Seite: 16-G (16-) - Ärztekammer für Wien

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An der Ellenbogengesellschaft
können wir nichts ändern.
Aber den Ellenbogen eine
Pause gönnen. Mit dem
Eames Plastic Armchair.
Das Original kommt von:

Z E I T U NG F Ü R D E U T S C H LA N D
Montag, 27. Oktober 2014 · Nr. 249 / 44 D 2
Merkel: Nicht
mit Freizügigkeit
herumhantieren
F.A.Z. FRANKFURT, 26. Oktober.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat
sich klar gegen die Pläne des britischen Premierministers David Cameron zur Begrenzung der Einwanderung aus ärmeren EU-Mitgliedstaaten
ausgesprochen. „Deutschland wird
nicht mit den grundlegenden Prinzipien der Freizügigkeit innerhalb der
EU herumhantieren“, sagte Merkel in
einem am Sonntag veröffentlichten
Interview mit der britischen Zeitung
„Times“. Sie reagierte damit auf das
Vorhaben Camerons, die Regeln zur
Freizügigkeit von Arbeitnehmern in
der EU zu ändern, um die Einwanderung gering qualifizierter EU-Migranten nach Großbritannien zu begrenzen. Der scheidende EU-Arbeitskommissar László Andor sagte, die Pläne
seien illegal und würden von keinem
anderen Mitgliedstaat mitgetragen.
Mit Blick auf den Missbrauch von Sozialleistungen durch EU-Einwanderer
sagte Merkel, sie wolle mit den Briten
zusammenarbeiten. „Das sind umstrittene Themen, die auch in unserem
Land diskutiert werden“, sagte sie.
„Ich bin der Meinung, dass sie so gelöst werden müssen, dass Missbrauch
bekämpft wird.“ Die Freizügigkeit dürfe zu diesem Zweck aber nicht eingeschränkt werden. (Kommentar Seite
8.)
Heute
Zwei Jahre,
fünf Kilogramm
Indien ist eine aufstrebende Wirtschaftsmacht. Trotzdem sind zwei
Drittel der Inder unterernährt.
Deutschland und die Welt, Seite 7
Dysfunktional
Die Schwächen des Wahlsystems
treten vor der amerikanischen
Kongresswahl wieder offen
zutage. Politik, Seite 5
In Picassos Kopfraum
Das Pariser Musée Picasso zeigt
seit je die Bilder, die der Maler
nicht verkaufen wollte. Jetzt ist es
neu eröffnet. Feuilleton, Seite 9
HERAUSGEGEBEN VON WERNER D’INKA, BERTHOLD KOHLER, GÜNTHER NONNENMACHER, HOLGER STELTZNER
Wahl im Krieg
Von Rainer Hermann
ie Konflikte und Kriege des Nahen Ostens wirken bereits tief in
D
unsere Gesellschaften hinein. Sie ver-
Militärisch gekleidet: Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist am Tag der Parlamentswahl in den Osten des
Landes geflogen. Er besuchte ein Wahllokal in der Stadt
Kramatorsk, die Regierungstruppen im Juli von den Separatisten zurückerobert hatten. Nachwahlbefragungen zufolge
liegen die proeuropäischen Parteien klar vorne. Der „Block
Petro Poroschenko“ erhielt laut Prognosen 23 Prozent der
Stimmen. In 15 Wahlbezirken, die sich noch unter der Kontrolle prorussischer Kämpfer befinden, und auf der Halbinsel Krim konnte nicht gewählt werden. Foto AFP
In Europa haben 13 Großbanken
zu wenig Kapital
Stresstest / Deutsche Institute „solide“ / Schlechte Ergebnisse in Italien und Griechenland
ppl. FRANKFURT, 26. Oktober. Im Bilanz- und Stresstest unter 130 europäischen Großbanken haben 25 Banken
nicht alle Kapitalanforderungen erfüllt.
Ihnen fehlten zum Stichtag 31. Dezember
2013 rund 25 Milliarden Euro. Im Jahresverlauf 2014 haben allerdings zwölf Banken schon genügend neues Kapital aufgenommen, so dass aktuell noch 13 Banken
knapp 9,5 Milliarden Euro Lücken haben,
darunter vier italienische und drei griechische Finanzhäuser. Dies teilte die Europäische Zentralbank (EZB) am Sonntag in Frankfurt mit. Sie hatte den Bilanzund Stresstest zusammen mit der Bankenbehörde EBA ausgerichtet. „Die Resultate sind glaubwürdig“, versicherte EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio. Der Test
sei streng gewesen. Es stellte sich heraus,
dass die untersuchten Banken ausfallgefährdete Forderungen im Wert von 136
Milliarden Euro mehr als bislang angenommen bilanziert hatten. Insgesamt beliefen sich die notleidenden Kredite auf
fast 880 Milliarden Euro. Ökonomen werteten dies als Grund zur Besorgnis.
