MEDIZIN DISKUSSION zu dem Beitrag Differenzialdiagnose der Thrombozytopenie in der Schwangerschaft: Eine interdisziplinäre Herausforderung von Dr. med. Frauke Bergmann, Prof. Dr. med. Werner Rath in Heft 47/2015 Ergänzende Untersuchungen Schlusswort Das Thema ist sehr übersichtlich dargestellt. Trotzdem seien mir einige Bemerkungen erlaubt: Bei der Thrombozytopenie, wie etwa der Gestationsthrombozytopenie, sollte ein Thrombozytenfunktionstest erfolgen, um eine möglicherweise zusätzlich bestehende Thrombopathie auszuschließen – gerade bei vermehrt auftretender Epistaxis oder Hämatomen–, und zwar mit dem Multiplate-, Chronolog- oder VerifyNow-Test. Denn bei nachgewiesener Thrombopathie sollte bei verstärkten peripartalen Blutungen 1 Ampulle Desmopressin pro 10 kg Körpergewicht intravenös (i. v.) als Kurzinfusion und anschließend 1g Tranexamsäure i. v. gegeben werden, notfalls muss bei persistierender Blutung zum Beispiel 1000 IE von-Willebrand-Faktor i. v. verabreicht werden. Obwohl die Bestimmung von Thrombozyten-Antikörpern nicht als Routineuntersuchung empfohlen wird, sollte bei einer idiopathischen Thrombozytopenie nach thrombozytären Antikörpern vom IgG-Typ gefahndet und gegebenenfalls sollten deren Titer bestimmt werden. Diese können in den Kreislauf des Kindes übertreten und bei ihm eine Thrombozytopenie verursachen. Zudem sollte bei Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) der HPA-Status (HPA, humane Plättchenantigene) geprüft werden (2). Bei HPA-1a- oder -5b-negativen Müttern sollte der HPA-Status des Partners bestimmt werden. Ist dieser bei einem der beiden Merkmale positiv, muss ab der 16. Schwangerschaftswoche in monatlichen Abständen nach HPA-Antikörpern gefahndet werden (3). Werden HPA-Antikörper nachgewiesen, kann eine Alloimmunthrombozytopenie beim Neugeborenen auftreten. Deshalb sollten die peri- und postpartalen Maßnahmen wie bei der Autoimmunthrombozytopenie durchgeführt werden (4). Eine weitere hilfreiche Abgrenzung zwischen dem HELLPSyndrom und einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) kann durch die von-Willebrand-Aktivität vorgenommen werden. Treten Aktivitäten > 150 % des normalen Maximalwertes ohne Akute-Phase-Reaktion mit Hyperfibrinogenämie, Faktor-VIII-, CRP- und D-Dimer-Erhöhung, Leukozytose oder Thrombozytose auf, spricht dies für eine TTP. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0404a Wie im Artikel beschrieben (1), sollen Schwangere mit einer Blutungsneigung selbstverständlich weiter abgeklärt werden. Bei asymptomatischen Schwangeren mit normaler Thrombozytenzahl bei Schwangerschaftsbeginn (= Kriterien der Gestationsthrombozytopenie erfüllt) besteht keine Indikation zur Thrombozytenfunktionstestung (Tabelle 1 im Beitrag). Eine schwere hereditäre Thrombozytopathie fällt bereits im Kindesalter auf. Eine milde Thrombozytopathie kann erst im Erwachsenenalter erkennbar werden, die Patienten haben im Alltag ([39] im Beitrag), im Schwangerschaftsverlauf und unter der Entbindung oft keine Blutungsneigung (nicht zuletzt aufgrund anderer Kompensationsmechanismen der Hämostase). Die Behandlung einer thrombozytären Blutung erfolgt nicht durch Gabe von VWF-Konzentrat (VWF, von-Willebrand-Faktor). Das VerifyNow-Testsystem ist nur zur Wirksamkeitskontrolle verschiedener Thrombozytenaggregationshemmer entwickelt und zugelassen worden. Bei einer Blutungsneigung ist das von-Willebrand-Syndrom wesentlich wahrscheinlicher als eine Thrombozytopathie. Daher ist die Thrombozytenfunktionstestung bei einer Gestationsthrombozytopenie (keine Blutungssymptome) nicht zu empfehlen. Sicherlich kann der betreuende Arzt entscheiden, ob er die Untersuchung auf thrombozytäre Antikörper veranlasst; der diaplazentare Übertritt und das Risiko für das Kind werden beschrieben (Seite 797 im Beitrag). Unser Artikel behandelt die Differenzialdiagnose der Thrombozytopenie. Schwangere, die entsprechende HPA-Antikörper entwickeln, haben eine normale Thrombozytenzahl (Seite 797 im Beitrag). Das Phänomen wurde kurz erwähnt, war aber nicht unser Thema, ebenso nicht die Behandlung (mit Nebenwirkungen) von Hochrisikoschwangerschaften (habituelle Aborte, Thrombophilie). Die überproportionale Erhöhung der VWF-Aktivität als Abgrenzungsmerkmal zwischen HELLP-Syndrom und thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (TTP) wird in der Literatur nicht beschrieben und kann aus Registerstudien nicht abgeleitet werden. Rückfragen bei Referenzlaboren (Hamburg, Bern) konnten diese Beobachtung nicht bestätigen. Die überproportionale Erhöhung der VWFAktivität wäre aufgrund des Pathomechanismus (fehlende VWFspaltende Protease) möglicherweise erklärbar, die klare Abgrenzung der Phänomene bliebe aber schwierig. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0404b LITERATUR 1. Bergmann F, Rath W: The differential diagnosis of thrombocytopenia in pregnancy— an interdisciplinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 795–802. 2. Kiesewetter H, Becker R, Breitkopf M, et al.: [Treatment of high risk pregnancies]. Phlebologie 2015; 44: 7–12 3. Kjeldsen-Kragh J, Husebekk A, Killie MK, Skogen B: Is it time to include screening for neonatal alloimmune thrombocytopenia in the general antenatal health care programme? Transfus Apher Sci 2008; 38: 183–8. 4. Bakchoul T, Bassler D, Heckmann M, et al.: Management of infants born with severe neonatal alloimmune thrombocytopenia: the role of platelet transfusions and intravenous immunoglobulin. Transfusion 2014; 54: 640–5. Prof. Dr. med. Dr.-Ing. Holger Kiesewetter Hämostaseologicum Berlin; [email protected] Interessenkonflikt Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht. 404 LITERATUR 1. Bergmann F, Rath W: The differential diagnosis of thrombocytopenia in pregnancy— an interdisciplinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 795–802. Dr. med. Frauke Bergmann MVZ wagnerstibbe, Hannover [email protected] Interessenkonflikt Dr. Bergmann bekam Honorare für Beratertätigkeit von der Firma Instrumentation Laboratories. Für die Vorbereitung von wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen wurde sie honoriert von den Firmen Roche und Siemens. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 22–23 | 6. Juni 2016
© Copyright 2024 ExpyDoc