SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 27.10.1873: Der Texaner Joseph Glidden meldet Stacheldraht zum Patent an Von Klaus Gülker Sendung: 27.10.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Der Mann war auf Draht. Nicht dass Joseph Glidden, Farmer in Illinois, der erste gewesen wäre, der sich darüber Gedanken machte, in den 1870er Jahren, wie man riesige Rinderherden beisammenhält. Er war auch nicht der erste, der Drahtzäune zum Mittel der Wahl machte. Nicht einmal die Sache mit den Stacheln drauf war streng genommen seine eigene Idee: Joseph Glidden, nicht nur Farmer, sondern auch Banker, Eisenbahndirektor, Hotelchef und Zeitungsbesitzer, dieser vielbeschäftigte Mann wusste aus den Ideen anderer vor ihm etwas zu machen. 1873 sah er auf einer Messe in seinem Wohnort DeKalb im amerikanischen Mittelwesten, was andere vor ihm schon ausprobiert hatten: Draht verspannen, Sporen oder mit Spitzen versetzte Holzstücke draufsetzen, alles mit der Absicht, Rinderherden auf den rechten Weg zu leiten. Dass Joseph Glidden die Sache weiterentwickelte, Drähte verdrillen und stabile Spitzen eindrehen ließ, brachte den Durchbruch – und ihm nach der Patentanmeldung am 27. Oktober 1873 bald auch sehr viel Geld. Denn: Wie sonst die riesigen Herden davon abhalten, auf Farmland oder auch Eisenbahnstrecken zu trampeln – der Stacheldraht machte es möglich. Für schützende Hecken wie in Europa fehlte es in den Great Plains, den riesigen Weidegründen, schlicht an Grünzeug. Holz für Gatter war rar, der wehrhafte Zaun erwies sich demgegenüber als praktikabel und vergleichsweise billig. Sehr zum Ärger der Cowboys, deren Zeit als Hüter großer Herden damit zu Ende ging: Die neuen Wächter waren aus Draht. Glidden machten sie reich und nicht einmal sieben Jahre nach der Patentvergabe säumten bereits 50.000 Meilen Stacheldraht Felder und Farmland in den USA, und auch darüber hinaus wurde das Produkt bald populär. Nicht nur in der Landwirtschaft: Die deutsche Armee verlegte im ersten Weltkrieg als erste Kriegsmacht Stacheldraht in den Ardennen, später war die komplette Front vom Ärmelkanal bis zur Schweizer Grenze stacheldrahtbewehrt. Die perfekte Waffe, den Vormarsch der Feinde aufzuhalten, längst ging es um Menschen und nicht nur um Vieh. In deutschen KZs in der Nazizeit gehörte der unter Strom gesetzte Stacheldrahtverhau zur Grundausstattung. Und bis heute greifen Staaten für Grenzbarrieren gern auf das Produkt zurück, das mittlerweile als Natodraht in einer besonders scharfen Version ausgerollt wird. Gleichwohl, in seiner Normalform ist der Stacheldraht auf dem Rückzug. Wenn man jemanden wie Frank Driller fragt, der in Freiburg Zäune aller Art verkauft, verweist er auf so etwas wie ausgerechnet die Verletzungsgefahr, weshalb es dem Draht an den Kragen geht. Dafür gibt es längst andere Produkte. O-Ton Frank Driller: Durch die Einführung von diesen Stahlmattenzäunen die wesentlich stabiler sind und diese Spitzen haben ist der Stacheldraht etwas weniger geworden, weil ich hier ja auch die Probleme habe, drüber zu kommen, und so kann ich mir schon vorstellen dass der Stacheldraht mehr und mehr rauskommt, man will zwar sicher sein, aber (er) darf ja niemand, auch unbeabsichtigt, verletzen. Autor: So verliert der Zaun seine Stacheln, Elektrozäune fürs Vieh haben das ihre dazu beigetragen. Die technische Entwicklung seit Joseph Gliddens Patent hat gezeigt: Auch ohne spitze Dornen lässt sich der Trend zur Abschottung realisieren. Oder? Das bringt den Experten fast schon zum Schmunzeln, wenn er sagt: 2 O-Ton Frank Driller: Deutschland war immer schon eingezäunt, dass es jetzt mehr wird, würde ich so nicht behaupten. Was man natürlich sieht grad in der aktuellen Zeit, sind diese Flüchtlingsheime, da sind natürlich viele Lager entstanden, und da weiß ich natürlich nicht, wer vor wem geschützt wird, Fakt ist, es wird halt umzäunt! Autor: Ob nun mit der Entwicklung des Joseph Glidden oder mit anderen Modellen: In dieser Hinsicht ist unsere Gegenwart – auf Draht. 3
© Copyright 2024 ExpyDoc