Wie stiftet man den Stiftungsfrieden? - (BdV) Bayern

Quelle: Augsburger Allgemeine
Politik
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Politik kompakt
ISRAEL
Ein Toter in Jordanien bei
Raketenangriff auf Israel
Durch eine offenbar auf den israelischen Badeort Eilat abgefeuerte
Rakete ist im benachbarten Jordanien ein Mann getötet worden.
Nach israelischen Angaben schlugen
am Montag insgesamt fünf Raketen auf israelischem und jordanischem Gebiet ein und verletzten
dabei mehrere Menschen in Jordanien. Aus Kairo kam Widerspruch
zu Mutmaßungen, wonach die Geschosse von der zu Ägypten gehörenden Sinai-Halbinsel abgefeuert
worden sein sollen.
In der jordanischen Hafenstadt
Akaba starb nach Angaben aus örtlichen Sicherheitskreisen ein 51-jähriger Taxifahrer an den Folgen seiner Verletzungen durch den Raketenbeschuss. Fünf weitere Jordanier seien verletzt worden. (afp)
LOVE-PARADE-KATASTROPHE
Oberbürgermeister will
sich abwählen lassen
Nach der Love-Parade-Katastrophe
ist der umstrittene Duisburger
Oberbürgermeister Adolf Sauerland
(CDU) bereit, sich abwählen zu
lassen. In einer am Montag vorgelegten Erklärung weigerte er sich
aber weiter, sein Amt sofort niederzulegen. Zahlreiche Politiker und
Bürger hatten in den vergangenen
Tagen den sofortigen Rücktritt
Sauerlands verlangt. Der Politiker
will vor weiteren Entscheidungen
zunächst an der Aufklärung des Geschehens mitarbeiten. Sauerland:
„Für mich steht fest: Ich werde
mich meiner Verantwortung uneingeschränkt stellen – der persönlichen wie der politischen. Beides
hängt allerdings zusammen.“ (dpa)
In den Tag gesprochen
„Man muss ein für alle Mal
mit der Vorstellung aufräumen, dass Kuba das
einzige Land auf der Welt
ist, in dem man leben
kann, ohne zu arbeiten.“
Der kubanische Staatschef Raúl Castro kündigte Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität in den
Staatsbetrieben an.
ÖSTERREICH
Zweifel an
Haiders Millionen
An den angeblich in Liechtenstein
deponierten Millionen des früheren österreichischen Rechtspolitikers Jörg Haider sind erhebliche
Zweifel entstanden. Die Staatsanwaltschaft in Liechtenstein wies
Berichte über schwarze Konten zurück: „In den beschlagnahmten
Unterlagen sind keine Konten oder
Gesellschaften aufgetaucht, die
von Dr. Jörg Haider oder seinem
Umfeld kontrolliert wurden und
werden“, hieß es. Auch die Staatsanwaltschaft Klagenfurt bestätigte
die Recherchen des österreichischen
Nachrichtenmagazins Profil nicht,
nach denen der vor zwei Jahren bei
einem Autounfall tödlich verunglückte Haider dort Briefkastenfirmen unterhalten haben soll. Profil
bleibt indessen bei seiner Darstellung. (msb)
DIENSTAG, 3. AUGUST 2010
Wie stiftet man den Stiftungsfrieden?
Vertriebene Auch nach dem Verzicht von BdV-Präsidentin Erika Steinbach auf einen Sitz im Rat der Stiftung
„Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ kommt das Gremium nicht zur Ruhe. Aktuell wird um Personalien gestritten
VON SIMON KAMINSKI
Banz/Augsburg Es will keine Ruhe
einkehren um die Stiftung „Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“. Dabei
schien sich die Situation Anfang des
Jahres endlich zu klären.
Berlin, 11. Februar 2010: Nach
einem über Monate andauernden,
zermürbenden Hin und Her verzichtete die Präsidentin des Bundes
der Vertriebenen (BdV), Erika
Steinbach (CDU), in den Rat der
Stiftung einzutreten. Als Kompensation erhielt der BdV sechs statt der
zunächst für den Verband reservierten drei Sitze in dem 21-köpfigen
Gremium. Auch gab die Bundesregierung ihr Vetorecht bei der Benennung künftiger Ratsmitglieder
auf. Inzwischen ist ein halbes Jahr
vergangen.
