Bericht - thaihom.ch

Thailands Ruf ist miserabel, was die Einhaltung der Menschenrechte betrifft. Menschen
verschwinden spurlos und Verbrechen bleiben allzu häufig ungeklärt. Meistens sind dabei politische und geschäftliche Interessen im Spiel. Das UN Office of the High Commissioner for Human Rights spricht in einem Report vom Dezember 2014 von mindestens 30
Personen, die seit 2001 spurlos verschwunden sind. Andere Untersuchungen bestätigen
diesen alarmierenden Befund. Seit Mitte der neunziger Jahre hat die Asian Federation
Against Involutary Disappearances, eine Agentur, die das Schicksal von Verschwundenen
verfolgt, 81 ungeklärte Fälle von Verschwundenen und Ermordeten in Thailand dokumentiert. Die meisten von ihnen setzten sich für die Land- und Bleiberechte von Dorfbewohnern ein oder waren im Umweltschutz engagiert. Eine lange Blutspur von politisch
und wirtschaftlich motivierten Gewalttaten durchzieht die Geschichte Thailands seit der
Revolution im Jahre 1932. Auch in Laos und Kambodscha sind Fälle von Aktivisten bekannt, die umgebracht wurden oder nicht mehr auftauchten. Der thailändische Aussenminister Tanasak Patimapragorn wird anlässlich der Generalversammlung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen vom 2. bis 27. März 2015 in Genf keinen leichten
Stand haben, wenn er zur Einhaltung der Menschenrechte in seinem Land wird Stellung
nehmen müssen.
Eine lange Reihe von unaufgeklärten Gewalttaten
Die Reihe von politisch oder geschäftlich motivierten Gewalttaten und ungeklärten Morden in
Thailand ist lang. Wir greifen einige typische Fälle heraus:
Im Juni 1991 verschwindet der Arbeiterführer Thanong Pho-Arn, nachdem er einen Anführer
des damaligen Militärputsches kritisiert hat und kurz bevor er in Genf bei der International
Labor Organisation (ILO) hätte auftreten sollen.
Im Februar 2003 lanciert der damalige Premierminister Thaksin Shinawatra einen "Drogenkrieg". Dabei kommen 2559 Menschen ums Leben. Zahlreiche der damals begangenen Verbrechen, die vor allem den Polizeikräften angelastet werden, bleiben unaufgeklärt und ungesühnt.
Dies bestätigt auch der Bericht einer nationalen Untersuchungskommission vom Jahr 2010:
Von den rund 2500 Toten starben 1200 nicht durch Einwirkung des Drogenhandels selbst, sondern wegen „aussergerichtlicher Tötung“ durch die Polizei, die im Auftrag des Innenministeriums handelte. Keiner der damaligen Verantwortungsträger wurde gerichtlich belangt.
Im 12. März 2004 zerren fünf Polizisten Somchai Neelaphaijit aus seinem Auto. Er taucht nicht
mehr auf. Der Anwalt war auf Menschenrechtsfälle spezialisiert und stand politisch Verfolgten
bei. Zahlreiche seiner Klienten waren Muslime. Fünf Polizeioffiziere wurden im Zusammenhang mit Somchais Verschwinden verhaftet. Ein Gericht sprach vier von ihnen frei, während
ein fünfter wegen Nötigung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Charoen Wat-aksorn, Umweltaktivist, protestiert gegen zwei geplante Kohlekraftwerke in
Prachuap Khiri Khan, gegen die illegale Aneignung von Gemeindeland und gegen ökologisch
problematische Garnelenfarmen in seiner Provinz. Er wird am 21. Juni 2004 erschossen. Im
Zusammenhang mit seinem Tod werden fünf Verdächtige verhaftet, unter ihnen zwei Auftragsmörder, die sich für schuldig bekennen. Sie sterben noch vor dem Prozess im Gefängnis auf
mysteriöse Weise. Einer der anderen Verhafteten wird wegen Anstiftung zum Mord zum Tod
verurteilt, im Jahre 2013 aber von einem Appellationsgericht freigesprochen, weil eine Anstiftung zum Mord wegen der fehlenden Zeugenaussage der beiden toten Auftragsmörder nicht
zweifelsfrei nachgewiesen werden könne. Nach Ansicht der asiatischen Menschenrechtskommission handelt es sich bei diesem Urteil um ein "gravierendes Versagen der Justiz".
