Seite 1 1 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 A. Hintergründe zum Berufsbild des Syndikusanwalts In Zeiten zunehmender rechtlicher Komplexität und internationaler Verflechtung hat sich das Tätigkeitsfeld der Syndikusanwälte deutlich verändert. Ihr qualifizierter, unabhängiger Rechtsrat ist in allen Bereichen eines Unternehmens, Verbandes oder von Institutionen und Körperschaften erforderlich. Ihre Aufgabe ist es, rechtliche Risiken von der Organisation abzuwenden und ein rechtskonformes Verhalten ihres Arbeitgebers zu gewährleisten. Von Vorstand, Geschäftsführung und allen anderen internen Mandanten wird dabei eine objektive rechtliche Würdigung des jeweiligen Sachverhalts – und zwar unabhängig von den möglichen Interessenlagen des Unternehmens und seiner Organe – als verlässliche und belastbare Grundlage für Managemententscheidungen erwartet. 2 Das Einsatzgebiet der Syndikusanwälte beschränkt sich zudem nicht mehr nur auf die Rechtsabteilung. Auch in allen anderen Bereichen des Unternehmens ist ihr qualifizierter, unabhängiger Rechtsrat unabdingbar, um rechtlichen Risiken vorzubeugen. In besonderem Maße gilt dies für den Bereich Compliance, wo drohende rechtliche Risiken erkannt und gebannt, Verstöße aufgedeckt und verfolgt und geeignete Vorkehrungen zur Vermeidung von Compliance-Verstößen getroffen werden müssen. 3 Als weitere Folge der zunehmenden Komplexität und Verflechtung der Wirtschaft, müssen die Syndikusanwälte auch andere juristische Einheiten unabhängig beraten. Dazu zählen beispielsweise Mutter-, Schwester- und Tochtergesellschaften, verbundene Unternehmen und Joint Ventures sowie Organisationseinheiten oder Niederlassungen im Ausland. Letzteres führt dazu, dass die Syndikusanwälte sich auch in anderen Jurisdiktionen auskennen und sicher bewegen müssen, um Vorstand, Geschäftsführung und anderen internen Mandanten einen fundierten Rechtsrat erteilen zu können. 4 Darüber hinaus ist der Syndikusanwalt in allen Bereichen die wichtigste Schnittstelle zu den mandatierten Kanzleien. Zum einen kennt er die Besonderheiten des Unternehmens wie kaum ein Zweiter. Zum anderen hat er auch vertiefte Kenntnisse über den Markt sowie die Stärken und Schwächen der auf Unternehmen fokussierten Anwaltskanzleien und fungiert somit als unerlässliche Schnittstelle bei der Einholung externer rechtlicher Perspektiven. 5 Der Bundesverband der Unternehmensjuristen e. V. (BUJ) versteht sich als Sprachrohr der Syndikusanwälte und nimmt aktiv an der gesellschaftlichen und politischen Debatte in Deutschland teil. Als Anlage zu diesem Schreiben haben wir Ihnen eine kurze Übersicht über die Aufgaben und Struktur des BUJ beigefügt. In nur vier Jahren hat sich der BUJ zur wichtigsten berufsständischen Vereinigung für Syndikusanwälte in Unternehmen, Verbänden, Institutionen und Körperschaften entwickelt. Er hat inzwischen mehr als 2.000 Mitglieder aus fast 1.000 Unternehmen und bildet damit ein Spiegelbild der deutschen Wirtschaft. Neben der Interessenvertretung bietet der BUJ seinen Mitgliedern umfassende Fachinformationen, ein breites Angebot an Aus- und Weiterbildungsangeboten sowie zahlreiche Foren zum fachlichen Austausch und Networking. Seite 2 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 1. Detailbeschreibung des Berufsbild des Syndikusanwalts 6 a. Organisatorische Zuordnung Rechtsabteilung Die Rechtsabteilung