VDD Wir essen, was wir wollen! Oder? Wer bestimmt das Essverhalten in Deutschland? So lautete das Motto des 15. Symposiums der AMC Akademie für ErnährungsKommunikation e. V., das am 7. Februar in Bingen stattfand. Unter Leitung von Prof. Dr. Ingrid-Ute Leonhäuser, Gießen, wurde der Frage nachgegangen, welche Einflussfaktoren das Essverhalten in Deutschland bestimmen. Drei Grundsatzreferate beleuchteten das interessante und allzeit aktuelle Thema „Essen und Trinken“ unter Einbeziehung soziokultureller und anderer Bestimmungsfaktoren aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Anschließend konnten sich die Teilnehmer in Workshops intensiver mit den verschiedenen Themen auseinander setzen und für die eigene Beratungstätigkeit Orientierungshilfen erarbeiten. Im ersten Beitrag widmete sich Dr. Uwe SPIEKERMANN, Göttingen, der Frage „Esskultur heute: Slow Food contra Fast Food“. Da Fast Food allgemein kausal mit Fehlernährung und Adipositas verbunden wird, gilt diese Art zu essen als problematisch. Anders dagegen verhält es sich mit Slow Food, welches gesellschaftlich akzeptiert ist. Wesentlich hierfür ist die Verwendung von Bioprodukten und der Genuss der Speisen in angenehmer, kultivierter Umgebung. 108 In Slow und Fast Food spiegeln sich gesellschaftliche Unterschiede wider, die bis ins späte 19. Jahrhundert zurückverfolgbar und eng mit den Strukturveränderungen im Verlauf der Industrialisierung verbunden sind. Esskultur ist sozial differenziert, d. h., sie gibt Auskunft über die soziale Position des Essenden. Unterschiede im Ess-verhalten sind somit auch immer kulturell begründet. Während Fast Food für einen amerikanischen Lebensstil steht, orientiert sich Slow Food mehr am italienisch-mediterranen. Der Gegensatz zwischen Fast und Slow Food verdeckt jedoch, dass es sich dabei um ein enorm vielseitiges Spektrum von Speisen und parallel praktizierten Ernährungsweisen handelt, die nicht deutlich getrennt werden können. Sie sind nicht per se „ungesund“ oder „gesund“. Auch im Rahmen von Fast Food, das in erster Linie für Technik, Güterproduktion und -präsentation steht, werden „gesunde“ Produkte angeboten. Ebenso muss Slow Food nicht unbedingt „gesund“ sein. Die Polarität von Fast und Slow Food umfasst verschiedene Dimensionen unseres Lebens. Die Frage des Genusses kann dabei kaum objektiv beantwortet werden, denn beide Ernährungsformen werden als genussvoll empfunden. Wichtiger ist die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten des Einzelnen. Kann und will er schmackhafte Gerichte selbst zubereiten oder zwischen unterschiedlichen, zubereiteten Gerichten auswählen? In dieser HandlungsErnährungs-Umschau 50 (2003) Heft 3 VDD dimension steckt nach Ansicht von SPIEKERMANN die zentrale Herausforderung für die Gegenwart und Zukunft unserer Esskultur, und nicht im Debattieren über vermeintlich „gutes“ Slow Food und „schlechtes“ Fast Food. Der von Ilona BERG, Bingen, moderierte Workshop zum Thema Esskultur heute stand unter dem Motto “Kochen oder Kochen lassen?