Kinder lernen heute essen – was essen sie morgen – Mag. Hanni Rützler Als Genießer werden wir geboren, zum Feinschmecker müssen wir erst heranwachsen, sagt Gero von Randow, und damit hat er wohl recht, wenn wir die Vielfalt an aktuellen Essstilen betrachten. Auch wenn die Geschmacksprägung schon sehr früh beginnt, so entwickelt sie sich ein Leben lang. Nicht nur das. Denn was als „gut“, „gesund und „richtig“ wahrgenommen wird, unterliegt auch einem stetigen gesellschaftlichen Wandel. Vorangetrieben wird der Wandel unserer Esskulturen und damit unserer Wahrnehmung und Beurteilung dessen, was wir als „gut“, „gesund“ und „richtig“ finden, von den sogenannten Megatrends, also Trends mit epochalem Charakter und großem „Impact“, die nicht nur einzelne Segmente oder Bereiche des sozialen Lebens und der Wirtschaft beeinflussen, sondern ganze Gesellschaften umformen. Auf unsere Esskultur, und damit auch darauf, was und wie Kinder heute essen lernen, haben vor allem die Megatrends Individualisierung, Neo Nature, Urbanisierung und Konnektivität großen Einfluss. In meinem Referat zeichne ich diesen gesellschaftlichen Wandel nach, beleuchte deren Hintergründe und versuche anhand konkreter Beispiele aufzuzeigen, wie wir versuchen Lösungen für Probleme zu finden, die sich beim Essen und „Essenlernen“ aufgrund dieses Wandels ergeben. Diese Versuche, an denen wir als Individuen (als Konsumenten, als Eltern, als Lehrerinnen etc.) ebenso beteiligt sind, wie als Lebensmittelproduzenten und als Akteure im Handel, der Gastronomie und im Gesundheitswesen, lassen sich auch als Food-Trends beschreiben. Denn Food-Trends sind – anders als saisonale Moden und kurzfristige Produkt-Trends – immer auch Versuche, systemische und/oder lebensweltliche Antworten auf latente und manifeste Ernährungsprobleme zu finden; Antworten, die zunächst an den Rändern unseres „Nahrungssystems“, jenseits des Mainstreams, gefunden werden, die Inspirationen, aber auch Irritationen bieten und damit den Dialog zwischen Industrie, Handel, Gesundheitsorganisationen und den Konsumenten befördern. Im Kontext der Kinderernährung finden wir Antworten zum Beispiel in den Trends „Curated Food“, „DIY Food“, „Communicooking“ und „Soft Health Food“. Und sie haben damit auch Einfluss auf die Geschmacksprägung unserer Kinder, die darüber mitentscheidet was sie morgen essen werden. „Vielleicht ist das Strampeln des ungeborenen Kindes Vorfreude, Vorlust. Kinder lernen heute essen. Was essen sie morgen? ! Der Mensch wird als Genießer geboren.“ ! Gero von Randow Mag. Hanni Rützler ! fit4future Kongress ! Bad Griesbach 24. Oktober 2014 ! ! Was kann das Baby? Es weiß, wann es Hunger hat und was ihm schmeckt. Es hat die Fähigkeit, im Zusammenspiel mit den Eltern authentisch zu reagieren. Geschmacksprägung beginnt sehr früh, aber dauert ein Leben lang. Die Kompetenz des Kindes Die Kompetenz der Eltern ?! Sie sind verantwortlich für: Es weiß wieviel ! Es weiß wann ! ! Das Lebensmittelangebot ! Die Stimmung beim Essen ! Die Ängste der Eltern: ... nicht genug für das Kind zu tun. ... das Kind zu sehr zu verwöhnen. ... das Kind könnte nicht früh genug selbstständig werden. ... sich und das Kind falsch zu ernähren. Die Ängste der Mutter: ... selbst zu kurz zu kommen und das eigene Leben, die eigene Karriere, die eigenen Interessen immer zugunsten der Kinder zurückzustellen. Wieviel Prozent der täglichen Hausarbeit verrichten Männer ? 9% 17% War Zone Dienstleistung Im Jahr 1900? Im Jahr 2010? Technik Frau Mann Karin Frick, Wie sich Männer und Frauen die Hausarbeit teilen, Trendstudie, GDI, CH Genetische Unterschied e Es schmeckt uns, weil wir es (häufig) essen/trinken! Wir essen etwas, weil es uns schmeckt. 