SEITE 12 Sie sammeln auf, was andere wegwerfen Vier geistig behinderte Herren arbeiten seit 30 Jahren als Saubermänner im Leipziger Zoo n Es ist ja nicht alles heile Welt im Zoo. „Mehr wie genug Dreck machen die Leute. Zack, Kippe aus dem Mund und auf den Boden“, schimpft Andreas Bille (47).„Die Kippen und das ganze Papier“ ärgern auch Roland Kittel (47). „Und wenn sie über die Wiese latschen“, ergänzt Frank Schmiade (48). Die geistig behinderten Männer passen auf und sorgen dafür, dass jedes Fitzelchen Unrat umgehend wegkommt. Bis zu 30 Müllsäcke fahren sie am Wochenende weg. „Unsere Jungs heben eigentlich auch Kümmelkörner auf“, spricht ihnen ihre Chefin Bärbel Stöbe (53) ein dickes Fleiß-Lob aus. Die „Jungs“ sind erwachsene, abgehärtete Männer. Sie gehören zur Außenarbeitsgruppe Zoo der Lebenshilfe Leipzig. Sprich zu den 17 Blaumännern und -frauen, die an 365 Tagen im Jahr für saubere Wege und Papierkörbe sorgen. Im Herbst harken die Männer Laub, im Winter schippen sie Schnee, im Sommer befeuchten sie bei heißem Wetter mit Gießkannen die Wege. Zwischendurch werfen sie auch mal einen Blick auf die Tiere, denn da hat jeder so seine Lieblinge. Und sie stehen Seit 30 Jahren sorgen sie für picobello saubere Wege und Papierkörbe im Zoo: Frank Schmiade, Andreas Bille, Roland Kittel und Peter Winkel (von links). Foto: André Kempner regelrecht in der Öffentlichkeit, werden sie doch schnell mal um Auskunft gebeten. „Sie arbeiten selbstständig und haben im Zoo den Kontakt zum normalen Alltag“, sagt Tobias Audersch (30) von der Lebenshilfe. Für Bille, Kittel, Schmiade und einen vierten im Bunde, Peter Winkel (48), war kürzlich ein ganz besonderer Tag: Die vier Männer begingen ihr 30-jähriges Dienstjubiläum im Tiergarten. 1984 fingen sie als Angestellte des Zoos an, nach der Wende hätte ihnen die Entlassung gedroht. Doch da konnten sie zum Verein Lebenshilfe wechseln. Der Zoodirektor persönlich sprach ihnen Anfang August sein Dankeschön aus. Den sehen sie jeden Mittwoch, wenn er seine große Visitenrunde dreht. „Guten Morgen Chef“, grüßen sie ihn. „Guten Morgen Jungs“, grüßt er zurück. Überhaupt winken die Saubermänner jedem Tierpfleger, der des Weges kommt, schon von Weitem ein fröhliches „Hallo“ entgegen. Und sie werden freundlich behandelt. „Die Besucher loben uns, und der Zoo schätzt unsere Arbeit. Wir werden auch jedes Jahr zur Weihnachtsfeier eingeladen“, freut sich Frank Schmiade. Er wohnt in seiner eigenen Wohnung, wie auch Roland Kittel. Peter Winkel lebt bei seinen Eltern, Andreas Bille im Betreuten Wohnen. Neben dem Grundlohn kriegt jeder der Vier Leistungslohn und Weihnachtsgeld. Was die Männer verdienen, ist nicht viel, „es könnte mehr sein“, sagt Roland Kittel, aber es ist nicht ihr einziges Einkommen. Manche bekommen dazu Rente, Wohngeld oder Grundsicherung, Kindergeld oder Pflegegeld. Weitere Außenarbeitsgruppen der Lebenshilfe Leipzig sind bei BMW und in zwei Mensen der Universität im Einsatz. Wer mehr Fürsorge benötigt, kann in der Werkstatt in der Ernst-Keil-Straße arbeiten. Kerstin Decker Der Guruforscher Indischer Gastwissenschaftler erforscht an Uni Leipzig das Wechselspiel von Spiritualität und Globalisierung n Was das Wetter angeht, könnte Ujjwal Jana derzeit Heimatgefühle entwickeln. Es ist heiß und immer wieder mogeln sich Regentage in die Hochsommerzeit, ähnlich wie dort, wo der Wissenschaftler eigentlich zu Hause ist: in Südindien. Doch Heimweh hat er nicht. Erstmalig und für drei Monate ist er zu Besuch in Leipzig und wird bis Ende August viel zu tun haben. Mit seinem Kollegen Elmar Schenkel vom Institut für Anglistik will der 37-Jährige das gemeinsame Forschungsprojekt „The Challenge of Guru“ vorantreiben. Bei dem Begriff Guru erscheinen bei jedem fast automatisch die gleichen Bilder im Kopf: alte Männer in langen Gewändern mit wallendem Bart. Ujjwal Jana sitzt im Geisteswissenschaftlichen Zentrum (GWZ) unserer Universität und kann über dieses Klischee nur lachen. „In Indien“, sagt er, „gibt es kein Individuum, dass nicht durch jemand anderen beeinflusst wird. Diesen Anderen nennen wir Guru, er führt dich auf den richtigen Weg.