SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
20.10.1910:
Die "Olympic", das Schwesterschiff der "Titanic", läuft vom Stapel
Von Gregor Papsch
Sendung: 20.10.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Autor:
Die Schiffe der in Southhampton beheimateten Cunard-Line hatten den Takt
vorgegeben. 1907 waren die beiden Schwesternschiffe Lusitania und Mauretania in
Dienst gestellt worden, Schiffe, die spielend das prestigeträchtige Blaue Band
erobert hatten, mit dem sich bis dahin die Noddeutsche Lloyd geschmückt hatte. Die
Strecke über den Nordatlantik zwischen Liverpool und New York legten die
Schnelldampfer in sagenhaften fünf, bei ungünstigem Wetter in sechs Tagen zurück,
zugleich war die Mauretania mit knapp 241 Metern Länge das größte je gebaute
Passagierschiff.
Doch das sollte sich nur wenig später ändern. 1909 begann die ebenfalls britische
White Star Reederei mit dem Bau einer neuen Schiffsklasse, die die Konkurrenz ein
für allemal ausstechen sollte. Mit den fast baugleichen Ozeanlinern „Olympic“,
„Titanic“ und der 1911 auf Kiel gelegten „Gigantic“ griff die Reederei nach den
Sternen. Geld spielte keine Rolle, White Star gehörte indirekt dem reichsten Mann
der Welt, dem US-Finanzmagnaten J.P. Morgan.
Doch White Star ging es in erster Linie nicht um Geschwindigkeit, das Blaue Band
war Nebensache. Auf ganz anderem Weg sollten Cunard die Kunden abgeworben
werden. Die Olympic-Klasse sollte durch ihre schiere Größe und die Großzügigkeit
ihrer Ausstattung alles bisher Dagewesene übertreffen.
Am 20.Oktober 1910 lief im nordirischen Belfast die „Olympic“ vom Stapel. Ein Schiff
der Superlative, mit 269 Metern Länge noch einmal fast 30 Meter länger als Cunards
„Mauretania“. Die „Olympic“ bot Platz für 3500 Passagiere (einschließlich der
Besatzung), im Innern glänzten Gold, Marmor und Kristall, an Deck gab es ein
Schwimmbad sowie ein Türkisches Bad, eine Squash-Halle und natürlich diverse
Cafés und Salons.
Entsprechend zelebrierte White Star die Geburt des neuen Vorzeigeschiffs wie ein
Jahrhundertereignis. Sogar auf die traditionelle Schiffstaufe mit Champagner wurde
verzichtet, um den makellosen Rumpf des Liners nicht in Mitleidenschaft zu ziehen.
Doch dann setzte eine Reihe von Pannen ein. Schon die Jungfernfahrt der Olympic
im Juni 1911 musste beinahe abgebrochen werden, weil Teile der Besatzung wegen
schlechter Bezahlung in Streik traten. Im September desselben Jahres folgte das
nächste Missgeschick, als die Olympic mit dem Panzerkreuzer „Hawke“ kollidierte,
der ein riesiges Loch in den Rumpf des Dampfers riss. Obwohl vermeintlich schuldig,
wurde Kapitän Edward J. Smith freigesprochen, ja Reederei-Chef Islay übertrug ihm
als Vertrauensbeweis demonstrativ das Kommando für Jungfernfahrt der Titanic. Ihr
tragischer Untergang ein knappes Jahr später, zählt zu einer der schlimmsten
Schiffskatastrophen überhaupt.
Düstere Ahnungen machten die Runde. War der demonstrative Verzicht auf die
Schiffstaufe als ein böses Omen zu verstehen? Oder hatte etwa die Wahl der
Schiffsnamen zum Unglück beigetragen: Olympic, Titanic, Gigantic, allesamt der
griechischen Mythologie entlehnt, in der Titanen und Giganten gegen die
olympischen Götter antreten, beide jedoch besiegt werden? Lastete ein Fluch auf
dem Schiffstrio?
Angesichts der tragischen Entwicklung beschloss White Star die Umbenennung ihres
jüngsten Schiffs, der Gigantic, in Britannic. Es kam wegen des Beginns des Ersten
Weltkriegs jedoch nie als Passagierschiff zum Einsatz, sondern als Lazarettschiff, bis
es 1916 auf eine Mine lief und sank.
Einzig die „Olympic“ erreichte ein würdiges Schiffsalter. Bis Kriegsende diente sie als
Truppentransporter, 1918 kam sie sogar zu Ruhm, als sie nach einem riskanten
Wendemanöver ein deutsches Tauchboot versenkte. Nach dem Krieg fuhr sie wieder
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als Passagierdampfer über den Atlantik, bis zu ihrer Verschrottung 1935. Die „Old
Reliable“ wird die Olympic heute noch genannt, die „immer Zuverlässige“.
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