75% der Erdbevölkerung haben eine LaktoseIntoleranz ! 25% Supertaster (essen weniger Süßes und Fettes) www.goodfood.com ! Der Einfluss der Eltern ist geringer als man denkt. rnen Soziales Le Werte Der Genuss ist eng mit dem Glaubensund Wertesystem verknüpft. ! Korrelationskoeffizienten für Geschmackspräferenzen zwischen Eltern und Kindern: 0,15 - 0,3 ! Großer Einfluss: Geschwister, Gleichaltrige, Peergroups ! Quelle: Psychologie Heute 7/13 www.goodfood.com www.goodfood.com ! Die Macht der Gedanken „Wenn wir der Meinung sind, dass der Konsum von Fleisch schlimm ist, sei es aufgrund ökologischer, religiöser oder humanitärer Überlegungen, dann fangen wir an, Fleisch als widerwärtig anzusehen“. Untersuchung mit Vegetariern: Menschen, die aus moralischen Gründen kein Steak essen, entwickeln oft Ekel gegen Fleisch. ! Menschen, die wegen der Gesundheit auf Fleisch verzichten ...... nicht. Psychologin Rachel Herz MEGATREND-MAP 2.0 SILVER SOCIETY KONNEKTIVITÄT Die Megatrend-Map zeigt die elf zentralen Megatrends unserer Zeit. Megatrends sind nie linear und eindimensional, sondern vielfältig, komplex und vernetzt. Die Form der Darstellung zeigt daher nicht nur die Trends an sich, sondern visualisiert auch die Überschneidungen und Parallelen zwischen den Megatrends. MOBILITÄT GESUNDHEIT FEMALE SHIFT NEO-ÖKOLOGIE SCHNITTSTELLENDESIGN WOMANOMICS GENERATIONENWANDEL POP-UP-MONEY PUBLIC HEALTH THIRD PLACES MEGATREND-MAP 2.0 Die Megatrend-Map zeigt die elf zentralen Megatrends unserer Zeit. Megatrends sind nie linear und eindimensional, sondern vielfältig, komplex und vernetzt. Die Form der Darstellung zeigt daher nicht nur die Trends an sich, sondern visualisiert auch die Überschneidungen und Parallelen zwischen den Megatrends. LEBENSQUALITÄT LIFE-LONGLEARNING SERVICEÖKONOMIE LEARNING LANDSCAPES COLLABORATION E-MOBILITÄT UNTERWEGSMÄRKTE PHASENFAMILIEN GLOBAL BRANDS FLEXIBILISIERUNG GREEN TECH SOCIAL NETWORKS END-TO-END TOURISMUS MULTIGRAFIE ENERGY GRIDS 24/7-GESELLSCHAFT DIY-PRINZIP GLOBALISIERUNG POST-CARBONGESELLSCHAFT MIXED MOBILITY SINGLEGESELLSCHAFT DOWNAGING URBAN FARMING INFODESIGN FAIR TRADE MULTIPOLARE WELTORDNUNG URBAN MINING NEW WORK GLOBALISIERUNG GESUNDHEIT URBANISIERUNG NEO-ÖKOLOGIE MOBILITÄT NEUES LERNEN KONNEKTIVITÄT EMERGING MARKETS SCHNITTSTELLENDESIGN GLOBALKULTUR MEGA-CITYS WOMANOMICS FEMALE SHIFT REUSE, REDUCE, RECYCLE ARRIVAL CITYS Das entscheidende Merkmal von Megatrends ist aber weniger ihre Dauer, sondern ihr „Impact“. Sie verändern nicht nur einzelne Segmente oder Bereiche des sozialen Lebens oder der Wirtschaft. Sie formen ganze Gesellschaften um. SILVER SOCIETY REAL DIGITAL SMART DEVICES SHARENESS BIKE-BOOM Megatrends sind jene Trends, die einen großen und epochalen Charakter haben. Ihre Halbwertszeit (die Zeit bis zum Zenit ihrer Wirksamkeit) nehmen wir mit 30 Jahren oder mehr an. CROWD SOURCING FABBING INDIVIDUALISIERUNG SMART BUILDINGS DIGITAL LIFESTYLE SMALL-WORLDNETWORKS LIVING MAPS DIVERSITY NEUE LERNFORMATE MOBILITÄT UMWELTBEWUSST NACHHALTIGKEITSGESELLSCHAFT POWER OF PLACE WISSENSGESELLSCHAFT DEZENTRALISIERUNG GLOKALISIERUNG SINNMÄRKTE OPEN INNOVATION TALENTISMUS POWERREGIONEN SOCIAL BUSINESS GREEN INVESTMENTS BIG DATA OPEN EDUCATION KREATIVE ÖKONOMIE OPEN SCIENCE NEUES LERNEN FLEXICURITY GREEN JOBS ENTREPRENEURSHIP SILVER SOCIETY ME-CLOUD BILDUNGSBUSINESS INDIVIDUALISIERUNG CORPORATE HEALTH LIFEBALANCE CO-WORKING FEEDBACKGESELLSCHAFT UN-RUHESTAND SILVERPRENEURE POP-UP-MONEY ERNEUERBARE ENERGIE KOMPLEMENTÄRMEDIZIN SELFNESS EMPOWERMENT FACHKRÄFTEMANGEL SMART-SENIORSERVICES CLEVER KIDS SOLOMO M-COMMERCE LIFE DESIGN HEALTH