SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 15.07.1955 Mit der "Mainauer Deklaration" warnen Nobelpreisträger vor Nuklearwaffen Von Werner Witt Sendung: 15.07.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Kanzler Adenauer, Franz Joseph Strauß aber auch führende Sozialdemokraten warben in der jungen Bundesrepublik für die zivile Nutzung der Atomenergie. Die Mehrzahl der Wissenschaftler, darunter auch die, die schon unter Hitler an Atomprojekten beteiligt gewesen waren wie Otto Hahn oder Werner Heisenberg, stimmten ihnen zu. Dieser Konsens zwischen Politik und Wissenschaft wurde durch die Mainauer Erklärung am 15. Juli 1955 aufgekündigt. Schon zuvor hatten einzelne Wissenschaftler darauf hingewiesen, dass ein aktiver Reaktor automatisch auch Plutonium produziert, das für die Herstellung von Nuklearwaffen benötigt wird. Die 18 Nobelpreisträger wollten mit ihrer Deklaration bewusst ein starkes, weltweit zu hörendes, politisches Signal setzen. Ihre Argumente finden sich heute noch wieder in der internationalen Anti-Atomkraft-Bewegung. Auf der beschaulichen Schifffahrt zwischen Lindau und Mainau konnten sie allerdings noch nicht ahnen, dass sie sich mächtige Gegner schufen. Adenauer und Strauß warfen den Verfassern Verletzung ihrer Rolle als Wissenschaftler vor. Sie hätten sich aufs politische Feld begeben, von dem sie nur unzureichend Ahnung hätten. Ein Rundfunkreporter. O-Ton Reporter: „Zum letzten Tag der Nobelpreisträgertagung in Lindau gehört die schon traditionelle Fahrt über den Bodensee mit einem von der Stadt Lindau gecharterten Schiff. Eine Fahrt von der Insel Lindau zur Insel Mainau der „Isola Bella“ des Bodensees, die dem Protektor der Tagung, dem Grafen Lennart Bernadotte, einem Mitglied des schwedischen Königshauses, gehört.“ Autor: Gastgeber Graf Bernadotte las die Mainauer Deklaration wörtlich in seinem Park vor. O-Ton Lennart Graf von Bernadotte: „ Wir sehen mit Entsetzen, dass eben diese Wissenschaft der Menschheit Mittel in die Hand gibt sich selbst zu zerstören. Voller kriegerischer Einsatz, der heute möglichen Waffen, kann die Erde so sehr radioaktiv verseuchen, dass ganze Völker vernichtet würden. Dieser Tod kann die Neutralen ebenso treffen wie die Kriegführenden.“ Autor: Von heute aus betrachtet war die Mainauer Erklärung ein mutiger und weitsichtiger Text. Adenauer war 1955/56 gerade dabei, in geheimen Verhandlungen der Bundesrepublik innerhalb der NATO, Zugang zu Atomwaffen zu verschaffen. Umfragen von 1955 machten bereits deutlich, dass über die Widerbewaffnungsgegner hinaus eine Mehrheit in der Bevölkerung die atomare Aufrüstung ablehnte. Adenauers Wut über die abtrünnigen Wissenschaftler war also verständlich. Noch etwas ist aus heutiger Sicht bemerkenswert weitsichtig an der Mainauer Deklaration. Die Wissenschaftler am Bodensee wiesen heute vor 61 Jahren darauf hin, dass die Abschreckungsdoktrin, die später unter Kohl und Schmidt das militärische Blockdenken beherrschte, tödlich sein wird, wenn Atomwaffen nicht geächtet werden. 1 O-Ton Lennart Graf von Bernadotte: „Angst und Spannungen haben so oft Krieg erzeugt. Ebenso scheint es uns eine Selbsttäuschung zu glauben, kleinere Konflikte könnten weiterhin stets durch die traditionellen Waffen entschieden werden. In äußerster Gefahr wird keine Nation sich den Gebrauch irgendeiner Waffe versagen, die die wissenschaftliche Technik erzeugen kann.“ Autor: Die Lösung klingt so einfach. Doch sie scheint 61 Jahre nach der Mainauer Erklärung utopischer denn je. O-Ton Lennart Graf von Bernadotte: „ Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören zu existieren.“ 2
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