuten, dass es, wie bei den Erwachsenen, beträchtliche individuelle Unterschiede
hinsichtlich kindlicher Bedürfnisse und auch des Grades der Selbstreflexion darüber gibt.
Bezüglich der Ursachen der Sprachlosigkeit drängt sich vielmehr der Verdacht auf, daß die
Objekte kindlicher Wünsche und Sehnsüchte Erwachsenen oft verborgen bleiben, weil sie aus
ihrer Sicht und angesichts vielfältiger Alltagsverpflichtungen wenig wichtig oder eben Akindisch"
erscheinen.
Da sich also die Erforschung von Alltagserfahrungen des befragten Personenkreises als wenig
ergiebig für die Beantwortung unserer Frage erwies, versuchten wir, auf wissenschaftliche
Erfahrung zurückzugreifen. Bevor wir jedoch auf den Forschungsstand zum Thema eingehen,
gilt es, den Forschungsgegenstand zu definieren.
Bedürfnisse, so klärt uns das psychologische Wörterbuch auf, sind ein Mangelzustand, der
darauf beruht, dass ein Lebewesen etwas objektiv oder subjektiv Notwendiges nicht besitzt. Ein
Bedürfnis hat antreibende Funktion, den Mangelzustand zu beseitigen.
Die Bedeutung, die ein Gegenstand für uns besitzt, resultiert aus dem Wert zur Befriedigung
unserer subjektiven Bedürfnisse. Haben Dinge für uns Bedeutung, gilt ihnen unsere
Aufmerksamkeit, oder in der psychologischen Terminologie ausgedrückt, unser Interesse.
Interessen werden als überwiegend erworben interpretiert, allerdings liegt ihnen eine angeborene, individuell unterschiedliche Interessenansprechbarkeit zugrunde.
Zum Stand der Forschung
Obwohl wir nun wissen, was Bedürfnisse sind, ist es bis zur Beantwortung der Frage Was
wissen Kinder von ihren Bedürfnissen? noch ein weiter Weg. Vielleicht fragen wir zunächst
besser: Was wissen Erwachsene über die vorhandenen und entwickelbaren Bedürfnisse der
Kinder? Um es auf den Punkt zu bringen: offensichtlich nicht viel. Dies gilt zumindest, wenn man
den dürftigen wissenschaftlichen Fundus an Forschungsergebnissen betrachtet. Folgendes fällt
auf:
1. Das Thema Kindliche Bedürfnisse wird kaum explizit bearbeitet, einige Untersuchungen und
Projekte der letzten Zeit berühren diesen Themenkomplex aber zumindest partiell. Dabei ist vor
allem an das Projekt des DJI von 1992 Was tun Kinder nach der Schule?, an Erhebungen im
Bereich der Medienperzeption von Tietze, Peek & Link (1989) oder an Untersuchungen von
Ulich, Oberhuemer & Soltendieck (1992) zum Familienkonzept von Kindern zu denken. Einige
Ergebnisse dieser Studien finden sich beispielsweise im vom DJI herausgegebenen Handbuch
Was für Kinder-Aufwachsen in Deutschland (1993).
2. Es existieren kaum Untersuchungen zu den Bedürfnissen von Kindern im Kleinkind- und
Vorschulalter. Als Ursache dieses Defizits dürfte der Befragungsaufwand bei Kindern dieser
Altersgruppe eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, sind doch diese Kinder in der Regel
nicht in der Lage, einen Fragebogen auszufüllen. Der in diese Feststellung eingeschlossene
Vorwurf richtet sich nicht unbedingt gegen eine vermeintliche Bequemlichkeit der Wissenschaftler. Interviews kosten Zeit und damit Geld. Interviewer von Kindern müssen beispielsweise
das Vertrauen zu den Befragten herstellen. Die bei Erwachsenenbefragungen üblichen
sogenannten Aufwärm-Floskeln oder Eisbrecherfragen reichen da nicht;
Interviews müssen transkribiert werden und erfordern beim Auswerten und Interpretieren in
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besonderem Maße Kreativität, Einfühlungsvermögen und Aufwand. Die für all das notwendigen
Forschungsmittel bleiben häufig bei der Überarbeitung einschlägiger Forschungsanträge auf der
Strecke.
