SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Herzschwäche
Von Horst Gross
Sendung: Montag, 19. Januar 2015, 8.30 Uhr
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Tobias Krebs
Produktion: SWR 2015
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MANUSKRIPT
Atmo 1a: Krankenhaus
Cut 1: Patient mit Herzinsuffizienz
Wenn ich sitze, habe ich keine Probleme. Aber wehe dem ich leg mich auf den
Rücken. Da bekomme ich keine Luft. Dann japse ich wie ein Karpfen. Weil, ich habe
ein zu dickes Herz und das drückt dann auf die Lunge. Das ist festgestellt worden.
Sprecher:
Dass der Berliner Patient schwer krank ist, sieht man ihm sofort an: Die Beine sind
massiv angeschwollen, voller Wasser. Selbst im Sitzen bekommt er kaum Luft.
Herzschwäche oder, medizinisch ausgedrückt, Herzinsuffizienz lautet seine
Diagnose. Die Krankheit wurde viel zu spät erkannt. Alles Mögliche hatte die
Hausärztin zuerst versucht.
Cut 2: Patient mit Herzinsuffizienz
Weil immer die Beine so dick waren. Dann hat mir meine Ärztin
Kompressionsstrümpfe verschrieben. Und da hatte ich so viel Wasser drin. Haben
wir rübergezogen. Haben wir das Ganze runtergehauen.
Sprecher:
Statt Stützstrümpfen hätte er aber besser Herzmedikamente bekommen sollen. Dann
wäre er jetzt kein Pflegefall. Und mit diesem Schicksal ist er nicht alleine. Etwa zwei
Millionen Menschen leiden in Deutschland an einem zu schwachen Herz1. Oft
unerkannt. Moderne Betreuungskonzepte werden ihnen so vorenthalten. Das muss
sich ändern, meint jetzt die Kardiologie – die Wissenschaft von den Krankheiten des
Herzens.
Ansage:
Herzschwäche
Eine Sendung von Horst Gross
Atmo 1b: pochendes Herz
Sprecher:
Rund drei Milliarden Mal schlägt das Herz während eines Menschenlebens. Dabei
pumpt es die ungeheuere Menge von 200 Millionen Litern Blut durch den Körper.
Das Volumen eines kleinen Sees2. Und das ohne die geringste Pause. Aber zu hoher
Blutdruck, Gefäßverkalkung oder einfach nur das Alter können dem Herzmuskel
zusetzen. Dann verliert er an Kraft. Es kommt zur Herzschwäche. Am Anfang sind
die Symptome diskret: ein bisschen mehr Luftnot beim Treppensteigen, ein wenig
dickere Beine am Abend. Die Betroffenen merken lange Zeit nicht, dass da mit dem
Herzen etwas nicht stimmt.
1
http://dgk.org/pressemitteilungen/2013-jahrestagung/2013-ft-wissenschaftlichepm/versorgungsrealitat-in-deutschland-wird-die-herzfrequenz-bei-chronischer-systolischerherzinsuffizienz-ausreichend-gesenkt/
2
http://www.klinikum-muenchen.de/herz/wunderwerk-herz/
2
Cut 3a: Wulff
Man muss sich das so vorstellen, dass eben das Herz als Pumpe für den
Gesamtkreislauf verantwortlich ist.
Sprecher:
… so erklärt die Kardiologin Hildegard Wulff ihren Patienten am Polikum in BerlinFriedenau3 das Problem.
weiter Cut 3b: Wulff
Und die Muskulatur, die benötigt wird, um halt eben eine Treppe zu steigen, die muss
versorgt werden mit sauerstoffangereichertem Blut. Und wenn dieses
sauerstoffangereicherte Blut nicht mehr ausreichend bis in die Muskulatur gepumpt
werden kann, dann ermüdet die Muskulatur und das merkt man.
Sprecher:
Eine Herzschwäche muss möglichst frühzeitig erkannt werden. Dann kann man mit
Medikamenten das Fortschreiten der Krankheit bremsen.
Cut 4: Wulff
Ja, das ist halt eben das Problem, dass die Herzschwäche häufig erst sehr spät
erkannt wird. Und andere Dinge, die halt eben als Symptom im Vordergrund stehen,
sodass die Patienten häufig erst andere Ärzte aufsuchen, wie zum Beispiel den
Lungenfacharzt. Weil, wenn das Symptom Luftnot im Vordergrund steht, denkt man
natürlich, die Lunge ist beeinträchtigt. Und man lässt es erst mal durch einen
Lungenfacharzt untersuchen.