“ und wurde durch Kurzstatements weiterer Experten eingeleitet. Die Ergebnisse stellte die Moderatorin anschließend im Plenum vor. Zu Beginn des Workshops diskutierten die Teilnehmer die mit der Ess- und Kochkultur zusammenhängenden Einflussgrößen und deren Veränderungen (z. B. in Beruf und Familie) während der letzten Jahrzehnte. Michael WARBURG, Hamburg, zeigte auf, wie sich die Lebensmittelindustrie auf die veränderten Verbrauchererwartungen einstellt. Dabei spielt das Angebot von individuell an die Bedürfnisse angepassten ConvenienceFoods eine besondere Rolle. Diese Erzeugnisse müssen eine ausreichende Nährstoffversorgung gewährleisten, die sensorischen Bedürfnisse erfüllen und leicht zuzubereiten sein, auch ohne Vor(Koch-)kenntnisse. Kochen völlig ohne Convenience-Produkte ist nach Ansicht von WARBURG heute nicht mehr möglich. Denn für selbst gemachte Nudeln, Suppen u. ä. sind bestimmte Fertigkeiten und vor allem Zeit erforderlich. Christa THIM, Erlenbach, machte deutlich, dass sich die Aufklärungsarbeit stärker den veränderten Strukturen anpassen muss. Insbesondere die Praxistauglichkeit von Konzepten und Empfehlungen müsse überprüft werden. Mit entsprechendem Ernährungswissen ist es möglich, die richtige Kombination und Auswahl an Lebensmitteln zu treffen und damit einen Ausgleich zu den Außer-HausMahlzeiten oder Convenience-Produkten zu schaffen. Die Teilnehmer des Workshops waren sich darin einig, dass das Essverhalten und die Einstellung/Beziehung zum Kochen zwar sehr vielschichtig sind, jedoch durch geeignete Angebote und Maßnahmen durchaus verändert werden können. Besonders wichtig sei es, bereits Kinder (Kindergarten, Schule) für richtiges Essen und Kochen zu sensibilisieren, u. a. durch die Vermittlung von Ernährungswissen. In dem Beitrag von Sabine GASSEN-BONATO, Köln, ging es unter dem Motto Ernährungs-Umschau 50 (2003) Heft 3 Vorankündigung 45. Bundeskongress Verband der Diätassistenten – – Deutscher Bundesverband e. V. 14.–16. Mai 2003, Weser-Ems-Halle, Oldenburg/Oldbg. Wissenschaftliche Leitung: HD PD Dr. Andreas HAHN, Hannover PD Dr. med. W. Alexander MANN, Blieskastel Prof. Dr. med. Gerd OEHLER, Mölln Themenübersicht Mittwoch, 14. Mai 2003 Vormittag: Nachmittag: Gesundheitspolitik Prävention Bluthochdruck Niereninsuffizienz Prädialyse und Dialysestadium Parallelveranstaltungen: Osteoporose Neues aus Industrie und Wissenschaft Donnerstag, 15. Mai 2003 Vormittag: Geriatrie Parallelveranstaltungen: Freie Vorträge Schülerveranstaltung Seminar „Arbeits- und Tarifrecht“ Satelliten ADP-Workshop Nachmittag: Nahrungsergänzungsmittel Parallelveranstaltungen: Ketogene Diät in der Pädiatrie Satellitensymposium zum Thema: Herzinfarktprävention Workshop „Essstörungen“ Freitag, 16. Mai 2003 Vormittag (bis ca. 14.00 Uhr): Pankreaserkrankungen Podiumsdiskussion zum Thema DRG’s Parallelveranstaltungen: Disease Management Programme (DMP) Workshop „Mobbing“ Schnupperkurs Superlearning, English for Dietitians Organisation/Auskunft: Verband der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e. V. Postfach 10 51 12, 40042 Düsseldorf Tel.: 0211 162175; Fax: 0211 357389 E-Mail: [email protected] Internet: www.vdd.de Die Abendveranstaltung des VDD e. V. findet am 14. Mai 2003 von 19.00 bis ca. 22.00 Uhr statt. Die Mitgliederversammlung des VDD e. V. findet am 15. Mai 2003 von 17.00 bis ca. 19.00 Uhr statt. 