Übrigens wird das übliche Meidungsverhalten gegenüber Befragungen von Klein- und
Vorschulkindern in der Regel nicht mit Geldnot oder Aufwendigkeit, sondern mittels Abwertung
des Informationswertes von Kinderinterviews begründet: Kinder gelten unter Hinweis auf
unzureichende Sprachkompetenz und Konzentrationsschwächen als unzuverlässige
Informanten.
3. Es fehlt an Untersuchungen zur Bedürfnislage von sogenannten Normal-Kindern, während
Bedürfnisstrukturen von Kindern, die als problematisch gelten bzw. auffällig werden, eher
wissenschaftliches Interesse finden. Ich denke da an Untersuchungen zur Aggressivität, zur
Konfliktbewältigung, zur Situation von Einzelkindern oder von Kindern, die durch Trennung der
Eltern betroffen sind (Sturzbecher).
Im Rahmen der Marktforschung lassen sich übrigens eher Untersuchungen zu Bedürfnissen und
Wünschen von Kindern nachweisen. Eine kritische Wertung und Aufbereitung solcher Studien
für die pädagogische Praxis läßt sich hier allerdings kaum finden.
Als Schlußfolgerung aus dem dargelegten Forschungsstand bietet sich an, dass kindliche
Bedürfnisse offensichtlich erst zum Forschungsgegenstand werden, wenn Kinder stören oder
man Geld mit ihnen verdienen will. Es ist zu vermuten, daß sich die geringe wissenschaftliche
Kenntnis über entwicklungsspezifische Bedürfnisse von Klein- und Vorschulkindern auch in der
Ausbildung von Erzieherinnen reflektiert. Dies hätte zur Folge, dass sie mit einem vorgefertigten
und undifferenzierten Bild von kindlichen Bedürfnissen in die Berufspraxis entlassen werden und
die realen Bedürfnisse der Kinder im pädagogischen Handeln nicht angemessen berücksichtigt
werden können. Resümierend können wir festhalten: Kinder werden, und dies gilt nicht nur für
die Grundlagenforschung oder die Politik, mit ihren Bedürfnissen oft nicht ernst genommen.
Erwachsene wissen eben besser, was für Kinder gut ist.
Gemessen an den Möglichkeiten für Kinder, Bedürfnisse zu artikulieren, ist die Anzahl der
Besserwisser in bezug auf kindliche Bedürfnisse übrigens groß. Nicht nur die Pädagogisierer
und jene, die Kinder als sinnstiftendes Element ihrer Lebenskarriere nicht benötigen, gehören
dazu, sondern auch diejenigen, die Versagungen in der eigenen Kindheit bei der Definition der
Bedürfnisse heutiger Kinder kompensieren. Das Klischee vom Vater, der seinem Sohn eine
Eisenbahn schenkt, um damit zu spielen, währenddessen der Sohn seine Zuneigung zu Puppen
entdeckt, taucht in diesem Zusammenhang auf, und zwar mit vielen möglichen
Rollenbesetzungen und Zielen. Vielleicht gehören Kinderparlamente, die hohe Medienwirksamkeit und damit Publicityträchtigkeit für Politiker mit weitgehender Wirkungslosigkeit für
die Gestaltung einer kinderfreundlicheren Umwelt vereinigen, auch in dieses Sujet.
Es ist zu bezweifeln, daß die Übertragung von Mechanismen der Demokratiesicherung der
großen Politik, deren Funktionalität angesichts der Politikverdrossenheit im Lande bereits von
einer schweigenden Mehrheit Erwachsener in Frage gestellt wird, ein wirksames Mittel ist,
kindliche Bedürfnisse zu artikulieren und durchzusetzen. Wahrscheinlicher ist, dass die Kinder
in derartigen Rollenspielen, um überhaupt ernst genommen zu werden, den Habitus Erwachsener imitieren und dadurch viel von der Wirksamkeit ihrer emotional oft beeindruckenderen
Argumente verlorengeht. Die Moderation und Organisation dieser Form der Kinderbeteiligung
durch Erwachsene tragen darüber hinaus dazu bei, daß solche Veranstaltungen am Ende nur
noch Alibifunktionen haben.
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Was Kinder sich wünschen
Infolge der dargestellten Unzufriedenheit mit den vorliegenden Forschungsergebnissen zu
kindlichen Bedürfnissen lag es nahe, eine eigene Untersuchung durchzuführen und Kinder zu
befragen.