STYLE FEMALE SHIFT Die einzelnen Stationen einer Megatrend-Linie wiederum verdeutlichen die unterschiedlichen Dimensionen, Facetten und Trendaspekte. Sie bilden die Vielschichtigkeit eines Megatrends und die diversen Einflussfaktoren ab, die im Umfeld eines Megatrends wirken. AMBIENT-ASSISTEDLIVING POLYLOVE WEIBLICHE BILDUNGSGEWINNER DEMOGRAFISCHER WANDEL ERNÄHRUNGSWISSEN NEUE MÜTTER INTERNET DER DINGE E-HEALTH KONNEKTIVITÄT BIO-BOOM VENDING CULTURE GENDERING LEBENSENERGIE INTRINSISCHE MOTIVATION SOLUTION WORKER FEMALE LEADERSHIP AGELESS CONSUMING E-COMMERCE GESUNDHEITSMANAGEMENT CORPORATE RESPONSIBILITY NEUE MÄNNER PERMANENT BETA NEW WORK DOWNAGING SOLOMO Die einzelnen Stationen einer Megatrend-Linie wiederum verdeutlichen die unterschiedlichen Dimensionen, Facetten und Trendaspekte. Sie bilden die Vielschichtigkeit eines Megatrends und die diversen Einflussfaktoren ab, die im Umfeld eines Megatrends wirken. INFORMAL ECONOMY GENERATIONENWANDEL WELTMACHT CHINA CAR-SHARING LANGSAMVERKEHR SMART CITYS NEW LOCAL WACHSTUMSCLUSTER BEVÖLKERUNGSWACHSTUM THIRD PLACES SCHRUMPFENDE STÄDTE URBANISIERUNG QUARTIERE NEUE MÄNNER PUBLIC HEALTH FEMALE LEADERSHIP AGELESS CONSUMING E-COMMERCE VENDING CULTURE GENDERING PERMANENT BETA NEUE MÜTTER LEBENSENERGIE INTERNET DER DINGE E-HEALTH INTRINSISCHE MOTIVATION HEALTH STYLE POLYLOVE AMBIENT-ASSISTEDLIVING LEBENSQUALITÄT M-COMMERCE LIFEBALANCE LIFE DESIGN SELFNESS WEIBLICHE LEARNING KIDS GLOBAL BRANDS GLOKALISIERUNG MULTIGRAFIE ENERGY GRIDS DIVERSITY NEUE LERNFORMATE 24/7-GESELLSCHAFT DIY-PRINZIP GLOBALISIERUNG NEUES LERNEN SOCIAL NETWORKS END-TO-END TOURISMUS URBAN FARMING MIXED MOBILITY POST-CARBONGESELLSCHAFT SHARENESS URBAN MINING SMART BUILDINGS ARRIVAL CITYS MEGA-CITYS Das entscheidende Merkmal von Megatrends ist aber weniger ihre Dauer, sondern ihr „Impact“. Sie verändern nicht nur einzelne Segmente oder Bereiche des sozialen Lebens oder der Wirtschaft. Sie formen ganze Gesellschaften um. INDIVIDUALISIERUNG NEW WORK GLOBALISIERUNG FEMALE SHIFT GESUNDHEIT URBANISIERUNG SILVER SOCIETY NEO-ÖKOLOGIE MOBILITÄT NEUES LERNEN KONNEKTIVITÄT INFORMAL ECONOMY CAR-SHARING Individualisierung LANGSAMVERKEHR SMART CITYS URBANISIERUNG Biographien im Wandel Biographien im Wandel Post-Adoleszenz Kindheit 23 Zweiter Aufbruch 31 60 Erwerbs- & Familienleben REUSE, REDUCE, RECYCLE BIKE-BOOM Megatrends sind jene Trends, die einen großen und epochalen Charakter haben. Ihre Halbwertszeit (die Zeit bis zum Zenit ihrer Wirksamkeit) nehmen wir mit 30 Jahren oder mehr an. Kindheit & Jugend INFODESI FAIR TRADE INDIVIDUALISIERUNG Ruhestand Jugend 60 RUSH HOUR Un-Ruhestand Industrielle Biographie Multigraphie im Wissenszeitalter Biographien im Wandel Die Lebensstile haben Einfluss darauf, wie viel Zeit und Mühe auf die Zubereitung von Speisen verwendet wird. Jobs Sabbatical Kindheit Inbetweens Latte-Macchiato Familie Zweiter Aufbruch 31 60 Tiger Lad ys Jugend Super Granny Super Daddys Post-Adoleszenz RUSH HOUR Un-Ruhestand ure Silverpre ne Young Globalists Familien Communiteens VIB-Familie Grey -Familie Netzwerk Multigraphie im Wissenszeitalter rs Hoppe WACHSTUMSCLUSTER Was ist das Internet? in th ng ng lin lin ki lin ki ki ng pe pa ng ki da ta le op s ge rs te lin pu m co lin ki ng gs Konnektivität 70er 80er 90er 2000 2010 2020 Datenvisualisierung Healthcare-at-a-distance Mehrfache Datenverwertung Verkehrssteuerung Stats Monkey: 80er 90er 2000 2020 Die Kaufmacht hatte der Kunde schon immer. ! Neu ist die Informations- und Kommunikationsmacht. pa ge s s co m lin lin ki ng 2010 lin ki ng pu te r th ki n ki lin google@home 70er g ng Smart Materials in da ta RFID gs schreibt