Sprecher:
Das müsste eigentlich nicht sein, denn mit einer harmlosen Untersuchung kann man
in wenigen Minuten die richtige Diagnose stellen.
Cut 5: Wulff
Und für uns Kardiologen sicherlich die wichtigste Untersuchung ist dann die
Ultraschalluntersuchung des Herzens, wo wir das Herz direkt bildlich darstellen
können, die Pumpfunktion des Herzens sehen können.
Atmo 2a: Echokardiografie4
Sprecher:
In der Regel wird die Herzinsuffizienz mit Medikamenten behandelt. Der Arzt wird
den Blutdruck normalisieren, Herzrhythmusstörungen beheben und die
Druckbelastung des Herzens optimieren. Und oft ist es auch überschüssiges Wasser,
das aus dem Körper entfernt werden muss.
Cut 6: Wulff
Das Thema mit der Tabletteneinnahme ist insofern relativ einfach für uns
Kardiologen, weil mit Beginn der Therapie merken die Patienten meistens schon eine
3
4
http://www.polikum.de/gesundheitszentrum/standorte/polikum-berlin-friedenau/
Quelle: freesound.org
3
deutliche Linderung. Und das motiviert sie natürlich auch, daran festzuhalten. Und
auch an dem Weiteren dann teilzunehmen.
Sprecher:
Tückisch an der Herzinsuffizienz ist: Sie neigt zur Instabilität. Eine
Medikamentenkombination, die einmal gut funktioniert hat, garantiert keinen
Langzeiterfolg. Plötzlich, ohne erkennbare Ursache kann sich die Herzleistung
verschlechtern. Dann müssen die Medikamente schnell angepasst werden. Auch die
regelmäßige Selbstkontrolle von Gewicht, Blutdruck und Puls schützt nicht vor
solchen bösen Überraschungen. Denn diese Werte schwanken von Tag zu Tag. Ob
dahinter eine gefährliche Tendenz steckt, das macht nur die Computerauswertung
sichtbar. Und genau das ist die Idee, die sich hinter dem Begriff Telemedizin 5
verbirgt.
Atmo 2b: Klinik
Atmo 3: Anruf in Telemedizin
Sprecher:
Hier am Klinikum Brandenburg wird die Telemedizin unter realen Bedingungen
getestet6. Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz bekommen die speziellen
Überwachungsgeräte mit nach Hause.
Cut 7: Oeff
Der Nutzen davon ist, dass man damit ja praktisch täglich eine ärztliche Visite hat.
Man wird bestimmte Parameter, bestimmte Vitaldaten werden täglich untersucht und
in ihrem Verlauf und in ihrer krankhaften Veränderung interpretiert und somit
praktisch durch tägliche ärztliche Visite ein Krankheitsverlauf sehr frühzeitig erkannt
werden kann.
Sprecher:
Professor Michael Oeff, Chefarzt der Kardiologie am Klinikum, hat das
Telemedizinzentrum7 mit ins Leben gerufen.
Cut 8: Oeff
Also wir haben den Patienten eine Waage mit nach Hause gegeben. Ein
Blutdruckmessgerät, ein EKG-Messgerät, einen interaktiven kleinen Monitor, auf dem
er bestimmte Sachen eingeben und anfragen kann. Und in dem er auch eine
Rückkopplung kriegt über seine Daten. Da wird zum Beispiel der Blutdruck
dargestellt, dass er weiß wie stehe ich mit meinem Blutdruck, und er kann auch im
Notfall ein EKG direkt übertragen. Dass das von ihm angelegt wird und wir dann
schwere Herzrhythmusstörungen zum Beispiel hier direkt im Monitor sehen und
erkennen.
Sprecher:
Für die Datenübertragung ist das normale Handynetz verantwortlich. Deshalb
funktioniert die Telemedizin auch so überraschend unkompliziert. Man braucht nur
5
http://www.aerzteblatt.de/archiv/53094/Telemedizin-Chance-fuer-chronisch-Kranke
http://telemedizin.fokus.fraunhofer.de/index.php?id=27&pId=2046&no_cache=1
7
http://www.kardiologie-brandenburg.de/?Der_Vorstand:Prof._Dr._med._Michael_Oeff
6
4
eine Steckdose in der Patientenwohnung und ein sicheres Plätzchen für die Geräte.
Fertig! Zusätzliche Kabel oder Datenleitungen entfallen. [Nur etwas darf nicht fehlen:
ein zuständiger Hausarzt.
