SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Das UNESCO-Welterbe Mehr schützen – mit weniger Geld? Von Alexander Musik Sendung: Dienstag, 19. Juli 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Martin Gramlich Regie: Maria Ohmer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. 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Und wie wird sicher gestellt, dass eine Welterbestätte auch erhalten wird? Ansage: Das UNESCO-Welterbe. Mehr schützen – mit weniger Geld? Eine Sendung von Alexander Musik. Atmo: Ausschnitt Unesco-Konferenz Bonn, Juli 2015 Sprecher: Zehn Tage ging es so zu bei der jüngsten Unesco-Vollversammlung im vergangenen Juli in Bonn: Detail für Detail werden Anträge zerpflückt, Änderungen diskutiert, Einwände gegen diese oder jene Formulierung vorgebracht. Und Neuaufnahmen in die Liste des Welterbes beschlossen. 21 Komitee-Mitglieder entscheiden per Konsens, ob eine neue Stätte aufgenommen wird oder nicht. Oder ob die Entscheidung vertagt wird, um die Bewerbung nachzubessern. Die KomiteeMitglieder werden von der Generalversammlung aller Staaten, die der Welterbekonvention beigetreten sind, für sechs Jahre gewählt. Das Komitee beruft sich bei seinen Entscheidungen über Neuaufnahmen auf die Empfehlungen des Internationalen Rats für Denkmalpflege Icomos und der Weltnaturschutzunion IUCN. Doch das Komitee kann auch gegen die Empfehlungen und Gutachten von Icomos und IUCN entscheiden. Notfalls in geheimer Wahl. Im Plenum bei der Vollversammlung in Bonn sitzen Abgesandte der 195 UnescoMitgliedsstaaten; auf dem Podium bemüht sich die Vorsitzende, die Sitzungen nicht ausufern zu lassen. Am Ende der Konferenz gibt es 24 neue Welterbestätten: darunter die Hamburger Speicherstadt, die Weinbaulandschaft in der Champagne und das antike Ephesus in der Türkei. Damit sind es nun schon 1.031 Stätten. Zu viele? Und zu viele auf europäischem Boden, wie manche Kritiker meinen? O-Ton (Eva Nowotny): „Absolut! Es gibt eine Weltkarte, wo die Welterbestätten eingetragen sind. Und da sehen Sie, dass es eine unglaublich dichte Konglomeration von Welterbe gerade im europäischen Raum gibt. Es gibt noch andere außerhalb, aber da wird's dann schon etwas dünner. Aber das starke Zentrum ist da sicherlich Europa. Und das war sicherlich mit ein Grund, nicht der einzige aber doch mit ein Grund, warum in der Unesco eine neue Konvention ausgearbeitet wurde über das sogenannte 2 immaterielle Kulturerbe. Traditionen, Brauchtum Wissen in den Gesellschaften, dass dann auch Staaten wie aus Ozeanien über den Einbaumkanubau usw. sich einbringen können und sich nicht alles auf die europäischen Schlösser, Burgen, Klöster konzentriert.“ Sprecher: Eva Nowotny ist Präsidentin der österreichischen Unesco-Kommission und damit gewissermaßen Kultur-Botschafterin ihres Landes. Auch wenn sie davor warnt, sich beim Thema Kulturerbe zu sehr auf Europa zu konzentrieren, ist Eva Nowotny prinzipiell der Meinung, geschützte Kultur könne es gar nicht genug geben. O-Ton (Eva Nowotny): „Wir sind 7 Milliarden Menschen, 5 Kontinente – da sind eigentlich 1.000 Objekte nicht wahnsinnig viel! Ich würde nicht sagen, dass es inflationär ist. Auf der anderen Seite kommt man natürlich schon auch drauf, dass Welterbe auch Verpflichtung bedeutet. Es ist ja nicht nur, dass man stolz ist auf das Gütesiegel und sich dessen berühmt. Es ist ja auch damit eine Verpflichtung verbunden, die Verpflichtung zur Erhaltung zum Schutz, zum ordentlichen Management usw. Das wird gelegentlich von manchen als ein bissl mühsam empfunden. Wir haben dann immer das Wortspiel gemacht: Würde auf der einen Seite, Bürde auf der anderen.