“ Das muss nicht immer ein religiöser Führer sein. Vielmehr können auch der eigene Vater, ein Lehrer oder eine andere nahestehende Person als Guru fungieren. Der Wissenschaftler selbst erhielt Inspiration in einer spirituellen Glaubensgemeinschaft namens Satsang Ashram. Gemeinsam mit seiner Familie verbrachte er schon als Kind viel Zeit dort und schöpfte neue Energie. Heute will der kleine, energetische Mann die indische Spiritualität nicht nur erfahren, sondern auch erforschen. Was bewirkt ein Guru? Wie greift er in das Leben der Menschen ein? Auf diese Fragen will der in Pondicherry studierte Forscher Antworten finden und aus indischer Perspektive schauen, was die Spiritualität mit den Men- LIEBIGSTRASSE AKTUELL | Der indische Wissenschaftler Ujjwal Jana ist derzeit zu Gast an der Universität Leipzig. Gemeinsam mit Forschern vom Institut für Anglistik betreibt er „Guruforschung”. Foto: S. Reichhold schen macht. Der Mann, der sich der Thematik von westlicher Seite her nähert, sitzt im GWZ ein paar Zimmer weiter: Elmar Schenkel. 2011 lernten sich die beiden Forscher in Pondicherry kennen, Schenkel war für einen Vortrag angereist. Seitdem haben sie das Projekt im Blick. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft beteiligt sich an der Finanzierung, ebenso das Indian Council of Social Science Research (ICSSR). Eine enge Zusammenarbeit besteht mit dem Centre for the Study of Religion unserer Hochschule. Hier wird religionsbezogene Forschung koordiniert, und es werden Seminare und Vorträge zum Thema veranstaltet. Anglistik-Professor Schenkel hat seit langer Zeit engen Kontakt zu Indien. Sein Cousin lebt in der utopisch-ökologischen Stadt Auroville, fünf Kilometer von Pondicherry entfernt. Schenkel untersucht die Wechselbeziehungen zwischen Religion und Spiritualität und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. „Was passiert eigentlich mit unseren 2000 Jahren europäischer Kulturgeschichte durch diesen Kontakt zwischen Indien und Europa und umgekehrt, wie verändern sich unsere Kulturen?“, fragt er. Ende des 19. Jahrhunderts begannen sich Indien und die westliche Welt in religiösen Fragen zu beschnuppern. In den 1920er Jahren beeindruckten erstmals Gurus mit ihren Reden über indische Spiritualität Intellektuelle wie Thomas Mann. Seither sind tausende Menschen von West nach Ost gereist, haben sich im Yoga ausprobiert, die farbenprächtige indische Welt bewundert und ihre Eindrücke wieder mit nach Hause genommen. Viele haben Bücher darüber geschrieben. „Die interessieren uns am Ende“, sagt Schenkel. „Sie erzählen uns auf der Bewusstseinsebene, was die Globalisierung mit der Religion macht.“ Sie bringe einiges ins Rollen. Denn gerade Gurus hätten religiöse Autoritäten in Europa wieder salonfähig gemacht, wo sie dem Professor zufolge kaum noch eine Rolle gespielt haben. „Jetzt geht man zum Guru und gibt im Grunde alles wieder auf, was man durch die Aufklärung erlernt hat: kritisches Nachdenken und Reflektieren“, erzählt Schenkel. Deshalb will er auch die Berichte von Rückkehrern und Enttäuschten lesen. Im Laufe des Projekts werden sowohl Romane und Gedichte, aber auch Autobiografien und Reiseliteratur ab 1890 ins Visier genommen. Ujjwal Jana besetzt mit seinen Untersuchungen in seiner Heimat eine Art Nische, denn im Gegensatz zu Deutschland wird an indischen Universitäten kaum zu Religion geforscht: „Sie gehört quasi zu unserem Leben“, sagt der Inder. „Wir sehen keine Notwendigkeit darin, Religion zu studieren.“ Er selbst unterrichtet am Institut für Anglistik in Pondicherry und hat zahlreiche Bücher von Ost-West-Reisenden gelesen. Eines seiner Schlüsselbücher ist „Father India“ von Jeffrey Paine. In Leipzig hat der Gastwissenschaftler in seiner Freizeit allerdings nicht so viel Zeit, Bücher zu wälzen. Er will die Stadt erkunden und sich weiter mit der hiesigen Kultur und den Menschen hier vertraut machen. In den nächsten Tagen ist er mit anderen ausländischen Gästen im Bus durch Polen, Tschechien, Österreich und Ungarn unterwegs. Und er freut sich schon, denn bisher ist er immer mit offenen Armen empfangen worden. Claudia Euen
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