Cut 9: Oeff
Der Hausarzt ist der eigentlich behandelnde Arzt. Die Telemedizin ist eine kollegiale
Zweitmeinung letztlich, auch rechtlich gesehen. Der Hausarzt wird auf jeden Fall
informiert, damit er weiß, woran der Patient jetzt leidet. Worin das Problem liegt. Und
der Patient kann sich an den Hausarzt wenden. Wir wollen aber versuchen, das ist
auch einer der Hintergründe, dass er nicht mit jeder kleinen Veränderung zum
Hausarzt läuft.]
Atmo 4: Dorf
Sprecher:
Ein kleines Dorf im brandenburgischen Umland. Hier wohnt die Herzpatientin Frau B.
Atmo 4: Dorf
Atmo 5: Patientin spricht zu Katzen
Atmo 6: Katzenschnurren
Sprecher:
Sie ist alleinstehend und wegen ihrer Herzschwäche auf starke Medikamente
angewiesen. Und zum Hausarzt sind es schon ein paar Kilometer. Trotzdem fühlt sie
sich zu Hause sicher. Dank der Telemedizin. Jeden Morgen pünktlich um 8 Uhr misst
sie unter den Augen ihrer fünf Katzen die Vitalwerte.
Cut 10: Patientin
Jetzt lege ich die Manschette an. Und die Manschette muss ja immer so sein, dass
hier das Kabel auf den Arm kommt. Und dann schalte ich an. Aua, jetzt wird der
Blutdruck höher sein. Es ist ja Tag. Und die Geschichte wird dann hier auf dieses
Display übertragen, so. Das war alles.
Sprecher:
In der Wohnküche gleich neben dem Katzenkratzbaum stehen die Geräte auf einem
kleinen Zierdeckchen. Und sie ist auch stolz darauf, dass man ihr das alles hier
anvertraut hat.
Cut 11: Patientin
Ich habe diese Geräte seit anderthalb Jahren, weil ich einen Herzkollaps gehabt
habe. Und da ging es mir eben sehr schlecht. Auch mit einem sehr hohen Puls.
Danach habe ich diese Geräte hier bekommen.
Sprecher:
Bereits im Krankenhaus hat man sie mit der Technik vertraut gemacht. Frau B. war
also klar, worauf sie sich einlässt. Trotzdem: Ist so viel Hightech für einen älteren
Menschen nicht auch eine Zumutung?
5
Cut 12: Patientin
Nein, also ich muss sagen, das geht einem dann wirklich in Fleisch und Blut über und
ich habe von Anfang an keine Probleme gehabt. Keine! Das ist für mich eine
Sicherheit. Ich kann mich kontrollieren und ich werde kontrolliert. Denn zum Arzt geht
man vielleicht doch nicht so schnell. Ja!
Sprecher::
Und sie hat sich auch schon davon überzeugen können, wie hilfreich die Telemedizin
sein kann.
Cut 13: Patientin
Also ich hab das zum Beispiel zu Weihnachten gar nicht gemerkt, dass ich einen so
wahnsinnig hohen Puls schon morgens nach dem Aufstehen habe. Habe ich ja gar
nicht gemerkt. Und dann habe ich gemessen und dann habe ich gedacht: Oh! Jetzt
ist der Apparat kaputt. War aber nicht kaputt. Die Konsequenz war der Anruf vom
Krankenhaus aus. Und ich habe dann sofort auch meinen Hausarzt angerufen und
habe um einen Termin gebeten. Und bin dann zu ihm hin. Und dann wurde die
Dosierung der Medikamente etwas erhöht.
Sprecher:
Diese frühe Intervention hat ihr wahrscheinlich einen längeren
Krankenhausaufenthalt erspart. [Und genau hierin liegt auch der besondere Nutzen
dieses Überwachungssystems.
Cut 14: Oeff
Es werden Krankenhausaufenthalte erspart. Etwa 15 Prozent weniger im Vergleich
zu einer Kontrollgruppe, die eine ähnlich schwere Erkrankung hat, aber nicht
telemedizinisch untersucht werden. Und auch ähnliche Größenordnungen an
Krankenhaustagen wird erspart. Sodass, wenn die Patienten ins Krankenhaus
kommen, sie dann auch früher wieder entlassen werden können8.
