MYTHOLOGIE Sportvereine brüsten sich gern mit Tieren in ihren Wappen. Was verraten diese Embleme über die Kultur der Klubs? Zehn animalische Geschichten über Vereine aus aller Welt VON ANDREAS WEBER IM ZEICHEN DES XOLOITZCUINTLE FC Bergedorf 85 (Deutschland) Wie ein Verein zu seinem Emblem kommt, verschwimmt oft im Mythos. Wer die Farben der Elster trägt, auf den sollen ihre Eigenschaften abfärben. Von Anfang an trugen die Spieler des Hamburger Arbeitersportvereins von 1885 deshalb schwarz-weiße Trikots: Schläue und eine gewisse Ruchlosigkeit, dem Gegner den Ball zu stehlen – so gewappnet siegte der heutige Bezirksligaverein in den 60er-Jahren immerhin gegen Großmächte wie Werder Bremen und den VfL Braunschweig. Chicago Bulls (USA) Anders als ihre Konkurrenten in der amerikanischen Basketballliga NBA haben die Bulls ihr Logo nie geändert, seit es der Grafiker Theodore Drake 1966 erfand: Der Stier mit den blutigen Hörnern erinnert an die Zeit der Chicagoer Schlachthöfe im Meatpacking District, als hier Züge mit Texas-Longhornrindern entladen wurden. Und er verkörpert rohe, in den 80er- und 90er-Jahren sogar kosmische Überlegenheit in Form eines überirdischen Basketballers namens Michael Jordan, genannt „His Airness“. San José Sharks (USA) Im Zweiten Weltkrieg beschwor das Haifischmaul – als sogenannte „Nose Art” auf US-Kampffliegern – die Überlegenheit amerikanischer P-51-Jäger. An diese Idee angelehnt, übernahmen die Eishockeyspieler des US-Klubs die Eigenschaften für ihr Wappentier. Sie finden sich unerbittlich, entschlossen, wendig, schlau, furchtlos und kämpferisch. Und tatsächlich: Menschliche Aktivitäten wie der Kampf werden vom Hirnstamm gesteuert, der bei uns kaum anders struk turiert ist als bei den Raubfischen. Während vielen Europäern der spärlich beflaumte Nackthund Mexikos, der Xoloitzcuintle, als bemeitleidenswerte Kreatur gilt, identifizieren sich die Fußballer des Club Tijuana damit, weil die „zu hundert Prozent“ mexikanische Rasse schon vor 3000 Jahren als heilig galt. In der aztekischen Mythologie formte der Gott Xolotl den Hund aus demselben Knochen, aus dem er auch die Menschen geschnitten hatte. Der „Xolo“ sollte Verstorbene auf der schwierigen, mehrjährigen Reise durch die Unterwelt Mictlan beschützen. Darum wurden die Hunde oft gemeinsam mit Menschen bestattet. Noch heute verkörpert das einst heilige Tier starke Persönlichkeit, Robustheit und unbedingtes Arbeitsethos. 30 GREENPEACE MAGAZIN 4.15 Club Tijuana (Mexiko) AC Cesena (Italien) Alessandro Savorelli, Philosophiehistoriker an der Universität Pisa, teilt Klubwappen in zwei Klassen: gewaltvolle Totems und niedliche Maskottchen. Eins, das anmutiger ist, als das Seepferdchen, ist kaum zu finden. Der bizarre Fisch gilt als Inbegriff ehelicher Treue. Ihm wurde nachgesagt, er rette Schiffbrüchige aus den Fluten. Der Fußballclub aus der nah am Meer gelegenen Kleinstadt in der Emilia Romagna hat seinem Wappentier 2010 eine sechs Meter hohe Stahlskulptur gewidmet. EHC Olten (Schweiz) pp ee nn Die Symbolik eines Tieres ist vieldeutig: Die „Power-Maus“ löste 1993 die biederen drei Tannen im Wappen des Schweizer Eishockeyklubs ab. Ihre Schläue und Flinkheit kann nicht nur größere Tiere in Schrecken versetzen – sie treibt offenbar auch Lokaljournalisten zu eigenartigen Stilblüten: „Maus-Schmaus im Tigerland“ lautete die Headline einer Zeitung über den Sieg gegen die Emmentaler Tigers. Eine andere überschrieb die Teambildungsmaßnahme durch ein gemeinschaftliches Raclette-Essen mit der Zeile: „Flüssiger Käse macht Powermäuse stark.“ Bohemians 1905 Prag (Tschechien) 1927 ging der unbedeutende Prager AFK Vršovice als einziger europäischer Fußballverein auf das Angebot ein, sich in Australien – nach wochenlanger Überfahrt – auf eine Spieltournee einzulassen. Die Australier tauften die im Outback überlegen agierenden Provinzkicker in „Bohemians“ um und gaben ihnen für die Rückfahrt zwei Wallabys als Insignien für Munterkeit, Neugier und Freiheitsliebe aufs Schiff mit. Heute sitzt eines immer noch im Prager Vereinsheim. Ausgestopft und leicht staubig. Samutsongkhram SS aamm uuttssoonnggkkhh FC (Thailand) OO fffizi ziiee lllbenannt bb ee nn aa nach seinem Heimatort am Golf von Thailand, nennen Offiziell dd iieeFans FF aann ssden dd ee nnerst ee 2004 gegründeten Fußball-Erstligaklub Pla-Tu-Kha-Nong. die PP llaa-T- uTuheißt hh ee iißß ttMakrele, MM Pla-Tu Kha-Nong Raserei. Die Fischart steht in Wirklichkeit aabb ee rrweniger ww ee nn iigg ee rrfür siegreiche Aggression, als für die in den Städten Thailands aber allgegenwärtigen Garküchen. Das Tier, das in Thailand zu den Grundnahrungsmitteln gehört und von dem jährlich über 800.000 Tonnen angelandet werden, ernährt sich hingegen friedlich von Plankton. Mulhouse Handball Sud Alsace (Frankreich) Das Emblem dieses Klubs ist aus der Retorte, der Verein zum Erfolg verdammt: Die Mülhausener Handball-Mücken wurden 2007 als Zusammenschluss mehrerer Lokalvereine gegründet und von vornherein auf Titelerfolge und Merchandising-Einnahmen programmiert. Hinter der archaische Instinkte mobilisierenden Berufung auf die unbesiegbaren Plagegeister verbirgt sich das Kalkül, mit Sport als Teil der Unterhaltungsindustrie vor allem eins zu schaffen: Umsatz, Umsatz, Umsatz. Nagoya Grampus Eight (Japan) Die Kicker von Nagoya Grampus, einst Werksverein von Toyota, treten mit dem Grampus griseus auf der Brust an, dem Rundkopfdelfin, der auch Risso-Delfin genannt wird. Dem geruhsamen Meeressäuger wurde auf dem Vereinswappen der Bauch wie beim Orca, dem Killerwal, weiß getüncht, und eine überspitzte Rückenfinne hinzugefügt. Ein gnädiger Akt der Suggestion, der den Spielern auch an einem lahmen Tag ins Gedächtnis ruft: Sie können nur Könige der sportlichen Nahrungskette sein, wenn sie fest genug daran glauben. 31
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