“ Sprecher: Die Würde und die Bürde, Kulturgüter auf der ganzen Welt zu schützen, haben sich die Menschen gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs auferlegt, am 16. November 1945. 37 Staaten unterzeichneten damals das Gründungsdokument der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur. Dauerhafter Frieden – befanden die Gründer – sei allein mit politischen und wirtschaftlichen Abmachungen nicht möglich. „Friede muss – wenn er nicht scheitern soll – in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit verankert werden“, heißt es in der Präambel. Unter anderem der Aufbau und die Pflege eines gemeinsamen kulturellen Welterbes sollte diese Idee von der „Solidarität der Menschheit“ untermauern. In der sogenannten Welterbekonvention verpflichteten sich 1972 190 Staaten dazu, diesen Plan umzusetzen. Atmo: Musik „Warum ist es am Rhein so schön?“ Sprecher: Zwischen Bingen und Koblenz, von Bonn flussaufwärts, zeigt sich der Rhein von seiner besonders malerischen Seite. Das Obere Mittelrheintal gehört seit 2002 zum Welterbe. Romantische Burgen reihen sich auf beiden Seiten des tief eingeschnittenen Rheintals. Steile Riesling-Lagen wechseln mit dichtem Mischwald. Walter Schumacher hat miterlebt, wie lange es dauerte, bis die Landschaft endlich auf die Liste kam. Als Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Kultusministerium in Mainz ist er auch zuständig für das Welterbe. 1977, erinnert sich Schumacher, gab es den ersten Vorstoß, das Mittelrheintal zum Welterbe machen zu wollen. Erst ein Vierteljahrhundert später war es dann soweit. O-Ton (Walter Schumacher): „Die Idee, Weltkulturerbestätten anzuerkennen ist die beste, die erfolgreichste, die populärste, die die Unesco hatte. Seit den 70er-Jahren gibt es diese internationale 3 Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. Man weiß, dass viel, das alle Welterbestätten davon sehr profitiert haben in vielerlei Hinsicht, und deshalb will man diesen Erfolg auch für sich haben. (…) Man muss erstmal auf die deutsche Vorschlagsliste kommen und das hat 'ne Weile gedauert, da sind wir auch mal runter gefallen von dieser Liste nach der deutschen Einheit, weil es natürlich in der ehemaligen DDR herausragende Stätten und Städte auch einzelne Bauwerke gibt, die unbedingt verdient haben (…) Weltkulturerbe zu werden.“ Sprecher: Es braucht „outstanding universal values“, so der offizielle Begriff für das wichtigste Kriterium, um überhaupt eine Chance auf einen Listenplatz zu ergattern. Außergewöhnliche universelle Werte. Was das heißt, darüber lässt sich lange streiten. Nicht jede gut erhaltene Burg ist einmalig, nicht jede malerische Kulturlandschaft unverwechselbar oder universell wertvoll. 