SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 15.12.1675: In Delft wird der Maler Jan Vermeer beigesetzt Von Von Paul Assall Sendung: 15.12.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Ob ein Katafalk den Sarg während des Gottesdienstes bedeckte, in seine Grabplatte ein Wappen eingraviert wurde, die Zeremonie würdig und die Beerdigungsfeier großzügig war, man Bier mit Weißbrot oder Reisbrei anbot, wie es in Hollands Goldenem Zeitalter üblich war, wissen wir nicht. So wie nur wenige Daten seines Lebens gesichert sind, so ist auch über seine Beerdigung nur wenig überliefert. Fest steht, dass Johannes Vermeer, der Maler des Lichts, nur wenige Tage nach seinem Tod, am 15. Dezember 1675 in der Oude Kerk seiner Geburts- und Heimatstadt Delft begraben wurde. Eine Steinplatte im Kirchenfußboden, die uns heute auf sein Grab hinweist, wurde freilich erst 1975 dort angebracht, so dass der genaue Ort seines Grabes ungewiss ist. Es kann keine prunkvolle Beerdigung gewesen sein. Denn Vermeer war nahezu völlig verarmt, als er starb. „Jan Vermeer, Kunstmaler am Oude Langendijk, in der Kirche, acht minderjährige Kinder“, so lakonisch wird im Kirchenbuch der Ort seines Begräbnisses vermerkt. Woran Vermeer gestorben ist, wird ebenfalls ein Rätsel bleiben. 43 Jahre alt war er, als er starb, und hatte doch schon eine erfolgreiche Karriere als Maler hinter sich. Um die 60 Bilder, schätzt man, hat er in seinem kurzen Leben gemalt, in seinen Lieblingsfarben Blau, Gelb und Rot: „Die Dienstmagd mit Milchkrug“, „Die Briefleserin“, „Die Malkunst“ die „Ansicht von Delft“, „Die Spitzenklöpplerin“ oder „Das Mädchen mit der Perle“. Vermeer war unter Delfts Patriziern als Maler hochgeschätzt und als Bürger geachtet gewesen. Zweimal war er Vorsteher der Malerzunft, der Lukasgilde, und er hatte in der Delfter Bürgerwehr gedient. Als Sohn calvinistischer Eltern hatte er zwar eine Katholikin geheiratet, deren Mutter war aber eine vermögende, respektierte Bürgerin der Stadt. Sein sozialer Aufstieg ist auch aktenkundig. In Delfts Gemeindearchiv findet sich ein Dokument, in dem er mit einem großen „S“ und einen hochgestellten kleinen „r“ als „Signior oder Seigneur Johannes Reinerz. Vermeer“ angesprochen wird. Seine Bilder, die Höchstpreise erzielten, entsprachen dem Luxusgeschmack der Delfter Kaufmannselite. Es war der „Traum vom Wohlstand“, der „Traum von der Perle“, den Vermeer malte. Den Traum des holländischen Goldenen Zeitalters, des ökonomischen Erfolgs und des gesteigerten Lebensstils. Und dabei revolutionierte Vermeer zugleich die Malerei, indem er selbstreflexiv in seinen Bildern über die Malerei nachdachte. Ein raffiniertes Spiel der Mehrdeutigkeit, von Gesten und Blicken; Vexierspiele von Nah und Fern, von Einbeziehen und Ausschließen, Zeigen und Nichtzeigen, Verhüllen und Enthüllen. Eine Kunst, die über die Kunst reflektierte und - im gerade beginnenden Zeitalter der Optik – sehen wollte, was malen ist. Der „Traum von der Perle“ platzte jedoch, als die ökonomische Situation Hollands sich verdüsterte. Die Kaufleute hatten sich in Rentiers verwandelt, die Bourgeoisie, auch Delfts Patrizier zu Aristokraten. „Die Regierenden seien keine Kaufleute mehr“, beklagte sich ein zeitgenössischer Historiker, „sie gehen auf den Weltmeeren keine Wagnisse mehr ein, sondern beziehen ihre Einkommen aus Häusern, Ländereien und Rentenbriefen und überlassen das Meer anderen“. Der Bildergeschmack wandte sich dem eleganten Interieur ab und konservativem höfischen Dekor zu. Für Vermeer war das ein Debakel, zumal auch sein Hauptmäzen, der Delfter Patrizier Jan van Ruijven gestorben war. Vermeer konnte kaum noch ein Bild verkaufen, auch keines mehr aus seinem nebenbei betriebenem Kunsthandel. Über Nacht soll er gestorben sein - in „Verfall und Dekadenz“, wie seine Frau später zu den Akten gab 2 Vermeer war am Ende, er war bankrott. Der herrschaftliche Lebensstil seiner Familie mit den vielen Kindern ging nunmehr über seine finanzielle Kraft. Seine Kunst, seine Bilder haben ihn letztlich umgebracht. 3
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