Mühlacker Tagblatt - Gunther Krichbaum

„Todesstrafe wäre K.o.-Kriterium“
Interview mit Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses, zu Vorgängen in Türkei
Von Thomas Sadler
E N Z K R E I S . Putschversuch und anschließende „Säuberungen“ durch Präsident Recep Tayyip Erdogan – die Vorgänge in der
Türkei beschäftigen die internationale Politik. Das Mühlacker Tagblatt befragte zu
dem brisanten Thema Gunther Krichbaum, CDU-Bundestagsabgeordneter für
Pforzheim/Enzkreis und Vorsitzender des
Europaausschusses des Bundestags.
Nach dem gescheiterten Putschversuch durch Teile des türkischen Militärs greift Präsident Erdogan
hart durch und ließ Soldaten und Richter festnehmen. Wie kommentieren Sie Erdogans Verhalten ?
Natürlich wäre ein solcher Putschversuch
in jedem demokratischen Rechtsstaat
strafbar. Aber die Strafverfolgung muss
dabei natürlich rechtsstaatlichen Prinzipien folgen. Unrecht darf nicht mit neuem
Unrecht bekämpft werden. Hier werden
wir sehr wachsam sein müssen, schließlich
wurde die Türkei allein seit 2011 über 100
Mal vom Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte verurteilt, weil die Justiz
dort europäischen Ansprüchen nicht genügt hat.
Teilen Sie die Befürchtung, dass aus der demokratischen Republik Türkei de facto eine Präsidialrepublik mit einem diktatorischen Recep Tayyip Erdogan an der Spitze wird ?
Allein die Umstrukturierung eines Landes
in eine Präsidialrepublik müsste uns keine
Sorgen bereiten, schließlich kennen wir
diese Staatsform auch aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Frankreich. Das
Besorgniserregende ist jedoch, dass Erdogan die seit Langem völlig unbestrittene
Notwendigkeit einer Verfassungsreform
dazu nutzen möchte, seine eigene Machtbasis auszubauen. Aus einer Demokratie
darf keine Autokratie werden. Vielmehr
braucht es gerade in einer Präsidialrepublik eine starke Kontrolle des Präsidenten
durch die anderen Verfassungsorgane, also
durch das Parlament und das Verfassungsgericht.
Erdogan sagt, im Parlament könne auch über die
Einführung der Todesstrafe gesprochen werden.
Glauben Sie, dass die Todesstrafe kommt ?
Wenn die Türkei weiterhin Interesse an einer Annäherung an die EU hat, sollten diese Überlegungen schnell fallen gelassen
werden. In der EU teilen wir gemeinsame
Werte wie Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte.
Mit Letzterem ist die Todesstrafe unvereinbar.
Würde sich die Türkei als Staat mit Todesstrafe
und zunehmend eingeschränkten demokratischen Bürgerrechten für einen Beitritt zur EU endgültig disqualifizieren ?
Europapolitiker Gunther Krichbaum und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Ja, das wäre ganz klar ein K.o.-Kriterium.
Wer Mitglied der EU werden will, muss
unsere Werte teilen.
Glauben Sie, dass es in absehbarer Zeit zu einem
Beitritt der Türkei in die EU kommt, oder entfernt
sich das Land innen- und außenpolitisch eher von
Europa ?
Persönlich glaube ich nicht, dass die Türkei in absehbarer Zeit der EU beitreten
wird. Fakt ist, dass sie sich in den letzten
Jahren immer weiter von den europäischen
Standards entfernt hat, beispielsweise bei
der Gleichberechtigung von Mann und
Frau, bei der religiösen Toleranz gegenüber den dort lebenden Christen und auch
bei der Presse- und Meinungsfreiheit. Das
ist ein ganz besonders wichtiger Aspekt,
denn ohne einen fairen Zugang zu den Medien hat die Opposition keine legitimen
Chancen, durch Wahlen zur Mehrheit zu
werden. Die EU setzt sich aus freien,
rechtsstaatlichen, demokratischen Staaten
zusammen und nicht aus Sultanaten.
Die Türkei ist militärisch und in Bezug auf die Bewältigung der Flüchtlingskrise wichtig als Partner.
Jedoch: Ist auch künftig eine enge Kooperation
mit Präsident Erdogan erstrebenswert und praktikabel ?
Die Türkei ist bei der Respektierung internationaler Abkommen stets verlässlich gewesen, das gilt trotz aller Unkenrufe bislang auch für das Flüchtlingsabkommen
mit der EU. Das Abkommen zeigt im Übrigen Wirkung, denn die Flüchtlingszahlen
sind rapide gesunken. Das ist diesem Abkommen geschuldet und nicht dem Schließen der Balkanroute, denn ansonsten würde ja Griechenland weiterhin volllaufen.
Was erwartet Ihre Chefin, Bundeskanzlerin Angela
Merkel, von Erdogan? Steht sie in Kontakt mit
ihm ?
Angela Merkel hatte bereits am Wochenende angemahnt, dass sich der türkische
Rechtsstaat jetzt gerade im Umgang mit
den Putschisten beweisen müsse. Heute
hat Regierungssprecher Seibert zudem
ganz unmissverständlich klar gemacht,
dass auch für die Bundeskanzlerin die
Einführung der Todesstrafe das Ende der
Beitrittsverhandlungen wäre.
Die Bundeskanzlerin hatte sehr früh erklärt, dass ein Putsch keine Alternative
zur Demokratie sein könne. Damit hat sie
die Demokratie in der Türkei unterstützt
und nicht Präsident Erdogan. Instabilität
gibt es in der dortigen Region mehr als genug. Daher ist uns sehr daran gelegen, dass
die Türkei ein demokratisches und stabiles
Land und ein verlässlicher Bündnispartner
bleibt. Einen solchen Partner können wir
Foto: privat