Sprecher:
Bei den richtigen Patienten eingesetzt, macht die Telemedizin also auch ökonomisch
Sinn. Doch noch wird mit Modellversuchen geforscht, wie man die Technik optimal
nutzt.] Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in Zukunft nicht nur die Brandenburger
Herzpatienten von der Telemedizin profitieren werden. Bundesweite Systeme sind
denkbar und auch sinnvoll. Professor Stephan Gielen, Kardiologe an der Universität
Halle, beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Herzinsuffizienz
und Sport9.
Atmo 7a: Begrüßung Halle Gielen
Sprecher:
Gezielte körperliche Aktivität verbessert bei Herzschwäche das Leistungsvermögen
und damit die Lebensqualität. Dieses Betreuungskonzept, der Herzsport, ist längst
8
Schmidt, Silke, et al. "Home telemonitoring in patients with chronic heart failure: a chance to improve
patient care?" Deutsches Arzteblatt International 107.8 (2010): 131.
9
https://www.medizin.unihalle.de/index.php?id=2882&tx_ttnews%5Btt_news%5D=102&cHash=07407f9481c8222122e88233b4
790a53
6
bundesweit verfügbar, auch wenn die meisten Patienten wahrscheinlich noch nie
etwas davon gehört haben. Aber: Sport bei Herzschwäche! Klingt das nicht paradox?
Sollten die Patienten da nicht eher den Schongang einlegen?
Cut 15: Gielen
Noch in den Achtzigerjahren hat man in den kardiologischen Lehrbüchern nachlesen
können, dass Patienten mit Herzinsuffizienz sich körperlich schonen sollen. Sie
sollten sich möglichst mehrere Pausen am Tag, in ihrem Tagesablauf gönnen. Und
wenn das alleine nicht ausreicht, durchaus auch zwischendurch hinlegen und
generell in ihrem Leben kürzertreten. Das waren die offiziellen kardiologischen
Empfehlungen in den Achtzigerjahren.
Atmo 7b: Sportgruppe
Sprecher:
Und die waren schlichtweg falsch. Aber das weiß man erst seit Kurzem.
Regelmäßiger Sport ist für diese Patienten weder gefährlich, noch schadet er dem
Herz. Ganz im Gegenteil: Die zusätzliche körperliche Aktivität macht die Folgen der
Herzschwäche, zumindest teilweise, wieder rückgängig. Und wer sich einmal
überwunden hat zu einer solchen Sportgruppe, der macht in der Regel auch positive
Erfahrungen. So wie dieser Berliner Patient beim wöchentlichen Training am
Auguste-Viktoria-Klinikum10.
Cut 16: Sportpatient
Also ich sag ganz ehrlich: Als ich das erste Mal dann hier war und das gesehen
habe, habe ich geschmunzelt und gelächelt. Dachte: na ja! Aber Sie sehen: Ich bin
jetzt das dritte Jahr hier. Also die Übungen, die Übungen, die sie hier zum Teil
machen, die sind also so speziell darauf eingestellt, dass es also was bringt.
Sprecher:
Physiotherapeuten, die solche Gruppen leiten, sind besonders qualifiziert. Bernd
Koppelin weiß also sehr genau, was er seiner Truppe zumuten darf.
Cut 17: Koppelin
Man versucht halt bei so Herzsportgruppen die Ausdauerbelastung möglichst
spielerisch, mit spielerischen Elementen zu machen. Einfach damit die Patienten gar
nicht zu sehr mitbekommen, dass sie sich belasten.
Sprecher:
Er passt auch auf, dass die Kursteilnehmer nicht zu übermütig werden.
Cut 18: Koppelin
Man muss sich überwinden. Aber natürlich nicht so weit in die Belastbarkeit, in die
Belastung reingehen, dass man völlig außer Atem gerät.
10
http://www.vivantes.de/fuer-sie-vor-ort/details/einrichtung/vivantesrehabilitation/seite/herzsport/action/custompage/
7
Sprecher:
Sportliche Aktivitäten sind zwar für die meisten Patienten mit Herzinsuffizienz
sinnvoll, aber eben nicht für alle.
Cut 19: Koppelin
Der Arzt, der stellt halt fest, ob derjenige Gruppensport geeignet ist. Und das ist halt
Voraussetzung, dass derjenige sich hier überhaupt anmelden darf.
Sprecher:
Dass Sport bei Herzinsuffizienz funktioniert, weiß man schon länger. Doch auf der
Suche nach der Erklärung hierfür hat die Medizin nun Überraschendes entdeckt.
