SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 13.01.1809: Das Judentum in Baden wird anerkannte Religion Von Theo Wurm Sendung: 13.01.2017 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Alle aufgeklärt und liberal gesonnenen Bürger, vor allem aber die 14.000 Juden im damaligen Baden hielten für einen ganz großen Durchbruch, was der Großherzog am 13. Januar 1809 unterzeichnete und in Kraft setzte: "Wir Carl Friedrich... haben durch unser sechstes Konstitutionsedikt die Juden unseres Staates den Christen in den Staatsbürgerlichen Verhältnissen gleichgesetzt" - so die Präambel zum ersten Gesetz in Deutschland, das die seitherigen Regelungen für die Duldung der Juden ablöst und ihnen dauerhafte Rechts zusichert. Aufgehoben sind damit jene "Schutzbriefe", die bisher den Aufenthalt regelten, aber innerhalb eines Vierteljahres gekündigt werden konnten. Das Gesetz verlangt den Aufbau der "jüdischen Kirche" und zwingt die Schulen, jüdische Kinder aufzunehmen, die dann nach Ableistung ihrer Schulpflicht einen bürgerlichen Beruf erlernen sollten. Nicht nur "durften", sondern "sollten" sie werden, was ihnen seit dem Mittelalter verweigert worden war: Landwirte, Handwerker, Kaufleute. Dafür stehen ihnen jetzt die Zünfte offen. Und den Zunftmeistern wird bei Strafe verboten, dagegen Hindernisse aufzurichten. Damit verwirklicht Baden, was die Vorkämpfer der Judenemanzipation seit Jahrzehnten gefordert haben. Jetzt, da dieses Baden Dank Napoleon von der kleinen Grafschaft zum Großherzogtum zwischen Bodensee und Main aufgestiegen ist, jetzt gehört das "Konstitutionsedikt der Juden" zur Verfassung des neuen Staates, der sich dem Geist der Aufklärung und dem Erbe der französischen Revolution verpflichtet fühlt. Vorausgegangen war eine umfangreiche staatspolitische Diskusion. Großen Einfluss hatte der preußische Kriegsrat Christian Wilhelm Dohm. Seiner Argumentation folgten viele: "Ich kann es zugeben", schrieb er, "dass die Juden sittlich verdorbener sein mögen als andere Nationen; dass sie sich einer verhältnismäßig größeren Zahl von Vergehen schuldig machen als Christen; dass ihr Charakter im Ganzen mehr zu Wucher und Hintergehung im Handel gestimmt, ihr Religionsvorurteil trennender und ungeselliger sei; aber ich muss hinzusetzen, dass diese größere Verdorbenheit der Juden eine notwendige und natürliche Folge der drückenden Verfassung ist, in der sie sich seit vielen Jahrhunderten befinden". Diesem Projekt der "Erziehung durch Integration" hatten sich auch die badischen Verfassungsväter verschrieben. Das wichtigste Gutachten trägt den Titel "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden". Ganz ungeniert spricht man im Hofrat davon, dass es um die "Nutzbarmachung der Juden im Land", um ihre "Verbesserung und Unschädlichmachung", um die "Abwehr einer Landplage" gehe. In der Praxis lässt sich das Konstitutionsedikt der Juden nur gegen schwere Widerstände in der Bevölkerung und oft nur bruchstückhaft durchsetzen. Der neue badische Landtag bremst zeitgemäß und volksnah. 1819 kommt es zu schweren Ausschreitungen gegen Juden in Baden. 1822 stellt ein Abgeordneter fest, das Konstitutionsedikt könne keine uneingeschränkte Geltung haben. Niemand widersprach ihm. Überall wird Angst vor den Juden geschürt. Seinen Gemeinden wolle er lieber die Cholera als die Judenemanzipation beibringen, gab ein katholischer Geistlicher zu Protokoll. Die Revolution von 1848 bringt zunächst weitere Rückschläge. Danach erst setzt sich die Judenemanzipation im Gefolge der neuen bürgerlich-liberalen Gesellschaft durch. Die vollständige Gleichstellung und Assimilation der Juden kann allerdings auch in Baden nicht den Antisemitismus aufhalten, der am Ende den Holocaust hervorbringt. 2
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