1984, sieben Jahre nach den ersten Absichtserklärungen, taucht die Region Oberes Mittelrheintal erstmals auf der deutschen Vorschlagsliste auf, der sogenannten Tentativliste. Jedes Mitgliedsland hat so eine Liste, auf der alle Stätten eingetragen werden, die später einmal zum Welterbe gekürt werden sollen. Aber dann war erst mal lange Ruhe. Erst 1996 gewinnt das Unternehmen „Kulturerbe Oberes Mittelrheintal“ an Fahrt – mit Konferenzen, Ausstellungen, Broschüren, Symposien. Schließlich kommen die Gutachter vom internationalen Denkmalpflegerat Icomos an den Rhein. Die Bewerbung war eine Chance für das Mittelrheintal, das mit Abwanderung, Überalterung und Bahnlärm kämpfte und kämpft. Seit der Ernennung zum Welterbe sind mehr als eine halbe Milliarde Euro an deutschen Fördergeldern in die Region geflossen. O-Ton (Walter Schumacher): „Das Mittelrheintal war in touristischer Hinsicht sagen wir mal nicht an der Spitze des Fortschritts in Rheinland-Pfalz, und es galt auch, da aufzuholen und vieles nachzuholen. Und wir haben eine Steigerung der Touristenzahlen, und diese Steigerung hält an bis heute! Sprecher: Klar, dass bei solchen Zahlen auch viele andere Regionen eifrig nach „außergewöhnlichen universellen Werten“ Ausschau halten. Und da es immer schwieriger wird, dem Pariser Unesco-Welterbezentrum Bewerbungen einzelner Stätten vorzulegen, hatten sich die Bürgermeister von 16 europäischen Kurstädten eine Sammelbewerbung unter den Titel „Great Spas of Europe“ ausgedacht: Unter dem Vorsitz des Karlsbader Bürgermeisters wollten Orte wie Vichy, Wiesbaden, Baden-Baden, das belgische Spa, Bath in England Bad Ischl, Baden bei Wien und das hessische Bad Homburg ihre Hoch-Zeit als Kur- und Heilbäder herausstellen. O-Ton (Astrid Krüger): „Es sind Orte, an denen Heilquellen sich befinden, an denen sich dadurch ein Heilkurleben sich entwickelt hat und mit dem Heilkurleben auch ein gesellschaftliches Leben, das manchmal – wir nennen das jetzt „Great Spas“, vorher hieß das Projekt Kur- und Modebäder des 19. Jahrhunderts, was ein bisschen präziser,, aber nicht ganz so griffig ist. Es wurden Elemente aus Metropolen übernommen, die eigentlich in eine so kleine Stadt gar nicht gepasst hätten. In Bad Homburg ist das z. B. ne Straßenbahn.“ 4 Sprecher: Die Kunsthistorikerin und Stadtarchivarin Astrid Krüger war in Bad Homburg für die Bewerbung zuständig. Zum Treffen mit der Stadtarchivarin im historischen Kurpark zwischen Schwefelquellen, thailändischem Pavillon, russischer Kirche und Bäderstraße gesellt sich Oberbürgermeister Alexander Hetjes gleich dazu. O-Ton (Alexander Hetjes): „Bei uns war nicht die Masse, sondern – heut würd man sagen – high classKurgesellschaft, die hier nach Bad Homburg gekommen ist, um zu kuren, das waren die Spitzen des englischen Königshauses, der englische König war hier oft zu Gast, der thailändische König, deshalb haben wir – wie man sieht – eine sehr enge Verbindung zu Thailand, die Thai-Sala da hinten haben wir geschenkt bekommen, als Chulalongkorn, der damalige thailändische König hier zur Kur war und sich von seinem Lungenleiden erholt hat.“ Sprecher: Bad Homburg hat – wie es bei Welterbe-Bewerbungen üblich ist – eine Kernzone und, um den Kurpark herum, eine Pufferzone eingerichtet. Sie markieren die Ausdehnung des möglichen Welterbegebiets. Die Häuser in der Kernzone sind alle inventarisiert; sie müssen, so der Anspruch, echt und unversehrt sein und es auch bleiben. Zudem wurden 200.000 Datensätze durchforstet, Kurlisten, die die Aufenthalte der Gäste im 19. Jahrhundert belegen. Die pflegten damals eine Art KurHopping vor allem zwischen den bekannten Badeorten am Rhein. O-Ton (Astrid Krüger): „Man nennt das auch die Rheinischen Bäder, also die Menge von viel und international besuchten Kurstädten gerade in der Rheingegend, wozu dann Bad Ems, Wiesbaden, Bad Homburg und vor allem Baden-Baden zählen, das hängt auch mit den Touristenströmen der Zeit zusammen. Da hat ein Kurbad das andere mit gepusht ungewollt. Kurstädte haben seit ihrer Geschichte ein Verhältnis zwischen Konkurrenz und Zusammenarbeit. Man hat sich konkurriert, man hat geschielt auf den anderen und Angebote bei sich eingeführt, die der andere auch hatte.