als klassische Konzern- und Zentralfunktion und ihrer kombinierten Beratungs-, Dienstleistungs- und Ordnungsfunktion hat im Vergleich zu anderen Funktionsbereichen die meisten Schnittstellen mit den Unternehmensprozessen im operativen Tagesgeschäft sowie in der strategischen Entscheidungsfindung. Gut 10% der Rechtsabteilungen sind hierbei einem ausschließlich der Rechtsabteilung gewidmeten Vorstandsressort zugeordnet. Weit über die Hälfte der Rechtsabteilungen ist direkt unter der Geschäftsführung angesiedelt. Dieses Ergebnis zeigt die erfolgskritische Relevanz der Rechtsabteilung im Quelle: Rechtsabteilungs-Report 2013/2014, S. 52. modernen Unternehmen. 7 b. Unternehmensgrößen & Rechtsabteilungen: Rechtsabteilungen und somit auch Syndikusanwälte finden sich mittlerweile in Unternehmen jeglicher Größenkategorie. Damit sind sie ein fester Bestandteil in der deutschen Wirtschaftsund Unternehmenslandschaft geworden. Erwartungsgemäß beschäftigen Unternehmen mit größeren Jahresumsätzen eine erhöhte Zahl von Syndikusanwälten, um den gesteigerten rechtlichen Herausforderungen zu begegnen. Jedoch sind auch in kleineren und mittelständischen Unternehmen vermehrt Rechtsabteilungen und Syndi- Quelle: kanzleimonitor.de 2014/2015. kusanwälte zu finden. 8 d. Frauenanteil in der Rechtsabteilung: Entsprechend dem schon länger anhaltenden Trend an den juristischen Fakultäten der Universitäten entwickelt sich auch der Frauenanteil in den Rechtsabteilungen von Unternehmen in Deutschland positiv. Auf Basis der repräsentativen Mitgliederstruktur des BUJ stellen Rechtsanwältinnen mittlerweile mehr als ein Drittel der Rechtsabteilung. Die Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern ist hierbei insbesondere auf den mittleren Hierarchieebenen zu beobachten. Bei den Quelle: Mitgliederstruktur des Bundesverbands der Leitern Recht erreichen Rechtsanwältinnen der- Unternehmensjuristen e.V., Stand: April 2014 (absolut: 1.950 Mitglieder). zeit lediglich einen Anteil in Höhe von 6%. Seite 3 9 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 B. Vielfältigkeit des Leistungsspektrums der Syndikusanwaltstätigkeit Das Leistungsspektrum anwaltlicher Tätigkeit unterliegt einem stetigen Wandel und passt sich an eine sich verändernde Nachfrage fortwährend an. Die Vorstellung vom Kanzleianwalt, der nur zu Gerichtsterminen sein Büro verlässt, steht mit dem gewandelten Leistungsspektrum anwaltlicher Tätigkeit nicht in Einklang. Zudem ist eine zunehmende Verrechtlichung der Lebensverhältnisse im Sinne einer rechtlichen Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche zu beobachten. Diese Verrechtlichung betrifft vor allem wirtschaftliche, aber auch medizinische, psychologische oder technische Tätigkeiten mit der Folge, dass kaum eine berufliche Betätigung ohne rechtliches Handeln und entsprechende Rechtskenntnisse möglich ist oder ohne rechtliche Wirkung bleibt. 10 Die von Syndikusanwälten erteilte anwaltliche Beratung von Wirtschaftsunternehmen erfordert neben spezifischen Kenntnissen des jeweiligen Wirtschaftsbereichs vielfach auch juristische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Diese Verzahnung juristischer Fähigkeiten und die besondere Funktion der Rechtsanwälte als Organ der Rechtspflege machen eine Abgrenzung anwaltlicher Tätigkeiten von anwaltsfremden (rein juristischen und sonstigen) Tätigkeiten erforderlich. Ob eine anwaltliche Berufsausübung als Syndikusanwalt vorliegt, hängt sehr stark von dem Inhalt der Aufgaben ab, die dem Syndikusanwalt im Rahmen des Anstellungsverhältnisses übertragen werden und davon, ob es sich hierbei um eine anwaltliche Tätigkeit handelt. 