Die untersuchten 25 deutschen Banken
haben alle Kapitalanforderungen gut bestanden. Nur der genossenschaftlichen
Münchner Hypothekenbank fehlte zum
Stichtag ausreichend Eigenkapital, inzwischen hat sie die Kapitallücke aber geschlossen. Die Präsidentin der deutschen
Bankenaufsichtsbehörde Bafin, Elke König, sagte: „Die deutschen Institute stehen
solide da.“ Ähnlich äußerte sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Die Ergebnisse seien erfreulich und hätten Zweif-
ler widerlegt, sagte König. Auch im simulierten Krisenszenario, dem Stresstest, hätten die Banken bewiesen, dass sie genügend Kapital hätten, um einen globalen
wirtschaftlichen Schock auszuhalten.
Aber sie dürften sich nicht darauf ausruhen. Bundesbankvorstand Andreas Dombret warnte, dass die deutschen Banken in
einem harten Wettbewerb stünden, die Regulierung schärfer werde und das Umfeld
mit den Niedrigzinsen schwierig sei. Die
deutschen Banken seien insgesamt zu ertragsschwach und hätten im europäischen
Vergleich Nachholbedarf, mahnte Dombret. Sie müssten ihr Geschäftsmodell
überdenken, es gebe zu viele. „Fusionen
sind nicht tabu“, sagte Dombret. Außerdem müssten die Banken ihre Kosten senken. (Siehe Wirtschaft, Seite 15.)
Zahl der Salafisten in Deutschland steigt stark an
Verfassungsschutzpräsident Maaßen warnt / Dunkelziffer bei ausreisenden Dschihadisten
elo. BERLIN, 26. Oktober. Die Zahl radikalisierter Islamisten in Deutschland
steigt dramatisch. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, HansGeorg Maaßen, sprach am Wochenende
von „weit über 6300 Salafisten“. Dem
RBB-Inforadio sagte Maaßen, er rechne
mit 7000 Salafisten bis zum Jahresende.
Zu Beginn des Monats hatte Deutschlands oberster Verfassungsschützer vor
Bundestagsabgeordneten noch von mehr
als 6200 Salafisten gesprochen.
Auch die Zahl der aus Deutschland
nach Syrien ausreisenden Dschihadisten
ist offenbar höher als bislang mitgeteilt.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.) berichtete von 1800 Ausreisen. Die offizielle Angabe lautet bisher,
dass 450 Islamisten das Land in Richtung
der nahöstlichen Kriegsgebiete in Syrien
und Irak verließen. Die F.A.S. zitiert einen Verfassungsschützer mit den Worten: „Wir müssen die offiziellen Angaben
mit dem Faktor vier multiplizieren, um
eine realistische Zahl zu erhalten.“ Ein
Sprecher des Bundesinnenministeriums
sagte dieser Zeitung, man habe die „gesicherte“ Zahl von 450 Fällen. Darüber
hinaus gebe es jedoch eine „Dunkelziffer“. Dass diese bei 1800 Personen liege,
könne er nicht bestätigen.
Unterdessen geht die Debatte weiter,
wie mit Islamisten umzugehen sei. Der
bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte der F.A.S., wenn durch
Salafisten „unmittelbare Gefahren für die
Sicherheit in Deutschland drohen, dann
haben unsere eigenen nationalen Interes-
Rivlin bittet um
Vergebung für Massaker
Sisi will härter gegen
Islamisten vorgehen
Metallindustrie: Keine
Nächster Rückschlag
großen Lohnerhöhungen für Borussia Dortmund
hcr. JERUSALEM, 26. Oktober. Der israelische Präsident Reuven Rivlin hat an
einer Gedenkveranstaltung für das Massaker von Kafr Qasim vor 58 Jahren teilgenommen und sich für die Tötung von 49
arabischen Zivilisten durch israelische
Grenzsoldaten entschuldigt. Er bezeichnete die Tat als „furchtbares Verbrechen“.
