Welt am Sonntag - ePaper

28. Dezember 2014
Nr. 52
B
DIE DROHNE
RUBEL
KLOSE EXKLUSIV
GUNILLA GRÄFIN VON BISMARCK
Unser
Tier des
Jahres S. 54
Reiche
Russen
ratlos S. 32
Über
Ehrlichkeit
und Eier S. 23
„Der Mittelpunkt
der Party bin ich“
*
S. 53
International Newspaper Of The Year | Gegründet 1948 | World’s Best-Designed Newspaper
Preis
D
€ 3,70
WAHLVERFAHREN
CSU verhöhnt SPD
Warum wir für
2015 keine
Vorsätze brauchen
Titelthema
MERKEL-VIZE
WIRTSCHAFTSWEISER
Bouffier beerdigt
große Koalition
Kritik an voreiligem
Handeln der EZB
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker
Bouffier ist davon überzeugt, dass die nächste
Bundesregierung entweder von Union und Grünen oder von SPD, Linkspartei und Grünen gebildet wird. Die Bundestagswahl 2017 werde „eine
Richtungsentscheidung: In die eine Richtung bewegen sich Union und Grüne, in die andere RotRot-Grün“, sagte der hessische Ministerpräsident
der „Welt am Sonntag“. „Wer wissen will, wohin
die Reise geht in Deutschland, muss die Entwicklung in Thüringen und in Hessen beobachten.“
Bouffier führt in Wiesbaden seit einem Jahr eine
schwarz-grüne Koalition an, in Erfurt regiert seit
einigen Wochen ein rot-rot-grünes Bündnis unter
dem ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei,
Bodo Ramelow.
Die große Koalition auf Bundesebene laufe
„ganz ordentlich“, urteilte Bouffier. „Aber das ist
keine Dauerlösung.“ Wenn es um die zentrale Frage der Staatsfinanzen gehe, komme die Union mit
Teilen der Grünen „sehr gut zusammen“. Mit der
SPD sei das nicht so leicht. „Die Sozialdemokraten sind eine paternalistische Partei, die sehr stark
im Bereich der Wohlfahrt unterwegs ist“, stellte
Bouffier fest. „Was sie fordert, lässt sich oft nicht
finanzieren.“
Die FDP schreibe er zwar nicht ab, so Bouffier,
der als Bundesratspräsident amtiert. „Aber ich bin
eher skeptisch, ob sie sich so schnell wieder erholt.“ Im Augenblick sei sie in einer Situation, „in
der es ihr schwerfällt, überhaupt wahrgenommen
zu werden“. Ein Bündnis mit der AfD könne er
„im Moment überhaupt nicht erkennen“, fügte er
hinzu. „Das ist ein wirrer Haufen, der Protest von
allen Seiten aufnimmt.“
gau, hcr
Der oberste Wirtschaftsberater der Bundesregierung hält die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) für voreilig. „Wir sehen keinen Grund,
jetzt auch noch Staatsanleihen aufzukaufen“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats,
Christoph Schmidt, der „Welt am Sonntag“. Die
Notenbank habe bereits verschiedene andere
Maßnahmen auf den Weg gebracht. Es wird dennoch erwartet, dass die EZB in absehbarer Zeit damit beginnt, in großem Stil Staatsanleihen aufzukaufen, um deflationären Tendenzen in der EuroZone entgegenzuwirken. Schmidt verweist darauf,
dass ein Rückgang des Preisniveaus weder zu beobachten sei noch für die nahe Zukunft vorhergesagt werde: „Das Risiko einer Deflation kann man
nicht ganz ausschließen. Aber die Frage ist doch,
ob die EZB präventiv gegen einen bislang nicht
einmal prognostizierten Preisverfall ankämpfen
muss. Dafür sehen wir keinen Anlass.“
Prozent beträgt ab dem kommenden Jahr die
Grunderwerbsteuer in Nordrhein-Westfalen und
dem Saarland – mehr als je zuvor. Wer hier Haus
und Grund kauft, zahlt künftig einige Tausend Euro mehr an den Staat. Gemeinsam mit SchleswigHolstein bilden die Länder dann die Spitze der
Steuereintreiber. Ihr Kalkül: mit dem frischen
Geld die maroden Haushalte sanieren.