“ Sprecher: Damit es ein Ort auf die nationale Vorschlagsliste zum Welterbe schafft, braucht es nicht nur leidenschaftliche Fürsprecher in der Sache, sondern auch politischen Rückhalt. Fehlt der, können sich Historiker oder Archäologen mit wissenschaftlichen Argumenten die Zähne ausbeißen. Eine Erfahrung, die kürzlich auch die Stadtväter von Bad Homburg machen mussten. Im Mai wurde bekannt, dass unter anderem Wiesbaden und Bad Homburg aus der gemeinsamen Bewerbergruppe der europäischen Kurbäder herausgefallen sind. Zur Begründung hieß es offiziell unter anderem, in Bad Homburg gebe es gar keinen Kurbetrieb mehr. Falsch!, empört sich Oberbürgermeister Hetjes bei einem zweiten Treffen nach der Entscheidung. O-Ton (Alexander Hetjes): „Die Schwächen, die aufgezählt wurden, stimmen für Bad Homburg so nicht. Darauf haben wir auch hingewiesen, aber man durfte dann in der Sitzung selbst, wo die Ergebnisse vorgestellt wurden, auch keine Nachfragen mehr stellen. Deshalb wird das immer im Dunkeln bleiben, wieso weshalb warum jetzt Entscheidungen gefallen 5 sind und deshalb bleibt der fade Beigeschmack, dass das Ganze doch mehr politisch motiviert war als fachlich.“ Sprecher: Zu Beginn der Entscheidungsprozesse um die Sammelbewerbung der „Great Spas of Europe“ war auch Christoph Machat dabei, Archäologe, Kunsthistoriker und Mitglied des Icomos-Exekutivkomitees. Später zog er sich zurück. Für ihn sind nicht nur die Abgesandten des Welterbe-Komitees politisch gefärbt. Seiner Ansicht nach ist auch die gesamte Welterbeliste eine kulturpolitische Liste und keine wissenschaftliche. Machat hat viele Reisen unternommen, um für Icomos Gutachten zu erstellen, zu beraten. Die Sachverständigen des internationalen Rats für Denkmalpflege arbeiten ehrenamtlich und machen sich wegen ihrer Unabhängigkeit nicht nur Freunde bei Regionalpolitikern oder nationalen Welterbe-Komitees, die ihre eigenen Projekte beim Welterbezentrum in Paris durchbringen wollen. Treffpunkt mit Christoph Machat ist ein alt eingesessenes Brauhaus, gleich neben einer weiteren Welterbestätte: dem Kölner Dom. O-Ton (Christoph Machat): „Es kann natürlich sein, dass aus diplomatischer Sicht oder einfach so aus Freundlichkeit man sich positiv gibt und nicht die Leute vor den Kopf stößt, dass man sagt, was ihr hier nominiert habt, taugt nix! Dass die Betroffenen annehmen können, oh, alles in bester Ordnung. Nachher gibt es das böse Erwachen. Ist abgelehnt worden! Deshalb haben wir inzwischen ein neues System eingeführt seit einem Jahr, dass wir sofort die betreffenden Länder kontaktieren, die die Unterlagen erarbeitet haben und ein Gespräch mit ihnen führen. Sagen, dass fehlt, das ist nicht in Ordnung, usw. Wir bieten natürlich Beratung an, und das scheint sich weltweit durchgesetzt zu haben auf Unesco-Schiene sowieso und auf unserer IcomosSchiene auch, da erhoffen wir uns bessere Ergebnisse in Zukunft.