Kloster Banz, 30. Juli 2010: Stiftungsdirektor Manfred Kittel, sitzt
auf dem Podium des großen Sitzungssaales. Gut 40 Funktionäre des
BdV in Bayern hören zu, wie der
48-Jährige anlässlich eines Seminars
über Öffentlichkeitsarbeit erklärt,
warum sich die Stiftung eben nicht
auf ihren eigentlichen Zweck konzentrieren kann – den Aufbau eines
Dokumentationshauses zum Thema
Vertreibung in Berlin-Kreuzberg.
Kittel ist Historiker, kein Politiker. Formal stimmt das. Dennoch
muss Kittel zurzeit wie ein Politiker
agieren. Überrascht hat das den
Franken jedoch nicht: „Als ich zugesagt habe, haben Freunde aus dem
Wissenschaftsbereich mich schon
gefragt, warum ich mir das antue.“
Es sei ihm bereits damals klar gewesen, dass nach dem Ende des Streits
um Erika Steinbach weiterhin Gegner des Zentrums auftreten würden,
„Der Nationalsozialismus
wird einer der zentralen
Kontexte der Ausstellung.“
Manfred Kittel, Stiftungsdirektor
die ganz prinzipiell gegen das Projekt eingestellt sind. In der Tat.
Doch Kritik kam auch von denen,
welche die Errichtung eines Dokumentationszentrums in der Hauptstadt im Grundsatz unterstützen. Im
BdV fürchten nicht wenige, dass
Verbrechen gegen deutsche Vertriebene aus Rücksicht auf die Nachbarländer im Osten auf dem Altar der
Political Correctness geopfert werden sollen – sprich nicht klar und
deutlich benannt und dargestellt
werden. Das sieht beispielsweise
Claudia Roth (Grüne) völlig anders.
Sie zweifelte im Bundestag daran, ob
die Stiftung „nach dem von Frau
Steinbach provozierten Konflikt ihrem Zweck der Versöhnung mit den
Nachbarländern überhaupt gerecht
werden“ könne. „Manche Kritiker
vergessen, dass das Konzept noch
Die Heimat im Rücken. Flüchtlinge auf einer Landstraße im Osten Deutschlands Anfang 1945. Ein großes Dokumentationszentrum in Berlin-Kreuzberg soll das millionenfache
Schicksal der Vertreibung dokumentieren. Doch um die konzeptionelle Ausrichtung der geplanten Dauerausstellung gibt es immer wieder Streit.
Foto: ullstein
gar nicht vorliegt“, sagt Kittel. Doch
es gebe „politische Heckenschützen“, die bereits die Grundlage der
noch auszuarbeitenden Konzeption
in Frage stellen würden. Diese
Grundlage ist ein Papier, auf das sich
die Große Koalition 2008 geeinigt
hatte. Dort heißt es, dass das Zentrum im Deutschlandhaus die Erinnerung an das „tiefe menschliche
Leid“ der Vertreibung festhalten
soll, und zwar ausdrücklich im europäischen Rahmen. Gleichzeitig soll
ein Hauptakzent der Dauerausstellung jedoch auf den Erfahrungen liegen, die deutsche Vertriebene machen mussten. Für Kittel eine tragfähige Basis.
Aber es geht längst nicht nur um
Konzepte, sondern immer wieder
um Personalien. Mehrfach kamen
dem wissenschaftlichen Beirat, der
die Konzeption für das Dokumentationszentrum ausarbeiten soll, Mitglieder abhanden. So verließen der
polnische Historiker Tomasz Szarota, seine tschechische Kollegin Kristina Kaiserova sowie die deutsche
Publizistin Helga Hirsch den Beirat
– und sie gingen keineswegs in Frieden. Natürlich weiß auch Kittel,
dass solche Querelen seinen Kritikern, welche die offene Ausrichtung
des Beirats gefährdet sehen, in die
Karten spielen. „Die Kontroversen
sind ein Stück weit auch normal. Erinnern wir uns doch mal an den jahrelangen Streit, den es gab, bevor
das Deutsche Historische Museum
in Berlin entstanden ist“. Allerdings
bedauert Kittel, dass die Umbesetzungen Zeit kosten. Wie er schätzt
bereits „rund ein halbes Jahr“.