Rivlins versöhnliche Geste erfolgte vor
dem Hintergrund anhaltender Krawalle
arabischer Jugendlicher in Israel. Der Präsident kritisierte beide Seiten im Konflikt. (Siehe Seite 2.)
mrb. KAIRO, 26. Oktober. Nach einem
schweren Selbstmordattentat gegen ägyptische Sicherheitskräfte auf der SinaiHalbinsel hat die Regierung ein härteres
Vorgehen gegen islamistische Extremisten beschlossen. Der Ministerrat entschied am Wochenende, die Befugnisse
des Militärs auszuweiten. Der im Juni
zum Präsidenten gewählte Abd al Fattah
al Sisi bezeichnete die Aufständischen in
einer Fernsehansprache als existenzielle
Bedrohung für das Land. Er kündigte am
Samstag „viele Maßnahmen“ der Armee
auf der Sinai-Halbinsel an, die in weiten
Teilen als unkontrolliertes Rückzugsgebiet für Extremisten gilt. Beim dem Anschlag am Freitag waren 31 Soldaten getötet worden. (Siehe Seite 2.)
dc. BERLIN, 26. Oktober. Die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie
sehen nur geringe Spielräume für Lohnerhöhungen in der bevorstehenden Tarifrunde mit der IG Metall. Lohnforderungen
zwischen fünf und sechs Prozent, wie sie
zurzeit in der Gewerkschaft diskutiert werden, wären nach Ansicht von Gesamtmetall erheblich zu hoch. Die Forderungen
des IG-Metall-Vorstands „sind hoffentlich
von deutlich mehr wirtschaftlichem Realitätssinn geprägt“, sagte Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger dieser Zeitung. Der
Vorstand der IG Metall will am 11. November seine Position für die neue Tarifrunde
für die insgesamt 3,7 Millionen Beschäftigten der Branche festlegen. (Siehe Wirtschaft, Seiten 15 und 17.)
Neue Epoche in Weiß
Real Madrid tritt wieder als ein
selbstbewusstes Kreativteam auf –
wie beim Sieg im Clásico gegen
den FC Barcelona. Sport, Seite 27
Lob der Komplexität
Möglichst einfache Lösungen
suchen: Das galt lange Zeit als
Manager-Ideal. Warum das heute
anders ist. Der Betriebswirt, Seite 16
Briefe an die Herausgeber
Seite 18
4<BUACUQ=eacdaj>:W;l;V;p;p
2,30 € D 2954 A
Nahöstliche Anarchie
Gerangel um Betten
Das Online-Portal HRS hat den
deutschen Hotelmarkt aufgemischt. Doch der Wettbewerb
wird härter. Wirtschaft, Seite 22
Eames Plastic Armchair, 1950
sen ganz klar den Vorrang“. Die Sprecherin für Innere Sicherheit der Grünen-Fraktion im Bundestag, Irene Mihalic, kritisierte Hermann. Wenn Gefahr für die Sicherheit drohe, müssten die jetzt schon gesetzlich vorgesehenen repressiven Maßnahmen ergriffen werden. „Abschiebung
oder Ausbürgerung wären kontraproduktiv.“ Mihalic sprach sich ebenso wie der
sächsische Innenminister Markus Ulbig
(CDU) für mehr Prävention aus. Ulbig
sagte dieser Zeitung: „Wir müssen an die
Wurzel rangehen.“ Das gehe nur mit Präventionsarbeit. Er regte an, die Islamkonferenz „durch Regionalisierung zu stärken, damit auch die muslimischen Verbände dort, wo das Problem besonders groß
ist, in die Pflicht genommen werden können“. (Siehe Seite 3.)
F.A.Z. FRANKFURT, 26. Oktober. Borussia Dortmund hat in der Fußball-Bundesliga den nächsten Rückschlag hinnehmen müssen. Die Mannschaft ist nach
dem 0:1 gegen Hannover 96 TabellenFünfzehnter. Werder Bremen setzt nach
der Trennung von Robin Dutt auf das Trainer-Gespann Viktor Skripnik und Torsten
Frings. Sie sollen den Klub vom Tabellenende wegführen. Der VfB Stuttgart gewann mit seinem Trainer Armin Veh 5:4
bei Eintracht Frankfurt. Der VfL Wolfsburg besiegte am Sonntag den FSV Mainz
05 3:0. Skirennfahrer Fritz Dopfer ist mit
Platz zwei im Riesenslalom von Sölden in
die WMSaison gestartet. Sieger beim
Weltcup-Auftakt wurde der Österreicher
Marcel Hirscher. (Siehe Sport.)
