Wenig Nachfrage nach Prozessfinanzierern, Plädoyer

ALAMY
BERUFSALLTAG
Prozessfinanzierer:
Interesse nur bei
hohen Streitwerten
Wenig Nachfrage nach
Prozessfinanzierern
Prozesskosten · Seit die Gerichte in der ganzen
Schweiz Kostenvorschüsse verlangen, ist Prozessieren
für noch mehr Leute unerschwinglich geworden.
Prozessfinanzierer könnten eine Hilfe sein. Doch sie
interessieren sich nur für hohe Streitwerte.
D
ie Finanzierung von Prozessen durch Versicherungen ist in der Schweiz
seit Ende 2004 zulässig. Das Bundesgericht setzte sich damals erstmals mit der Prozessfinanzierung
durch Dritte auseinander und
stellte deren grundsätzliche Zulässigkeit fest. Das Gericht entschied,
ein Verbot der Prozessfinanzierung
verletze die Wirtschaftsfreiheit
(BGE 131 I 223). Zuvor hatte das
damalige Zürcher Anwaltsgesetz
die Prozessfinanzierung ausdrück-
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lich untersagt (plädoyer 5/05). Der
Finanzierer verpflichtet sich, sämtliche Prozesskosten wie Anwaltskosten, Gerichtskosten und Expertisen zu übernehmen. Bei
einem Prozessgewinn erhält das
Unternehmen in der Regel 30 bis
40 Prozent der zugesprochenen
Summe. Im Falle des Unterliegens
trägt der Finanzierer das gesamte
Kostenrisiko – inklusive Parteientschädigung. Heute sind in der
Schweiz drei Gesellschaften
aktiv: die Juraplus AG in Zürich,
die Profina Prozessfinanzierung
GmbH in Zug sowie die Foris AG
in Bonn (D). Die kleinste ist
die Profina Prozessfinanzierung
GmbH mit der Profina.ch
GmbH: Beide verfügen laut Geschäftsleiter Christian Schmid
über 20 000 Franken Stammkapital. Die Gesellschaft arbeite ohne
Festangestellte, Eigentümer sei ein
deutscher Rechtsanwalt.
Haftpflichtfälle stossen auf
grösste Resonanz
Bei Juraplus AG beträgt das Aktienkapital 100 000 Franken. Laut
Geschäftsführer Marcel Wegmüller beschäftigt die Gesellschaft vier
Mitarbeiter und gehört einer
Gruppe von unabhängigen privaten Investoren um den Verwal-
plädoyer 5/14
BERUFSALLTAG
tungsratspräsidenten Norbert Seeger aus dem Fürstentum Liechtenstein. In der Schweiz tätig ist auch
die deutsche Foris AG. Das Unternehmen wurde 1966 gegründet
und beschäftigt heute 39 Mitarbeiter. Im Vorstand und Aufsichtsrat sitzen deutsche Anwälte und
Ökonomen.
Die Auftragslage lässt offenbar
zu wünschen übrig. «Wir bekommen aus der Schweiz nur sehr wenige Anfragen», sagt Foris-Sprecherin Denise Bongardt. Foris
prüfe ausserdem lediglich Fälle
mit einem Streitwert ab etwa
200 000 Euro. Genauere Zahlen
zur Schweiz will sie nicht nennen.
Profina ist transparenter: Laut
Schmid finanziert die Gesellschaft
ausschliesslich Schweizer Verfahren – bisher insgesamt 83. Der
Streitwert müsse «wesentlich höher als 50 000 Franken» liegen. Finanziert würden in erster Linie
Haftpflichtfälle aller Art, namentlich Verantwortlichkeitsansprüche, daneben aber auch Ansprüche
aus Vertragsverletzungen.» Laut
der Webseite von Profina beträgt
das Volumen der von Profina finanzierten Prozesse gegenwärtig
rund 40 Millionen Franken.
Juraplus: Streitwerte in
einstelliger Millionenhöhe
Juraplus prüft nur Fälle mit einem
Streitwert ab 300 000 Franken.
«Darunter schauen wir nichts an»,
so Wegmüller. Im Durchschnitt
würden sich die Streitwerte im einstelligen Millionenbetrag bewegen. Das Unternehmen prüfe bis
zu 80 Fälle pro Jahr. «Zwischen
ein und zwei Dutzend davon werden finanziert.» Rund zwei Drittel
der Fälle seien erfolgreich.