11 Die Vielfalt der Wirtschaft spiegelt gleichsam auch die Vielfalt der Betätigungsfelder der anwaltlichen Tätigkeit von Syndikusanwälten im Unternehmen wider. So kommen Rechtsanwälte im Unternehmen nicht nur in den sog. „klassischen Bereichen“ der Inhouse-Rechtsberatung (d.h. in der „Rechtsabteilung“) zum Einsatz, sondern in vielen anderen Bereichen, wie zum Beispiel in der Compliance-Abteilung, der Steuerrechtsabteilung oder auch im Bereich der Patent- oder Markenschutzabteilung. Selbst „Exoten“ wie die Tätigkeit bei einem Versicherungsmakler können nach unseren Erfahrungen im Einzelfall sehr wohl anwaltliche Tätigkeit im Unternehmen darstellen. 12 Aber selbst die Übertragung anwaltsfremder Aufgaben steht der Annahme einer anwaltlichen Tätigkeit nicht entgegen, wenn die anwaltsfremden Aufgaben in einem engen inneren Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht stehen und auch rechtliche Fragen aufwerfen können. Zur Abgrenzung der anwaltlichen Tätigkeit von sonstigen Tätigkeiten bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber ist auf den Kern und den Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen. Die anwaltliche Tätigkeit muss im Rahmen des Anstellungsverhältnisses die qualitativ und quantitativ prägende Leistung des angestellten Rechtsanwalts sein. 13 Das Kriterium der Unabhängigkeit als Kernelement der anwaltlichen Tätigkeit wird durch weitere Merkmale ergänzt. Das Vertrauen des rechtssuchenden Publikums in eine unabhängige und freie Anwaltschaft muss gewahrt werden. Die Befugnis zur Vertretung vor Gericht ist nicht prägend für die anwaltliche Tätigkeit. Dies belegen bereits die Zahlen der nicht im forensischen Bereich beratenden Anwaltskanzleien. Die Anwaltstätigkeit lässt sich somit nicht auf den forensischen Bereich reduzieren. Entscheidend für die anwaltliche Tätigkeit ist die gesamte Breite der Seite 4 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 erbrachten Rechtsdienstleistungen. Eine Tätigkeit, die ohne Beeinträchtigung ihrer Qualität und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege auch von anderen Dienstleistern erfüllt werden kann (Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.11.2004 – I ZR 182/92 – juris), ist hingegen nicht anwaltlicher Natur und es liegt somit auch keine anwaltliche Tätigkeit im Unternehmen vor. 14 Wesentliche Elemente anwaltlicher Tätigkeit sind, wie sich aus §§ 1 bis 3 BRAO bereits ergibt, somit die unabhängige Rechtsberatung und die Rechtsvertretung, die gerade auch oder besser gesagt: gerade im Unternehmen vorzufinden sind. 15 Die Tätigkeit der ca. 40.000 Syndikusanwälte in Deutschland ist von erheblichem Gewicht für das Funktionieren des Rechts-, Wirtschafts- und Soziallebens in diesem Land, da sie quasi als Garant für die Einhaltung der Rechtsvorschriften im Unternehmen stehen. Damit liegt ihr Wirken als Anwälte im Unternehmen im Interesse einer geordneten Rechtspflege und dient damit dem Allgemeinwohl. Seite 5 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 C. Auswertung der BUJ-Mitgliederbefragung 16 Auf Basis des Fragenkatalogs des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Dezember 