Am 25. Oktober 2004 demonstrieren in Tak Bai (Provinz Narathiwat) rund 2000 Muslime für
die sofortige Freilassung von sechs Einheimischen, die sich den Behörden als freiwillige Helfer
zur Verfügung gestellt haben. Ihnen werfen die Ordnungshüter Waffendiebstahl vor. Es kommt
zu einer brutalen Überreaktion von Polizei und Militär im Einsatz gegen die mit Stöcken, Steinen, Flaschen und einzelnen Schusswaffen ausgestatteten Demonstranten. Die Sicherheitskräfte verhaften über 1300 Personen und fesseln ihre Hände auf dem Rücken. 78 Menschen
kommen um. Die meisten von ihnen ersticken nach ihrer Verhaftung wegen Sauerstoffmangel
auf Militärlastwagen, auf denen sie in ein Militärlager gefahren werden. Die Verhafteten müssen auf den Fahrzeugen stundenlang auf ihre Einvernahme warten, eng zusammengepfercht
und übereinander geschichtet, ohne jegliche Verpflegung. Einige der Verletzten haben Schusswunden. Tote und Verletzte weisen Blutergüsse, Quetschungen und Platzwunden auf, die auf
einen übermässigen Gewalteinsatz des Militärs hindeuten. Mehrere der Toten werden durch
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Kopfschüsse regelrecht hingerichtet. Überlebende berichten, wie die Soldaten mit ihren Gewehrkolben und Stiefeln auf wehrlose, gefesselte Demonstranten einschlagen. Das folgenschwere Ereignis wird nicht aufgearbeitet.
Phra Supoj Suwajano, ein buddhistischer Mönch, protestiert gegen illegalen Holzschlag und
gesetzeswidrig errichtete Orangenplantagen in der Provinz Chiang Mai. Er wird am 17. oder
18. Juni 2005 zu Tode geprügelt. Das Verbrechen wird nie aufgeklärt, obwohl die Mörder vermutlich pornografisches Material auf seinem Computer hinterlassen haben, um ihn zu diskreditieren. Phra Supoj war ein Schüler des weit über Thailand hinaus berühmten Mönchs Buddhadhasa Bikkhu.
Thaskamol Ob-om, ein Kandidat der Phüa Thai Partei, der sich für die Sache der Volksgruppe
der Karen einsetzt, wird am 10. September 2011 ermordet. Die Ermittlungen über die Täter und
ihre Hintergründe bleiben stecken.
Am 25. Februar 2013 wird der Dorfvorsteher und Umweltaktivist Prajob Naowa-opas bei einer
Autogarage erschossen. Er war der Anführer einer Gruppe von Dorfbewohnern, die gegen die
illegale Entsorgung von giftigen Industrieabfällen protestierte. Ein Provinzgericht in
Chachoengsao fällt im Dezember 2014 ein Todesurteil gegen einen Mitarbeiter des offiziellen
Büros für Wassermanagement und Besitzer einer Firma für die Abfallentsorgung; dieses Unternehmen soll im Jahre 2007 giftige Abfälle auf dem Gemeindegebiet des ermordeten Dorfvorstehers deponiert haben. Gemäss dem Urteil des Gerichts hat der Verurteilte den Mord ausgeheckt; zwei Auftragsmörder erhalten eine lebenslängliche Strafe.