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6,5
Angst vor IS-Rückkehrern
In Gefängnissen könnten neue Kämpfer rekrutiert werden
er Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) scheint vorerst
gestoppt. Den kurdischen Peschmerga-Kämpfern ist es gelungen, das zuvor vom IS kontrollierte SindscharGebirge zu befreien und die Dschihadisten auch in
anderen Teilen des Nordiraks zurückzudrängen.
Die deutschen Sicherheitsbehörden sind über die
Entwicklung allerdings alarmiert. Sie stellen sich
darauf ein, dass sich 2015 deutlich mehr deutsche
IS-Kämpfer auf den Weg in die Heimat machen.
Kämpfer mit ausländischer Staatsangehörigkeit
können zwar an der Einreise gehindert werden,
nicht jedoch Deutsche oder Doppelstaatler.
D
VON THORSTEN JUNGHOLT
UND KARSTEN KAMMHOLZ
„Ja, wir müssen mit rückkehrenden Dschihadisten rechnen und uns wappnen“, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Mordanschläge wie kürzlich vor dem kanadischen
Parlament könnten jederzeit auch für Deutschland geplant werden, warnt er. Die Rückkehrer
seien „oftmals traumatisiert, fanatisiert und infolge der persönlichen Erfahrungen in den Kriegsgebieten radikalisiert“. Ihre Hemmschwelle sei dadurch erheblich reduziert, so der Minister. „Sie
sind gewaltbereit bis hin zur bestialischen Tötung
von Menschen.“ Der Dschihad dürfe nicht „auf
deutschem Boden“ fortgeführt werden.
Nach derzeitigen Erkenntnissen kämpfen mehr
als 550 Personen aus Deutschland aufseiten der
IS-Truppen in Syrien und dem Irak. Laut Verfassungsschutz sind die Rückkehrerzahlen bereits erkennbar gestiegen. Berichten zufolge sollen einige
Dschihadisten desillusioniert sein von der Realität
der Kämpfe. Zudem soll der IS Kämpfer, die die
Terrormiliz verlassen wollten, hingerichtet haben.
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses Wolfgang Bosbach (CDU) sieht die größte Gefahr für die Sicherheit Deutschlands in jenen
Kämpfern, „die radikalisiert und durch Erfahrung
im Kampfgeschehen brutalisiert zurückkehren“.
Einige von ihnen seien zwar auch enttäuscht,
„aber wir können nicht ausschließen, dass Rückkehrer versuchen, hier neue Kämpfer zu rekrutieren“. Gerade in den Gefängnissen seien solche Rekrutierungen zu befürchten. Laut Bosbach sind
deshalb Aussteiger- und Deradikalisierungsprogramme wichtig, „zumal wir wissen, dass oft auch
in Haftanstalten Kontakte zu radikalen Gruppen
bestehen“. Auch der bayerische Innenminister will
präventiv vorgehen. Man werde, beginnend mit
der Resozialisierung in Gefängnissen, viel Engagement aufbringen müssen, um Rückkehrer mit
deutscher Staatsangehörigkeit wieder einzugliedern, so Herrmann.
Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) rechnet mit „Hunderten verurteilten
Islamisten in unseren Justizvollzugsanstalten“ in
den kommenden Jahren. Sie verlangt deshalb
Geld vom Bund: „Wir müssen bundesweite Strukturen aufbauen, um die Ansteckungsgefahr dieses
radikalen Gedankenguts in den Vollzugsanstalten
von vornherein einzudämmen.“ Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) dürfe es nicht dabei belassen, neue Straftatbestände zu schaffen, sondern müsse sich finanziell „an Deradikalisierungsmaßnahmen in den Haftanstalten beteiligen, die
künftige Straftaten verhindern sollen“.