2014 initiierte der Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V. (BUJ) eine repräsentative Befragung unter seinen Mitgliedern. Die Befragung fand im Zeitraum zwischen dem 23. Februar 2015 und 22. März 2015 statt. Von den 1.900 Befragten beteiligten sich 650 Mitglieder mit umfangreich ausgefüllten Fragebögen an der Umfrage. Den Fragebogen haben wir als Anlage beigefügt. Gern stellen wir dem Bundesverfassungsgericht auf Wunsch auch die von den Teilnehmern übersandten ausgefüllten Fragebögen zur Verfügung. I. Demografische Hintergründe zum Kreis der befragten Syndikusanwälte 17 1. Tätigkeitsbereich der befragten Syndici: Fragestellung: „In welchem Tätigkeitsbereich sind Sie als Syndikusanwalt im Unternehmen tätig?“ Der weit überwiegende Teil der Befragten ist in der Rechtsabteilung des Unternehmens tätig. Darüber hinaus befindet sich knapp jeder zehnte Syndikusanwalt in der Personalabteilung. Weitere 7% der Befragten sind in einer gemischten Abteilung für Recht & Compliance tätig. Zudem melden 4% der Syndikusanwälte ihre Zugehörigkeit zu einer rein auf Compliance-Themen spezialisierten Abteilung. Weitere 4% der Rechtsanwälte befinden sich in Steuerabteilungen, in der Geschäftsführung oder sonstigen Bereichen des Unternehmens. Quelle: BUJ-Mitgliederbefragung 2015. 18 2. Dauer der Syndikustätigkeit: Fragestellung: „Wie lange sind Sie bereits Syndikusanwalt in dem heutigen Unternehmen?“ Die Betrachtung der Dauer der Tätigkeit als Syndikusanwalt ergibt ein ausgewogenes Bild. Mehr als die Hälfte der Befragten sind zwischen vier und 15 Jahren bei ihrem heutigen Unternehmen beschäftigt. Knapp 30% sind zwischen einem und drei Jahren in ihrem jeweiligen Unternehmen tätig. Lediglich 11% sind einen ganz erheblichen Teil ihrer beruflichen Laufbahn bei demselben Unternehmen als Syndikusanwalt beschäftigt. Dieses Bild bestätigt die berufliche Flexibilität dieser Berufsgruppe, durch die auch der weitreichende fachliche Austausch innerhalb der Rechtsanwaltschaft – und zwar nicht nur innerhalb von Quelle: BUJ-Mitgliederbefragung 2015. Unternehmen, sondern auch mit Kanzleien als Vor- und Nacharbeitgeber begünstigt wird. Seite 6 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 19 3. Führungsposition in der Rechtsabteilung: Fragestellung: „Sind Sie Leiterin oder Leiter der Rechtsabteilung?“ Syndikusanwälte sind ähnlich wie die Rechtsanwälte in Kanzleien auf ganz unterschiedlichen Hierarchieebenen tätig und spezialisieren sich zudem mehrheitlich auf bestimmte Rechtsgebiete. Von den Befragten sind knapp ein Drittel die Leiterin oder der Leiter Recht des Unternehmens. Fast 70% der Teilnehmer repräsentieren die Bereichsleitung, Abteilungs- und Rechtsgebietsleitung sowie Referenten in der Rechtsabteilung. Quelle: BUJ-Mitgliederbefragung 2015. 20 4. Positionen der Syndikusanwälte: Fragestellung: „In welchen Positionen sind in Ihrem Unternehmen Syndikusanwälte tätig und wie hoch ist die Anzahl der entsprechenden Syndikusanwälte?“ Die meisten Syndikusanwälte innerhalb des Unternehmens werden auf der Ebene der Referententätigkeit und der Gruppenleitung gemeldet. Hier befinden sich durchschnittlich knapp mehr als 20 Syndikusanwälte im Unternehmen. Weniger Syndikusanwälte finden sich auf der Ebene der Abteilungsleitung. Hier melden die Teilnehmer noch rund sieben Syndikusanwälte. Auf der Ebene der Bereichsleitung sowie der Geschäftsleitung werden durchschnittlich nur noch 1 bis 2 Syndikus- Quelle: BUJ-Mitgliederbefragung 2015. anwälte gezählt. 