“ Sprecher: „Die Wachhunde der Unesco“ nennt Eva Nowotny von der österreichischen UnescoKommission die Denkmalpfleger von Icomos. Wachhunde, die auch mal zubeißen können, denn von den Gutachten und Empfehlungen von Icomos hängt es ab, ob ein Welterbe-Status erteilt oder auch wieder aberkannt wird. Deshalb ist es für Christoph Machat wichtig, die Unabhängigkeit der Icomosgutachter zu betonen. O-Ton (Christoph Machat): „Ich hab Bewertungen für 29 Positionen der Unesco-Liste gemacht, persönlich, seit ich im Exekutivkomitee von Icomos bin, darf ich das nicht mehr. Weil das den ethischen Grundsätzen widerspricht. Alle, die Entscheidungen treffen (...), dürfen nicht auch befangen sein, indem sie eine Mission vor Ort gemacht haben, sich dann dazu geäußert haben, denn dann sind sie schon eingebunden. Genau so wie man zum Beispiel an keiner Ausarbeitung der Unterlagen für eine Nominierung beteiligt sein darf.“ Sprecher: Problematisch sieht Machat weniger eine mögliche Befangenheit von Gutachtern als vielmehr den Konflikt zwischen dem Welterbe-Titel und den Verpflichtungen oder Beschränkungen die sich dadurch ergeben einerseits und dem kommunalpolitischen 6 Alltag andererseits, der aus seiner Sicht schnell auch mal zu einer Gefahr für das Wesen einer Welterbestätte werden kann. O-Ton (Christoph Machat): „Zum Beispiel wenn im Mittelrheintal die Windkrafträder überall florieren werden, (…) es ist eine große Gefahr, und ich habe das Gefühl, dass es im Moment überall rumort, weil die Gemeinden Planungshoheit haben und sich Geld versprechen. Das Kernstück ist die Loreley, und die Verbandsgemeinde will partout ihre Windräder haben. (...) Wenn das wirklich so weitergeht, dann seh ich sehr schwarz für das Mittelrheintal – sag ich ganz ehrlich.“ Sprecher: Es klingt fast wie eine Drohung, doch wie ernst ist das zu nehmen in einer Zeit, in der die Unesco sowieso nur noch im Sparmodus arbeiten kann? Denn das Budget der UNO Abteilung für Wissenschaft Kultur und Bildung ist massiv geschrumpft. Es wurde nicht allmählich zurückgefahren, sondern abrupt: 2011, um ein Drittel. Die USA und Israel stellten damals ihre Beitragszahlungen ein, nachdem die Vereinten Nationen Palästina als Beobachterstaat aufgenommen hatten. Atmo: Paris Unesco, Empfang Sprecher: Paris, Place de Fontenoy, Hausnummer 7, Unesco Zentrale, der Fluss ist nicht weit: Auch die Seine-Uferbebauung ist Weltkulturerbe. Es geht quer durch den Y-förmigen Riesenbau aus den 1950er-Jahren in den vierten Stock zum Büro von Mechtild Rössler. Atmo: Lift-Ansage Sprecher: Rössler ist Geografin und arbeitet seit vielen Jahren für die Unesco. 2014 wurde sie Direktorin des Welterbe-Zentrums. Auch beim Thema Welterbe macht sich das Fehlen der Gelder aus Israel und den USA schmerzlich bemerkbar. O-Ton 13 (Mechtild Rössler): „Das ist ein sehr gravierender Einschnitt, weil bei uns ein Drittel nicht nur von unserem regulären Budget fehlt, sondern eben auch im Welterbefonds, und der Fonds ist ja ein Transfer von Ressourcen, das heißt, die reichen Staaten zahlen ein, jeder Staat zahlt ein, aber es ist für ein armes Land vielleicht 50 Dollar im Jahr und das ist ein Transfer von Ressource von reichen Staaten zu den Staaten, die es wirklich nötig haben, die nicht das Welterbe schützen können, wie es eigentlich der Fall sein sollte. Da fehlt uns wahnsinnig viel Geld, wir können für Welterbe schon Gelder anwerben, also wir haben jetzt erreicht dass wir z. B. 5 Mio. Dollar bekommen für den Kongo, wo wir fünf Welterbestätten haben, die alle in Gefahr sind. Wir bekommen Gelder für Projekte, aber was wir eigentlich brauchen, ist Gelder für die laufende Arbeit. D. h. wir müssen ja vor Ort untersuchen, wie der Erhaltungszustand der Welterbestätten ist, usw. da fehlt es vorne und hinten.