Dazu wurde ein teilstandardisierter Leitfaden für problemzentrierte Interviews entwickelt. Mittels
dieses Interviewleitfadens und durch Unterstützung von Fachberatern und Erzieherinnen wurden
ca. 250 Kinder in Kindertageseinrichtungen des Landes Brandenburg (200 3-6jährige Kinder,
50 7-l0jährige Kinder) interviewt.
Methodenkritisch ist anzumerken, dass mittels dieser Befragung natürlich keine für die jeweilige
Altersgruppe repräsentativen Ergebnisse generiert werden können. Für repräsentative
Altersstichproben war die Anzahl der befragten Kinder zu gering, und wir konnten auch nicht
sichern, dass die befragten Kinder zufällig ausgewählt wurden. Repräsentativität wurde jedoch
im Rahmen unserer Forschungsbemühungen auch nicht angestrebt und war schon aufgrund
der qualitativ ausgerichteten Methode nicht zu erreichen.
Darüber hinaus sind Versuchsleitereffekte in Richtung sozial erwünschter Antworten in den
Fällen zu erwarten, in denen Erzieherinnen die Kinder hinsichtlich ihrer Kritik an der Einrichtung
befragten. Jedoch sollten wir die Offenheit der Kinder nicht unterschätzen. Für diese Offenheit
spricht beispielsweise, dass die Anzahl einrichtungskritischer Einschätzungen im
Antwortverhalten der Kinder unabhängig davon war, ob die Interviews durch kindergartenfremde
Fachberater oder durch Erzieherinnen geführt wurden.
Von den Kindern wurden neben soziodemographischen Daten (Alter, Geschwister, Geschlecht,
Charakter der Wohngegend) Informationen zu folgenden 6 Variablenbereichen erfaßt:
1. Bedürfnisse und Interessen in bezug auf die selbstbestimmte Gestaltung der Zeit mit anderen
Kindern und mit der Familie zu Hause,
2. Bedürfnisse und Interessen in bezug auf die selbstbestimmte Gestaltung des Aufenthalts in
der Kita,
3. Bedürfnisse und Interessen in bezug auf Erlebnisse und Abenteuer,
4. Selbstkonzept (Idealbild) und Vorbilder,
5. Bedürfnisse in bezug auf die gewünschte Ausgestaltung der Lebensräume und räumliche
Rückzugsmöglichkeiten und
6. präferierte Tätigkeiten und Interaktionspartner sowie Erkenntnisinteressen. Wenden wir uns
nun den Ergebnissen zu.
Auf die Frage, was Kinder zu Hause gern tun möchten, wurde als häufigstes genannt:
Fernsehen, Unordnung machen, rumtoben, Freunde einladen, tuschen. Der Wunsch, Freunde
einzuladen, ist übrigens unabhängig von der Anzahl oder vom Alter der Geschwister.
Die Erfüllung der o. g. Wünsche wird aus naheliegenden Gründen oft behindert. Dies geschieht
meist dadurch, dass die Mutter schimpft. Der Vater tritt als „Störfaktor" kaum in Erscheinung.
Diese Aussage wird durch Ergebnisse von Untersuchungen zum elterlichen Erziehungsstil in
Konflikt- und Problemsituationen (Sturzbecher, 1993) bestätigt und läßt sich wohl kaum mit
einem geschlechtstypisch weniger doktrinären Erziehungsverhalten der Väter erklären.
Realität ist dagegen in vielen Familien, dass aufgrund der geringeren häuslichen Anwesenheit
der Väter (Arbeitsverpflichtungen, spezielle Freizeitinteressen und anderes) die
Interaktionshäufigkeit zwischen Kind und Vater wesentlich geringer ist als zwischen Kind und
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Mutter. In der geringen gemeinsam verbrachten Zeit, die ja auch meist Freizeit ist, zeigen sich
Väter wahrscheinlich eher von der Schokoladenseite. Diese Vermutung wird durch Befunde von
Sturzbecher (1993) gestützt, der festgestellt hat, dass das Vaterbild von 6jährigen Kindern
gegenüber dem Mutterbild weniger differenziert und positiver ausfällt.