21 5. Rechtsanwalt neben der Anstellung: Fragestellung: „In welchem Umfang werden Sie außerhalb Ihres Anstellungsverhältnisses rechtsanwaltlich tätig?“ Das Ergebnis zur Frage nach rechtsanwaltlichen Aktivitäten neben der Anstellung ist zweigeteilt. Mehr als jeder zweite Syndikusanwalt entfaltet neben seinem Anstellungsverhältnis noch weitere rechtsanwaltliche Tätigkeiten. Ganz überwiegend haben diese einen Umfang von maximal 10 Stunden monatlich. Auf der anderen Seite sind mehr als 41% der Syndikusanwälte über ihr Anstellungsverhältnis hinaus nicht mehr rechtsanwaltQuelle: BUJ-Mitgliederbefragung 2015. lich tätig. Seite 7 22 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 6. Juristische Tätigkeit neben Anstellung: Fragestellung: „In welchem Umfang werden Sie außerhalb Ihres Anstellungsverhältnisses in anderen juristischen Aufgabengebieten tätig?“ Neben der rechtsanwaltlichen Tätigkeit entfalten die meisten Syndikusanwälte keine weiteren juristischen Tätigkeiten. Dennoch arbeiten 26% der Syndikusanwälte auch in weiteren juristischen Aufgabengebieten neben ihrer Anstellung. In diesem Zusammenhang am häufigsten genannt werden die Tätigkeiten als Autor, Dozent und Prüfer an juristischen Ausbildungseinrichtungen wie Universitäten oder Justizprüfungsämtern. Auch ehrenamtliche Richtertätigkeiten werden von Syndikusanwälten wahrgenommen. Der zeitliche Umfang liegt auch hier ganz überwiegend bei bis Quelle: BUJ-Mitgliederbefragung 2015. zu 10 Stunden monatlich. II. Finanzielle Aspekte der Tätigkeit der Syndikusanwälte nach den Urteilen des BSG 23 Fragestellung an die Mitglieder: „Welche finanziellen Konsequenzen zöge es für die Syndikusanwälte nach sich, wenn die Syndikusanwälte nicht von der gesetzlichen Versicherungspflicht befreit würden? Dabei ist insbesondere von Interesse, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe angestellte Rechtsanwälte beitragspflichtig sind, die nicht von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sind.“ 24 Hinsichtlich der konkreten finanziellen Auswirkungen fühlen sich die befragten Mitglieder durchweg sehr erheblich betroffen. Syndici, die bereits eine längere Erwerbsbiografie mit berufsständischer Versorgung absolviert haben, empfinden die Situation oftmals als existenzbedrohend. 25 Seit dem Ablauf des durch die DRV zugesagten Bestandsschutzes hat eine Vielzahl von Unternehmen schon zur Vermeidung von Nachzahlungsrisiken Syndikusanwälte zur DRV umgemeldet. Von den befragten Mitgliedern betrifft dies etwa 15–20%. Für alle übrigen Syndici droht die Ummeldung mit dem nächsten Tätigkeitswechsel. Dadurch wurden bereits vielfach und werden zukünftig langjährige und fest eingeplante Rentenbiografien unvorhersehbar unterbrochen. Die genauen finanziellen Auswirkungen sind für alle Betroffenen schwer kalkulierbar. 