Am 17. April 2014 wird Pholachi "Billy" Rakchongcharoen von Sicherheitsbeamten eines Nationalparks unter fadenscheinigen Gründen (Besitz von Wildhonig) festgenommen und abtransportiert. Er taucht nie mehr auf. Mitarbeiter des Nationalparks behaupteten später vor Gericht,
"Billy" sei wieder auf freien Fuss gesetzt worden. Der Aktivist der Volksgruppe der Karen war
auf dem Weg zu Dorfbewohnern, um sie bei der Klage gegen Beamte zu unterstützen, die 2011
die Demolierung der Häuser von zwanzig Karen-Familien im Kaeng-Krachan-Nationalpark angeordnet hatten.
Pitan Thongpanang wird am 30. November 2014 in der Provinz Nakhon Sri Thammarat ermordet; er hatte sich in Aktivitäten der Bergbau-Industrie eingemischt und trat als Hauptkläger im
Prozess gegen eine Minengesellschaft auf.
Sumsuk Kokrang wird am 3. Dezember 2014 in der Provinz Krabi umgebracht; er verlangte
Untersuchungen über die Legalität von Palmölplantagen.
Chai Bungthonglek kämpft in Surat Thani gegen den Missbrauch von Landrechten. Er bezahlt
seinen Einsatz am 11. Februar 2015 mit dem Leben. Der Ermordete war der Anführer von
Dörflern, die einen Disput um Landtitel mit den Investoren einer grossen Palmölplantage austrugen. Seit 2010 kamen drei weitere Dorfbewohner gewaltsam ums Leben. In keinem der Fälle
kam es zu Festnahmen oder Anklagen.
Alle diese Fälle sind relativ gut dokumentiert. Trotzdem ist die Aufklärungsquote sehr gering,
eigentlich gleich null, wenn mögliche Täter mit einem Freispruch rechnen können oder sofern
sie nicht ihrerseits umgebracht werden, um die Hintergründe zu verschleiern.
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Ein weit verzweigtes kriminelles Netzwerk fliegt auf
Das ist nur ein Ausschnitt aus einer langen Liste von ungeklärten Morden an politischen Aktivisten. Soweit bekannt konnte in den letzten Jahren kein Fall von spurlos Verschwundenen
aufgeklärt werden. Eine Kommission der Vereinten Nationen zeigte sich in einem Bericht des
Jahres 2014 über die de-facto-Straflosigkeit von Folter in Thailand "tief besorgt". Oft bleiben
die Ermittlungen der Polizei stecken, nachdem sich hochrangige Politiker in das Verfahren eingemischt hatten, so bei der Ermordung von Akeyuth Anchanbutr: Der unzimperliche Kritiker
der Regierung und Geschäftsmann, der auch in Pyramidengeschäfte verwickelt war, hatte sich
viele Feinde geschaffen: Kurz nachdem seine Leiche gefunden worden war und noch vor dem
Abschluss der polizeilichen Ermittlungen, die im Übrigen viele Fragezeichen offen liessen, verkündete Chalerm Yubamrung, damals stellvertretender Premierminister, bei diesem Verbrechen sei es bloss um einen Gelddiebstahl gegangen. Tatsächlich wurde der Fahrer von Akeyuth
kurz nach der Tat verhaftet und des Mordes und Diebstahls angeklagt. Die Familie des Ermordeten liess über ihren Rechtsanwalt ausrichten, dass sie den Untersuchungen der Polizei misstrauten. Ein Vorbehalt ist durchaus gerechtfertigt, ist doch der gesamte Polizeiapparat vom Virus der Korruption durchseucht und am Gängelband von Politikern. Eine besonders grosse Eiterbeule im Polizeiapparat wurde im November 2014 aufgestochen, als ein weit verzweigtes
kriminelles Netzwerk aus polizeilichen Ermittlern und Privatpersonen aufflog. Anständige und
dem Gesetz verpflichtete Beamte haben kaum eine Chance, in führende Positionen zu gelangen.