Prozessfinanzierungen werden
grundsätzlich für alle Gebiete des
Zivilrechts angeboten. Voraussetzungen sind ein geldwerter Anspruch, gute Erfolgsaussichten
und eine solvente Gegenpartei.
Benjamin Schumacher, Dokto-
plädoyer 5/14
rand an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, hat sich mit der Prozessfinanzierung durch Dritte und deren
Nachfrage auseinandergesetzt. Seine Erkenntnis: «Der Markt ist intransparent. Es gibt praktisch keine Zahlen. Es ist sehr schwierig abzuschätzen, wie gross das Volumen
in der Schweiz wirklich ist.»
Angebot noch zu wenig
bekannt
plädoyer wollte von Anwälten wissen, welche Erfahrungen sie mit
Prozessfinanzierern gemacht haben. Das Ergebnis der Umfrage
bei mehr als zwei Dutzend Kanzleien zeigte: Niemand konnte
etwas dazu sagen. Schumacher
erstaunt das nicht: Es sei für ihn
unklar, ob in der Anwaltschaft ein
relevantes Interesse für Prozessfinanzierung durch Dritte bestehe.
Marcel Wegmüller von Juraplus
vermutet, dass noch zu wenige Anwältinnen und Anwälte ihre
Klienten auf die Prozessfinanzierung hinweisen würden.
Auch der Bundesrat wies im Juli
2013 in seinem Bericht zum kollektiven Rechtsschutz in der Schweiz
darauf hin, dass die Möglichkeit
der Prozessfinanzierung als Instrument des kollektiven Rechtsschutzes namentlich in den Bereichen
des Anleger- und Konsumentenschutzes noch zu wenig genutzt
wird. Vor diesem Hintergrund regte die Regierung die Förderung der
Prozessfinanzierung an, indem Private, aber auch Organisationen
und Verbände vermehrt über die
Möglichkeiten der Finanzierung
von Prozessen aufgeklärt und informiert werden sollen – allenfalls
sogar mittels einer entsprechenden
Pflicht der zuständigen Gerichte.
Gjon David
Antrag auf Prozessfinanzierung:
So müssen Anwälte vorgehen
Christian Schmid von der
Profina rät: «Anwälte sollten
sich am besten zunächst
telefonisch mit der Profina
in Verbindung setzen, um
zu erfahren, ob sich ein
Gesuch überhaupt lohnt.»
Im positiven Fall benötige
die Profina Unterlagen, die
eine möglichst zuverlässige
Beurteilung der Prozesschancen erlauben. Zwei
Aspekte sind gemäss
Schmid wesentlich: Der
Sachverhalt muss aufbereitet sein – die Profina finanziert keine Sachverhaltsrecherchen – und der
Standpunkt der Gegenpartei soll ebenfalls geschildert werden. «Falls die
Bonität des Anspruchs-
gegners problematisch ist,
sollen wenn möglich auch
diesbezügliche Unterlagen
eingereicht werden.»
Laut Marcel Wegmüller
wird bei Juraplus nach
einer Anfrage betreffend
Prozessfinanzierung zuerst
ein gemeinsamer «VorabCheck» vorgenommen:
Genau angeschaut werde
der Streitwert, der Gerichtsstand, die Solvenz der
Gegenpartei, der Sachverhalt, die Rechtslage sowie
die Verjährung. Ab Erhalt
der Unterlagen teile die
Gesellschaft innert vier
Arbeitstagen mit, ob sie
Interesse am Fall habe.
Alle Fälle würden von internen Juristen mit Anwalts-
patent überprüft. «In
komplexen Fällen oder in
solchen mit sehr hohen
Streitsummen holen wir in
Abstimmung mit dem
prozessführenden Anwalt
zudem auf unsere Kosten
eine Second Opinion bei
einem externen Spezialisten
ein», erklärt Wegmüller.
Bei der Profina hingegen
beurteilt Geschäftsführer
Christian Schmid bei allen
Fällen die Prozesschancen,
«bisweilen sekundiert von
einem Juristen, der einen
Abschluss vorzuweisen
hat», sagt Schmid. Er habe
jedoch auch schon einen
Professor der Universität
Zürich zur Beurteilung einer
Rechtsfrage beigezogen.
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