Cut 20: Gielen
Die Herzinsuffizienz ist ja keine Erkrankung wie eine Lungenentzündung, bei der ein
einziges Organ betroffen ist und der Rest des Körpers weitgehend intakt. Sondern es
ist eine generalisierte Erkrankung, die alle Organsysteme einbezieht.
Sprecher:
Medizinisch gesehen löst die Herzschwäche im Organismus eine generalisierte
Entzündungsreaktion aus. Ganz so, wie man es von anderen schweren
Erkrankungen, etwa einem Krebsleiden, kennt. Diese Entzündung greift auch die
Muskulatur an. In den Muskelzellen stockt der Stoffwechsel und es kommt zum
Muskelabbau.
Cut 21: Gielen
Warum es im Rahmen der Herzinsuffizienz zu dieser Entzündungsreaktion kommt,
ist bis heute nicht völlig klar. Es gibt unterschiedliche Theorien. Eine Theorie besagt,
dass durch eine Wassereinlagerung in der Darmwand die Darmwand nicht mehr
völlig dicht gegenüber Bakterien ist und diese Bakterien teilweise in die Darmwand
eindringen können und darüber eine sterile Infektionsreaktion auslösen. Das ist diese
sogenannte Darmhypothese. Und es gibt auch die zweite Hypothese: Dass man
sagt, es kommt in der Peripherie, gerade auch im Muskel, durch die verringerte
Pumpleistung des Herzens zu Situationen, wo die Durchblutung nicht den
Sauerstoffbedarf befriedigen kann. Und im Rahmen dieser Situation entwickelt sich
dann durch diese kurzzeitige Durchblutungsstörung dort eine sterile Entzündung.
Das sind die beiden Hypothesen.
Sprecher:
Das Forscherteam um Professor Gielen wollte es nun genau wissen. Mit einer
spektakulären Studie11 ist man dem Zusammenhang zwischen Herzschwäche,
Muskelschwund und sportlicher Aktivität auf den Grund gegangen.
Cut 22: Gielen
Der Ansatz der Studie ist der gewesen, dass wir gesagt haben, wir nehmen
Patienten mit Herzinsuffizienz und gesunde Kontrollprobanden. Entnehmen bei
denen unter örtlicher Betäubung Muskelproben und führen dann bei beiden Gruppen
11
Gielen, Stephan, et al. "Exercise Training Attenuates MuRF-1 Expression in the Skeletal Muscle of
Patients With Chronic Heart Failure Independent of Age The Randomized Leipzig Exercise
Intervention in Chronic Heart Failure and Aging Catabolism Study." Circulation 125.22 (2012): 27162727.
8
ein Trainingsprogramm über vier Wochen durch. Und schauen, inwieweit durch
Training sich dieses Ungleichgewicht von Skelettmuskelabbau und Aufbau wieder
normalisiert.
Sprecher:
Eine Muskelzelle im Abbau enthält vermehrt die hierfür typischen Proteine. Man kann
also unter dem Mikroskop erkennen, ob sportliche Aktivität den krankhaften
Abbauprozess in den Muskelzellen stoppt.
Cut 23: Gielen
Nach vier Wochen Training, was eine erstaunlich kurze Zeit ist, ist der Spiegel in den
Zellen praktisch wieder auf ein normales Niveau abgesunken. Vergleichbar den
Gesunden. Und dadurch kann man schon postulieren, dass das über längere Zeit
dazu führt, dass der Muskelabbau gestoppt wird und gegebenenfalls der Muskel
auch wieder an Masse zunimmt.
Atmo 7: Sportgruppe
Sprecher:
Mit diesem Nachweis hat das Forscherteam um Professor Gielen Pionierarbeit
geleistet. Sport als Therapie.
Cut 24: Gielen
Selbst wenn sie ihre Tabletten perfekt einnehmen, haben sie maximal 10 Prozent
Zuwachs an Leistungsfähigkeit. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was sie durch
Trainingsprogramme erreichen. Das heißt, die Medikamente sind wichtig, um die
Lebenserwartung zu verlängern.
Sprecher:
Und der Herzsport hilft, die verlorene Lebensfreude zurückzugewinnen. Noch fehlen
bislang wirklich überzeugende Konzepte, um den Patienten diese Erkenntnisse
nahezubringen. Die Berliner Kardiologin Frau Dr. Wulff versucht in der täglichen
Beratungspraxis ihr Bestes, scheitert dabei aber immer wieder am
Motivationsproblem.