26 Erwartete Lücken in der Altersversorgung Betroffene Syndici gehen von Minderungen der Altersrente von bis zu 50% aus, hinzukommen entsprechende Kürzungen der Berufsunfähigkeits- und Witwen- und Waisenrenten. Der zur Seite 8 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 Kompensation dieser Lücke anzusetzende monatliche Betrag wird, sofern die Kompensation überhaupt noch möglich ist (s.u.), oft auf bis zu ca. 1.000 Euro pro Monat geschätzt. Der ganz überwiegende Anteil der Befragten besitzt bzw. besaß aufgrund der bislang hinreichenden Absicherung über das Versorgungswerk keine private Renten- und vor allem keine Berufsunfähigkeitsversicherung. Etwa 40% der Befragten gibt an, dass es nach eigener Aussage aufgrund des Lebensalters oder einer bestehenden Vorerkrankung heute nicht mehr möglich sei, die nun entstehenden Kürzungen durch private Vorsorge adäquat zu kompensieren. Für den Großteil der übrigen Befragten ist die aus dem späten Eintrittsalter resultierende höhere Beitragspflicht eine sehr erhebliche Belastung. 27 Ein großer Teil der Befragten sieht darin eine konkrete Bedrohung des aktuell erwirtschafteten Lebensstandards, teilweise bis hin zur Existenzbedrohung. Befragte mit Kindern, insbesondere in Teilzeit beschäftigte Mütter, fühlen sich in besonderem Maße betroffen. Häufig wird genannt, dass Ausbildungspläne der Kinder oder die derzeitige Wohnsituation nicht mehr langfristig finanziert werden könnten. 28 Zusätzliche Vorsorgeaufwendungen Ein überwiegender Anteil der befragten Mitglieder hat sich zur Beibehaltung der Anwaltszulassung und somit für freiwillige zusätzliche Zahlungen in das bisherige Versorgungswerk entschieden. Dies geschieht nach Angabe der Befragten insbesondere zur Überbrückung der bei Ummeldung zur DRV entstehenden fünfjährigen Wartezeiten zur Inanspruchnahme der Berufsunfähigkeitsrente. Überwiegend wird dabei davon ausgegangen, dass lediglich durch freiwillige Zahlung eines 10/10 Beitrages eine adäquate Berufsunfähigkeitsabsicherung aufrechterhalten wird. Der ganz überwiegende Anteil der Betroffenen leistet (meist aufgrund der eigenen finanziellen Situation) allerdings lediglich den Mindestbeitrag und geht nicht davon aus, dass so die nunmehr entstehende Versorgungslücke auch im Hinblick auf die Altersrente ausreichend kompensiert wird. Nur weniger als 15% der Befragten zahlen freiwillig mehr als den Mindestbeitrag ins Versorgungswerk ein, sehr vereinzelt bis zu 1.000 Euro im Monat. 29 Der an die Versorgungswerke abzuführende Mindestbeitrag variiert von Versorgungswerk zu Versorgungswerk. So beläuft sich die sich daraus ergebende zusätzliche finanzielle Belastung für die betroffenen Syndici zumeist auf den 1/10 Beitrag (ca. 113 Euro/Monat, so z.B. in NRW, Berlin, Niedersachsen), Syndici in Hessen zahlen die Hälfte (ca. 57 Euro), Kollegen in BadenWürttemberg hingegen 3/10, also ca. 340 Euro. 30 Auswirkungen auf die Planung der Erwerbsbiografie und des Renteneintritts Die nun entstandene finanzielle Belastung und Unsicherheit führt darüber hinaus dazu, dass viele Befragte sich veranlasst sehen, die Planung ihrer Erwerbstätigkeit zu überdenken und anzupassen. So wird ganz überwiegend genannt, dass Arbeitsplatzwechsel nicht mehr oder maximal in Richtung Kanzleitätigkeit in Betracht kämen. Vielfach wird erwähnt, dass der Zeitpunkt des Renteneintritts nunmehr nach hinten verschoben und bereits geplante Eintritte in den Vorruhestand verschoben oder abgesagt würden. Viele Befragte sehen sich veranlasst, neben ihrer angestellten Tätigkeit vermehrt Einkünfte aus ihrer anwaltlichen Nebentätigkeit zu erwirtschaften, um die nun zusätzlich notwendige private Vorsorge finanzieren zu können. Seite 9 31 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 Ein durchaus wesentlicher Teil der Befragten plant oder hat bereits die Zulassung