109 VDD „Der Traum von der ewigen Jugend“ vor allem um das Phänomen „Wellness“. Darunter ist jedoch weniger der Erhalt von Gesundheit und Fitness zu verstehen, als vielmehr das Erreichen eines Zustandes, der seelisch intensiv als positiv erlebt wird. Die Referentin verglich, in Anlehnung an FREUD, Wellness mit Krankheitsersatz, da Krankheiten passiv erlebte, überwältigende Erfahrungen sind. Sie legitimieren den Rückzug aus den mühseligen Verpflichtungen des Alltagslebens und erlauben die ausschließliche (verwöhnende) Beschäftigung mit sich selbst. Wellness wird sowohl von Frauen als auch von Männern als ein glücklicher, überwältigender Zustand beschrieben, den es zu erreichen gilt. Während für Männer Wellness allerdings überwiegend Entspannung und Wohlgefühl bedeutet, ist der Anspruch bei Frauen ganzheitlicher: Die als verloren empfundene Einheit von Körper und Seele soll wieder hergestellt werden. An zahlreichen Beispielen wurde demonstriert, mit welchem Aufwand es gerade für Frauen verbunden ist, Wellness-Aktivitäten in ihren Alltag einzubauen. Für sie bedeutet Wellness zunächst einmal Stress und nicht Entspannung oder Überwältigtsein. Diese paradoxen Anforderungen aus aktivem Bemühen und passiver Überwältigung sind durchaus störanfällig und kaum beeinflussbar. Es kann sein, dass der erwünschte Zustand nicht erlebt wird; dass sich Erschöpfung und Enttäuschung statt Wellness einstellt. Neben zahlreichen Angeboten für eine optimale Entspannung, gibt es mittlerweile auch viele Wellness-Produkte. Deren Nutzen ist schwer nachzuweisen. Produkte aus dem Bereich der Ernährung sollen dabei unterstützen, die erwünschte Verfassung zu erreichen. Daher müssen sie auf die Bedürfnisse der Verwender abgestimmt sein und sich klar gegenüber alltäglichen Produkten abgrenzen. Weiterhin sollten sie eine spürbare körperliche Wirkung haben (z. B. Tees). Der Workshop „For ever fit? Erfüllt Wellness das, was sie verspricht?” wurde von Prof. Dr. Volker PUDEL, Göttingen, moderiert, der anschließend das Ergebnis im Plenum präsentierte. Die Teilnehmer waren sich darin einig, dass durch Wellness ein Zustand beschrieben wird, der auch als psychosomatisches Gesamtgeschehen bezeichnet werden kann. Deutlich wurde, dass Wellness kein Zustand ist, in dem man sich immer befindet, sondern eine besonders positive Befind- 110 lichkeit, die erst durch entsprechende Aktivitäten/Maßnahmen erreichbar ist. Wellness erfordert also aktive Erarbeitung. Abschließend wurde festgehalten, dass sich das „sich überwältigen lassen von besonderen Gefühlen“ entgegen den Erwartungen eher selten einstellt. Die Ernährung spielt im Hinblick auf Wellness eine eher untergeordnete Rolle. Wellness-Angebote müssen etwas Besonderes darstellen, z.B. besondere Zutaten enthalten, und dürfen den Genuss nicht einschränken. Im letzten Beitrag setzte sich Richard LOHMILLER, Neckarsulm, mit dem Verbraucher und dessen Verhalten unter dem Motto „Was kauft der Verbraucher wirklich?“ auseinander. Er beschrieb den Kunden 2003 als kritisch und aufgeklärt. Der Kunde weiß genau, was er will. Auf Grund der großen Auswahl an Einkaufsstätten wechselt er, ganz wie es ihm gefällt, zwischen Discounter, Fachgeschäft, Supermarkt, Tante-Emma-Laden, Wochenmarkt, SB-Warenhaus und Kiosk/ Tankstelle. Diese Kunden bezeichnete Lohmiller als „Smart Shopper“, die immer auf der Suche nach dem günstigsten Angebot sind. Das Kaufverhalten der Kunden wird im Wesentlichen durch folgende Faktoren bestimmt: Preis, Genuss (Frische, Geschmack), Gesundheit, Bequemlichkeit (Convenience-Produkte) und Innovation, die für ein ständig wachsendes und wechselndes Produktangebot nötig ist. Nach Ansicht von LOHMILLER wird der Handel zunehmend mit zwei Kundengruppen konfrontiert sein, die beim Einkauf unterschiedliche Prioritäten setzen. Die Gruppe mit viel Geld und wenig Freizeit wird aus Zeitmangel und Freizeitoptimierung hauptsächlich Convienience-Produkte verwenden. Die Kundengruppe mit wenig Geld und viel Freizeit wird ihren Konsum eher einschränken und sehr preisbewusst einkaufen. Eine transparente Qualitätssicherung wird für die Kunden immer wichtiger. Als Reaktion auf die veränderte Nachfrage wird sich das Angebot an Snacks und Convenience-Produkten erhöhen. Kinder und ältere Menschen werden eine wichtige Zielgruppe sein. Den sich anschließenden Workshop „Das ewig schlechte Gewissen – Essverhalten zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ eröffnete Prof. Dr. Barbara METHFESSEL, Heidelberg, mit einem Statement, in dem dieser Konflikt thematisiert wurden. Die Kluft, die sich beim Essverhalten zwischen Wunsch und Wirklichkeit auftut, ist u. a. dadurch bedingt, dass die Wirklichkeit durch andere Faktoren bestimmt wird als die Wünsche. So veranlassen Alltagsbedingungen (z. B. Feiern am Arbeitsplatz) jemanden, Dinge nicht zu tun (z. B. kein Sport treiben). Diese Wirklichkeit wird entscheidend bestimmt durch die prägende Esskultur. Soll Essverhalten geändert werden, muss man daher zunächst einmal eine Auseinandersetzung mit der eigenen Esskultur einleiten und über die Bedeutung möglicher Änderungen nachdenken. Auch die soziale und psychische Funktion des Essens (z. B. gemeinschafts- und identitätsstiftend, beruhigend, tröstend, entspannend) müssen in Ernährungskonzepten als positive Funktion anerkannt und berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind Haushaltsbedingungen und Lebenssituationen ganz entscheidende und nur begrenzt veränderbare Rahmenbedingungen für Essverhalten. Anders verhält es sich mit den meist von Experten definierten Wünschen, beispielsweise nach den ernährungsphysiologischen Erfordernissen oder gesundheitlichen Wirkungen. Diesen stehen die Wünsche des Individuums gegenüber, z. B. nach Entspannung, Genuss, Begrenzung des Aufwandes und Alltagstauglichkeit. So lautete das Fazit: Widersprüche kann man nicht ausbügeln, sie gehören zum Leben. Die Kunst besteht darin, sich im Dschungel der Widersprüche zurechtzufinden. Friedhelm MÜHLEIB, Zülpich, moderiert den Workshop und präsentierte die Ergebnisse der Gruppenarbeit im Plenum. Unter dem Begriff „Hilfe zur Selbsthilfe“ wurde ein ganzes Bündel von Maßnahmen /Empfehlungen für alltags- und personengerechte Lösungen zusammengetragen, mit denen sich Wünsche besser in die Wirklichkeit umsetzen lassen – ohne schlechtes Gewissen. Damit sich daraus aber echte Handlungsalternativen entwickeln, bedarf es umfangreicher Selbst-, Fach- und Fertigungskompetenz. Die Veranstaltung zeigte einmal mehr die Vielschichtigkeit der Probleme auf, die den Beratungsalltag prägen. Es wurde deutlich, wie schwierig es ist, für den Bereich Essen und Trinken die richtige Balance zwischen dem ernährungsphysiologisch begründeten Bedarf und den individuellen Bedürfnissen zu finden. Ernährungs-Umschau 50 (2003) Heft 3
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