ZIPPERTS WORT ZUM SONNTAG
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Die SPD will wilder werden
ie SPD hat für das neue Jahr
großartige Vorsätze. Die Partei
möchte wilder, wahnsinniger
und wählbarer werden. Ein Schritt in
diese Richtung war der Vorschlag von
Frau Fahimi, den Wahltag auf zwölf Monate zu verlängern. Wenn die Menschen
nur lange genug über die Sozialdemokraten nachdenken, dann überkommt sie das Mitleid, und sie
entscheiden sich gegen alle Vernunft, SPD zu wählen. Dafür muss man ihnen Zeit lassen. In den langen Monaten, in denen man darüber nachdenkt,
ob man wirklich die SPD wählen sollte, fährt ständig ein Lieferwagen mit einer mobilen Warnurne
hinter einem her. Auch der Leistungsvergleich
zwischen Crystal Meth und Kinderpornografie, al-
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so „Hartmann vs Edathy“, hat die Bürger
elektrisiert und dazu geführt, dass Hunderttausende sich die Buchstaben SPD
eingeprägt haben. Viel Freude hatten die
Menschen ebenfalls an der Achse des Baren, personifiziert durch Carsten Maschmeyer und Gerhard Schröder. Aber was
ist für 2015 geplant? Mit Sicherheit wird Sigmar
Gabriel einen Plan für Hartz V vorlegen, der die
soziale Ungleichheit verschärft und dazu führt,
dass sich wieder mehr Menschen für Politik interessieren. Anschließend fordert Andrea Nahles die
67-Stunden-Woche und zum Ausgleich die Rente
mit 32. Und dann ist wieder Frau Fahimi dran und
schlägt vor, dass man nur noch wählen darf, wenn
man vorher Crystal Meth genommen hat.
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ISSN 0949 – 7188
WELT AM SONNTAG BERLIN-2014-12-28-swonl-89 342b2eb0f6c8b3c326454a04a6261f5a
Seite 8
NORDKOREA
Obama beschimpft
Mit Beleidigungen gegen US-Präsident
Barack Obama hat Nordkorea auf den
Kinostart der Satire „The Interview“
reagiert. Die Nationale Verteidigungskommission in Pjöngjang warf Obama am
Samstag vor, die Aufführung durchgesetzt
zu haben. Er verhalte sich „rücksichtslos
wie ein Affe in einem Tropenwald“, sagte
ein Sprecher. Nordkorea bestreitet, hinter
einer Cyber-Attacke gegen die Produktionsfirma zu stecken. Auch unabhängige
Experten äußern Zweifel an dieser Annahme. Spuren, die auf Nordkorea hinwiesen, wirkten fingiert.
Seite 31
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Die Reeperbahn
„Deutschlands sündigste Meile“
Heute um 00.00 Uhr
FLÜCHTLINGE
Asyl für Azubis
Das deutsche Handwerk verlangt ein
begrenztes Bleiberecht für ausbildungswillige junge Flüchtlinge. Unter ihnen
seien viele mit guter Schulbildung und
praktischem Geschick, sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, der „Rheinischen Post“. Viele
Betriebe könnten schon jetzt Lehrlingsplätze nicht besetzen und würden gern
Flüchtlinge ausbilden. Über Weihnachten sind fast 1250 Flüchtlinge aus Afrika
aus dem Mittelmeer gerettet worden.
Italienische Behörden erklärten, Schiffe
aus Italien und anderen Ländern hätten
die Flüchtlinge bei vier getrennten Operationen zwischen Sizilien und Nordafrika aufgenommen. Nach Angaben der
Internationalen Organisation für Migration kamen 2014 etwa 3200 Menschen
bei der Flucht übers Mittelmeer um.
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ILLUSTRATION CHRISTIAN SCHUPP;
MONTAGE: WELT AM SONNTAG
Nehmen
Sie sich
nichts vor
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi
will die Wahlbeteiligung ankurbeln –
etwa mit ganzen Wahlwochen statt der
bisherigen Wahltage. Der Koalitionspartner CSU reagiert mit Spott. „Als
ehemalige Gewerkschaftssekretärin“
habe Fahimi keine parlamentarische
Erfahrung, sagte CSU-Generalsekretär
Andreas Scheuer. Ihr Vorschlag werde
allenfalls Kopfschütteln hervorrufen –
bei Wählern, Wahlhelfern und Kandidaten. „Etwas Praxisfernes und Manipulationsanfälliges werden wir in unserer funktionierenden Demokratie nicht
zulassen.“