Sportbericht auf Datenbasis o.k. Gesellschaftlicher Wandel und Wissen verändert. Kon sument Pro Quelle: Fleischatlas 2014 Frühwarnsysteme der Branche Reflexionshilfen Kultur des Wandels FOOD-TRENDS Food Report 2014 Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung FOOD-TREND 01 #1 Lebensmittelüberfluss und das Bedürfnis vieler Konsumenten, sich gesund und gut zu ernähren, stellen neue Anforderungen an Handel und Gastronomie: Gesucht werden glaubwürdige Kuratoren. Curated Food – Vorauswahl statt Überfluss 10 Foto: flickr, gunargrummt CC BY SA Märkte sind in der Überflussgesellschaft hochkomplexe Gebilde: Es gibt alles – und von allem zu viel. Das ist die Kehrseite der Multioptionalität des 21. Jahrhunderts. Denn Angebotsvielfalt wird von den Menschen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr als Bereicherung, sondern als Belastung empfunden. Noch mehr Wahlmöglichkeiten schaffen daher keine zusätzliche Befriedigung, nicht mehr Freiheit, sondern eher Desorientierung und Verdruss. Das gilt insbesondere auf dem Lebensmittelmarkt, auf dem sich Konsumenten von der Vielfalt immer mehr überfordert fühlen, egal ob sie sich primär preiswert oder gut, ob sie sich vor allem gesund ernähren wollen oder ob ihnen artgerechte und ökologische Produktion ein Anliegen ist. Die anhaltende Unübersichtlichkeit haben auch die (vielen) Gütezeichen kaum verringert. Und die neue „Gesundheitsbehauptungs-“ oder Health-ClaimsVerordnung (www.efsa.europa.eu/de/nda/ndaclaims.htm) legt zwar die Spielregeln für Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln fest, hilft aber den Kunden kaum bei der Komplexitätsreduktion. Kuratiertes Einkaufen Orientierung im Lebensmittelhandel geben derzeit am ehesten noch Eigenmarken, die entweder den Fokus auf bestimmte Preissegmente legen (in Österreich zum Beispiel „Clever“ von REWE und „Spar-Premium“) oder auf biologische Kriterien („ja! Natürlich“ und „Zurück zum Ursprung“), auch wenn die Regalbestückung in den Supermärkten diese Logik wieder konterkariert. Kuratiertes Einkaufen durch Angebotsreduktion bzw. Vorauswahl bieten darüber hinaus nur zwei extreme Supermarktkonzepte: Sozialmärkte mit günstigen 11 FOOD-TRENDS Food Report 2014 KOCHHAUS Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung Angeboten für Zugangsberechtigte (Menschen mit nachgewiesen geringem Einkommen) und Biosupermärkte mit meist hochpreisigen Produkten für ausgesprochen ökologiebewusste Kunden. Für Konsumenten, die bei ihrer Ernährung besonders auf Gesundheit Bedacht nehmen wollen, stehen kuratierte Angebote noch kaum zur Verfügung. Das liegt natürlich auch daran, dass sich gesunde Ernährung nicht mit dem Kauf „gesunder Produkte“ einstellt. Angesichts der weiter Vom Provider zum Supporter: Lebensmittelhändler und Gastronomen von morgen sind glaubwürdige Kuratoren. wachsenden Bedeutung von Gesundheit wird das zielgenaue Ansprechen individueller, gesundheitsrelevanter Konsumbedürfnisse und die Entwicklung treffsicherer Antworten aber zu einer zentralen Herausforderung der Märkte von morgen, auch im Lebensmittelhandel und in der Gastronomie. Konzepte, die eine Verantwortung des Einzelnen hervorheben oder „Gesundes“ neben „Normalem“ anbieten, greifen hier zu kurz. Spezifische Vorauswahl und bedarfsgerechte Information Der Konsument von heute versteht seine Gesundheit immer weniger als Schicksal, sondern weiß über die Rolle der Eigenverantwortung Bescheid. Im Supermarkt und in der Gastronomie findet er dafür jedoch kaum Unterstützung. Im Gegenteil – Stichwort „Healthwashing“: Immer öfter werden ihm Produkte als „gesund“ angeboten, die das Versprechen nicht halten können. Was fehlt, sind