Wir haben die Kinder auch gefragt, was sie im Kindergarten gern tun würden, wenn sie die
Inhalte ihres Tuns selbst bestimmen könnten. Auf diese Frage erhielten wir als häufigste
Antworten, dass sie gern
- rumtoben oder faulenzen,
- Wände oder andere Großflächen bemalen oder
- eine Bude, ein Baumhaus oder ähnliche Unterkünfte bauen möchten.
Nicht wenige Kinder wünschten sich auch, einmal richtig petzen oder (allerdings seltener)
zanken zu dürfen. Darüber hinaus standen am Anfang der Wunschliste in unterschiedlichsten
Variationen Spiele, die ein Verstecken beinhalteten. Offensichtlich ist es für Vorschulkinder
überaus reizvoll, sich den Blicken ihrer Erzieherin und damit deren Aufsicht zu entziehen. Die
Variationsweite dieser Wünsche reichte vom Versteckspielen im Gruppenraum über das Spielen
in verschlossenen Buden bis hin zum heimlichen Verlassen des Kita-Geländes, ohne dass man
vorher die Erzieherin fragen muss.
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder in der Kindertagesstätte die Kontrolle der
Erzieherin zuweilen als lästig, wenn nicht gar belastend empfinden. Darüber hinaus ist zu
vermuten, dass die Wünsche nach Zanken aus Behinderungen beim selbstbestimmten
Aushandeln von Konflikten bzw. Konfliktlösungen resultieren.
Wenn sich auch die Tätigkeitsinhalte der Kinder in der Kita nicht auf Toben und Faulenzen
beschränken dürfen, so sollten doch Phasen des ungestörten Herumtollens genauso wie
Phasen der Erholung im Kita-Alltag angemessen Berücksichtigung finden.
Weiterhin dürfen die Fähigkeiten der Kinder und vor allem ihre Lernpotenzen zur
selbstbestimmten Bewältigung interpersoneller Konflikte nicht unterschätzt werden. Solche
Konflikte stellen ein wichtiges Übungsfeld für soziales Lernen dar und müssen deshalb von der
Erzieherin zurückhaltend und mit pädagogischem Geschick moderiert werden.
Bei den Antworten auf die Frage, warum die Kinder nun in der Regel nicht toben, faulenzen,
petzen oder zanken, ergeben sich erwartungsgemäß altersspezifische Unterschiede zwischen
den Befragten. Während die 3- bis 5jährigen Kinder in ihren Begründungen auf die Unverletzlichkeit von Geboten („Das darf ich doch nicht.“) oder auf die Folgen von Gebotsverletzungen
(„Mutti schimpft dann, bzw. die Erzieherin ist dann traurig.") hinweisen, versuchen die älteren
Kinder, die drohende Sanktionierung solchen Tuns unter moralischen oder utilitären
Gesichtspunkten zu rechtfertigen („Wenn jeder das so machen würde ...”).
Montada (1987) schreibt dazu, dass für jüngere Kinder eine Verfehlung eine objektive
Verletzung von Geboten oder Ungehorsam gegenüber einer Autorität darstellt. Ältere Kinder
interpretieren Verfehlungen als Verletzungen des Vertrauens, der Achtung und der Ansprüche
anderer; jüngere beziehen sich auf den Wortlaut von Geboten, ältere auf den Sinn von Normen;
jüngere Kinder fordern Sühnestrafen, ältere eine Art Wiedergutmachung.
Übrigens beeinträchtigt die Tatsache, dass Erzieherinnen zuweilen in ihrer Rolle als
Aufsichtsperson als störend empfunden werden, bei den meisten Kindern in keiner Weise das
sozioemotionale Verhältnis zu ihnen: Von den befragten Kindern, die solches Einschreiten einerseits als nervend bezeichnet haben, berichten andererseits viele, dass man gerade wegen der
netten Erzieherin den Kindergarten besuche.
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Ein neues Gesicht für die Kindertagesstätte
Die meisten der befragten Kinder haben keine Veränderungswünsche hinsichtlich ihrer
häuslichen Umgebung. Dagegen sind die Veränderungswünsche für den Bereich der Kita
weitaus zahlreicher und konkreter:
- Bilden wir anhand der Häufigkeit der Nennungen eine Rangreihe der Wünsche, so steht „Mehr
Platz zum Spielen!" auf dem ersten Platz. Aus der Gruppe der Kinder, die sich mehr Platz zum
Spielen wünschen, schlagen immerhin ein Drittel aller Kinder überraschenderweise vor, den
Erziehertisch aus dem Gruppenraum zu entfernen, da er Platz zum Spielen wegnehme.