zur Anwaltschaft zurückgegeben. Je nach Höhe des geltenden Mindestbeitrags zum Versorgungswerk und unter Berücksichtigung des hinzukommenden Kammer- und Haftpflichtversicherungsbeitrags ist die finanzielle Belastung für einzelne Mitglieder nicht tragbar. Anderen erscheint die Investition der so ersparten Aufwendungen in andere Vorsorgekonzepte sinnvoller. III. Komplikationen beim Wechsel des Arbeitgebers und aktuelle Ungleichbehandlungen innerhalb der Unternehmen 32 Fragestellung an die Mitglieder: „Inwieweit hindern Sie die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) daran, Ihren Arbeitgeber zu wechseln oder einen Wechsel innerhalb des Unternehmens beziehungsweise der Unternehmensgruppe vorzunehmen?“ 33 1. Ca. 80–90% der Befragten mit aktuellem Befreiungsbescheid geben an, dass für sie ein Arbeitgeberwechsel aufgrund der BSG-Urteile nicht mehr bzw. derzeit nicht in Frage kommt. Nicht gehindert an einem Arbeitgeberwechsel sehen sich nur diejenigen, die ohnehin über keinen aktuellen Befreiungsbescheid verfügen bzw. von ihrem Arbeitgeber umgemeldet wurden. 34 Betroffene weisen darauf hin, dass die Alters-, Berufs- und Hinterbliebenen-Absicherung wesentlich für die Lebensplanung und selbstverständlich in die Wahl des Berufes und des Arbeitsplatzes eingeflossen sei. Die weit überwiegende Zahl der aktuell von der RV-Pflicht befreiten Syndici gibt an, dass jedoch bei einem Arbeitgeberwechsel die weitere Fortführung der Absicherung in den anwaltlichen Versorgungswerken nicht mehr möglich sei. Dabei wird vielfach davon ausgegangen, dass, jenseits des in Zusammenhang mit einem solchen Wechsel ohnehin geforderten Risikozuschlages, ein weiterer Betrag von circa Euro 10.000 p.a. brutto verlangt werden müsse, um die Nachteile – etwa infolge der Weiterzahlung eines gewissen Beitrags ins Versorgungswerks – auszugleichen. Dies halten die allermeisten Befragten jedoch für unrealistisch. Sie schließen einen Wechsel daher derzeit für sich gänzlich aus („kommt aktuell kaum infrage“; [Wechsel wird] „massiv behindert“; „Arbeitgeberwechsel unwirtschaftlich“; „Wechsel wird nicht in Betracht gezogen“; „derzeit ausgeschlossen“ etc.). Dies gilt umso mehr, je älter die Befragten sind und je größer die Zahl der Unterhaltspflichten und weiteren finanziellen Belastungen ist. 35 Zum Teil wird auch darauf hingewiesen, dass aufgrund der schwierigen Kalkulierbarkeit der Versorgungslücke im Falle eines Wechsels in die DRV schon allein deshalb von einem Wechsel abgesehen wird. 36 Vielfach wird auch berichtet, dass im Nachgang zu den Entscheidungen des BSG Wechselangebote abgelehnt worden seien, um die gegenwärtige Versorgungssituation nicht zu gefährden. Seite 10 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 37 2. Interne Wechsel (innerhalb derselben Rechtsperson oder innerhalb des Konzerns) ziehen die Befragten noch weniger in Betracht als Wechsel zu einem gänzlich neuen Arbeitgeber. Dies gilt deshalb, da aktuell interne Wechsel nur noch in einem sehr begrenzten Bereich zulässig erscheinen, nämlich höchstens bei einem Wechsel von einem Rechtsgebiet ins andere, unter Beibehaltung des Anstellungsverhältnisses zur selben Rechtsperson. Jegliche weitergehende Veränderung, selbst wenn weiter klassische anwaltliche Tätigkeit ausgeübt wird, ist aus Sicht der Befragten mit einem großen Risiko behaftet, die aktuelle RV-Befreiung zu verlieren, weshalb