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ändern unser Zusammenleben mehr
als alle anderen Umwälzungen der vergangenen Jahre: Zunehmend werden
die Konflikte auch auf unseren Straßen ausgetragen, aus unserer Mitte reisen Dschihadisten in das Kriegsgebiet,
und von dort greifen immer mehr
Flüchtlinge verzweifelt nach einem sicheren Ufer. Wer kann, steuert Europa
an. Allein der Krieg in Syrien hat
schon mehr als neun Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Europa kann sie natürlich nicht alle aufnehmen. Die Augen vor ihrem Leid kann
aber auch niemand verschließen.
Lange ist die Gefahr unterschätzt
worden, die von den europäischen
Dschihadisten ausgeht. Heute ist die
Öffentlichkeit alarmiert. So haben die
Sicherheitsbehörden die Zahl der aus
Deutschland ausgereisten Kämpfer
auf 1800 vervierfacht, und eine aufgeregte (und streckenweise ratlose) Debatte hat eingesetzt – die einen wollen
die Dschihadisten an der Ausreise hindern, die anderen wollen sie ausweisen. Was immer man tut, es löst das
F. A. Z. im Internet: faz.net
Problem nicht. Wer an der Ausreise gehindert wird, kann seine Frustration
hier in Gewalt entladen; das ist die
Lehre aus dem Anschlag auf das kanadische Parlament. Und wer verroht
aus dem Kriegsgebiet zurückkehrt,
kann in unserer Mitte bedenkenlos
zur Waffe und zum Sprengstoff greifen; das ist die Lehre aus dem Anschlag auf das Jüdische Museum in
Brüssel.
Beunruhigt sind die Sicherheitsbehörden auch, weil neben Dschihadisten immer mehr Kurden von Deutschland nach Syrien reisen. Sie werden
von der PKK angeworben und wollen
gegen den „Islamischen Staat“ kämpfen. Die Fronten im dortigen Kriegsgebiet wiederholen sich bei uns. Eine
Vorstellung von der wachsenden Gewaltbereitschaft gaben die blutigen
Zusammenstöße von Herford und
Hamburg. Ob aus dem Kriegsgebiet
Rückkehrer zu uns kommen oder
Flüchtlinge: Jeder bringt seine Konflikte und Traumata mit, was unseren
gesellschaftlichen Frieden gefährdet.
Die Konflikte und Kriege des Nahen
Ostens führen zu einem Staatszerfall
und damit zu Anarchie. Die Anarchie
aber ist schlimmer als die Diktatur,
und so werden wir wohl auch dort wieder Diktaturen akzeptieren müssen,
wo wir vor ein paar Jahren noch geglaubt haben, es entstünden Demokratien.
Auf dem Weg in eine andere Republik
Von Jasper von Altenbockum
as soll kein Signal sein? Es wird
auffällig untertrieben von den BeD
teiligten in Thüringen, die sich anschicken, den ersten Funktionär der Linkspartei in das Amt eines Ministerpräsidenten zu wählen. Das sei 25 Jahre
nach dem Mauerfall ein Zeichen von
Normalität, heißt es, und kein Grund,
Rückschlüsse für die Berliner Bühne
zu ziehen. Von einer „Signalwirkung“
könne nicht die Rede sein, teilte Yasmin Fahimi mit, die Generalsekretärin
der SPD, der Partei, die erst vor gut einem Jahr den Beschluss gefasst hat,
dass ein Bündnis mit der Linkspartei
auch im Bund spätestens nach der
nächsten Bundestagswahl jederzeit in
Frage komme. Und auf diesem Weg in
eine doch recht andere Republik, als
man sie bisher gewohnt war, soll der
seit Jahren von der Linkspartei vorbereitete Machtwechsel in Thüringen,
soll ein linker Ministerpräsident Bodo
Ramelow keine Rolle spielen?
Dieser Bodo Ramelow wird der SPD
zunächst einmal vor Augen führen,
dass es ihr in 25 Jahren nicht gelungen
ist, die SED-Nachfolgepartei in der
ehemaligen DDR zu verdrängen oder
auch nur kleinzuhalten. Das war damals die Hoffnung, als die SPD vor der
schwierigen Wahl stand, entweder alte
SED-Kader aufzunehmen oder aber
eine klare Abgrenzung damit zu bezahlen, dass es ihr lange Zeit an organisatorischer Kraft fehlen würde. Sie entschied sich für den schwierigen Weg,
während CDU und CSU keine Probleme damit hatten, sich mit den „Blockflöten“ zu arrangieren. Das rächt sich
nun für die SPD. In Thüringen muss
sie sich kleinlaut dem triumphierenden Erbe der DDR fügen, muss sich einer peinlichen Diskussion darüber aussetzen, ob denn diese DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei und ob das
mehr sei als eine „Protokollnotiz“. Vor
allem aber muss sie mitansehen, wie
ihre schon schwache Wählerschaft angesichts einer solchen Kapitulation
noch schwächer wird.