Cut 25: Wulff
Ich würde jetzt mal so denken: Mittlerweile bin ich ganz geschult da drin, aus meinen
eigenen Erfahrungen, und würde sagen, ich kann vielleicht 20 bis 30 Prozent
überzeugen.
Sprecher:
Allzu gerne wird den Patienten dann Bequemlichkeit unterstellt. Aber, das ist ein
Vorurteil! Denn die Herzschwäche ist eben eine sehr komplexe Erkrankung, die auch
das Seelenleben beeinflusst. Etwa jeder fünfte Patient mit Herzinsuffizienz leidet an
einer schweren Depression12. Da steht einem der Sinn nicht unbedingt nach Sport.
12
Rutledge T, Reis VA, Linke SE, Greenberg BH, Mills PJ. Depression in heart failure a meta-analytic
review of prevalence, intervention effects, and associations with clinical outcomes. J Am Coll Cardiol.
2006;48:1527–1537.
9
Atmo 8: Krankenhaus
Sprecher:
Meist offenbaren die Patienten ihre Sorgen auch erst, wenn man gezielt nachfragt.
Und diese heiklen Fragen werden zu selten gestellt. Hier, an der Spezialabteilung für
Herzinsuffizienz der Universität Heidelberg, schenkt man dem Problem dagegen
besondere Beachtung13. Hier gehören deshalb auch Psychologen mit zum Team.
Oberarzt Dr. Philip Raake leitet die Abteilung. Er führt uns zu einem Patienten, der
gerade eine solche depressive Krise hinter sich gebracht hat.
Cut 26: Raake
Ein junger Mann, Anfang 40. Lange schwere Krankheit. Jetzt von uns wieder
sozusagen stabilisiert. Und wartet jetzt auf unserer Station auf eine
Herztransplantation. Auf dieser Hochdringlichkeitsliste. Und wird hier bei uns
sicherlich noch einige Zeit verbringen. Und dann muss man es dem Patienten
natürlich so angenehm wie möglich machen.
weiter Atmo 8 Krankenhaus
Cut 27: Patient Heidelberg
Also ich hab dann den Druck auf der Brust gar nicht als Herzinfarkt gedeutet. Ich bin
nachts um zwei wach geworden und habe morgens erst um sechs den Notarzt
gerufen. Es war natürlich total falsch. Dann war dann die Herzleistung schon bei 20
Prozent.
Sprecher:
Und nun ist er als Schwerkranker ans Bett gebunden. Verkabelt, an zahlreiche
Medikamentenpumpen angeschlossen, die sein zu schwaches Herz stabilisieren.
Trotzdem, mitten in dem Getöse von Technik und Überwachungsgeräten, macht er
täglich seine Übungen.
Cut 28: Patient
Man ist halt geschwächt und man kann keine große Strecke mehr gehen.
Treppensteigen ist auch schon fast ein Unding. Bekommt man halt Luftnot. Man wird
dann auch irgendwie schwach. Merkt es auch in den Beinen, dass die immer
schwerer werden, weil die Muskulatur ja dann auch nicht mehr so da ist, weil man
sich dann eben doch nicht mehr so belastet.
Sprecher:
In einer solchen Situation nicht den Mut zu verlieren, diese Herausforderung schaffen
die wenigsten.
Cut 29: Patient
Weil, ich hab ja auch zwischendrin so einen kleinen Nervenzusammenbruch gehabt.
Die ganze Situation hier, das hat mich total fertiggemacht. Jetzt im Moment ist das
auch soweit okay.
13
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/medizinische_klinik/Abteilung_3/images/HI-WachStation/120229MED_3_FL_DM_AHFU_ID20035.pdf
10
Sprecher:
Intensive Gespräche und Medikamente haben ihn aus dieser Krise geholt. Doch viele
andere Patienten, die aufgrund ihrer Herzschwäche in einer ähnlichen Situation sind,
trauen sich einfach nicht, ihren behandelnden Arzt um Hilfe zu bitten.
Cut 30: Patient
Ich weiß nicht, ob das jeder braucht also. Aber ich kann es eigentlich nur jedem
raten, wenn man in der Situation ist. Man kommt teilweise einfach nicht mehr, bis
zum gewissen Punkt nicht mehr allein klar damit. Und wo ich dann das Gespräch mit
denen hatte. Da war das dann doch die Perspektive nach oben eigentlich doch
wieder groß. Also, dass man da wieder ein bisschen aus dem Loch gezogen wird.