derzeit von internen Veränderungen komplett abgesehen wird. 38 Viele Befragte fühlen sich hier besonders benachteiligt und weisen darauf hin, dass es insbesondere in den größeren Konzernen ein selbstverständlicher Karriereschritt ist, eine juristische Position bei einem Schwesterunternehmen oder im Ausland zu übernehmen. Es wird hervorgehoben, dass innerhalb eines Konzerns – im Gegensatz zum Wechsel aus dem Konzern hinaus – in der Regel keine oder nur bedingt eine finanzielle Kompensation für einen solchen Wechsel gewährt wird, sondern dieser Schritt vielmehr als Karrieresprungbrett dient. Vor diesem Hintergrund bringen interne Wechsel in aller Regel keine Kompensation mit sich, die die Gefahr des Verlustes der Versorgungswerksabsicherung ausgleicht, so dass interne Wechsel von Syndici im Moment in vielen Unternehmen vollständig zu Erliegen gekommen sind. 39 Gleichzeitig wird jedoch im Unternehmen eine entsprechende interne Mobilität von den Juristen genauso wie von anderen Berufsgruppen erwartet. Viele Befragte sehen sich in diesem Zusammenhang auch unternehmens-/konzernintern gegenüber anderen Berufsgruppen benachteiligt, die sich auf ähnliche Positionen bewerben (z.B. Steuerberater), da diese entsprechend flexibel sein können, aber auch gegenüber Juristen, die aufgrund ihrer familiären Situation (kinderlose Singles oder Doppelverdiener) die Auswirkungen eines Ausscheidens aus der anwaltlichen Versorgung eher abfedern können. 40 Ganz besonders kritisch sehen die Befragten die Situation, wenn ihnen ein interner Wechsel „aufgezwungen“ wird, z.B. wenn nach der Elternzeit eine andere juristische Position angetreten werden muss, oder auch im Falle von heute alltäglichen internen Umstrukturierungen wie etwa dem Transfer einer Rechtsabteilung in eine andere Konzerngesellschaft. Hier verlieren die Betroffenen mit dem Wechsel ihre Befreiung ohne jedes eigene Zutun. 41 42 IV. Erschwerungen bei der Mitarbeitergewinnung und entstehende Mehrkosten Fragestellung an die Mitglieder: „Haben Sie seit den Urteilen des BSG auffallend vermehrt Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen? Sind die Mitarbeiterkosten nach den Urteilen des BSG aufgrund von Kompensationszahlungen o.ä. merkbar gestiegen?“ Eine sehr beachtliche Zahl der Befragten (ca. 65%) sehen massive Probleme durch die Entscheidungen des BSG für die Unternehmen. Hervorzuheben ist hierbei die Nennung, dass die Attraktivität des Berufs des Syndikusanwaltes erheblich gelitten hat. Aus Sicht der Personalabteilungen kann hervorgehoben werden, dass deutlich weniger Bewerbungen auf offene Stellen vorzufinden sind. Bewerbungen von Kandidaten mit einem Lebensalter von mehr als 40 Jahren sind selten. Seite 11 Stellungnahme zum Berufsbild des Syndikusanwalts vom 29. April 2015 Ebenso sind kaum Bewerbungen aus Kanzleien zu finden. Diese Aussagen werden durch Äußerungen von Headhuntern bestätigt, die ebenfalls einen massiven Einbruch der Vermittlungstätigkeit berichten. 43 Von einer kleiner Gruppe (ca. 20%) von Befragten wird angegeben, dass nunmehr höhere Gehaltsforderungen als Kompensation gefordert werden, was wiederum die Lohnkosten der Unternehmen erhöht und z.T. dazu führt, dass weitere Stellen überhaupt nicht mehr ausgeschrieben werden. Hierüber berichteten eine nicht unerhebliche Anzahl von Befragten (ca. 40%). ./.
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