Region Sense / Laupen September 2011 Könizer zeitung Der Sensetaler 77 Wie aus der Bibel Kunst wird Sylvia Schmutz macht mit ihren Büchern allerhand – ausser sie zu lesen gelegen. «Jetzt bin ich viel näher an den Leuten.» LAUPEN – Auf dem gemütlichen Sofa in einem guten Buch schmökern? Für die kunstbegeisterte Sylvia Schmutz keine Verlockung. Viel lieber verarbeitet sie Bücher zu ausgefallenen Kunstobjekten – auch wenn es bei der Arbeit so richtig rostet. Wem schon einmal das Lesezeichen abhanden gekommen ist, dürfte den Trick bestens kennen: Eine kleine Falte in die Buchseite machen und die Textstelle ist schnell wieder gefunden. Dafür hat Sylvia Schmutz höchstens ein müdes Lächeln übrig. Obwohl die Neueneggerin keine Bücher liest, kennt sie sich beim Buchseitenfalten bestens aus. Eine gefaltete Seite ist ihr jedoch selten genug, dutzende sollten es sein. So viele, bis das Buch eine kugelähnliche Form angenommen hat. Und dann geht die Arbeit erst richtig los. Kein Buch ist Tabu Sylvia Schmutz sitzt in ihrem Laupener Atelierkeller und deutet auf die Wand links des Eingangs. Unzählige Bücherobjekte stehen auf einem antiken Schriftsetzerpult an der Steinmauer, kleine und grosse, Lampen oder Kelchen ähnelnde. Über und unter den gefalteten Buchkunstwerken befinden sich Halter oder Figuren, meist aus gerosteten Materialien. Diese verzierenden Elemente sind es, die für Sylvia Schmutz den Reiz ihres Handwerks ausmachen. Das Bücherfalten ist hingegen Routine, wie die flinken Hände der pensionierten Sachbearbeiterin beweisen. Gerade faltet sie die letzten Seiten ihres aktuellen Buchobjektes – der Bibel. «Bei der Auswahl der Bücher kenne ich keine Hemmungen», kommt die 64-Jährige einer Nachfrage zuvor. «Die Leute haben ja auch keine Hemmungen, eine Bibel in die Brockenstube zu geben.» Sylvia Schmutz in ihrem Atelier. Dort besorgt sie sich die meisten der Bücher, der Rohstoffe ihrer Kunst. Schachlehrbuch für die Kunst Keines der gefalteten Bücherobjekte ist wie das andere. Sylvia Schmutz achtet darauf, Thema oder Titel der ausgewählten Bücher in ihr Schaffen einfliessen zu lassen. Sofort ins Auge sticht etwa ein gefaltetes Schachlehrbuch, das mit einer aufgesetzten Krone glänzt – «ein Symbol für den König, die wichtigste Spielfigur im Schach». Sylvia Schmutz strahlt, wenn sie von ihren Projekten erzählt. Beim kreativen Umgestalten der Bücher fliesst Herzblut, so viel wird klar. Ganz anders als beim Lesen. «Mir fehlt einfach die Ruhe dazu», gesteht die passionierte Kunstfreundin. «Ich kann kaum fünfzehn Minuten stillsitzen und mich auf einen Text konzentrieren. Es arbeitet immer in meinem Kopf.» «Näher an den Leuten» Obwohl Sylvia Schmutz die Buchfalttechnik erst vor zwei Jahren für sich entdeckt hat, kann sie bereits erste Erfolge vorweisen. Während des letzten halben Jahrs hat sie im Café am Kreuzplatz in Laupen ausgestellt, einem renommierten Kunst-Café. Ab Mitte Oktober folgt in einer Stadtberner Buchhandlung eine weitere Ausstellung. Zu verdan- Fotos: Marc Perler ken hat Sylvia Schmutz diese Erfolge nicht zuletzt ihrer Tochter, einer ausgebildeten Gestaltungspädagogin. Bei ihr hat sie die Falttechnik kennengelernt. Kathrin Wyss, die Tochter, ist zudem die vormalige Mieterin des Atelierkellers in Laupen. Vor einem Jahr hat Silvia Schmutz während einer Autofahrt erfahren, dass die Tochter den Kellerraum aufgeben wollte. «Da bin ich sofort an den Strassenrand gefahren und habe gleich zugesagt.» Ihr bisheriger Schaffensplatz, zu Hause in der Heitern bei Neuenegg, war ihr zu ab- Buchkunst von Sylvia Schmutz. Neugierde als Motor Für ihre Kunst geht Sylvia Schmutz auf weite Reisen. Zwei Mal jährlich fährt sie nach Frankreich, um sich auf Flohmärkten mit Rostmaterialien einzudecken. Diese verarbeitet sie in ihrem Atelier weiter und integriert sie in die Buchobjekte. Dass sie selber nicht «rostet», dafür hat Sylvia Schmutz stets vorgesorgt. Vor vielen Jahren liess sie sich zur Coiffeuse ausbilden, dann wechselte sie in den Fleischfachverkauf und schliesslich arbeitete sie bis 61-jährig als Geschäftsstellenleiterin bei der SRG Bern, Freiburg, Wallis. «Ich war einfach immer neugierig, was es noch alles gibt», so Sylvia Schmutz, «und das soll auch so Marc Perler bleiben». Atelierkeller an der Marktgasse 14 in Laupen, geöffnet Di. und Sa. 14 bis 16 Uhr (daneben unregelmässig offen). Ausstellung der Bücherobjekte: Ab Mitte Oktober, Buchhandlung Liechti, Länggassstrasse 12 in Bern.
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