“ 7 Sprecher: Auch beim Personal: Gegenwärtig sind noch 170 Leute in Paris im Bereich Welterbe beschäftigt – zuständig für die ganze Welt. Rössler hat einen einzigen Mitarbeiter zur Prüfung der eingegangenen Bewerbungen auf Vollständigkeit, sagt sie erbost. Ohne Drittmitteleinwerbung, ohne Spenden – und ohne die Mithilfe der Bevölkerung können in vielen Fällen selbst diejenigen Aufgaben nicht mehr bewältigt werden, die eigentlich in der Verantwortung der einzelnen Staaten wäre. O-Ton (Mechtild Rössler): „Leider ist das aber oft nicht der Fall, das ist eine der interessanten Dinge, die ich in meiner Laufbahn hier erlebt habe. Dass die Staaten, die die Konvention unterschreiben und sagen, ja wir machen das. Wir melden uns bei der Unesco – dass die das gar nicht tun. Dass wir jeden Tag – Sie sehen's hier in meinem Büro – (lacht) Hunderte von Briefen bekommen und zwar nicht von Icomos, sondern von lokalen NGOs manchmal Individuen, von irgendwelchen Gruppen, associations usw. Die dann sagen, liebe Unesco, da sieht's aber bisschen schwierig aus, können Sie da mal eingreifen? Und dann schreiben wir zum Staat, um zu eruieren, ob das stimmt.“ Sprecher: Warum die Staaten sich nicht von sich aus bei der Unesco melden, wenn es beispielsweise Probleme mit der Erhaltung von Welterbestätten gibt, diese Frage hat sich Mechtild Rössler schon oft gestellt. Oft verhindern das wohl die komplizierten Amtswege in den Ländern, vermutet sie. Dabei reiche es, ihr eine E-Mail zu schreiben, betont Rössler, damit sie aktiv werden, Schritte zur Unterstützung einleiten, nach Auswegen suchen könne. Bedroht sind Welterbe-Stätten nicht nur durch Straßen und Brücken, durch Windparks oder den Klimawandel. Auch kriegerische Auseinandersetzungen machen vor dem geschützten Kulturerbe nicht Halt. IS-Dschihadisten sprengten Teile der syrischen Ruinenstadt Palmyra, um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen. 48 Stätten stehen derzeit auf der Liste des gefährdeten Welterbes. Darunter Kulturlandschaften in Afghanistan und Äthiopien, Naturschutzgebiete in der Elfenbeinküste, in Guinea und im Kongo – aber auch die historische Hafenstadt Liverpool. Mechtild Rössler reist von Konferenz zu Konferenz, zu Einweihung neuer und zur Begutachtung bedrohter Welterbestätten. Aber nicht mehr zu solchen in Deutschland – sie selbst stammt aus Rheinland-Pfalz -, um Interessenskonflikte zu vermeiden. So war sie auch nicht in Dresden, als sich immer mehr abzeichnete, dass die Stadt stur bleiben würde und die sogenannte Waldschlösschenbrücke über die Elbe auf jeden Fall bauen wollte. 