Wenn es um die Verfolgung und Verurteilung von Straftätern geht, praktiziert Thailand ein
Zwei-Klassen-System. Junge Menschen aus Familien "mit Beziehungen", die sich schwerwiegendes Fehlverhalten haben zuschulden kommen lassen, kommen allzu oft einer Verurteilung
zuvor. So verursachte 2010 ein 16jähriges Mädchen aus gutem Haus einen Verkehrsunfall, der
neun Menschen das Leben kostete. Die junge Frau sass am Steuer eines Wagens und raste mit
überhöhter Geschwindigkeit über eine städtische Autobahn. Sie wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Solche Beispiele zeigen, dass sich Mitglieder aus vermögenden Familien Top-Anwälte leisten können, die über ein Beziehungsnetz zu Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Gerichten verfügen.
Wo steht die Militärregierung?
Es kommt im ganzen Land immer wieder zu Konflikten zwischen Dorfbewohnern, landlosen
Bauern und Naturschützern einerseits und Plantagenbetreibern, Bergbauunternehmen, Polizeiund Militärkräften andererseits. Die Militärregierung unter Phrayut Chan-ocha versucht die
Gegensätze zu glätten, indem sie einerseits Waldbewohner vertreibt und andererseits landlosen
Bauern ein Grundstück zur Bewirtschaftung anbietet. Die Vertreibung von Dörflern, die in Nationalpärken und Schutzgebieten siedeln, ist ein langes Kapitel über die Missachtung grundlegender Rechte. Manche Bewohner lebten schon hier, bevor das betreffende Gebiet unter Schutz
gestellt wurde. Andere bauten hier, unbehelligt von Polizei und Beamten während Jahrzehnten,
landwirtschaftliche Produkte an. Die Vertreibung dieser Menschen geschieht oft mehr zufällig
und nicht nach einheitlichen rechtlichen Standards. Kompensationen entsprechen nicht den
Versprechungen. Umgekehrt wurde das illegale Anlegen von ökologisch problematischen Eukalyptus- und Gummiplantagen, der Bau von touristisch genutzten Resorts in geschützten
Waldgebieten und das Anlegen von überdimensionalen Tempelanlagen ohne rechtliche Grundlagen lange Zeit toleriert oder gar gefördert, wohl weil deren Promotoren und Besitzer Polizei
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und Beamte geschmiert hatten. Ob die Bemühungen der Militärregierung nach einem jahrzehntelangen Hüst und Hott mehr Gerechtigkeit schaffen werden, muss bezweifelt werden.
Dass der Kampf der Bürger nicht in jedem Fall aussichtslos ist, aber lange dauert, beweist ein
Urteil des obersten Verwaltungsgerichts gegen die Electricity Generating Authority of Thailand
(EGAT) von Ende Februar 2015: Nach zwölfjährigem Kampf sollen die Kläger aus der Provinz
Lampang 25 Millionen Baht als Entschädigung dafür erhalten, dass sie oder ihre Angehörigen
ernsthaft krank wurden oder sogar starben, nachdem ein benachbartes Kraftwerk seit dem Jahre
1978 Schwefeldioxid freigesetzt hatte. Schon 2005 kam ein lokales Verwaltungsgericht zu einem negativen Urteil gegen die EGAT, die aber dagegen appellierte. Anfangs Februar hatte das
oberste Verwaltungsgericht ein weiteres endgültiges Urteil gefällt: EGAT muss einen Golfplatz
in der Nähe des Kraftwerks in Lampang aufgeben und das Land in seinen ursprünglich bewaldeten Zustand zurückversetzen.
Die fragile Situation der Wanderarbeiter
Thailand beschäftigt illegale Wanderarbeiter in grosser Zahl. Nach dem Putsch vom Mai 2014
mussten Zehntausende von Ausländern das Land mehr oder weniger „freiwillig“ verlassen, unter ihnen vor allem Kambodschaner. Es wird berichtet, dass allein beim Grenzübergang in Poi
Pet innerhalb einer Woche 54‘000 Kambodschaner die Grenze ins Heimatland überschritten.