Sprecher:
Schließlich gibt es auch Hoffnung für ihn: die geplante Herztransplantation. Seit 1967
ist diese ultimative Therapie der schwersten Herzinsuffizienz möglich.
Komplikationen wie etwa die Abstoßungsreaktion hat man mittlerweile sehr gut im
Griff.
Atmo 9: Herzchirurg Barnard im TV14
Sprecher:
1967 berichtet der südafrikanische Herzchirurg Christiaan Barnard im Fernsehen
über die erste geglückte Herztransplantation. Was als medizinisches Experiment
begonnen hat, ist mittlerweile fast zum Routineeingriff geworden. Doch geht der
Wunsch nach einem neuen, gesünderen Herz für die meisten Betroffenen nicht in
Erfüllung. Der Hallenser Kardiologe Stephan Gielen:
Cut 31: Gielen
Das Problem, was sich aber jetzt in den letzten Jahren zunehmend verschärft, ist
diese wahnsinnige Diskrepanz zwischen der Zahl der Patienten, die behandelt
werden müssen – das sind in Deutschland fast zwei Millionen – und der Zahl der
Spenderherzen, die pro Jahr zur Verfügung stehen. Das sind im Moment knapp 300.
Das heißt, hier wird schon völlig deutlich, dass das keine Therapieoption für die
Breite der Betroffenen ist, sondern nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Sprecher:
Gesucht wird also eine Alternative zur Herztransplantation, die nicht nur wenigen,
sondern allen Betroffenen zur Verfügung steht. Und eine solche Alternative gibt es
tatsächlich: das Kunstherz. Diese sogenannten Asisst-Systeme haben mittlerweile
ihre technischen Kinderkrankheiten hinter sich gelassen. Aus sperrigen Apparaten,
die ein ganzes Krankenzimmer füllen, sind Minipumpen geworden. Man pflanzt sie
einfach in den Brustkorb ein. Dort unterstützen sie das schwache Herz und
normalisieren seine Pumpleistung.
14
Quelle: YouTube
11
Cut 32 a: Patient Kunstherz15
Ich hab davon noch nie was gehört. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas
überhaupt gibt. Dass man maschinelle Teile in Menschen reinbauen kann, die einem
helfen zum Weiterleben.
Sprecher:
… berichtet ein Patient, bei dem wegen einer Herzmuskelentzündung schnell
gehandelt werden musste. Da war keine Zeit mehr, um auf ein Spenderherz zu
warten.
weiter Cut 32b: Patient Kunstherz
Man hat mir das ausführlich erklärt. Ich hab mir das angeguckt. Angehört. Und
normalerweise werden solche Patienten lange darauf vorbereitet, auf so einen
Eingriff. Aber ich hatte keine andere Wahl, ich musste das quasi über Nacht machen
lassen, damit mein Herz wieder normal weitermachen kann.
Sprecher:
Wer ihm gegenübersitzt, ahnt nicht, dass in seiner Brust ein mechanisches
Herzunterstützungssystem arbeitet.
Cut 33: Patient Kunstherz
Ich habe im Brustkorb eine Pumpe sitzen, die an das Herz angeklemmt ist und die
dann die Arbeit des Herzmuskels hauptsächlich übernimmt. Und da das ganze
System ja auf einer elektrischen Basis ist, habe ich hier links und rechts zwei Akkus,
die die ganze Sache mit Strom versorgen. Halten ca. 18 Stunden. Das ist das ganze
System.
Sprecher:
Die Akkus für die Herzpumpe stecken in einem Gürtel, den er um die Hüfte trägt. Das
ist das Einzige, was ihn im täglichen Leben an sein künstliches Herz erinnert.
Cut 34: Patient Kunstherz
Ich mache momentan keine schweren Arbeiten. Also ich hebe hier keine 50 Kilo
hoch. Das kriege ich sowieso nicht hin. Aber den normalen Tagesablauf kann man
voll bewältigen. Ich mähe meinen Rasen. Ich schneide meine Hecke, ich wasche ab,
ich sauge Staub. Ich gehe mit dem Hund spazieren. Das sind alltägliche Sachen.
Aber auch die muss man irgendwie auf die Reihe bekommen.