Sortimente mit einem klaren, nachvollziehbaren „Gesundheitsprofil“ bzw. kuratierte Angebote, die uns dabei unterstützten, unsere Ernährungsgewohnheiten, jenseits von Diätmoden und Radikalkuren, schrittweise in eine gesündere Richtung zu verändern. Begleitet von virtuellen Shopping-Guides, basierend auf den neuen technischen Möglichkeiten des sozialen, mobilen und personalisierten Internets, können solche vorselektierten Angebote in Zukunft zur praktischen Lösung dieser Aufgabe beitragen. In anderen Branchen macht kuratiertes Einkaufen schon heute erste Fortschritte. Das Online-Shoppingportal life:curated macht das „kuratierte Leben“ (www.life-curated.com/homegoods) bei Mode und Einrichtungsgegenständen zum Geschäftsmodell, und auch die „Konfiguratoren“ auf den Websites der Automobilhersteller sind letztlich nichts anderes als „Einkaufshelfer“, die Modelle nach spezifischen Wünschen der Kunden konfigurieren. Foto: morguefile Mathew Clapp CC BY (www.lyfekitchen.com) – erproben Möglichkeiten für eine gesundheitskuratierte Gastronomie: Gegründet von Mike Roberts, dem ehemaligen Geschäftsführer von McDonalds, betreibt das aus Chicago stammende Unternehmen derzeit zwei Restaurants in Kalifornien. Das Fast-Casual-Restaurantkonzept, das auf Expansionskurs segelt, setzt konsequent auf Gesundheit, Nachhaltigkeit und regionale Produkte. Es verzichtet auf Butter ebenso wie auf Fruktose und Frittiertes und hat die Kalorienanzahl pro Gericht auf maximal 600 festgelegt. Aber der Gesundheitsbegriff geht über diese populären US-Nogo-Kriterien weit hinaus. Relevant für den Einkauf sind auch regionale und saisonale Produkte sowie nachhaltige Herstellungsmethoden. Leichter und humorvoller serviert Whole Food Markets Inc., der weltweit größte Betreiber einer BioSupermarktkette, sein Healthy-Eating-Konzept (www.wholefoodsmarket.com/healthy-eating) in den USA und Großbritannien. Die Website bietet Kunden „gesunde“ Einkaufsorientierung in kleinen Schritten an; jederzeit kann man bei Bedarf auch tiefer in die gewünschte Thematik einsteigen – Stichwort „learn more“ – oder einfach schnell Tipps und vielfältige Rezepte finden. Eine Erfahrung, die man auch vor Ort, in mittlerweile über 300 Filialen machen kann, denn die Gesamtinszenierung des Edel-Supermarktes verführt förmlich zum gesunden Essen. TRENDPROGNOSE Feinkostladen mit Kochanleitung Curated Food ist der Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis von Lebensmittelanbietern und Gastronomen. Es geht darum, den Kunden mit Einkaufs-, Koch- und Esslösungen entgegenzukommen, um es ihnen zu erleichtern, die bessere Wahl zu treffen. Dabei verändert sich die Rolle der Anbieter: Sie sind nicht mehr nur Provider, sondern auch Supporter. In Zukunft werden erfolgreiche Gastronomen und Retailer tiefer in die konkrete Lebenswelt ihrer Kunden eintauchen, um maßgeschneiderte, immer individuellere Angebote und Konzepte zu entwickeln. Der Konsument von morgen wird eine kuratierte Auswahl mehr schätzen als eine grenzenlose. Auf dem Weg zum Healthy-Eating-Konfigurator Schon jetzt tauchen im World Wide Web die ersten Seiten mit Kochrezepten für „Curated Food“ auf. Neue Restauranttypen wie LYFE – Love your food everyday 12 13 Angeboten für Zugangsberechtigte (Menschen mit nachgewiesen geringem Einkommen) und Biosupermärkte mit meist hochpreisigen Produkten für ausgesprochen ökologiebewusste Kunden. Für Konsumenten, die bei ihrer Ernährung besonders auf Gesundheit Bedacht nehmen wollen, stehen kuratierte Angebote noch kaum zur Verfügung. Das liegt natürlich auch daran, dass sich gesunde Ernährung nicht mit dem Kauf „gesunder Produkte“ einstellt. Angesichts der weiter