Der Hintergrund für den Exodus nach dem Putsch des Jahres 2014 ist unklar. Auffällig ist, dass
vor allem Kambodschaner das Land verliessen, und zwar in grosser Zahl (vermutlich gegen
200‘000 Personen), nicht aber ausländische Arbeitskräfte aus den anderen angrenzenden Ländern wie Myanmar. Es wird vermutet, dass dabei Kambodschas Premierminister Hun Sen und
sein „Freund“ Thaksin Shinawatra eine Rolle gespielt haben. Das Verhältnis zwischen den beiden Ländern war in den letzten Jahren immer wieder von Spannungen geprägt. Der Exodus der
Ausländer entzog der thailändischen Industrie und dem einheimischen Gewerbe dringend benötigte Arbeitskräfte. Offenbar hatten frühere Regierungen dem Aufenthalt illegaler Arbeiter
keine Aufmerksamkeit geschenkt. Einigermassen klar ist, dass die Militärregierung in diesem
Bereich endlich wieder „Ordnung“ schaffen will. Offenbar wurde sie vom Ausmass der Gesetzlosigkeit und den negativen Auswirkungen auf Thailands Wirtschaftskraft überrascht. Bis
im Januar 2015 wurden 1,6 Millionen illegale Arbeiter ordnungsgemäss registriert.
Thailand hatte in den letzten Jahren ohnehin einen schlechten Ruf, was die Einhaltung internationaler Standards im Arbeitsbereich betraf. Insbesondere in der Fischindustrie soll Sklaven-,
Zwangs- und Kinderarbeit seit Jahrzehnten weit verbreitet sein. Betroffen sind nicht nur Ausländer, sondern auch Thai, die unwissend und mit falschen Versprechen auf die Fischerboote
gelockt werden und dort wie Sklaven gehalten werden. Wer aufmuckt, wird schwer bestraft,
schlimmstenfalls einfach über Bord geworfen. Wenigen gelang die Flucht, wenn die Boote in
ausländischen Häfen ihre Ladung löschten. Auf indonesischen Inseln sollen sich noch hunderte
von gestrandeten Thai aufhalten. Ausländische Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten von „Zwangsarbeitern“ in zahlreichen thailändischen Betrieben. Das Staatsdepartement
der Vereinigten Staaten setzte Thailand im Juni 2014 auf die unterste Stufe, was die Bekämpfung des Menschenhandels betrifft, zusammen mit Malaysia und Venezuela. Die drei Staaten
leisten dort Nordkorea, Syrien, Jemen, Zimbabwe, Mauretanien und der Zentralafrikanischer
Republik Gesellschaft.
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In die Kritik geraten ist Thailand auch wegen der unmenschlichen Behandlung von Flüchtlingen auf thailändischem Boden, insbesondere der Rohingya aus Myanmar, und zwar nicht nur
in der Regierungszeit von Yingluck Shinawatra. Die Reihe von möglichen Verstössen gegen
die Flüchtlingskonvention ist lang. Menschenrechtskreise waren auch entsetzt über die Absicht
der Militärregierung vom Juli 2014, alle Flüchtlinge aus Myanmar in ihr Herkunftsland zurückzuschaffen. Betroffen von diesem Beschluss wären rund 130 000 Flüchtlinge gewesen.
Die Einhaltung der Menschenrechte für Thais im Ausland ist ebenfalls ein Thema, vor allem
für die thailändischen Arbeitskräfte im Nahen Osten. Human Rights Watch veröffentlichte im
Januar 2015 einen Bericht, wonach die 25 000 Arbeiter auf israelischen Farmen schlecht bezahlt sind, gefährliche Arbeiten ausführen müssen, unverhältnismässig viele Überstunden leisten und schlecht untergebracht sind. Dieselbe Organisation kritisierte aber auch Thailand: Seit
dem Putsch des Jahres 2014 seien die Menschenrechte "in freiem Fall"; unter dem Vorwand
der nationalen Sicherheit verfolge die Junta Andersdenkende, verbiete politische Betätigung
und übe Zensur in den Medien aus, heisst es im Welt-Bericht des Jahres 2015 über die Einhaltung der Menschenrechte.