Sprecher:
Mit den Miniherzpumpen hat ganz offensichtlich eine neue Ära in der Behandlung der
schweren Herzinsuffizienz begonnen. Professor Gielen von der Universität Halle:
Cut 35: Gielen
Die mechanischen Unterstützungssysteme haben eine große technische Entwicklung
jetzt hinter sich und erreichen momentan fast schon die Überlebensraten der
Transplantation. Sodass eigentlich zu erwarten ist, dass sie in den nächsten 5 bis 10
Jahren die Transplantation zum Teil auch verdrängen werden. Also immer häufiger
15
Cuts aus VIDEO: Das schwache Herz, Deutsche Herzstiftung, mit Genehmigung durch Pressestelle
Herrn Wichert
12
setzen wir auch hier in Halle Assist-Systeme für den linken Teil des Herzens ein, mit
der Zielsetzung den Patienten damit dauerhaft zu stabilisieren.
Sprecher:
Doch wer weiß, vielleicht werden eines Tages sowohl Herztransplantationen als auch
Minipumpen überflüssig. An der Universität Heidelberg tüftelt man gerade an einer
Therapie, die den Herzmuskelzellen einfach wieder ihre verlorene Kraft zurückgibt.
Denn im Gegensatz zur normalen Muskulatur kann sich der angeschlagene
Herzmuskel nicht von selbst regenerieren. Dazu müsste man die defekten
Stoffwechselvorgänge in der Herzmuskelzelle reparieren. Und das könnte tatsächlich
funktionieren. Oberarzt Dr. Raake nimmt uns mit in das kardiologische
Forschungslabor an der Universität Heidelberg:
Atmo 1016Labor
Cut 36: Raake
Also wir sind jetzt hier in unserem Labortrakt. Hier findet letztendlich die
Herzforschung statt. Wir untersuchen unter anderem die molekularen Ursachen der
Herzinsuffizienz. Auf der anderen Seite versuchen wir hier, molekulare Therapien,
wie zum Beispiel Gentherapie, weiterzuentwickeln.
Sprecher:
Bunt leuchtende Schälchen liegen vor der Biologin im Labor der Heidelberger
Kardiologie. Aber hier werden keine neuen Farbstoffe entwickelt.
Cut 37: Biologin Universität Heidelberg
Das wäre zum Beispiel ein Gentherapieversuch. Da prüfe ich jetzt nach, ob die
Gentherapie funktioniert hat. Ob das, was wir eingebracht haben, auch tatsächlich
dort angekommen ist.
Sprecher:
Der leuchtende Farbstoff macht hier die Moleküle sichtbar, die für die
Herzinsuffizienz verantwortlich sind. Dr. Raake und seine Kollegen an der Uni
Heidelberg versuchen jetzt die genetische Information der Zellen so zu verändern,
dass der Stoffwechsel in den angeschlagenen Herzmuskelzellen wieder ins Lot
kommt17.
Cut 38: Raake
Die Gentherapie ist letztlich eine Möglichkeit, mit einem Virus, den wir künstlich
herstellen, DNA direkt in diese Herzmuskelzelle einzubringen. Also ich kann wirklich
wie ein kleiner molekularer Chirurg in die Zelle direkt eingreifen und dort in der Zelle
wirklich kausale Signalwege angreifen, die zur Herzinsuffizienz führen.
Sprecher:
Für diese Therapie benutzt man an der Uni Heidelberg künstliche Viren.
16
Quelle freesound.org
Raake, Philip W., et al. "Cardiac G-Protein–Coupled Receptor Kinase 2 Ablation Induces a Novel
Ca2+ Handling Phenotype Resistant to Adverse Alterations and Remodeling After Myocardial
Infarction." Circulation 125.17 (2012): 2108-2118.
17
13
Cut 39: Raake
Das sind Viren, die umgebaut sind, dass sie nicht mehr krankheitsmachend sind. Die
Oberfläche dieser Viren sind so von uns verändert, dass sie gezielt in
Herzmuskelzellen reingehen. Also die spezialisieren sich sozusagen auf die
Herzmuskelzellen.
Sprecher:
Erste Experimente am Tier haben gezeigt, dass dieser Therapieansatz tatsächlich
funktionieren könnte. Doch wie immer, wenn die Medizin fantastische neue Wege
beschreitet, ist viel Geduld gefragt und auch Skepsis. In der Zwischenzeit gibt es
aber auch so schon viele Möglichkeiten, die Situation von Menschen mit
Herzschwäche zu verbessern. Besonders gefragt ist hier die Eigeninitiative. Die
bewirkt wahre Wunder.
Atmo 11: Herzsport
Cut 40: Patientin Herzsport
Für mich ist es das wichtigste halt, dass ich Sport mache. Fahre viel Rad Mache
möglichst viel Bewegung halt. Und das hilft mir.
*****
14