Warum das alles unbedingt nötig, ja
unausweichlich ist, dafür hört man aus
der SPD jetzt viele Erklärungen. Die
Partei sei in Thüringen dazu „verdammt“, sich an einer Regierung zu beteiligen, lautet eine davon. Aber an dieser? Die „babylonische Gefangenschaft“ der SPD, ihre Abhängigkeit
von der CDU, werde dadurch beendet,
rechtfertigt Ralf Stegner den Thüringer Weg. Aber hatte sich die SPD hier
nicht längst befreit? Im Dreigestirn
aus CDU, SPD und Linkspartei, die es
in allen ostdeutschen Ländern unter
sich ausmachen, wer mit wem koaliert,
hatten nur die Sozialdemokraten
schon seit Mitte der neunziger Jahre,
als sie die ersten rot-roten Bündnisse
anbahnten, eine echte Alternative: entweder mit der CDU oder mit der Linkspartei. Richtschnur war immer, ob die
SPD den Ministerpräsidenten stellen
kann. Da sie in Thüringen, Sachsen,
bald vielleicht auch in Sachsen-Anhalt, weit davon entfernt ist, reicht ihr
dort nun schon die Regierungsbeteiligung – egal unter welchem Ministerpräsidenten.
Entscheidend scheint eine andere
Überlegung zu sein. Es muss unbedingt die Linkspartei sein, und zwar
dort, wo sie beherrschbare Regionalpartei ist. Deren Willen zur Regierung,
den Bodo Ramelow wie kein anderer
in der Linkspartei verkörpert, päppelt
die SPD, wo immer es geht und wo immer es sie einem SPD-Kanzler näher
bringt. Stegner spricht von den „Desperados“ in der Linkspartei, die dadurch
zur Vernunft gebracht werden könnten – warum wohl und wozu? Gemeint
sind die Berliner Akteure der Linken,
die nicht eine Regierungsbeteiligung
anstreben, sondern aus der Opposition die Systemveränderung betreiben
Der Zug in Richtung
Ramelow scheint für die
SPD unwiderstehlich zu
sein – nicht nur in Erfurt.
wollen und deshalb Keile treiben zwischen SPD, Grüne und die eigene Partei. Ihnen konnten bislang nur die ostdeutschen Landesminister der Linkspartei (derzeit ohnehin nur aus Brandenburg) ihren Pragmatismus entgegensetzen. Ein Ministerpräsident wäre
da schon noch etwas anderes.
Das stärkste Thüringer Signal aber
richtet sich an die CDU. Über eine babylonische Gefangenschaft müsste sie
sich viel mehr beklagen. In keinem der
ostdeutschen Länder hat sie derzeit
noch eine langfristige Regierungsperspektive ohne die SPD. Selbst in Sachsen, dem einzigen Land, in dem sie dieser Gefangenschaft durch eine absolute Mehrheit oder mit Hilfe der FDP entfliehen konnte, ist das nun so. Was
tun, wenn die SPD selbst dort nicht
mehr mitspielt? Dann hat die CDU
weit und breit keinen Partner mehr, es
sei denn, sie lässt sich auf eine Diskussion ein, auf deren Polarisierungskräfte die SPD schon wartet – nämlich ob
die AfD zu ihr passt, das Auffangbecken der Unzufriedenen. Da sich die
CDU aber im Westen mit der SPD viel
lieber ein Wettrennen um die Gunst
der Grünen liefert, wird ihr der Spagat
schwerfallen, im Osten einen ganz anderen Weg zu gehen.
Die gut viertausend Mitglieder der
SPD in Thüringen entscheiden also
doch über weit mehr als nur über ihren
landespolitischen Vorgarten. Sie dürfen ihre Stimme abgeben, bevor die Koalitionsverhandlungen beginnen. War
auch das mit der Linkspartei schon abgesprochen? Denn das Votum wäre
das stärkste Druckmittel der SPD gewesen, wenn es nicht vor, sondern erst
nach Koalitionsverhandlungen abgegeben worden wäre. Die SPD verzichtet
ganz bewusst auf diesen Trumpf. Der
Zug in Richtung Rot-Rot-Grün scheint
unwiderstehlich zu sein.