In weiteres Kapitel in der Missachtung der Menschenrechte ist die Diskriminierung von Transsexuellen ("transgender"). Einige Hotels, Karaoke-Bars und andere Einrichtung der Unterhaltungsindustrie verbieten den Zutritt von Transgender-Menschen. Glücklicherweise beginnen
sich die betroffenen Menschen gegen solche offensichtlichen Verletzungen grundlegender
Rechte zu wehren.
Massnahmen gegen Menschenhandel
Die Militärregierung versucht seit einigen Monaten Gegensteuer zu geben. Das Aussenministerium gab im Januar 2015 bekannt, dass im Vorjahr 130 Fälle von Menschenhandel bearbeitet
und 104 Personen verurteilt worden seien. Ausserdem erliess die Militärregierung mehrere Vorschriften, um minimale Standards bei thailändischen und ausländischen Besatzungen von
Fischtrawlern durchzusetzen, was angesichts eines drohenden Boykotts von thailändischen Fischereiprodukten nicht erstaunlich ist. Die vom Militär eingesetzte nationale Legislative verabschiedete ebenfalls gegen Ende 2014 ein Gesetz zum Schutz von Schiffsbesatzungen und Arbeitern in der Fischereiindustrie. Offensichtlich reagieren die Militärregierung und die von ihr
eingesetzten Gremien auf wirtschaftlichen Druck. Im Februar 2015 gab das Ministerium für
soziale Entwicklung und Sicherheit für die Bevölkerung die Schaffung von speziellen Zentren
gegen Menschenhandel in 37 besonders betroffenen Provinzen bekannt. Alle diese Massnahmen zielen in die richtige Richtung. Doch bei der Aufklärung der Verbrechen an politischen
Aktivisten und Umweltschützern und bei der Anerkennung der Rechte von Dorf- und Waldbewohnern gab es keine Fortschritte. Es bleibt also noch viel zu tun, um dem masslosen Verludern
nicht nur der Sitten den Riegel zu schieben, sondern auch um die Strafverfolgung der wirklich
Schuldigen in Gang zu setzen. Bisher wurden allzu oft nur die schwächsten Glieder in der Kette
belangt. So wurden beispielsweise ausländische Prostituierte ins Gefängnis geworfen und bestraft, während die Menschenhändler, Zuhälter und Kunden straffrei blieben.
Alles in allem wäre die Beschneidung der Meinungsfreiheit nach dem Militärputsch vom Mai
2014 eher als das kleinere Übel zu betrachten, sollte es der vom Militär eingesetzten Regierung
gelingen, das Ruder in der Respektierung der Menschenrechte herumzureissen, die Sicherheit
seiner Bürger besser zu gewährleisten und kriminelle Akte gegen Bürgerrechtler entschieden
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aufzuklären und zu ahnden. Das Zeitalter der Straflosigkeit und des Wegschauens, der Schmiergelder und der gekauften Urteile sollte der Vergangenheit angehörigen. Das wäre Thailand
dringend zu wünschen.
Doch diese Interpretation – oder Wunschvorstellung - teilen längst nicht alle Kommentatoren.
So schrieb Sanitsuda Ekachai, die angesehene und mutige Kommentatorin der "Bangkok Post"
am 18. Februar 2015: "Wir sprechen in diesen Tagen häufig über Moral und die Notwendigkeit,
dass gute Leute das Land regieren. In Wirklichkeit aber hilft die Regierung den Mandarinen;
diese vertreiben die Armen von ihrem Land, unterstützen Industrien, die Dorfgemeinschaften
verseuchen, schaden der Gesundheit der Dorfbewohner, töten sogar einige von ihnen und zerstören die Umwelt. Was ist das für eine Moral?"
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