2009 wurde Dresden deshalb der Welterbe-Titel aberkannt – per Mehrheitsbeschluss im Welterbe-Komitee. Schon drei Jahre zuvor hatte die Unesco die Stadt gewarnt: Wenn Dresden den Bau der Brücke nicht stoppe, bestehe das Risiko, der Stadt den Titel, den sie erst 2004 erworben hatte, wieder zu nehmen. Die Dresdner hatten allerdings 2005 mehrheitlich für die Brücke gestimmt. Solche Abwägungen seien kein Einzelfall, meint Mechtild Rössler: O-Ton (Mechtild Rössler): „In den meisten Welterbestätten haben wir gravierende Probleme, weil die Menschen vor Ort einerseits eine Entwicklung wollen, das ist ja zu Recht, eine Weiterentwicklung wollen, auch ökonomisch, auch sozial, kulturell, alles, und wir wollen die Welterbestätten erhalten, dass wir sie zukünftigen Generationen 8 weitergeben können. Diese Generationen haben ein Recht auf diese Stätten, d. h. wenn wir heute etwas tun, sagen wir einen Staudamm bauen oder eine Zementfabrik, und diese Menschen sehen dann nicht mehr diese Stätten bzw. diese werden evtl. wie das im Falle Dresdens im Elbtal war, runtergenommen von der Liste, wo Unesco dann nix mehr mit zu tun hat. Das ist natürlich eine dramatische Situation, d. h. wir haben in diesem Fall versagt! Wir alle haben versagt!“ Sprecher: Allerdings hat die Unesco noch nie so hart reagiert wie im Falle Dresdens. Den Besucherzahlen hat die Aberkennung des Welterbetitels indes keinen Abbruch getan, wie sich gezeigt hat. Bei Städten und Landschaften dieser Größenordnung spielt der Unesco-Titel augenscheinlich keine so entscheidende Rolle, wirtschaftlich gesehen. Der Schaden in Dresden ist schlimmstenfalls ein Image-Schaden. Die deutsche Welterbeliste wird dadurch kaum kleiner: 40 Welterbestätten gibt es mittlerweile hierzulande. Nicht nur für die Berliner NGO „World Heritage Watch“ ist das zu viel, zu unausgewogen, global gesehen. Der Verein fordert deshalb ein Umdenken. Und auch Mechtild Rössler ist angesichts der Tatsache, dass fast die Hälfte aller Welterbestätten in Europa zu finden sind, nicht ganz glücklich mit der internationalen Verteilung der Titel. O-Ton (Mechtild Rössler): „Das ist etwas aus dem Ruder geraten, das ist ganz klar. Weil der politische Druck in den Staaten so groß ist. Das kann ich einfach nicht verstehen, dass da keine Sensibilisierung da ist, lokal vor Ort, dass nicht jeder Bürgermeister seine Dorfkirche auf die Welterbeliste bringen kann. Sondern dass eine wissenschaftliche Analyse in dem Land gemacht werden muss: Was fehlt eigentlich noch auf der Welterbeliste? Haben wir etwas, dass da reinpassen würde? Macht das überhaupt noch Sinn? Und die große Frage für mich, die ich mir am Anfang meiner jetzigen Amtszeit als Direktorin gestellt habe: Kann Europa nicht mal einen Schritt zurücktreten und dem Rest der Welt – d. h. vorwiegend südliches Afrika, Pazifik und Karibik den Vortritt lassen?“ Sprecher: Die Unesco-Welterbeliste ist und bleibt ein Erfolgsmodell – trotz der ProfilierungsGelüste durch immer neue Welterbe-Bewerbungen, trotz des finanzielles Engpasses nach dem Zahlungsstopp der Amerikaner, trotz der ungeklärten Frage, wie Kulturgüter in Kriegsregionen geschützt werden können. Die weltweit 1.031 Positionen bilden dennoch ein einzigartiges Geflecht: das Gedächtnis der Menschheit. Werden das eines Tages auch die USA anerkennen und ihre so essentiellen Zahlungen an die Unesco wieder aufnehmen? Wie auch immer: Bei der 40. Vollversammlung der Welterbe-Kommission, die noch bis 20. Juli in Istanbul stattfindet, beschäftigen sich die Delegierten wieder mit dem Aufbau, dem Schutz, dem Erhalt der Stätten von herausragendem universellem Wert, mit der Pflege des kulturellen Erbes der Menschheit. ***** 9
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