- Ungefähr 70% der Kinder finden, dass sich zuviel schadhaftes Spielzeug in der Kita befindet
und möchten dieses entfernen.
- Fast ebenso häufig wird vorgeschlagen, die Möglichkeiten zum Klettern sowie zum Errichten
von Buden, Spielhäusern oder Tunneln zu verbessern. Hier mangelt es z. B. nach Angaben der
Kinder an Decken oder an einer zweiten Bebauungsebene.
- Etwa ein Viertel der Befragten würden, wenn sie in der Kita was zu bestimmen hätten, eigenes
Spielzeug oder auch Haustiere mitbringen, die sie dann im Beisein der anderen Kinder pflegen
und füttern möchten. Genauso viele möchten auf ihrem Kita-Gelände eigene Obstbäume und
-sträucher.
- Den nächsten Rang nimmt der Wunsch der Kinder nach besseren Aufräummöglichkeiten ein.
Die Kinder monieren, dass sie ständig aufräumen müssen, jedoch die Bedingungen im
Kindergarten verhindern, dass Aufräumen Spaß macht. Sie möchten auch von Zeit zu Zeit die
Inneneinrichtung der Tagesräume verändern und dabei mitbestimmen dürfen.
- Letztlich wird auch häufig der Vorschlag geäußert, die Wände der Kita zu bemalen oder
Riesentafeln dort anzubringen, auf denen gemalt werden darf. Manche Kinder wünschen sich
in der Nähe solcher selbstgeschaffener Kunstwerke auch eine gemütliche Ecke, ein Kuschelsofa
wie zu Hause, jedoch keine Matratzenecke auf dem Fußboden, wie betont wird.
Es sei noch ergänzt, dass drei Dinge die befragten Kinder einhellig sowohl im häuslichen
Bereich, vor allem aber in der Kita abschaffen möchten: Mittagsschlaf, Warten und Stillsitzen.
Zumindest die beiden letzten Wünsche scheinen auch aus der Perspektive von Erwachsenen
einsichtig und sind deshalb unbedingt zu unterstützen.
Wie abenteuerlustig sind Erzieherinnen?
Geschlechts- und altersspezifische Unterschiede zeigten sich bei den Antworten auf die Frage
nach Spielpräferenzen und dem Abenteuerpotential der Spielmöglichkeiten im Elternhaus und
in der Kita. Überwiegend 6- bis 9jährige Jungen wünschen sich mehr Abenteuerspielplätze im
Wohnumfeld und in der Kita sowie mehr Verständnis von Eltern und Erzieherinnen dafür, dass
richtige Abenteuer zuweilen auch mit kleinen Blessuren, unkonventioneller Kleidung oder
hygienisch bedenklichen Rahmenbedingungen einhergehen. Beklagt wird von den Kindern vor
allem die fehlende Bereitschaft der Väter, an derartigen Vergnügungen teilzunehmen, während
der Wunsch nach Mitwirkung der Mütter oder Erzieherinnen mit zunehmendem Alter seltener
wird. Hier wird von einigen der Befragten eine gewisse Resignation geäußert, ob Frauen für die
Projektierung und Realisierung von Abenteuerspiel zu gebrauchen seien.
Der Eindruck, dass ein großer Bedarf an Abenteuer-, oder zeitgemäßer ausgedrückt,
Actionspielen gerade bei Jungen existiert und weibliche Erzieher weniger dazu neigen, ihn zu
befriedigen, wird durch Untersuchungen von Dittmann (1992) sowie Aufeinander (1990) bestätigt. Die genannten Autoren vermuten bei Erzieherinnen Schwierigkeiten im Umgang mit
Aggressionen. Sie behaupten, dass aggressionsbetonte Spiele für Erzieherinnen eine
Herausforderung darstellen, weil sie dadurch an etwas erinnert werden, was Mädchen nicht
dürfen: sich aggressiv verhalten. Es ist zu vermuten, dass dieser Verzicht auf angemessene
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Aggressivität und eine zu hohe Kontrollerwartung in Situationen, die Spontanität und
Improvisation verlangen, die Attraktivität mancher Frau nicht nur als Spielpartner in der Kita,
sondern auch als Interaktionspartner in der Familie bzw. in der Partnerschaft reduziert.