Vom Provider zum Supporter: Lebensmittelhändler und Gastronomen von morgen sind glaubwürdige Kuratoren. wachsenden Bedeutung von Gesundheit wird das zielgenaue Ansprechen individueller, gesundheitsrelevanter Konsumbedürfnisse und die Entwicklung treffsicherer Antworten aber zu einer zentralen Herausforderung der Märkte von morgen, auch im Lebensmittelhandel und in der Gastronomie. Konzepte, die eine Verantwortung des Einzelnen hervorheben oder „Gesundes“ neben „Normalem“ anbieten, greifen hier zu kurz. (www.lyfekitchen.com eine gesundheitskuratierte Gastronomie: Gegründet von Mike Roberts, dem ehemaligen Geschäftsführer von McDonalds, betreibt das aus Chicago stammende Unternehmen derzeit zwei Restaurants in Kalifornien. Das Fast-Casual-Restaurantkonzept, das auf Expansionskurs segelt, setzt konsequent auf Gesundheit, Nachhaltigkeit und regionale Produkte. Es verzichtet auf Butter ebenso wie auf Fruktose und Frittiertes und hat die Kalorien anzahl pro Gericht auf maximal 600 festgelegt. Aber der Gesundheitsbegri go-Kriterien weit hinaus. Relevant für den Einkauf sind auch regionale und saisonale Produkte sowie nachhaltige Herstellungsmethoden. Emmas Enkel! Einkaufen nach Themen Spezifische Vorauswahl und bedarfsgerechte Information Der Konsument von heute versteht seine Gesundheit immer weniger als Schicksal, sondern weiß über die Rolle der Eigenverantwortung Bescheid. Im Supermarkt und in der Gastronomie findet er dafür jedoch kaum Unterstützung. Im Gegenteil – Stichwort „Healthwashing“: Immer öfter werden ihm Produkte als „gesund“ angeboten, die das Versprechen nicht halten können. Was fehlt, sind Sortimente mit einem klaren, nachvollziehbaren „Gesundheitsprofil“ bzw. kuratierte Angebote, die uns dabei unterstützten, unsere Ernährungsgewohnheiten, jenseits von Diätmoden und Radikalkuren, schrittweise in eine gesündere Richtung zu verändern. Begleitet von virtuellen Shopping-Guides, basierend auf den neuen technischen Möglichkeiten des sozialen, mobilen und personalisierten Internets, können solche vorselektierten Angebote in Zukunft zur praktischen Lösung dieser Aufgabe beitragen. In anderen Branchen macht kuratiertes Einkaufen schon heute erste Fortschritte. Das Online-Shoppingportal life:curated macht das „kuratierte Leben“ (www.life-curated.com/homegoods) bei Mode und Unsere Abneigungen bringen zum Ausdruck, wer wir sein wollen. Auswahl durch Weglassen! Kuratierte Lebensmittelwahl Leichter und humorvoller serviert Whole Food Markets Inc., der weltweit größte Betreiber einer BioSupermarktkette, sein Healthy-Eating-Konzept (www.wholefoodsmarket.com/healthy-eating USA und Großbritannien. Die Website bietet Kunden „gesunde“ Einkaufsorientierung in kleinen Schritten an; jederzeit kann man bei Bedarf auch tiefer in die ge wünschte Th oder einfach schnell Tipps und vielfältige Rezepte Eine Erfahrung, die man auch vor Ort, in mittlerweile über 300 Filialen machen kann, denn die Gesamtinsze nierung des Edel-Supermarktes verführt förmlich zum gesunden Essen. Wir sind das, was wir nicht essen. Lukrez (Titus Lucretius Carus) Vegetarier Flexitarier Foodies Gutesser Locavores Veganer Free Froms FOOD-TRENDS Food Report 2014 Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung FOOD-TRENDS Food Report 2014 Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung Auch Besteckformen beeinflussen unsere Geschmackswahrnehmung. Designer machen sich auf die Suche nach dem sensorisch optimalen Besteck: Chopsticks von Vera Wiedermann (links) und Löffel von Jinhyun Jeon (vorherige Seite). FOOD-TREND 04 #2 Bisher ist es vor allem den klassischen Genussmitteln gelungen, vom Trend des „Sensual Food“ zu profitieren. Doch er eröffnet auch für „sensorisch vernachlässigte“ Grundnahrungsmittel viele Potenziale. Sensual Food – Die neue Macht des Geschmacks 24 Aktuelle Ergebnisse aus dem „Restaurant der Zukunft“ in der Mensa in der niederländischen Universität Wacheningen unterstreichen auf faszinierende Weise die Macht des Mundraums. Hier werden im praktischen Alltag der Studenten laufend verschiedene Ess-Techniken untersucht: So ist etwa die Art, wie wir kauen, individuell höchst unterschiedlich. Diese „oral processing habits“ sind nach Prof. Van der Bilt so einzigartig wie unser Fingerabdruck. Und sie beeinflussen auch unsere individuelle Geschmackswahrnehmung. Eben diese aber wird bei der Orientierung im Lebensmittelüberfluss und im Rahmen zunehmender Individualisierung immer wichtiger. Dabei bekommt das Sehen, als ehemals „höchster“ und nach wie vor mächtigster Sinn, spürbar Konkurrenz. Die „niederen“ Sinne, die Nahsinne Riechen und Schmecken, gewinnen, unterstützt durch Forschung und Wissenschaft, mehr und mehr an Bedeutung. Dies geht einher mit der Verfeinerung und Weiterentwicklung einer Genusssprache, die uns hilft, die sensorischen Eindrücke besser zu verbalisieren und ins Bewusstsein zu holen. Erst damit gewinnt der individuelle Geschmack Macht über die Gewohnheit und kann somit unsere Konsumentscheidungen gezielt beeinflussen bzw. verändern. Schokolade erfindet sich neu Interessanterweise waren es die nicht per se als gesund wahrgenommenen Lebensmittel, die es als erste geschafft haben, sich diese Erkenntnis zu Nutze zu machen und sich so neu zu erfinden. Produzenten von Genussmitteln wie Schokolade, Kaffee und Wein setzen schon länger auf differenzierte Geschmackswahrnehmung – mit dem expliziten Ziel, die Genussambivalenz zu reduzieren. Foto: Jinhyun Jeon 25 Foto: Vera Wiedermann Anhand der Schokolade lässt sich die neue Macht des Geschmacks beispielhaft erläutern: Um 1850 kommt die erste Schokolade in festem Zustand auf den Markt und erobert in den nächsten Jahrzehnten als Milchschokolade Herz und Gaumen der Konsumenten. Im Diskurs um gesunde Ernährung aber ist sie – vor allem wegen ihres hohen Zuckergehalts – in Misskredit geraten: Schmeckt zwar gut, ist aber ungesund! 140 Jahre später kommt es zu einer Rückbesinnung auf das zentrale geschmacksgebende Ausgangsprodukt: die Kakaobohne. Nach und nach wurden alle übrigen Zutaten wie Zucker, Milchpulver, Nüsse etc. reduziert oder ganz weggelassen. In einem zweiten Schritt wurde die Vielfalt an verschiedenen Kakaobohnenarten und deren Herkunft thematisiert (www.winterfeldt-schokoladen.de). Und Hand in Hand damit wurde der Fokus gezielt auf den Gehalt gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe (Flavonoide und Antioxidantien) gelenkt sowie auf die Versprachlichung der 26 Geschmackseindrücke, die das bewusste Erschmecken erleichtert und fördert. Und siehe da: Eine solche Schokolade wird nicht mehr primär als ungesundes Genussmittel wahrgenommen, das – auch aus schlechtem Gewissen – schnell hinuntergeschlungen wird, sondern als „Sensual Food“, dessen bewusste Verkostung als sinnliches Erlebnis erfahren wird, bei dem es vielfältige Geschmacksnuancen zu entdecken und – unterstützt durch Degustationsvorschläge – zu „besprechen“ gibt. Der französische Schokoladenhersteller Valrhona beschrieb für seine Le Grand Crus Selection fünf Geschmacksvariablen, die die Wahrnehmung der acht Schokoladenvariationen vertiefen und vor allem die Erinnerung und die Kommunikation darüber erleichtern (www.valrhona.com). Gesundheitsrelevanter Nebeneffekt: Durch bewussteres Schmecken reduziert sich fast automatisch auch die verzehrte Menge. Neue