Aktuell sorgt die Benennung von
zwei Stellvertretern für BdV-Vertreter im Stiftungsrat für Schlagzeilen. Es geht um Hartmut Saenger
und Arnold Tölg. Ersterem wird
von Historikern vorgeworfen, er
habe Schuld und Verantwortung
von Deutschland für den Zweiten
Weltkrieg heruntergeredet, ja gar
geleugnet. Tölg hingegen hatte sich
in der rechtsgerichteten Zeitschrift
Junge Freiheit über Wiedergutmachungszahlungen für NS-Zwangsarbeiter mokiert. Salomon Korn,
der für den Zentralrat der Juden im
Stiftungsrat sitzt, bezeichnete die
Benennung der beiden als nicht akzeptabel. Erika Steinbach stellte sich
umgehend hinter Saenger und Tölg.
Es seien Zitate aus dem Zusammenhang gerissen worden, erklärte die
BdV-Präsidentin. So ist ein weiterer
Konflikt vorgezeichnet.
Doch auch im BdV findet die Arbeit der Stiftung keinen ungeteilten
Beifall. Einigen Funktionären passt
gleich die ganze Richtung nicht –
dies zeigte sich erneut in Banz.
„Warum machen wir nicht ein eigenes Zentrum“, wurde gefragt. Auch
gab es Stimmen, die sich dagegen
verwahrten, die Vertreibung einzig
Die Stiftung
● Gründung Die Stiftung „Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“ wurde
Ende 2008 nach einem im März 2008
ergangenen Kabinettsbeschluss errichtet. Grundlage war eine Vereinbarung der Großen Koalition von
2006.
● Trägerschaft Die Trägerschaft der
unselbstständigen Stiftung öffentlichen Rechts liegt beim Deutschen Historischen Museum.
● Stiftungszweck Zweck der Stiftung
ist es „im Geiste der Versöhnung die
Erinnerung und das Gedenken an
Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des
Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und
Vernichtungspolitik und ihre Folgen
wachzuhalten“. Zur Erfüllung dieses
Zwecks soll eine Dauerausstellung
aufgebaut und unterhalten werden.
● Stiftungsrat Das Gremium bestimmt über alle grundsätzlichen
Angelegenheiten der Stiftung. Vertreten sind u. a. neben dem BdV das
Auswärtige Amt, Parteien, die Kirchen,
der Zentralrat der Juden.
● Wissenschaftlicher Beirat Der
Beirat soll wissenschaftliche Konzepte für das Dokumentationszentrum
ausarbeiten. (ska)
und alleine als Reaktion auf den Angriffskrieg der Deutschen zu sehen.
Es sei auch falsch, das Verbrechen
der Vertreibung in der zu schaffenden Dokumentation ständig den
Verbrechen der Nationalsozialisten
gegenüberzustellen. „Die deutsche
Geschichte beginnt nicht erst mit
der Machtübernahme der Nazis“, so
war zu hören. Das sei natürlich richtig, stellte Kittel klar, doch werde
„der Nationalsozialismus einer der
zentralen Kontexte der Ausstellung“ sein.
Der stellvertretende BdV-Vorsitzende Christian Knauer (CSU), auch
er Mitglied im Stiftungsrat, wandte
sich gegen Versuche aus den eigenen
Reihen, eine „wohlwollende und
sinnvolle Initiative schlechtzumachen“. Er habe manchmal den Eindruck, dass damit kaschiert werden
solle, dass es aus dem BdV heraus in
den 70er und 80er Jahren kaum Anstöße zur Gründung eines eigenen
Zentrums für Vertreibung gegeben
habe. Zudem könne der BdV ein
modernes Zentrum in der geplanten
Dimension schwerlich alleine finanzieren. Allerdings: „Wenn andere
dabei sind, muss es nun mal auch
Kompromisse geben.“
Direktor Manfred Kittel wird darauf hoffen müssen, dass sich diese
Einsicht in seiner Stiftung durchsetzt. Doch er ist überzeugt: „In einigen Jahren wird in Berlin ein Dokumentationszentrum zur Vertreibung eröffnen.“
Von der Leyen dämpft die Erwartungen
Soziales Es soll keine deutliche Erhöhung von Hartz IV geben. Kritik von Union und SPD
VON SARAH WENGER
Das Datum
3. August
» 1935 Die Großglockner-Hochalpenstraße wird nach fünfjähriger
Bauzeit eröffnet.
» 1940 Litauen wird in die Sowjetunion eingegliedert.