Bei den Antworten auf die Frage: Wer möchtest Du gern einmal sein? nannten die jüngeren
Kinder (unter 6 Jahren) im allgemeinen Personen oder Figuren, die sie aus Büchern oder Filmen
kennen. Die Mädchen bevorzugten Prinzessinnen, oder konkreter, Arielle und Cinderella, weil
sie gut aussehen und alles bekommen, was sie sich wünschen. Die Jungen sehen sich dagegen
lieber in der Rolle als Turtle, He-Man oder auch Polizist, weil die stark sind und Macht haben.
Die älteren Mädchen nennen als Vorbilder reale Persönlichkeiten, meist Sängerinnen oder
Models, während die älteren Jungen nicht auf Personen, sondern auf Berufe zurückgreifen. In
der Rangreihe der genannten Berufe stehen Pilot und Arzt an der Spitze, weil diese Berufe nach
Ansicht der Kinder mit einem hohen sozialen Status und guten Möglichkeiten zum Gelderwerb
verbunden sind sowie, für Erwachsene vielleicht nicht ganz einsichtig, mit Action und Abenteuer
assoziiert werden.
Die dargestellten Befunde legen die Vermutung nahe, dass Jungen mit ihrem Selbstbild
zufriedener sind bzw. ein höheres Selbstwertempfinden haben als Mädchen (die Berechtigung
dieser Selbstreflexion wollen wir hier nicht diskutieren). Diese Vermutung wird übrigens durch
einschlägige Untersuchungen im Rahmen der Jugendforschung gestützt (Sturzbecher, Dietrich
& Kohlstruck, 1994). Sie möchten ihre Individualität nicht eintauschen, sondern entwickeln,
während Mädchen scheinen eher bereit, in eine andere Haut zu schlüpfen. Diese Interpretation
bestätigen indirekt auch die acht Kinder, die sie selbst bleiben wollen, weil sie sich gut finden
und vermeintlich von allen gemocht werden: Diese Kinder sind ohne Ausnahme Jungen.
Von einigen der 5- bis 6jährigen Jungen und Mädchen wurde auch erklärt, dass sie ihre Identität
gern mit Eltern, Geschwistern oder auch Freunden tauschen würden.
Immerhin fast ein Zehntel der Befragten möchte lieber Vati bzw. Mutti oder zumindest Erzieherin
sein, weil man in diesem Falle ungehindert mit anderen schimpfen oder zanken könne.
Vermutlich steckt hinter diesen Antworten der Wunsch nach mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten und danach, dass die eigenen Intentionen und Befindlichkeiten stärker respektiert
werden. Die Elternrolle ist aufgrund der damit verbundenen voraussetzungsfreien Autorität für
Kinder besonders erstrebenswert, eine Autorität, die (von Kindern) nicht infrage gestellt werden
kann oder erkämpft werden muss. Drei Jungen bestätigen diese Interpretation durch ihren
Wunsch, die Position der Mutter einzunehmen, die Kinder kriegen kann und zu Hause was zu
sagen hat.
Partnerschaft mit Kindern - eine Investition in die Zukunft
Versuchen wir nun, die Äußerungen der Kinder zusammenfassen, zu verallgemeinern und
Schlussfolgerungen daraus abzuleiten:
1) Bedürfnisse entwickeln sich, wie wir erkennen konnten, immer vor dem Hintergrund einer
konkreten Lebenssituation und damit verbundener Lebensbedingungen. Sie konstituieren und
artikulieren sich dort, wo diese Lebensbedingungen als mangelhaft empfunden werden. In
den Antworten unserer Interviewpartner zeigen sich viele dieser Bedürfnisse, die oft aus
einer geringen Wertschätzung Erwachsener für kindliche Intentionen und Befindlichkeiten
resultieren. Kinder haben, genauso wie Erwachsene, das Bedürfnis, soziale Anerkennung zu
erfahren und respektiert zu werden. Sie erwarten, daß ihnen gewisse Freiräume für
selbstbestimmte Tätigkeiten eingeräumt werden. Sie möchten Konflikte eigenständig aushandeln und austragen dürfen sowie sich an Normen orientieren, die (auch) ihnen sinnvoll
und einsichtig erscheinen.