Technologien, neues Design und eine neue Sprache Weitere Potenziale eröffnen sich mithilfe der Lebensmitteltechnologie, die zunehmend althergebrachte Produktionsverfahren in Frage stellt. An der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften wurde am Institut für Lebensmittelund Getränkeinnovationen ein neues Verfahren entwickelt, um die thermische Belastung der Kakaobohnen zu vermindern (www.ilgi.zhaw.ch). Das Ergebnis: Die Schokolade weist einen deutlich höheren Gehalt an wertbestimmenden Inhaltsstoffen auf und schmeckt damit noch intensiver. Auch Food-Designer arbeiten an Produkten, um neue sensorische Erlebnisse – unabhängig von Rezepturänderungen – zu ermöglichen. Neue Besteckformen (www.jihyun.com) beeinflussen unsere Geschmackswahrnehmung ebenso wie die spezifische Form von Weingläsern (www.eoos.com). Auch neue Möglichkeiten, den Geschmack zu kommunizieren, werden ausgelotet. Dies gelingt besonders gut mithilfe von Farbcodes wie beim Kaffee (www.nespresso.com) oder von Aromarädern wie bei Wein und Brot bzw. mit bewegten Bildern (www.aromicon.com). Bei der Niederösterreichischen Landesausstellung 2013 wird derzeit ein Prototyp eines vom futurefoodstudio in Wien entwickelten Geräts („Smell Specs“) getestet, mit dem Gerüche mit Hilfe von assoziativen Bildern besser zugeordnet und verbalisiert werden können. Mit der adäquaten Sprache wird die Macht des Geschmacks in Zukunft weiter zunehmen. TRENDPROGNOSE Die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung wird im Rahmen der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft immer wichtiger. Der Sehsinn bleibt dabei mächtig, gleichzeitig gewinnen die Nahsinne Riechen und Schmecken an Bedeutung. Je geschulter der eigene Geschmack wird und je besser er verbalisiert werden kann, desto mehr gewinnt er an Macht, unsere Konsumentscheidungen mitzubestimmen. Produzenten, die uns mit ihren Produkten bei der individuellen Geschmacksdifferenzierung unterstützen, werden davon profitieren. Das gilt nicht nur für klassische Genussmittel, sondern auch für alltägliche Grundnahrungsmittel wie Brot, Milchprodukte, Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch. 27 ##31 Genusserziehung statt Esserziehung FOOD-TRENDS Food Report 2014 Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung Re-use mit Humor. Gemüsekunst von Heinz Reitbauer im Steirereck Die neue Liebe zum Gemüse Das Unperfekte, das Krumme landet nicht mehr auf dem Müll. 36 37 Fotos: Marga van den Meydenberg Astrid y Gastón in Lima „Peruanische Kartoffeln“ Liebevoller Hauptgang von René Redzepi im NOMA Ernährungsverhalten im Wandel der Zeit #4 bis ins 20. Jhdt. Ära des Mangels Getreide, Milch und Kartoffeln 20. Jhdt. 21. Jhdt. Ära des Fleisches Ära der Vielfalt Fleisch Gemüse, Früchte, Kräuter, Getreide & Fleisch Heute: Früher: Versorgungskochen Küche als multiple Kernzone der Wohnung Kochen, Hausaufgaben, Arbeiten, Freunde treffen. ! ! ! ! ! Hier wird am meisten gesprochen. Morgen: Mobile Küche IM FREIEN 3RD PLACES AM ARBEITSPLATZ HOME Das Kochen geht nicht unter, es erfindet sich gerade neu. BEIM EINKAUFEN COMMUNICOOKING das Comeback der Tischgemeinschaft RECIPEASE Einkaufen, Koch en & Essen Quelle: Recipease London 2014 60 Eataly: Eataly N.Y.! Einkaufen, Verkosten & Essen pavemilano.com Quelle: Eatally Wir werden als Genießer geboren, aber zum Feinschmecker müssen wir erst heranwachsen. Viel Erfolg in der Zukunft! ! www.futurefoodstudio.at t Einkaufen & Essen mi rme im nz Woh atmosphäre Hanni Rützler 62 In Zukunft geht es nicht um den Verkauf von Produkten, es geht um die Lebensqualität der Kunden.
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