» 1960 Das afrikanische Land Niger
wird von Frankreich unabhängig.
» 1990 Der Vertrag für die ersten
gesamtdeutschen Wahlen wird in
Ostberlin unterzeichnet.
» 2005 Zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt wird ein
beschädigtes Space-Shuttle im Weltall repariert. An der „Discovery“
werden überstehende Füllstreifen
entfernt.
NUMMER 176
Arbeitsministerin von der Leyen dämpft
die Hoffnungen.
Foto: dpa
Augsburg Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) feilt
derzeit an einer weitreichenden
Hartz-IV-Reform. Zwar sind die
Einzelheiten noch unklar, doch bereits jetzt steht die Ministerin mit
ihren Plänen in der Kritik.
Führende Koalitionspolitiker äußerten am Montag die Sorge, dass
höhere Regelsätze für Langzeitarbeitslose die Sparpläne der Bundesregierung gefährden könnten. Der
stellvertretende Vorsitzende der
Unions-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs (CDU), machte deutlich:
„Hartz IV darf nicht attraktiver
werden als Arbeit.“ Außerdem dürfe die Konsolidierung des Staatshaushalts nicht gefährdet werden.
Ähnlich äußerte sich CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt gegenüber unserer Zeitung: „Es muss
immer noch gelten, dass der Arbeitende mehr hat als der, der nicht ar-
beitet.“ Allerdings warnte er davor,
eine abstrakte Debatte zu führen.
FDP-Fraktionsvize Heinrich Kolb
wurde konkreter: „Sollte die Neugestaltung der Hartz-IV-Sätze zu
Mehrausgaben führen, muss das
Ministerium Vorschläge für Einsparungen an anderer Stelle machen.“
Das Arbeitsministerium wies derweil Spekulationen zurück, dass der
Regelsatz von derzeit 359 Euro auf
400 Euro steigen könnte. Es sei offen, wohin die Reise gehe, sagte ein
Ministeriumssprecher in Berlin. Allerdings scheint auch von der Leyen
keinen großen Spielraum zu sehen:
Sie sagte der Bild-Zeitung, dass der
Abstand zwischen den Einkommen
Vollzeit arbeitender Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger nicht
weiter verringert werden dürfe.
Trotzdem: Seitdem das Bundesverfassungsgericht im Februar die
Berechnung des Regelsatzes beanstandet hat, hoffen viele auf eine Erhöhung der staatlichen Fürsorge.
„Da bin ich sehr skeptisch“, sagte
Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Es
sei zwar nicht auszuschließen, dass
am Ende der derzeit laufenden –
Neuberechnung mehr Geld für
Langzeitarbeitslose herauskomme.
Zwingend sei dies aber nicht.
Eine genaue Berechnung
ist erst im Herbst möglich
Eine genaue Berechnung ist erst
möglich, wenn im Herbst die Daten
der neuen Einkommens- und Verbraucherstichprobe vom Statistischen Bundesamt ausgewertet sind.
Dann drängt die Zeit: Das Bundesverfassungsgericht hat von der Leyen eine Frist bis Jahresende gesetzt.
Unklar ist nach den Worten des
Ministeriumssprechers noch, nach
welchem Parameter die Sätze künftig angepasst werden. Fest steht,
dass die Anpassung der Hartz-IVSätze sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
künftig
nicht mehr an der Rente orientiert.
In der Debatte ist eine Koppelung
aus „Inflation, Lohnentwicklung
und laufender Wirtschaftsrechnung“, sagte der Ministeriumssprecher. Dobrindt forderte, „die Regelsätze frei von Willkür am objektiven Lebensbedarf“ zu orientieren.
Hier setzt die Kritik der SPD an:
Fraktionsvize Elke Ferner sagte, der
einzige Weg sei, „die Sätze in Zukunft wie die Lebenshaltungskosten
unterer Einkommensbezieher steigen zu lassen“. Sie forderte zudem
die Einführung flächendeckender
Mindestlöhne. „Nur so kann verhindert werden, dass immer mehr
Arbeitnehmer
ergänzend
auf
Hartz IV angewiesen sind und im
Alter nur eine Minirente erreichen.“
Von der Leyen plant ihrem Sprecher zufolge eine Diskussion mit
Bundesländern und den betroffenen
Verbänden. Eine neue Debatte über
Mindestlöhne sei jedoch nicht vorgesehen. (mit dpa, ddp)