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2) Die folgende Schlussfolgerung relativiert die erste. Den geforderten Freiräumen für Kinder,
dem
Ausleben
ihrer
Bedürfnisse
müssen
mit
pädagogischem
Geschick
entwicklungsfördernde Grenzen gesetzt werden. Dies sollte nicht vorrangig durch Verbote
und Gebote geschehen, sondern indem das soziale Umfeld von Kindern pädagogisch
gestaltet wird. In dieses Umfeld müssen Bildungsangebote integriert werden, die die Kinder
entsprechend ihrer individuellen psychischen Voraussetzungen nutzen können. Zu den
Aufgaben der Erzieherin und ihrem pädagogischen Geschick gehört, die Kinder auf diese
Bildungsangebote neugierig zu machen, sie zu motivieren, spielend zu lernen. Die
Berechtigung solcher Bildungsangebote resultiert einerseits aus den humanistischen
Maßstäben unserer Gesellschaft und andererseits aus der Neugier der Kinder für diese
Angebote, jedoch nicht aus den pädagogischen Grundsatzentscheidungen von Experten, die
festlegen, welches Wissen und Können kind- oder altersgemäß ist und demzufolge in der Kita
vermittelt werden darf.
3) Kinder brauchen Interessenvertretungen, brauchen Erwachsene, die sich für die Erfüllung
ihrer Bedürfnisse einsetzen. Interessenvertretung für Kinder darf nicht nur Arbeitsaufgabe
professioneller Kinderbetreuer bleiben, sondern muss sich im Denken und Handeln und vor
allem in der Zivilcourage all derer zeigen, die Kinder haben, mit Kindern arbeiten oder auch
Kinder einfach nur mögen. Bedürfnisse von Kindern dürfen nicht aufgerieben werden im
Spannungsfeld der Interessen von Trägern, Kommunen, Ländern und Personengruppen, die
den öffentlichen Anteil an der Finanzierung des Kindeswohls nur als Angriff auf den eigenen
Wohlstand erleben. Bei der Abwägung all der auf den ersten Blick anscheinend so
berechtigten Interessen darf nicht vergessen werden, dass das Wohl dieser Gesellschaft,
deren Durchschnittsalter drastisch steigt, immer noch und entscheidend von der
ökonomischen und moralischen Leistungsfähigkeit der nächsten Generation abhängt.
Fehlende Investitionen an dieser Stelle rächen sich bitter, wie die augenscheinlich
zunehmende Gewalt unter Kindern und Jugendlichen zeigt.
Gewaltbereitschaft und gewalttätiges Handeln resultieren nämlich, wie in der o.g. Jugendstudie
überzeugend dargestellt wird, beispielsweise aus der Mißachtung kindlicher Bedürfnisse in
der Familie, aus fehlenden Kommunikations- und Entscheidungsfreiräumen für die Kinder,
aus elterlicher Gleichgültigkeit und fehlender elterlicher Unterstützung. Hier eröffnen sich
insbesondere in den neuen Bundesländern für die Kindertagesstätten neue Aufgabenfelder
für familienunterstützende Betreuung.
Derartige
Betreuungsangebote
werden
nötig,
weil
gesamtgesellschaftliche
Individualisierungsprozesse derzeit im Osten, bedingt durch die Systemanpassung, im
Zeitraffertempo ablaufen und der soziale Druck auf die Familien wächst. Dies führt in manchem
Elternhaus zu Verlusten an elterlicher Orientierung und Unterstützung für die Kinder, auch
Verlusten an emotionaler Wärme und Geborgenheit. Die Erzieherin muss solche familiären
Belastungen genauso wie andere kritische Lebenssituationen in der Familie kennen und
versuchen, das Kind bei der entwicklungsfördernden Verarbeitung der Folgen als stabile und
vertrauenswürdige Bezugsperson zu unterstützen.
Greifen wir die eingangs gestellte Frage noch einmal auf und versuchen wir, sie zu beantworten.
Kinder kennen ihre Bedürfnisse, und Erwachsene tun gut daran, diese Bedürfnisse zu
respektieren. Respekt vor den Bedürfnissen von Kindern und daraus resultierend eine pädagogisch kluge Entwicklungshilfe für die Herausbildung sozial und individuell wertvoller Bedürfnisse
sind eine zukunftsträchtige Vorleistung für ein funktionstüchtiges demokratisches Staatswesen
mit mündigen Bürgern.